L 4 RA 3182/01

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 4 RA 1183/00
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 RA 3182/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Der Träger der Rentenversicherung, der dem Versicherten bei der Beitragsnachentrichtung die üblichen schriftlichen Belehrungen erteilt hat einschließlich der Empfehlung, sich die Auswirkungen konkret berechnen zu lassen, genügt damit seiner Beratungspflicht. Erist nicht verpflichtet, nach der Einzahlung der Beiträge eine Umbuchung im Wege des Herstellungsanspruchs vorzunehmen, wenn der Versicherte eine individuelle Beratung nicht in Anspruch genommen hat.
Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die Beklagte im Wege des Herstellungsanspruchs ver-pflichtet ist, über den Nachzahlungsantrag der Klägerin vom 09. April 1973 erneut zu entschei-den und ihr deswegen ab 01. August 2000 höhere Altersrente zu gewähren.

Der am 1940 geborenen Klägerin wurden mit Bescheid vom 22. Mai 1962 auf ihren Antrag die Beiträge für die Zeit vom 01. April 1955 bis 17. März 1962 anlässlich ihrer Heirat erstattet. Im Jahre 1972 wandte sich die Klägerin wegen der Nachentrichtung freiwilliger Beiträge nach Art. 2 § 27 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) in der Fassung des Dritten Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes an die Beklagte. Diese übersandte der Klägerin mit dem Formschreiben 6.1361 die Erklärungsvordrucke 6.1362 sowie die Merkblätter 8 (Die Renten aus der Angestelltenversicherung) und 15 (Nachentrichtung von Beiträgen für Zeiten der Heiratserstattung), ferner eine Beitragstafel. Am 09. April 1973 beantragte die Klägerin bei der Beklagten mittels der nun unterschriebenen (nachdem eine schon unter dem 13. Oktober 1972 abgesandte Erklärung nicht unterschrieben war) Erklärungsvordrucke 1.1362 die entsprechende Nachentrichtung freiwilliger Beiträge für die Zeit der Heiratserstattung vom 01. April 1955 bis 17. März 1962. Sie erklärte sich darin bereit, für 1955 und 1956 Beiträge der Klasse 100, für 1957 solche der Klasse 200, für 1958 solche der Klasse 300, für 1959 solche der Klasse 400 so-wie für 1960 bis 1962 solche der Klasse 500 nachzuentrichten. Die Klägerin bestätigte auch schriftlich, dass ihr bekannt sei, die von ihr gewählten Beitragsklassen nicht mehr ändern zu können, sobald der jeweilige Beitrag an die Beklagte überwiesen worden sei. Mit Bescheid vom 30. Mai 1973 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie zur Nachentrichtung der freiwilligen Beiträge zur Angestelltenversicherung gemäß ihrer Bereiterklärung berechtigt sei. Die Klägerin zahlte entsprechend diesem Bescheid die Beiträge in Höhe von insgesamt 4.563,- DM für die Zeit von April 1955 bis März 1962 nach. Seit 01. August 2000 gewährt die Beklagte der Klägerin aufgrund des Bescheids vom 13. Juli 2000 Altersrente für Frauen; darin sind bei der Rentenberechnung die für die Zeit vom 01. April 1955 bis 31. März 1962 nachentrichteten Beiträge entsprechend den von der Klägerin seinerzeit gewählten Beitragsklassen berücksichtigt worden.

Schon am 07. Dezember 1999 beantragte die Klägerin bei der Beklagten, den Bescheid vom 30. Mai 1973 zurückzunehmen. Über ihren Nachentrichtungsantrag müsse nach näherer Konkretisie-rung neu entschieden werden. Sie habe am 09. April 1973 offensichtlich und für die Sachbear-beitung durch die Beklagte erkennbar eine unzweckmäßige Verteilung der nachbezahlten Beiträ-ge beantragt. Sie hätte seinerzeit auf die Unzweckmäßigkeit der Nachzahlungsverteilung hinge-wiesen werden müssen. Ihrem Antrag hätte nicht einfach kritiklos entsprochen werden dürfen. Sie stütze sich auf den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch. Diesen Antrag lehnte die Beklag-te mit Bescheid vom 16. Dezember 1999 ab, weil ein Beratungsmangel nicht vorliege. Mit dem dagegen eingelegten Widerspruch berief sich die Klägerin erneut auf den Herstellungsanspruch; ein Beratungsanspruch bestehe nämlich auch ohne ein ausdrückliches Beratungsbegehren, wenn sich der Versicherte für die Sachbearbeitung erkennbar unzweckmäßig verhalte. Der Wider-spruch blieb erfolglos; im Widerspruchsbescheid der bei der Beklagten bestimmten Wider-spruchsstelle vom 29. März 2000 wurde u.a. darauf hingewiesen, es sei die zumutbare Aufgabe des Versicherten, im Vorfeld der Nachentrichtung die günstigste Möglichkeit der Beitragsnach-entrichtung zu finden. Angesichts des eindeutigen Antrags der Klägerin sei eine weitere Bera-tung nicht angezeigt gewesen.

Am 12. April 2000 erhob die Klägerin dagegen Klage beim Sozialgericht (SG) Freiburg. Sie berief sich erneut auf einen Beratungsmangel. Im Jahre 1972 habe sie sich anlässlich des Nach-zahlungsantrags an keine Beratungsstelle der Beklagten gewandt. Sie habe sich damals gedacht, dass sie in der ersten Zeit geringe Beiträge entrichten müsse, weil sie während der Lehre auch nur wenig verdient habe. Später habe sie dann mehr verdient und deshalb gemeint, sie müsse für diese Zeit auch höhere Beiträge eintragen. Die unzweckmäßige Beitragsverteilung in ihren An-trägen vom 09. April 1973 sei für die Beklagte bei der Bescheiderteilung am 30. Mai 1973 of-fensichtlich gewesen, ohne dass komplizierte Überlegungen und schwierige rechtliche Zuord-nungen erforderlich gewesen seien. Probeberechnungen hätten nicht vorgenommen werden müs-sen. Allen Mitarbeitern der Beklagten sei 1972/73 klar gewesen, dass, je weiter die Beiträge für die Vergangenheit entrichtet würden und je höher sie wären, dies um so günstiger für den Versi-cherten sein werde. Im Hinblick darauf hätte sie zu zweckmäßigen Zahlungen, d.h. zur Beitrags-verteilung "im Krebsgang" angehalten werden müssen. Offenkundig hätte sie die umgekehrte Reihenfolge wählen müssen, was auch nicht zu einer höheren Beitragsbelastung geführt hätte. Darauf, dass ihr Merkblätter ausgehändigt worden seien, könne sich die Beklagte nicht berufen, da für die Beklagte offensichtlich gewesen sei, dass sie, die Klägerin, die Merkblätter nicht bzw. falsch verstanden habe. Somit sei ein Anlass für eine Spontanberatung gegeben gewesen, und zwar auch schon vor dem Inkrafttreten des Ersten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB I) am 01. Januar 1976. Die Beklagte trat der Klage unter Vorlage ihrer Verwaltungsakten, der Erklärungsvordrucke 6.1361 und 6.1362 sowie der Merkblätter 8 und 15 entgegen. Hier habe ein Beratungsfehler nicht vorgelegen. Die Klägerin habe aufgrund der Erklärungsvordrucke und Merkblätter bei der An-tragstellung alle Möglichkeiten gehabt, um selber die entsprechende Verteilung der Beiträge zu gestalten. Die Klägerin habe ohne Inanspruchnahme einer möglichen Beratung den Nachzah-lungsantrag gestellt. Mit Urteil vom 13. Juli 2001 wies das SG die Klage, mit der die Klägerin beantragt hatte, den Bescheid vom 30. Mai 1973 sowie den Bescheid vom 16. Dezember 1999 in der Gestalt des Wi-derspruchsbescheids vom 29. März 2000 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, über den Nachzahlungsantrag vom 09. April 1973 neu zu entscheiden, ab. Auf die Entscheidungsgründe des den Prozessbevollmächtigten der Klägerin gegen Empfangsbekenntnis am 20. Juli 2001 zu-gestellten Urteils wird Bezug genommen.

Gegen das Urteil des SG hat die Klägerin am 02. August 2001 schriftlich Berufung beim Lan-dessozialgericht (LSG) eingelegt. Sie hat den Rentenbescheid vom 13. Juli 2000 vorgelegt und ihr Begehren auf Umbuchung der nachbezahlten Beiträge weiter auf den sozialrechtlichen Her-stellungsanspruch gestützt. Ihr könne nicht vorgehalten werden, dass sie gegenüber der Beklag-ten nicht um eine Beratung nachgesucht habe. Es habe ein Anlass für eine Spontanberatung durch die Beklagte vorgelegen. Zwar sei ihr durch die Beklagte Informationsmaterial zur Bei-tragsnachzahlung zur Verfügung gestellt worden. Die Beklagte hätte jedoch die Übersendung von Merkblättern vor allem deswegen nicht als ausreichend ansehen dürfen, weil sich aus ihrem Verhalten nach Erhalt der Merkblätter ergeben habe, dass sie diese offensichtlich missverstanden habe. Die Klägerin beruft sich auch auf die Urteile des Bundessozialgerichts (BSG) vom 19. Februar 1987 (12 RK 55/84), vom 08. Dezember 1988 (12 RK 7/87) und vom 07. November 1991 (12 RK 22/91).

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 13. Juli 2001 aufzuheben und die Be-klagte unter Rücknahme des Bescheids vom 30. Mai 1973, unter Aufhebung des Bescheids vom 16. Dezember 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. März 2000 sowie unter Abänderung des Bescheids vom 13. Juli 2000 zu verurteilen, ihr ab 01. August 2000 höhere Altersrente unter erneuter Entschei-dung über ihren Nachzahlungsantrag vom 09. April 1973 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angegriffene Urteil und die streitbefangenen Bescheide für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündli-che Verhandlung einverstanden erklärt.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten sowie auf die Akten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die entsprechend den Form- und Fristvorschriften des § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat mit dem Einverständnis der Betei-ligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist zulässig, aber sachlich nicht begründet. Das SG hat zutreffend entschieden, dass der Bescheid der Beklagten vom 16. Dezember 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. März 2000 rechtmä-ßig ist und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, den unanfechtbar gewordenen Nachentrichtungsbescheid vom 30. Mai 1973 zurückzunehmen und eine Umbuchung der für die Zeit von April 1955 bis März 1962 nachbezahlten Beiträge zu-zulassen. Daher steht der Klägerin auch keine höhere Altersrente ab 01. August 2000 aufgrund einer Umbuchung der Beiträge für die Zeit von April 1955 bis März 1962 zu. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der Senat nach § 153 Abs. 2 SGG auf die zutreffenden Entschei-dungsgründe des sozialgerichtlichen Urteils.

Ergänzend ist noch Folgendes auszuführen: Auch der Senat verneint hier die ausnahmsweise mittels eines Herstellungsanspruchs eröffnete Möglichkeit der nachträglichen Umbuchung der nachbezahlten Beiträge. Ein Beratungsmangel hinsichtlich einer zweckmäßigeren Belegung mit Beiträgen nach bestimmten Beitragsklassen für die Zeit von April 1955 bis März 1962, wie sie die Klägerin im Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 17. Oktober 2000 dargelegt hat, liegt nicht vor. Die Klägerin hatte sich, ohne zuvor eine Beratung seitens der Beklagten in Anspruch zu nehmen, bereits mit Schreiben vom 13. Oktober 1972 wegen der Nachzahlung von Beiträgen für die Zeit von 1955 bis 1960 an die Beklagte gewandt. Als sie die Nachentrichtungsanträge mit den genauen Angaben zu den Belegungszeiten und zu den Beiträgen nach Beitragsklassen in den Formanträgen 6.1362 vom 09. April 1973 gestellt hatte, lag ihr das Formschreiben der Beklagten 6.1361 einschließlich der Merkblätter 8 sowie 15 und einer Beitragstafel vor, was von ihr nicht bestritten wird. Mit der Übersendung dieser Unterlagen hat die Beklagte ihrer Beratungspflicht genügt, zumal sich die Klägerin wegen der Wahl der Beitragsklassen vor der endgültigen An-tragstellung am 09. April 1973 nicht nochmals konkret an die Beklagte gewandt hat. Schon das Formschreiben 6.1361 enthielt den Hinweis an die Klägerin, dass die gewählte Beitragsklasse und der Zeitraum, für den die Beträge gelten sollten, nicht mehr geändert werden könne, sobald der für die Nachentrichtung bestimmte Betrag an die Bundesversicherungsanstalt für Angestellt (BfA) überwiesen worden sei. Ferner wurde klargestellt, dass die BfA keine Empfehlung darüber abgeben könne, welche Beitragsklasse für die Nachentrichtung am zweckmäßigsten sei. Es kön-ne auch nicht im Voraus berechnet werden, wie sich eine Beitragsentrichtung in der einen oder anderen Beitragsklasse auf die Höhe der späteren Rente auswirken werde. Ferner wurde auf die Merkblätter 8 und 15 verwiesen. Auch in den Antragserklärungen vom 09. April 1973, die mit-tels der Vordrucke 6.1362 abgegeben wurden, bestätigte die Klägerin, ihr sei bekannt, dass die von ihr darin gewählten Beitragsklassen nicht mehr geändert werden könnten, sobald der jewei-lige Beitrag an die BfA überwiesen worden sei. Weiter enthielt auch das Merkblatt 15 (Nachent-richtung von Beiträgen für Zeiten der Heiratserstattung) auf Seite 4 den Hinweis, dass die Wahl der Beitragsklassen dem Versicherten frei stehe. Auch ergaben sich für die Klägerin aus den Hinweisen dort auf Seite 6 unter 4, mit welchen Vervielfältigungswerten die nachentrichteten Beiträge, bezogen auf die Belegungsjahre und die Beitragsklassen, bei der Berechnung der per-sönlichen Rentenbemessungsgrundlage zu berücksichtigen sind. Daraus ergab sich auch, wie auf Seite 7 ausgeführt, dass der Vergleich der Vervielfältigungswerte zeige, dass die Werte für die Zeit bis 31. Dezember 1957 am höchsten seien, was bei den Überlegungen zur Wirtschaftlichkeit einer Nachentrichtung einbezogen werden solle, sofern verschiedene Nachentrichtungszeiträume zur Wahl stünden. Schließlich enthielt das genannte Merkblatt auf Seite 10/11 noch den folgen-den Ratschlag: "Die hier aufgeführten Punkte zeigen, dass es nicht einfach ist zu unterscheiden, ob eine Nachentrichtung wirtschaftlich sinnvoll ist. Wir empfehlen daher dringend, vor der Ein-zahlung der Beiträge sich zunächst die Rente ohne die einzuzahlenden Beiträge und dann mit ihnen berechnen zu lassen. Die BfA kann diese Berechnung leider nicht durchführen; sie stellt aber kostenlos einen Bogen zur Selbstberechnung zur Verfügung". Weiter enthielt das Merkblatt auf Seite 13 auch noch Hinweise auf die Möglichkeiten, kostenlos Auskünfte in Rentenversiche-rungsangelegenheiten zu erhalten. Da die Klägerin trotz der aufgeführten Hinweise bei der Wahl der Beitragsklassen hinsichtlich der Belegungszeiten von der Möglichkeit, sich beraten zu lassen, keinen Gebrauch gemacht hat, war es nicht geboten, dass die Beklagte sie von sich aus nach Ein-gang der Anträge vom 09. April 1973 und vor Erlass des Bescheids vom 30. Mai 1973 nach einer individuellen Prüfung über die Zweckmäßigkeit bzw. Unzweckmäßigkeit der von ihr für die einzelnen Belegungsjahre gewählten Beitragsklassen hätten aufklären müssen. Insoweit durf-te die Beklagte berücksichtigen, dass die Klägerin eine vorherige Beratung angesichts der ihr vorliegenden Unterlagen nicht für erforderlich gehalten hat. Die Klägerin ist auch nicht etwa durch die Beklagte aufgrund einer unrichtigen Auskunft davon abgehalten worden, im Jahre 1973 eine günstigere Gestaltungsmöglichkeit zu wählen. Da die Klägerin nicht um eine Beratung bei der Beklagten nachgesucht und auch keine Rentenberechnung veranlasst hat, kann sie sich zur Geltendmachung eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs nicht darauf berufen, sie habe die ihr von der Beklagten zur Verfügung gestellten Unterlagen, insbesondere auch das Merkblatt 15, nicht verstanden oder missverstanden.

Danach war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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