L 4 KR 1211/02

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 5 KR 2979/01
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 1211/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zahnersatz durch implantologische Leistungen kann nur beansprucht werden, wenn eine konventionelle Versorgung ohne Implantate nicht möglich ist. Auf welche Leistungen Anspruch besteht, richtet sich nach dem im Zeitpunkt der Behandlung jeweils geltenden Recht, insbesondere den Richtlinien des Bundesausschusses der Zahnärzte und Krankenkassen.
Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten besteht Streit darüber, ob die Beklagte dem Kläger die Kosten für implantologische Leistungen zu erstatten hat.

Der am 1983 geborene Kläger, der versicherungspflichtiges Mitglied der Beklagten ist, zog sich im Alter von zehn Jahren bei einem Unfall auf einem Kinderspielplatz erhebliche Verletzungen im Mundbereich zu, als er ausgerutscht ist und sich dabei mit dem Gesicht an einem Felsbrocken verletzt hat. Dabei fiel der Zahn 21 im Oberkiefer vollständig aus und konnte zunächst reimplan-tiert werden, was jedoch nicht dauerhaft gelang. Da sich die Knochensubstanz im Oberkiefer zurückgebildet hatte, war zunächst ein Neuaufbau erforderlich. Unter dem 20. Oktober 2000 erstellte der Zahnarzt W. einen Heil- und Kostenplan mit einem geschätzten Gesamtbetrag von DM 1.893,33 über Leistungen, die von der gesetzlichen Kranken-kasse nicht bezahlt würden und deshalb nach der Gebührenordnung für Zahnärzte zu berechnen seien. Der Facharzt für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie (MKG-Chirurg) Dr. H. veran-schlagte mit dem Kostenvoranschlag vom 18. Oktober 2000 die erforderlichen Leistungen mit einem Gesamtaufwand von DM 2.047,28. Unter dem 13. November 2000 teilte er der Beklagten mit, beim Kläger handle es sich um einen traumatischen Verlust des Zahns 21 mit dem örtlichen Kieferknochen. Für eine dauerhafte Rehabilitation inklusive Schonung der nicht kariösen Nach-barzähne solle eine Implantation durchgeführt werden. Auf Anfrage der Beklagten teilte er am 04. Dezember 2000 mit, beim Kläger liege ein größerer Kieferdefekt in Regio 11 nach einem Unfall vor. Nach den maßgeblichen Richtlinien des Bundesausschusses der Zahnärzte und Kran-kenkassen (BAZ) handle es sich somit um eine Indikation Buchst. a). Die Beklagte veranlasste eine Begutachtung des Klägers durch den Direktor der Akademie für Zahnärztliche Fortbildung in K. Prof. Dr. He., der in seinem Gutachten vom 13. Februar 2001 nach persönlicher Untersu-chung des Klägers zu dem Ergebnis gelangte, nach den hier anzuwendenden Richtlinien des BAZ handle es sich bei dem Verlust des Zahnes 21 nicht um einen Defekt, der in die Rubrik "bei größeren Kiefer- oder Gesichtsdefekten" eingegliedert werden könne. Abgesehen davon sei hier eine prothetische Versorgung auch ohne Implantate möglich. Eine Implantatversorgung könne deswegen nicht empfohlen werden; sie sei durch die gesetzlichen Vorgaben nicht gedeckt. Mit Bescheid vom 20. Februar 2001 lehnte daraufhin die Beklagte die Kostenübernahme für die Implantatversorgung ab und bezog sich auf das erwähnte Gutachten. Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, bei ihm liege durchaus ein "größerer Kiefer- oder Gesichtsdefekt" entsprechend den Richtlinien des BAZ vor. Seit dem Unfall sei der Zahnverlust aus optischen Gründen durch ein Provisorium ersetzt worden. Damit habe er aber keinen richtigen Biss ausfüh-ren können. Deshalb habe er das Kauen auf die anderen, gesunden Zähne verlagert. Eine prothe-tische Versorgung der Zahnlücke mittels einer Brücke sei nicht zumutbar. Außerdem würden dadurch die nicht kariösen Nachbarzähne in Mitleidenschaft gezogen. Zudem stelle eine Prothe-se keine Dauerlösung dar, da er noch nicht ausgewachsen sei. Die Beklagte veranlasste die Vor-lage eines Heil- und Kostenplans des Zahnarztes W. vom 01. Juni 2001, aus dem die Beklagte das vermutlich anfallende zahnärztliche Honorar mit DM 270,66 errechnete und darauf hinwies, dass sie von den Materialkosten lediglich einen Zuschuss von DM 20,- pro Krone gewähren würde. Die genaue Zuschusshöhe sei jedoch derzeit nicht bezifferbar. Mit Widerspruchsbescheid des Widerspruchsausschusses der Beklagten vom 18. Juli 2001 wurde der Widerspruch des Klä-gers zurückgewiesen, nachdem für die Suprakonstruktion ein Zuschuss im vertraglichen Rahmen zugesichert worden sei. Nach den Richtlinien des BAZ vom 24. Juli 1998 liege beim Kläger kei-ne Ausnahmeindikation für implantologische Leistungen vor. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) komme eine Ausweitung des Katalogs auf vergleichbar schwere Fälle nicht in Betracht. Der BAZ habe in einer Sitzung am 15. September 2000 die Ausnahmefälle nach § 30 Abs. 1 Satz 5 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB V) festgelegt, in denen die Versicherten einen Anspruch auf die Suprakonstruktion als Sachleistung mit Eigenbeteiligung haben. Danach sei dem Kläger, da ein darunter fallender Ausnahmefall einer Einzelzahnlücke vorliege, die Suprakonstruktion zu gewähren. Sämtliche Vorleistungen und Begleitleistungen im Zusammenhang mit den Implantaten ebenso wie die Implantate selbst, die Implantataufbauten und die implantatbedingten Verbindungselemente gehörten jedoch nicht zur Suprakonstruktion. Hierfür könnten keine Kosten übernommen werden.

Mit der am 22. August 2001 zum Sozialgericht (SG) Karlsruhe erhobenen Klage verfolgte der Kläger sein Begehren auf Übernahme der Kosten für die implantatgestützte Versorgung weiter. Der Kläger wies darauf hin, dass die Ausführung der Versorgung durch zahnärztliche Behand-lung inzwischen begonnen habe. Er wiederholte im Wesentlichen sein Vorbringen aus dem Ver-waltungsverfahren und machte geltend, bei einer Bekannten habe die Beklagte in einem ver-gleichbaren Fall im Jahr 1999 die vollen Kosten für die Implantatversorgung übernommen. Die Beklagte trat der Klage entgegen und machte vor allem geltend, dass die bestehenden Richt-linien vom BSG in mehreren Urteilen, die am 19. Juni 2001 ergangen seien, bestätigt worden seien. Das SG wies mit Gerichtsbescheid vom 05. März 2002 die Klage ab und legte im Wesentlichen die Richtlinien für die Implantatversorgung dar, die vom BSG bestätigt worden seien (Urteil vom 19. Juni 2001 - B 1 KR 23/00 R). Würde man bereits beim Verlust eines einzigen Zahnes von einem größeren Kiefer- oder Gesichtsdefekt sprechen, würde der gesetzgeberischen Absicht der Beschränkung der Implantatversorgung auf seltene Ausnahmeindikationen zuwider gehan-delt werden. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf den den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 08. März 2002 gegen Empfangsbekenntnis zugestellten Gerichtsbescheid Bezug genommen.

Die am 08. April 2002 durch Fernkopie zum Landessozialgericht (LSG) eingelegte Berufung begründet der Kläger damit, dass bei ihm eine Ausnahmeindikation entsprechend den Zahnbe-handlungsrichtlinien vorliege. Bei dem Zahnverlust im Jahr 1994 habe es sich um einen größeren Kiefer- oder Gesichtsdefekt aufgrund eines Unfalls gehandelt. Das SG habe nicht berücksichtigt, dass bei dem Unfall nicht nur der Zahn 21 im Oberkiefer vollständig ausgefallen sei, sondern auch die übrigen vorderen Zähne "gewackelt" hätten. Ein Zahn habe sich sogar durch die Unter-lippe gebohrt. Dementsprechend habe auch der MKG-Chirurg Dr. H. in P. in seiner Stellung-nahme vom 04. Dezember 2000 bestätigt, dass es sich bei ihm, dem Kläger, um einen größeren Kieferdefekt in Regio 11 nach einem Unfall gehandelt habe, so dass die Indikation Buchst. a) gemäß den Richtlinien vorliege. Er macht erneut geltend, dass die Beklagte in einem vergleich-baren Fall die Implantatversorgung übernommen habe. Aus dieser Kostenübernahme im Jahr 1999 folge, dass auch ihm die Kosten zu erstatten seien. Durch ein Implantat sei es nicht nur unnötig, die Nachbarzähne durch Abschleifen in Mitleidenschaft zu ziehen, sondern es habe auch den Vorteil, dass der Knochenaufbau angeregt werde. Dieser habe sich bei ihm im Bereich des Kiefers zurückgebildet. Dem müsse durch die Implantatversorgung entgegengewirkt werden. Ferner müsse beachtet werden, dass die Implantatversorgung in vollem Umfang bewilligt wor-den wäre, wenn diese bereits 1994 ausgeführt worden wäre.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 05. März 2002 aufzuhe-ben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 20. Februar 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. Juli 2001 zu verurteilen, ihm die Kosten der implantologischen Versorgung zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die getroffene Entscheidung für richtig. Der Beschluss des BAZ vom 24. Juli 1998 zu implantologischen Leistungen zähle nicht nur enumerativ die seltenen Ausnahmeindikationen für besonders schwere Fälle auf, sondern bestimme darüber hinaus, dass das Vorliegen der Ausnah-meindikation allein nicht ausreiche, um einen Leistungsanspruch des Versicherten zu begründen. Weitere Voraussetzung für einen Leistungsanspruch sei, dass eine konventionelle prothetische Versorgung ohne Implantate nicht möglich sei. Alle vom Kläger erhobenen Argumente führten nicht zu dem von ihm begehrten Anspruch. Insbesondere komme es darauf an, dass die Implan-tatversorgung nicht seinerzeit, sondern jetzt begehrt werde und dass die Entscheidung in einem Parallelfall hier nicht zu diskutieren sei.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündli-che Verhandlung einverstanden erklärt.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf die von der Beklagten vorgelegten Verwal-tungsakten sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die entsprechend den Form- und Fristvorschriften des § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteilig-ten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist zulässig, aber sachlich nicht begründet. Der vom Kläger angefochtene Gerichtsbescheid des SG Karlsruhe ist zu Recht ergangen. Der Bescheid der Beklagten vom 20. Februar 2001 in der durch den Wider-spruchsbescheid vom 18. Juli 2001 unveränderten Gestalt entspricht dem geltenden Recht und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Das SG hat die gegebene Rechtslage, die die Beklagte im angefochtenen Widerspruchsbescheid bereits ausführlich und zutreffend dargestellt hatte, eingehend und zutreffend geschildert. Der Senat schließt sich deshalb zur Vermeidung von Wiederholungen der Begründung des angefoch-tenen Gerichtsbescheids gemäß § 153 Abs. 2 SGG uneingeschränkt an. Im Hinblick auf das Vorbringen des Klägers in der Berufungsinstanz ist jedoch auf Folgendes noch besonders hinzuweisen: Der Kläger übersieht, dass es nach dem Beschluss des BAZ vom 24. Juli 1998, mit dem die hier anzuwendenden Richtlinien für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche vertragszahnärztliche Versorgung geändert wurden, nicht nur darauf an-kommt, ob ein auf bestimmte Ursachen zurückzuführender größerer Kiefer- oder Gesichtsdefekt vorliegt (vgl. unter Abschnitt B VII Nr. 29 Sätze 1 und 4 Buchstabe a). Ob dies hier der Fall ist, kann deswegen dahingestellt bleiben, weil als weitere Voraussetzung festgelegt wurde, dass eine konventionelle prothetische Versorgung ohne Implantate nicht möglich sein muss (vgl. Nr. 29 Satz 2), wenn eine Implantatversorgung geschuldet wird. Davon kann hier jedoch keine Rede sein. Das steht zur Überzeugung des Senats aufgrund des Gutachtens des Prof. Dr. He. vom 13. Februar 2001 fest. Dabei ist unerheblich, dass dieses Gutachten die Beklagte in Auftrag ge-geben hat, denn dieser Gutachter ist der gemeinsame Vertrauenszahnarzt der Kassenzahnärztli-chen Vereinigungen einerseits und der Krankenkassen andererseits. Er hat in Kenntnis der anders lautenden und nicht eingehenden Begründung des Dr. H. überzeugend dargelegt, dass eine kon-ventionelle Versorgung des Klägers mit Zahnersatz möglich ist. Dieser in sich schlüssigen und überzeugenden Beurteilung schließt sich der Senat an. Dass der Kläger unter Anwendung der vom BAZ auf der Grundlage des seit 01. Januar 2000 geltenden § 30 Abs. 1 Satz 5 SGB mit dem Beschluss vom 15. September 2000 geänderten Richtlinien für eine ausreichende, zweck-mäßige und wirtschaftliche Versorgung mit Zahnersatz und Zahnkronen, Abschnitt VI. Versor-gung mit Suprakonstruktionen (implantatgestützter Zahnersatz) einen Zuschuss zu den Kosten der Suprakonstruktion erhalten kann, ist zwischen den Beteiligten nicht im Streit. Hierzu hat sich die Beklagte bereits im Verwaltungsverfahren verpflichtet, ohne die Höhe des Zuschusses genau angeben zu können.

Unerheblich ist, dass wegen der seinerzeit anderen Rechtslage der Kläger möglicherweise mit einem Implantat versorgt worden wäre, wenn er bereits 1994 eine solche Versorgung angestrebt hätte. Die Krankenkassen haben Leistungen stets nur nach dem im Zeitpunkt der Behandlung jeweils geltenden Recht zu gewähren. Ebenso kann dahingestellt bleiben, ob die Beklagte in einem Vergleichsfall im Jahr 1999 eine Implantatversorgung bewilligt hat. Selbst wenn dies rechtswidrig gewesen wäre, könnte der Klä-ger daraus kein Recht auf Gleichbehandlung herleiten. Deshalb waren insoweit keine Ermittlun-gen durchzuführen und Feststellungen zu treffen.

Bei dieser Sach- und Rechtslage konnte die Berufung des Klägers keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Zur Zulassung der Revision bestand kein Anlass.
Rechtskraft
Aus
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