L 14 AS 1863/19 B

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
14
1. Instanz
SG Cottbus (BRB)
Aktenzeichen
S 10 AS 483/19 WA
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 14 AS 1863/19 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Cottbus vom 14. Mai 2019 aufgehoben.

Gründe:

I.

Mit ihrer am 4. Oktober 2013 beim Sozialgericht Cottbus (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin unter Bezugnahme auf den Vorlagebeschluss des SG Berlin vom 25. April 2012 (S 55 AS 9238/12) beantragt, ihr unter Aufhebung des vorläufig ergangenen Bescheids vom 24. Mai 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. August 2013 Grundsicherungsleistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) ‚in gesetzlicher Höhe‘ für die Zeit ab dem 1. Juni 2013 zu gewähren.

Mit Gerichtsbescheid vom 19. Juli 2017 hat das SG die Klage unter Verweis auf den streitgegenständlichen Bescheid vom 24. Mai 2013 abgewiesen und den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschlüsse vom 23. Juli 2014, 1 BvL 10/12, 1 BvL 12/12 und 1 BvR 1691/13) wegen Nichterreichens des Wert) sowie der Bedarfsberechnung des Beklagten und die von ihm vorgenommene Einkommensabsetzung lasse der angefochtene Bescheid keine Rechtsfehler erkennen und habe im Hinblick auf das wechselnde Einkommen der Klägerin auch vorläufig ergehen dürfen. Der Regelbedarf i.H.v. 382,00 EUR monatlich (§ 22 Abs. 2 SGB II) und die Kosten der Unterkunft und Heizung i.H.v. 383,69 EUR monatlich (§ 22 Abs. 1 SGB II) seien umfassend berücksichtigt worden und auch die Absetzung von Einkommen i.H.v. 569,00 EUR monatlich (§§ 11, 11b SGB II) sei ordnungsgemäß erfolgt. Ein Mehrbedarf sei nicht anzuerkennen, da die gesetzlichen Voraussetzungen des § 24 Abs. 1 SGB II nicht vorlägen. Das SG hat eine Rechtsmittelbelehrung ‚Berufung gegeben‘ beigefügt.

Gegen den dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 31. Juli 2017 zugestellten Gerichtsbescheid hat dieser am 25. August 2017 Berufung eingelegt und gleichzeitig mündliche Verhandlung beantragt. Gegen den ablehnenden Prozesskostenhilfe (PKH)-Beschluss hat er Beschwerde eingelegt.

Die Verfahren wurden beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (LSG) unter den Az. L 25 AS 1937/17 und L 25 AS 1938/17 B PKH registriert. Mit Beschlüssen vom 24. Mai 2018 hat der 25. Senat des LSG den Antrag auf Bewilligung von PKH für das Berufungsverfahren abgelehnt und die Beschwerde gegen die Ablehnung der Bewilligung von PKH im Gerichtsbescheid des SG vom 19. Juli 2017 mangels Erreichens des Beschwerdewertes (§ 172 Abs. 3 Nr. 2b Sozialgerichtsgesetz (SGG)) als unstatthaft verworfen. Das Gericht habe mangels bezifferten Berufungsantrags der Klägerin den Gegenstandswert ermitteln oder anhand des wirtschaftlichen Interesses am Ausgang des Rechtsstreits schätzen müssen (§ 202 SGG i.V.m. § 3 Zivilprozessordnung (ZPO)). Streitgegenstand dürfte nunmehr allein der Bescheid vom 30. Oktober 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. Februar 2014 über die endgültige Festsetzung von Leistungen für den genannten Zeitraum sein, der den ursprünglich von der Klägerin angefochtenen, vorläufigen Bescheid vom 24. Mai 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. August 2013 gem. § 96 Abs. 1 SGG ersetzt haben dürfte (vgl. BSG, Urteil vom 19. August 2015, B 14 AS 13/14 R, Juris). Bei Zugrundelegung der Angaben der Klägerin sowie unter Berücksichtigung von Differenzen beim anzurechnenden Einkommen dürfte der Wert des Beschwerdegegenstandes 750,00 EUR nicht übersteigen. Bezüglich der Ermittlung des Gegenstandswertes wird auf die ausführlichen Ausführungen im Beschluss vom 24. Mai 2018 verwiesen und Bezug genommen. Auch die geäußerten Zweifel an der Verfassungsgemäßheit des gesetzlichen Regelbedarfs dürften nicht dazu führen, dass die Leistungen nicht bezifferbar seien und die Berufung nach der Grundregel des § 143 SGG zulässig sei, denn das vollständige Absehen von jeder Bezifferung führe nicht automatisch zur Zulässigkeit der Berufung. Dass die Berufung auch deshalb unzulässig sein dürfte, weil der Gerichtsbescheid wegen des zugleich mit der Berufung gestellten Antrags auf mündliche Verhandlung nach § 105 Abs. 3 SGG als nicht ergangen gelten dürfte, sei hier nicht mehr entscheidungserheblich. Das SG habe die Berufung auch nicht zugelassen. Vielmehr sei die Rechtsmittelbelehrung unrichtig erfolgt und mithin eine falsche Belehrung (vgl. BSG, Urteil vom 19. November 1996,1 RK 18/95, Juris). Eine Nichtzulassungsbeschwerde (NZB) sei nicht eingelegt und eine Umdeutung der Berufung in eine NZB könne nicht erfolgen (BSG, Urteil vom 20. Mai 2003, B 1 KR 25/01 R, Juris).

Der Prozessbevollmächtigte hat daraufhin die Berufung zurückgenommen und erneut beim SG die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt. Mit Beschluss vom 14. Mai 2019 hat das SG den Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unzulässig verworfen. Unter Berücksichtigung des unbezifferten Klageantrags sowie nach dessen Auslegung entsprechend dem Meistbegünstigungsprinzip sei die Berufungssumme des § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG überschritten mit der Folge der Unzulässigkeit des Antrags gemäß § 105 Abs. 2 S. 2 SGG (vgl. Beschluss des LSG vom 4. Juni 2018, L 31 AS 2118/17 B, Juris).

Mit ihrer gegen den ihrem Prozessbevollmächtigten am 2. August 2019 zugestellten Beschluss am 30. August 2019 bei dem SG eingelegten Beschwerde weist die Klägerin über ihren Prozessbevollmächtigte darauf hin, dass der 25. Senat in seinem Beschluss vom 24. Mai 2018 (L 25 AS 1937/17) davon ausgegangen sei, dass die Berufung nicht statthaft sei. Dann sei aber der hiesige Antrag auf mündliche Verhandlung statthaft.

Der Beklagte hat erwidert, das SG habe zu Recht unter Bezugnahme auf den Beschluss des LSG vom 4. Juni 2018 (L 31 AS 2118/17 B) den Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unstatthaft verworfen.

II.

Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des SG vom 14. Mai 2019 ist gem. § 172 Abs. 1, 173 SGG zulässig und auch begründet, denn der Antrag der Klägerin auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung war statthaft und auch im Übrigen zulässig.

Der Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung beim SG ist statthaft, wenn ein Gerichtsbescheid ergangen ist, der nicht mit der Berufung anfechtbar ist (§ 105 Abs. 2 S. 2 SGG). Das SG hat die Berufung nicht zugelassen, es sind nicht Leistungen für mehr als ein Jahr betroffen (vgl. § 144 Abs. 1 SGG) und der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 750,00 EUR nicht. Bei einer Klage auf Gewährung einer Geldleistung bestimmt sich der Gegenstandswert i.S.v. § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG allein nach dem Geldbetrag, den das erstinstanzliche Gericht versagt hat und der vom Kläger weiter verfolgt wird. Bei einem unbezifferten Klageantrag, wie hier, hat das Berufungsgericht den Gegenstandswert unter Berücksichtigung des klägerischen Vorbringens überschlägig zu berechnen (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 11. März 2015, L 19 AS 240/15 NZB; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl., § 144 Rn. 15b m.w.N.). Vorliegend ergibt die überschlägige Berechnung, dass das Begehren der Klägerin die Berufungssumme von 750,00 EUR nicht überstiegen hat. Es sei auf die Gründe des Beschlusses des 25. Senats (L 25 AS 1937/17) vom 24. Mai 2018 verwiesen, denen der hier erkennende Senat folgt. In dem Beschluss wurde ausführlich dargelegt, weshalb nach Auslegung des klägerischen Begehrens in Verbindung mit den in den Akten befindlichen Unterlagen der Wert des Beschwerdegegenstandes 750 Euro nicht erreicht. Dem ist die Klägerin nicht entgegengetreten, vielmehr hat sie sich der Einschätzung der Höhe der Beschwer ausweislich ihres Schriftsatzes vom 26. Januar 2019 sogar ausdrücklich angeschlossen. Der Beschluss des Sozialgerichts vom 14. Mai 2019 enthält keine auf den Einzelfall bezogene Begründung, weshalb von einem höheren Betrag für die Beschwer auszugehen sein sollte. Hierfür gibt auch die vom Sozialgericht zitierte Entscheidung des LSG Berlin-Brandenburg (L 31 AS 2118/17 B vom 4. Juni 2018) nichts her. In dieser Entscheidung ist dargelegt, dass nach Würdigung des klägerischen Vorbringens die gesamte Einkommensanrechnung in Höhe von 3 940 Euro angefochten sein sollte, womit 750 Euro überstiegen wurden; eine Klagebeschränkung sei nicht erfolgt, denn eine solche müsse eindeutig erklärt werden oder zum Ausdruck kommen, damit von einem Unterschreiten der gegenständlichen Summe ausgegangen werden dürfte. Im vorliegenden Fall wurde aber nach Würdigung des klägerischen Vorbringens ein Gegenstandswert von weniger als 750 Euro festgestellt, dies mit umfassender Begründung im Beschluss des 25. Senats (L 25 AS 1937/17) vom 24. Mai 2018. Wenn durch Würdigung des klägerischen Vorbringens aber eine bestimmte Summe für den Gegenstandswert feststellbar ist, dann ist diese auch zugrunde zu legen.

Die Klägerin hat - dies wohl auch erkennend - neben der Berufung auch die Durchführung der mündlichen Verhandlung mit Schriftsatz vom 25. August 2017 und damit rechtzeitig innerhalb von einem Monat beantragt (vgl. zur Fristbindung des Antrags Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, a.a.O., § 105 Rn. 20). Soweit sie zugleich auch eine - nach dem oben Gesagten - nicht statthafte Berufung eingelegt hat, gilt folgendes: Die Rechtsmittelbelehrung des SG war unzutreffend. Eine Belehrung, die anstelle des statthaften Rechtsbehelfs (hier: NZB bzw. Antrag auf mündliche Verhandlung) auch einen anderen fristgebundenen Rechtsbehelf (hier: Berufung) nennt, gilt als nicht ergangen (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, a.a.O., § 144 Rn. 45a m.w.N.). Zwar schließt sich das eingelegte Rechtsmittel der Berufung mit dem gleichzeitig gestellten Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung in Anbetracht der unterschiedlichen Zielsetzung - einerseits Überprüfung eines Urteils/Gerichtsbescheids des SG durch das Berufungsgericht, andererseits Überprüfung der Nichtzulassung der Berufung durch das SG - grundsätzlich aus. Auch ist ein rechtskundiger Rechtsmittelführer, wie hier die durch einen Rechtsanwalt vertretene Klägerin, grundsätzlich am Wortlaut der abgegebenen Erklärung festzuhalten. Dies gilt jedoch dann nicht, wenn - wie hier - der rechtskundig vertretene Rechtsmittelführer, der durch die Vorinstanz unzutreffend über das gegebene Rechtsmittel belehrt worden ist, sich entsprechend der ihm erteilten Belehrung verhält. Denn auch einem Rechtskundigen ist es schon zur Abwehr des Irrtumsrisikos erlaubt, sich gemäß einer gerichtlichen Belehrung zu verhalten, ohne deswegen prozessrechtliche Nachteile befürchten zu müssen. Der 25. Senat des LSG hat in seinem PKH-Beschluss vom 24. Mai 2018 zutreffend ausgeführt, dass eine Berufung gegen den Gerichtsbescheid des SG nicht kraft Gesetzes statthaft war, sondern einer Zulassung durch das SG oder (auf eine NZB der Klägerin) durch das LSG bedurft hätte. Das SG hatte die Berufung nicht zugelassen. In einer unzutreffenden Rechtsmittelbelehrung liegt keine Zulassung der Berufung (BSG, Beschluss vom 2. Juni 2004, B 7 AL 10/04 B, juris). Aus dem Umstand, dass die Klägerin, vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten, von ihrem Wahlrecht nach § 105 Abs. 2 S. 2 SGG mündliche Verhandlung zu beantragen, Gebrauch gemacht hat, lässt sich schließen, dass sie in jedem Fall eine Überprüfung der Sachentscheidung des SG begehrte. Hierfür spricht auch, dass die Klägerin auf die Belehrung durch das Gericht, die Berufung sei unzulässig, zutreffend reagiert und diese zurückgenommen hat. Es ist davon auszugehen, dass die Klägerin, hätte das SG ihr gleich die zutreffende Rechtsmittelbelehrung - Berufung nicht gegeben - erteilt, von ihrem Wahlrecht auf Beantragung einer mündlichen Verhandlung Gebrauch gemacht hätte.

Auf die Beschwerde der Klägerin war deshalb der angefochtene Beschluss des SG vom 14. Mai 2019 aufzuheben. Das SG ist verpflichtet, die beantragte mündliche Verhandlung durchzuführen. Der Gerichtsbescheid gilt dann als nicht ergangen (§ 105 Abs. 3 SGG).

Eine Kostenentscheidung hat nicht zu ergehen. Das Beschwerdeverfahren gegen den Beschluss über die Ablehnung einer mündlichen Verhandlung ist kein eigenes Verfahren, sondern nur ein Zwischenstreit im noch anhängigen Rechtsstreit (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27. Mai 2016 - L 9 AS 1782/14 B, juris).

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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