L 16 R 476/19

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 141 R 978/17
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 16 R 476/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 21. Mai 2019 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Der Kläger wendet sich gegen die von der Beklagten vorgenommene Verrechnung eines Teils seiner laufenden Rentenansprüche mit gegen ihn gerichteten Beitrags- und Nebenforderungen der beigeladenen Krankenkasse.

Der 1940 geborene Kläger war gesetzlicher Vertreter und alleiniger Inhaber der U AG (im Folgenden: U AG). Nachdem die U AG von der Beigeladenen angeforderte Gesamtsozialversicherungsbeiträge einschließlich Säumniszuschlägen und Nebenkosten i.H.v. insgesamt 23.952,- EUR nicht zahlte, stellte die Beigeladene einen Insolvenzantrag gegen die U AG.

In der Folge vereinbarten der Kläger und die Beigeladene, dass diese den Insolvenzantrag zurückziehe, wenn die Beigeladene eine selbstschuldnerische Bürgschaft erhalte und eine Grundschuld/Sicherungshypothek im Grundbuch eingetragen werde; der Kläger war hälftiger Miteigentümer eines Grundstücks in S-Bad (vgl. Schreiben der Beigeladenen vom 9. Oktober 2008). Der Kläger gab am 1. Oktober 2008 gegenüber der Beigeladenen im Hinblick auf die bestehenden Beitragsschulden der U AG drei notariell beurkundete, sofort vollstreckbare Schuldanerkenntnisse i.H.v. 10.796,50 EUR bzw. jeweils 10.000,- EUR ab. Eine Eintragung einer Grundschuld/Sicherungshypothek erfolgte nicht. Das Amtsgericht Charlottenburg wies den Insolvenzantrag der Beigeladenen mit Beschluss vom 21. Mai 2010 (36u IN 2550/08) mangels Masse zurück.

Mit Schreiben vom 21. Juli 2016 bzw. 10. August 2016 teilte die Beigeladene der Beklagten mit, der Kläger schulde ihr aus den Schuldanerkenntnissen vom 1. Oktober 2008 wegen rückständiger Sozialversicherungsbeiträge 30.796,50 EUR, und ermächtigte die Beklagte zugleich zur Verrechnung gegen Geldleistungen, die der Kläger erhalte. Nach Anhörung des Klägers verrechnete die Beklagte mit Bescheid vom 28. September 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. März 2017 m.W.v. 1. November 2016 einen Betrag i.H.v. mtl. 149,86 EUR vom Zahlbetrag der dem Kläger gewährten Altersrente (seinerzeit mtl. 299,72 EUR). Das Sozialgericht (SG) Berlin hat die auf Aufhebung des Verrechnungsbescheids gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 21. Mai 2019). Zur Begründung ist ausgeführt: Die Klage sei nicht begründet. Die auf § 52 Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil – (SGB I) gestützte Verrechnungsentscheidung der Beklagten sei formell und materiell rechtmäßig. Die verrechneten Forderungen der Beigeladenen seien entstanden und fällig. Die vom Kläger hiergegen vorgebrachte "Einrede des nicht erfüllten Vertrags" greife nicht durch.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er trägt vor: Die Beigeladene habe sich verpflichtet, den Insolvenzantrag bei Abgabe des Schuldanerkenntnisses zurückzunehmen. Dies habe sie treuwidrig nicht getan.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 21. Mai 2019 und den Bescheid der Beklagten vom 28. September 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. März 2017 aufzuheben.

Die Beklagte und die Beigeladene beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

II.

Der Senat hat gemäß § 153 Abs. 4 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die (zulässige) Berufung des Klägers durch Beschluss zurückweisen können, weil er dieses Rechtsmittel einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten hat. Die Beteiligten sind hierzu vorher gehört worden (vgl. § 153 Abs. 4 Satz 2 SGG).

Die Berufung, mit der der Kläger seine erstinstanzlich erhobene und statthafte isolierte Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 Alt. 1 SGG) weiter verfolgt, ist nicht begründet. Etwaige ergänzend ergangene Verrechnungsbescheide für Folgezeiträume sind nicht gemäß § 96 Abs. 1 SGG in der hier anwendbaren, seit 1. April 2008 geltenden Fassung kraft Gesetzes Gegenstand des Verfahrens geworden (vgl. hierzu Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 7. Februar 2012 – B 13 R 85/09 R = SozR 4-1200 § 52 Nr. 5 – Rn. 34).

Nach § 52 SGB I kann der für eine Geldleistung zuständige Leistungsträger – hier die Beklagte – mit Ermächtigung eines anderen Leistungsträgers – hier der Beigeladenen – dessen Ansprüche gegen den Berechtigten – also den Kläger – mit der ihm obliegenden Geldleistung verrechnen, soweit nach § 51 SGB I die Aufrechnung zulässig ist. Gemäß § 51 Abs. 1 SGB I kann der zuständige Leistungsträger gegen Ansprüche auf Geldleistungen – hier auf Rentenauszahlung – mit Ansprüchen (jeder Art) gegen den Berechtigten aufrechnen, soweit die Ansprüche auf Geldleistungen nach § 54 Abs. 2 und 4 SGB I pfändbar sind. Mit Ansprüchen auf Erstattung zu Unrecht erbrachter Leistungen und – wie hier – mit Beitragsansprüchen nach dem Sozialgesetzbuch kann der zuständige Leistungsträger nach § 51 Abs. 2 SGB I gegen Ansprüche auf laufende Geldleistungen bis zu deren Hälfte aufrechnen, wenn der Leistungsberechtigte nicht nachweist, dass er dadurch hilfebedürftig nach den Vorschriften des Sozialgesetzbuchs – Sozialhilfe – (SGB XII) über die Hilfe zum Lebensunterhalt oder der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) wird (§ 51 Abs. 2 SGB I).

Die Verrechnung hat die Beklagte zutreffend durch Verwaltungsakt verlautbart (vgl. hierzu BSG a.a.O. Rn. 39 ff). Es bestand auch – und insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen des SG in dem angefochtenen Urteil zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen (vgl. § 153 Abs. 2 SGG analog) – auch eine Verrechnungslage entsprechend § 387 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Die von der Beigeladenen geltend gemachten Geldforderungen waren entstanden und fällig und entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht einredebehaftet (vgl. § 390 BGB). Ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 BGB scheidet schon deshalb aus, weil der aus der Abrede zwischen dem Kläger und der Beigeladenen resultierende – aufschiebend bedingte – Anspruch auf Rücknahme des Insolvenzantrags nicht aus demselben Rechtsverhältnis herrührt, auf dem die Schuldanerkenntnisse des Klägers beruhten. Der Kläger hat im Übrigen die Bedingungen für die vereinbarte Rücknahme des Insolvenzantrages nicht sämtlich erfüllt, weil eine Grundschuld bzw. Sicherungshypothek bis zur Zurückweisung des Insolvenzantrages nicht eingetragen worden ist. Danach kam eine Rücknahme des Insolvenzantrages ohnehin nicht mehr in Betracht. Ob die Beigeladene nachträglich noch – wie der Kläger meint "treuwidrig" - den Wunsch geäußert bzw. die Bedingung formuliert habe, es sei eine erstrangige Grundschuld einzutragen, ist bei dieser Sach- und Rechtslage ohne Belang. Denn eine dingliche Sicherung irgendeiner Art erfolgte nachweislich nicht.

Die Beklagte war nicht gehindert, die Verrechnung mit Ansprüchen der Beigeladenen auf rückständige Beiträge in Bezug auf unpfändbare Teile der Rentenzahlungsansprüche des Klägers bis zu deren Hälfte zu erstrecken (vgl. § 51 Abs. 2 SGB I). Die Beklagte hat bei der hier angefochtenen Verrechnungsentscheidung auch ihr Ermessen beanstandungsfrei ausgeübt. Sie hatte erkannt, dass ihr pflichtgemäß auszuübendes Ermessen zusteht und angesichts der nicht erfolgten Äußerung des Klägers im Anhörungsverfahren (vgl. § 24 Abs. 1 SGB X) zu den für die Verrechnung bedeutsamen Umständen einer Begleichung der Beitragsschulden und damit der Funktionsfähigkeit der im Wesentlichen beitragsfinanzierten Sozialversicherungssysteme den Vorrang gegeben. Sie hat diese Ermessensentscheidung auch hinreichend begründet. Eine über die ohnehin von Gesetzes wegen zu beachtende Sozialhilfebedürftigkeitsgrenze hinausgehende außergewöhnliche soziale oder finanzielle Situation hatte der Kläger nicht vorgetragen; sie ist auch nicht ersichtlich.

Der Kläger hat schließlich auch nicht nachgewiesen, dass er durch die Verrechnung hilfebedürftig i.S.d. Vorschriften des SGB XII bzw. des SGB II geworden ist. Er hat hierzu bzw. zu einer Hilfebedürftigkeit allgemein nichts vorgetragen. Es sind auch keine entsprechenden Anhaltspunkte aus den Akten ersichtlich. Die Nachweisobliegenheit i.S. des § 51 Abs. 2 SGB I beseitigt den Untersuchungsgrundsatz zwar nicht. Das Gericht muss nach § 103 Satz 1 SGG den Sachverhalt von Amts wegen erforschen und ermitteln, ob Hilfebedürftigkeit durch die bereits durchgeführte Verrechnung eingetreten ist oder – bei noch andauernder bzw. erst noch zu vollziehender Verrechnung – voraussichtlich eintritt. Allerdings kann sich die Ermittlungspflicht durch die Mitwirkungsobliegenheit des Klägers verringern. Dies gilt hier umso mehr, als den Kläger nach §§ 52, 51 Abs. 2 SGB I eine erweiterte Verpflichtung zur Mitwirkung (vgl. § 21 Abs. 2 Satz 3 SGB X) im Sinne einer Nachweisobliegenheit trifft. Unabhängig davon, ob dem Versicherten dabei die Pflicht zur Beibringung einer Bescheinigung über die Hilfebedürftigkeit obliegt, hat er jedoch zumindest insoweit mitzuwirken, als er Tatsachen und Umstände, die ausschließlich in seiner Sphäre liegen, darzulegen hat (vgl. zum Ganzen BSG, Beschluss vom 31. Januar 2017 – B 13 R 33/16 BH – juris – Rn. 22 m.w.N. aus der Rspr.). Der Kläger hat indes keinerlei entsprechende Anknüpfungstatsachen oder zumindest plausible Umstände, und zwar weder im Verwaltungs- noch im Gerichtsverfahren, vorgebracht.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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