L 5 KA 382/02

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
5
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 1 KA 3590/01
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 KA 382/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Nachbesetzungsverfahren - Praxisfortführung - Praxishülse - wann liegt bei einem Psychotherapeuten noch eine fortführungsfähige Praxis vor ?
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 19. Dezember 2001 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Gerichtskosten sowie die notwendigen Aufwendungen des Beklagten und der Beigeladenen Nrn. 1 und 2 für das Berufungsverfahren. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beigeladene Nr. 1 als Nachfolger des Beigeladenen Nr. 2 in einem Planungsbereich, für den Zulassungsbeschränkungen angeordnet sind, als Psychologische Psychotherapeutin zugelassen werden kann.

Der Beigeladene Nr. 2 wurde als Psychologischer Psychotherapeut in H. , R. , zur Teilnahme an der vertragspsychotherapeutischen Versorgung zugelassen.

Da er beabsichtigte, seine psychotherapeutische Praxis nach Hessen zu verlegen, bat er die Klägerin, seinen Vertragsarztsitz in H. auszuschreiben (Schreiben vom 10.10.2000). Mit einer am 23.10.2000 unterzeichneten Erklärung verzichtete er auf die Zulassung zur vertragspsychotherapeutischen Tätigkeit bald möglichst bzw. zum Zeitpunkt der rechtskräftigen Zulassung des Praxisnachfolgers. Seiner Behauptung nach ließ ihn der Berufungsausschuss/Psychotherapie bei der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen in seiner Sitzung am 26.10.2000 zur vertragsärztlichen Tätigkeit in B. zu. Die Klägerin schrieb den Psychotherapeutensitz aus (Ärzteblatt Baden-Württemberg 11/2000, S. 459).

Die Beigeladene Nr. 1 und der Beigeladene Nr. 2 schlossen einen Praxisübernahmevertrag vom 23.12.2000. Nach § 2 des Praxisübernahmevertrages beträgt der Kaufpreis DM 10.000,00.

Die 1967 geborene Beigeladene Nr. 1 die im November 2000 in das Arztregister bei der Klägerin eingetragen wurde, beantragte am 24.11.2000 die Zulassung zur vertragspsychotherapeutischen Tätigkeit.

Für die Zulassung unter Übernahme des Vertragspsychotherapeutensitzes des Beigeladenen Nr. 2 bewarben sich neben der Beigeladenen Nr. 1 auch die Diplom-Psychologinnen H. und S ... Die Diplom-Psychologin S. nahm ihre Bewerbung mit der Begründung zurück, verkauft werde lediglich die Kassenzulassung und die Patientenkartei. Eine Praxiseinrichtung bzw. eigene Räume existierten nicht. Der Beigeladene Nr. 2 habe die Räume eines anderen Kollegen tageweise angemietet gehabt. Die Patientenkartei habe ihres Erachtens keinen substanziellen Wert.

Der Zulassungsausschuss lehnte die Anträge der Diplom-Psychologin H. und der Beigeladene Nr. 1 auf Zulassung ab (Beschluss vom 7.2.2001/Bescheid vom 22.3.2001), weil kein übertragungsfähiges Praxissubstrat vorhanden sei. Es bestehe keine voll funktionsfähige Praxis mehr.

Gegen den Bescheid des Zulassungsausschusses erhoben die Beigeladene Nr. 1 am 5.4.2001 und der Beigeladene Nr. 2 am 17.4.2001 Widerspruch. Der Beigeladene Nr. 2 machte geltend, er habe eine Praxis geführt. Er legte eine Bescheinigung der Ärztin S. vom 22.2.2001 vor, wonach er von Beginn der Gründung (1990) an ununterbrochen Mieter der Praxisräume R. sei und dort unterschiedliche Therapieräume, das Büro und die öffentlichen Räume (Warteraum, Küche, Toiletten) in Benutzung gehabt habe, zuletzt den Einzeltherapieraum im Obergeschoss, über den er zeitlich frei habe verfügen können. Es sei vereinbart worden, dass es für seinen Praxisnachfolger möglich sein werde, in das bestehende Mietverhältnis unter gleichen Konditionen einzutreten.

Auf den Widerspruch des Beigeladenen Nr. 2 entschied der Beklagte, den Beschluss des Zulassungsausschusses aufzuheben (Beschluss vom 4.7.2001/Bescheid vom 19.9.2001). Er führte zur Begründung aus, nach seinen Feststellungen führe der Beigeladene Nr. 2 eine psychotherapeutische Praxis, die er auch habe übertragen können. Zu akzeptieren sei, dass der Beigeladene Nr. 2 nach der Möglichkeit, sich in G. niederzulassen, seine Praxis in H. so zurückgefahren habe, dass eine Übertragung der Patienten bzw. eine Beendigung von Behandlungen möglich gewesen sei zu einem Zeitpunkt, als er nicht mehr in H. habe tätig sein dürfen.

Auf den Widerspruch der Beigeladenen Nr. 1 entschied der Beklagte, den Beschluss des Zulassungsausschusses abzuändern und die Beigeladene Nr. 1 mit Wirkung ab Rechtskraft des Bescheides zur vertragspsychotherapeutischen Tätigkeit im Rahmen des durchgeführten Ausschreibungsverfahrens der bisherigen Praxis des Beigeladenen Nr. 2 als Psychologische Psychotherapeutin in H. , D. L. str ... , zuzulassen (Beschluss vom 4.7.2001/Bescheid vom 19.9.2001). Zur Begründung verwies der Beklagte auf seinen Bescheid betreffend den Widerspruch des Beigeladenen Nr. 2. Da im Widerspruchsverfahren lediglich noch die Beigeladene Nr. 1 an der Übernahme der Praxis interessiert gewesen sei und die übrigen Zulassungsvoraussetzungen vorlägen, habe er sie als Praxisnachfolgerin zugelassen.

Die Klägerin hat am 11.10.2001 gegen die beiden Bescheide des Beklagten jeweils Klage beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben. Das SG hat die Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden (Beschluss vom 19.12.2001).

Die Klägerin hat - wie schon im Verfahren beim Beklagten - geltend gemacht, der Beigeladene Nr. 2 habe keine weitergabefähige vertragspsychotherapeutische Praxis in H. zumindest im Jahre 2000 mehr geführt. Er habe im Quartal 1/2000 59 Behandlungsstunden, im Quartal 2/2000 56 Behandlungsstunden und im Quartal 3/2000 nur noch 25 Behandlungsstunden erbracht. Dies entspreche bei 60 Arbeitstagen im Quartal pro Tag 0,98 Stunden (1/2000), 0,93 Stunden (2/2000) und 0,42 Stunden (3/2000). Auch die Mitbewerberinnen hätten geäußert, der Beigeladene Nr. 2 habe keine eigene Praxis. Er könne die Praxis nicht jeden Tag nutzen. Dies bestätige auch die Stellungnahme des Beigeladenen Nr. 2 vom 10.4.2001 an den Beklagten, worin dieser ausführe, dass der ihm zur Verfügung gestellte Therapieraum von Frau S. , die die Praxis mit ihrem Ehemann zusammen gemietet gehabt habe, mitbenutzt worden sei.

Der Beklagte ist der Klage unter Bezugnahme auf seine Bescheide entgegen getreten und hat weiter ausgeführt, maßgeblich sei, ob der Beigeladene Nr. 2 zum Zeitpunkt der Ausschreibung seines Vertragspsychotherapeutensitzes über eine ausschreibungsfähige Praxis verfügt habe, wobei es nicht allein auf die Vertragsarztpraxis, sondern auf die Praxis selbst ankomme. Die Fachgruppe behandele im Quartal durchschnittlich 24 Patienten, der Beigeladene Nr. 2 habe im Jahre 2000 6 bis 8 Patienten behandelt. Die Anzahl von ein Drittel bis ein Viertel des durchschnittlichen Patientenstammes sei noch eine Praxis. Auch die vom Beigeladenen Nr. 2 vorgelegten Unterlagen und seine Ausführungen legten es nahe, dass eine Praxis vorgehalten worden sei.

Die Beigeladene Nr. 1 hat darauf verwiesen, dass der Beigeladene Nr. 2 seit Jahren unbeanstandet in H. tätig gewesen sei. Die von der Klägerin genannten Zahlen gäben über den Umfang seiner Praxis nur teilweise Aufschluss.

Der Beigeladene Nr. 2 hat geltend gemacht, er habe in den Praxisräumen R. immer feste Raumnutzungsmöglichkeiten gehabt. Der von ihm seit 1995 genutzte Raum habe ihm seit Erhalt seiner Kassenzulassung jeden Tag in ausreichendem Umfang zur Behandlung von Privat- und Kassenpatienten zur Verfügung gestanden.

Das SG hat die Klagen mit Urteil vom 19.12.2001 abgewiesen. Der Beigeladene Nr. 2 habe Praxisräume in Mitbesitz gehabt und tatsächlich eine vertragspsychotherapeutische Tätigkeit entfaltet. Dies genüge bereits, um von einem ausschreibungsfähigen und im Sinne von § 103 Abs. 4 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) fortführungsfähigen Vertragspsychotherapeutensitz auszugehen. Die Entscheidung des BSG vom 29.9.1999 (B 6 KA 1/99 R) sei dahingehend zu verstehen, dass tatsächlich eine vertragsärztliche Praxis nicht mehr vorhanden sein dürfe und nur dann, wenn tatsächlich weder ein Vertragsarztsitz noch eine Tätigkeit in nennenswertem Umfang im vertragsärztlichen bzw. vertragspsychotherapeutischen Sinne vorhanden sei, von einer Zulassungshülse gesprochen werden könne. Es habe noch eine psychotherapeutische Vertragsarztpraxis vorgelegen, die einschließlich von Teilen des Inventars sowie der Warteliste und dem sogenannten Goodwill der Praxis auf den Nachfolger bzw. auf die Nachfolgerin habe übertragen werden können.

Gegen das ihr am 2.1.2002 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 4.2.2002 (Montag) Berufung eingelegt. Unter Bezugnahme auf ihr bisheriges Vorbringen sowie die Urteile des BSG vom 8.11.2000 - B 6 KA 44/00 R und B 6 KA 52/00 R - macht sie geltend, bei einer arbeitstäglichen Therapiedauer, die sich aus den vom Beigeladenen Nr. 2 abgerechneten Behandlungsstunden ergebe, von 40 Minuten pro Tag bis einschließlich im Quartal 3/00 von 14 Minuten pro Tag könne nicht von einer freiberuflichen Tätigkeit in niedergelassener Praxis in ausreichendem Umfang ausgegangen werden. Der Beigeladene Nr. 2 habe tatsächlich keine eigene Vertragsarztpraxis gehabt. Vielmehr habe er angeblich eigene Räume untergemietet. Es bestehe der Eindruck, dass er offensichtlich parallel zwei Praxen geführt habe. Dass lediglich eine Praxishülse übertragen werde, sei ihr erst während des laufenden Verfahrens beim Zulassungsausschuss bekannt geworden.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 19. Dezember 2001 und die Bescheide des Beklagten vom 19. September 2001 aufzuheben und den Antrag der Beigeladenen Nr. 1 auf Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung in H. , D. L. str.aße abzulehnen.

Der Beklagte und die Beigeladenen Nrn. 1, 2, 3 und 5 beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Senatsakte, die Akten des SG sowie die vom Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung der Klägerin ist zulässig. Die Klägerin ist insbesondere durch das Urteil des SG beschwert. Die Kassenärztlichen Vereinigungen sind auf Grund des von ihnen wahrzunehmenden Sicherstellungsauftrages (§ 75 Abs. 1 SGB V) unabhängig vom Nachweis einer konkreten Beschwer im Einzelfall oder eines konkreten rechtlichen Interesses befugt, Entscheidungen anzufechten, die im Zusammenhang mit der Zulassung von Ärzten bzw. psychologischen Psychotherapeuten zur vertragsärztlichen Versorgung ergehen (vgl. z. B. BSG SozR 3-2500 § 95a Nr. 2, mwN, ständige Rechtsprechung).

II.

Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Das SG hat die Klagen zu Recht abgewiesen.

Nach § 95 Abs. 1 SGB V nehmen an der vertragsärztlichen Versorgung zugelassene und ermächtigte Ärzte sowie ärztlich geleitete Einrichtungen teil. Die Zulassung erfolgt für den Ort der Niederlassung als Arzt (Kassenarztsitz). Diese Regelung gilt nach § 72 Abs. 1 Satz 2 SGB V für Psychotherapeuten entsprechend.

Die Beigeladene Nr. 1 erfüllt die Voraussetzungen für eine Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung.

Voraussetzung für eine Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung ist nach §§ 95 Abs. 2, 72 Abs. 1 Satz 2 SGB V zunächst die Eintragung in ein Arztregister. Dies ist gegeben. Die Beigeladene Nr. 1 ist seit November 2000 in das Arztregister bei der Klägerin eingetragen.

Des Weiteren kann zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung zugelassen werden nur der Arzt bzw. Psychotherapeut, der für die Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit geeignet ist. Dies ergibt sich aus der Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV), die auf der Rechtsgrundlage des § 98 SGB V beruht und für Psychotherapeuten entsprechend gilt (§ 1 Abs. 3 Ärzte-ZV). Die Einzelheiten regeln insoweit §§ 20 und 21 Ärzte-ZV. Umstände, die zu einer fehlenden Eignung der Beigeladenen Nr. 1 im Sinne diese Regelungen führen, sind aus den vorliegenden Akten und auch auf Grund des Vorbringens der Beteiligten nicht erkennbar. Insbesondere steht die Beigeladene Nr. 1 nicht in einem Dienst- oder Beschäftigungsverhältnis (vgl. die von ihr mit dem Antrag auf Zulassung abgegebene Erklärung vom 24.11.2000). Sie übt seit August 1995 ihre psychotherapeutische Tätigkeit in eigener Praxis aus (vgl. den von ihr mit dem Antrag auf Zulassung vorgelegten Lebenslauf).

Für den Planungsbereich Stadt H. , in welchem die Beigeladene Nr. 1 zugelassen werden will, hat der Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen Baden-Württemberg Zulassungsbeschränkungen gemäß § 103 Abs. 1 SGB V i.V.m. 16b Ärzte-ZV für die Gruppe der Psychotherapeuten angeordnet (zuletzt Beschluss vom 20.2.2002, Ärzteblatt Baden-Württemberg 3/2002, S. 121 ff). Die Zulassungsbeschränkung für den Planungsbereich Stadt H. für die Gruppe der Psychotherapeuten war auch schon zum Zeitpunkt der Antragstellung der Beigeladenen Nr. 1 im Dezember 2000 angeordnet (Beschluss vom 25.10.2000, Ärzteblatt Baden-Württemberg 11/2000, S. 452 ff). Die Beigeladene Nr. 1 kann deshalb nur zugelassen werden, wenn die Voraussetzungen des sogenannten Nachbesetzungsverfahrens gemäß § 103 Abs. 4 SGB V, der gemäß § 72 Abs. 1 Satz 2 SGB V für Psychotherapeuten entsprechend gilt, gegeben sind. Dies ist hier der Fall.

Endet die Zulassung eines Vertragsarztes (bzw. eines Psychotherapeuten) in einem Planungsbereich, für den Zulassungsbeschränkungen angeordnet sind, durch Erreichen der Altersgrenze, Tod, Verzicht oder Entziehung und soll die Praxis von einem Nachfolger fortgeführt werden, hat nach § 103 Abs. 4 Satz 1 SGB V die Kassenärztliche Vereinigung auf Antrag des Vertragsarztes (bzw. des Psychotherapeuten) oder seiner zur Verfügung über die Praxis berechtigten Erben diesen Vertragsarztsitz in den für ihre amtlichen Bekanntmachungen vorgesehenen Blättern unverzüglich auszuschreiben und eine Liste der eingehenden Bewerbungen zu erstellen.

Die Zulassung des Beigeladenen Nr. 2 für den Vertragsarztsitz in H. hat durch Verzicht geendet. Die Klägerin hat den Vertragsarztsitz im Ärzteblatt Baden-Württemberg, dem für sie maßgeblichen Blatt für amtliche Bekanntmachungen (§ 17 der Satzung der Beklagten), ausgeschrieben.

Dies sind allerdings nicht die einzigen Voraussetzungen für die Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens. Dieses findet - wie das SG im angefochtenen Urteil zutreffend ausgeführt hat - vielmehr nur statt, wenn die Praxis, die der bisher zugelassene Vertragsarzt bzw. Psychotherapeut betrieben hat, von einem Nachfolger fortgeführt werden soll. Sofern der Tatbestand einer Praxisfortführung im Sinne des § 103 Abs. 4 Satz 1 SGB V nicht erfüllt ist, weil es keine fortführungsfähige Praxis gibt, ist weder ein Vertragsarztsitz auszuschreiben noch eine Zulassung im Nachbesetzungsverfahren zu erteilen. Die Zulassungsgremien können gemäß § 103 Abs. 4 Satz 3 SGB V einen Zulassungsbewerber nur dann als "Nachfolger" auswählen, wenn es (noch) eine vertragsärztliche Praxis gibt, die bisher von einem Vertragsarzt geführt worden ist und die - wie es Abs. 4 Satz 1 voraussetzt - von einem anderen Vertragsarzt fortgeführt werden kann. Praxisfortführung in diesem Sinne verlangt nicht notwendig, dass der Nachfolger eines ausscheidenden Vertragsarztes auf Dauer die bisherigen Patienten in den selben Praxisräumen mit Unterstützung des selben Praxispersonals und unter Nutzung der selben medizinisch-technischen Infrastruktur behandelt oder zumindest behandeln will. Eine Praxis kann aber im Sinne des § 103 Abs. 4 Satz 1 SGB V nur dann von einem Nachfolger fortgeführt werden, wem der ausscheidende Vertragsarzt zum Zeitpunkt der Beendigung seiner Zulassung - von der seltenen Situation eines Ruhens der Zulassung zunächst abgesehen - tatsächlich unter einer bestimmten Anschrift in nennenswertem Umfang (noch) vertragsärztlich tätig gewesen ist (§ 95 Abs. 3 Satz 1 SGB V). Dies setzt den Besitz bzw. Mitbesitz von Praxisräumen, die Ankündigung von Sprechzeiten, die tatsächliche Entfaltung einer ärztlichen (bzw. psychotherapeutischen) Tätigkeit unter den üblichen Bedingungen sowie das Bestehen der für die Ausübung der ärztlichen (bzw. psychotherapeutischen) Tätigkeit in dem jeweiligen Fachgebiet erforderlichen Praxisinfrastruktur in apparativ-technischer Hinsicht voraus. Fehlt es an all dem, wird eine ärztliche (bzw. psychotherapeutische) Praxis tatsächlich nicht betrieben und infolgedessen die vertragsärztliche Tätigkeit nicht ausgeübt. Ein Vertragsarzt (bzw. Psychotherapeut), der eine vertragsärztliche Tätigkeit tatsächlich nicht wahrnimmt, keine Praxisräumen mehr besitzt, keine Patienten mehr behandelt und über keinen Patientenstamm verfügt, betreibt keine Praxis mehr, die im Sinne des § 103 Abs. 4 Satz 1 SGB V von einem Nachfolger fortgeführt werden könnte. Dass die Existenz einer fortführungsfähigen Praxis gegeben sein muss, ergibt sich aus dem Wortlaut des Gesetzes und auch aus dem Regelungszweck. Die Ausschreibung eines Vertragsarztsitzes hat keine konstitutive Wirkung in der Weise, dass für das Verfahren nach § 103 Abs. 4 SGB V im Sinne einer Fiktion oder einer unwiderleglichen Vermutung von der Existenz einer fortzuführenden Praxis auszugehen wäre (vgl. zum Ganzen: BSG SozR 3-2500 § 103 Nr. 5).

Die Klägerin verkennt, dass für die Frage, ob eine fortführungsfähige Praxis vorliegt, allein auf die Verhältnisse des abgebenden Arztes bzw. Psychotherapeuten abzustellen ist. Die Vorschrift des § 103 Abs. 4 SGB V dient der Sicherung der Rechte des abgebenden Arztes bzw. Psychotherapeuten aus Art. 14 GG, die im Falle einer Nichtbesetzung als Folge der Zulassungssperre verletzt wären. Dies bedeutet aber zugleich, dass die (insgeheim meist von vornherein feststehende) Absicht des übernehmenden Arztes bzw. Psychotherapeuten, die Praxis alsbald an einem anderen Ort und/oder mit einem anderen Inventar fortzuführen, rechtlich irrelevant ist. Für das Vorliegen einer fortführungsfähigen Praxis kommt es auch nicht darauf an, ob Bewerber sich vorstellen können, die Praxis in unverändert gleicher Weise wie bisher fortzuführen (was die Bewerberin S. offensichtlich nicht vermochte), sondern allein darauf, dass der abgebende Arzt bzw. Psychotherapeuten tatsächlich eine Praxis betrieben hat. Dies war hier der Fall.

Ausgehend von der vorbeschriebenen Rechtslage haben der Beklagte und das SG zu Recht angenommen, dass der Beigeladene Nr. 2 in H. , R. , eine Praxis geführt hat, die an einen Nachfolger, hier die Beigeladene Nr. 1, übergehen kann. Der Beigeladene Nr. 2 hat unter dieser Anschrift eine Praxis betrieben. Dies folgt zunächst daraus, dass er unter dieser Anschrift nach In-Kraft-Treten des Gesetzes über die Berufe des Psychologischen Psychotherapeuten und des Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch und andere Gesetze vom 16.6.1998 (BGBl. I, S. 1311) für den Vertragsarztsitz H. , R. zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen worden ist. Eine Zulassung hat aber nur erfolgen können, wenn der Beigeladene Nr. 2 einen Vertragsarztsitz gehabt hat. Rein tatsächlich wurde die Praxis seit 1990 in den Räumen der Arztpraxis S. mit einer Nutzung von teilweise bis zu 25 Stunden wöchentlich betrieben, wobei dem Beigeladenen Nr. 2 stets ein eigener Behandlungsraum zur Verfügung stand, was zwischen der Ärztin S. und dem Beigeladenen Nr. 2 von vornherein verbindlich vereinbart war. In gleicher Weise hätte ein Praxisnachfolger die Räume nutzen können. An der Richtigkeit der Darlegungen des Beigeladenen Nr. 2 und der Bescheinigung der Ärztin S. vom 22.2.2001 zu zweifeln besteht für den Senat kein Anlass. Auch die Klägerin hat zuletzt diesbezüglich keine Bedenken mehr geäußert.

Der Beigeladene Nr. 2 hat auch Versicherte in H. behandelt. Dies wird für die Jahre 1999 und zuvor nicht ernstlich bestritten. Insofern schließt sich der Senat der Würdigung des Beklagten in dem angefochtenen Bescheid vom 19.9.2001 und den ergänzenden Ausführungen in dessen Schriftsatz vom 17.12.2001 (Bl 20/21 der SG-Akte S 1 KA 3590/01) an. Aber auch im Jahre 2000 hat der Beigeladene Nr. 2 in ausreichendem Maße Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung behandelt. Dies ergibt sich schon daraus, dass er bei der Klägerin Abrechnungen eingereicht hat. Auch die von der Klägerin mit der Begründung der Berufung vorgelegten Unterlagen zeigen, dass der Beigeladene Nr. 2 bis zu seiner Zulassung im Bereich der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen Versicherte in H. behandelt hat. Er hat damit eine vertragspsychotherapeutische Tätigkeit objektiv ausgeübt und auch den Willen gehabt, die vertragspsychotherapeutische Tätigkeit auszuüben. Von der Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit kann dann nicht mehr gesprochen werden, wenn der Arzt bzw. Psychotherapeut nicht (mehr) den Willen zur kontinuierlichen Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung hat (BSG, Urteil vom 19.12.1994 - 6 RKa 34/93 -). Damit ist sowohl eine objektive als auch eine subjektive Komponente zu berücksichtigen. Der Arzt bzw. Psychotherapeut muss die vertragsärztliche Tätigkeit nicht nur tatsächlich ausüben oder ausgeübt haben, er muss auch den Willen zur kontinuierlichen Ausübung (gehabt) haben (vgl. zur Aufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit gemäß Art. 33 § 3 Abs. 1 Satz 1 des Gesundheits-Strukturgesetzes ( GSG) vom 21.12.1993 (BGBl. I, S. 2266): Urteil des Senats vom 20.1.1999 - L 5 KA 2751/97 -).

Dass der Beigeladene Nr. 2 zuletzt in den Quartalen 1/00 bis 3/00 nur eine sehr geringe Zahl von Behandlungsfällen (Quartal 1/00 und 3/00: jeweils 6 Fälle; Quartal 2/00: 8 Fälle; Durchschnitt der Gruppe der Psychotherapeuten: 24 Fälle) zur Abrechnung gebracht hat, lässt entgegen der Auffassung der Klägerin nicht den Schluss zu, der Beigeladene Nr. 2 habe keine fortführungsfähige Praxis mehr betrieben. Die Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung setzt nicht voraus, eine bestimmte Anzahl von Behandlungsfällen zur Abrechnung zu bringen. Wenn ein Vertragsarzt bzw. Psychotherapeut deutlich weniger Fälle als die Fachgruppe der er angehört, behandelt, kann dies unterschiedliche Gründe haben. Wie das SG unter Bezugnahme auf den Vortrag des Beklagten in der mündlichen Verhandlung beim SG zutreffend ausgeführt hat, kann ein Grund beispielsweise sein, dass der Vertragsarzt bzw. Psychotherapeut für sich keine Patienten gewinnen kann.

Aus den Urteilen des BSG vom 8.11.2000 (z.B. B 6 KA 44/00 R und B 6 KA 52/00 R) kann zur Frage, ob ein Vertragsarzt bzw. Psychotherapeut vertragsärztlich tätig ist oder nicht, nichts abgeleitet werden. Die Auslegung des Begriffes der Teilnahme in § 95 Abs. 10 Satz 1 Nr. 3 SGB V durch das BSG ist vor dem Zweck dieser Regelung als Härtefallregelung zu sehen. Ein Härtefall, der Anspruch auf eine bedarfsunabhängige Zulassung begründet, kann nur vorliegen, wenn der Psychotherapeut in entsprechend großem Umfang Versicherte vor dem In-Kraft-Treten behandelt hat und zur Fortsetzung seiner Tätigkeit auf die Zulassung angewiesen ist.

Schließlich ist die Klägerin selbst zunächst auch davon ausgegangen, dass der Beigeladene Nr. 2 eine Praxis in H. , R. betreibt. Denn sie hat die Praxis ausgeschrieben. Die Ausschreibung setzt voraus, dass geprüft worden ist, ob die Voraussetzungen hierfür vorliegen. Die Umstände, die die Klägerin nachträglich als Indiz für die Übertragung einer reinen Praxishülse ansieht, nämlich die geringe vertragsärztliche Tätigkeit des Beigeladenen Nr. 2, sind ihr schon zum Zeitpunkt der Ausschreibung bekannt gewesen. Denn der Beigeladene Nr. 2 hat nur die geringe Anzahl von Behandlungsfällen bei der Klägerin zur Abrechnung eingereicht. Die Klägerin hätte dies durch einen Einblick in die ihr vorliegenden Abrechnungsunterlagen des Beigeladenen Nr. 2 auch ohne weiteres erkennen können, auch wenn man von ihrem Vorbringen ausgeht, die Ausschreibung habe unter großem Zeitdruck zu erfolgen.

Wenn die Klägerin der Auffassung ist, mit der Abrechnung einer geringen Zahl von Behandlungsfällen nehme ein Vertragsarzt bzw. zugelassener Psychotherapeut nicht mehr an der vertragsärztlichen Versorgung teil, so hätte sie auf eine Entziehung der Zulassung dieses Vertragsarztes bzw. Psychotherapeuten hinwirken müssen, indem sie bei den Zulassungsgremien die Entziehung der Zulassung beantragt. Denn nach § 95 Abs. 6 SGB V ist die Zulassung u.a. dann zu entziehen, wenn der Vertragsarzt die vertragsärztliche Tätigkeit nicht mehr ausübt. Die Vorschrift gilt nach § 72 Abs. 1 Satz 2 SGB V für Psychotherapeuten entsprechend. Ein entsprechender Antrag auf Entziehung der Zulassung müsste bereits zu dem Zeitpunkt gestellt werden, wenn auf Grund der eingehenden Abrechnungen die geringe Zahl von Behandlungsfällen ersichtlich ist. Einen solchen Antrag hat die Klägerin nicht gestellt. Sie hat auch keine Ermittlungen zur Vorbereitung eines solchen Antrages aufgenommen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 193 Abs. 1, 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in der seit 2.1.2002 geltenden Fassung des Sechsten Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes (6. SGGÄndG) vom 17.8.2001 (BGBl. I, 2144) i.V.m. § 162 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Von einer Verpflichtung der Klägerin zur Erstattung der Aufwendungen der Beigeladenen Nrn. 3 bis 8 wurde abgesehen, weil dies hier unbillig gewesen wäre (§ 197a Abs. 1 Satz 2. Halbsatz SGG i.V.m. § 163 Abs. 3 VwGO).

Der Senat ist bei seiner Entscheidung davon ausgegangen, dass § 197a SGG in der seit 2.1.2002 geltenden Fassung auf Berufungsstreitsachen zur Anwendung kommt, die - wie der vorliegende Fall - erst 2002 anhängig geworden sind. Zwar spricht Art. 17 Abs. 1 Satz 2 des 6. SGGÄndG allgemein von Verfahren, die vor seinem In-Kraft-Treten anhängig waren. Der Begriff "Verfahren" wird allerdings durch den Zusatz "nach § 197a" modifiziert. § 197a SGG n.F. stellt aber ausdrücklich auf den jeweiligen Rechtszug ab. Dies legt es nahe, als Verfahren das Verfahren in dem jeweiligen Rechtszug aufzufassen. Dafür, dass unter Verfahren das in dem Rechtszug anhängige Verfahren zu verstehen ist, spricht, dass der Gesetzgeber in Art 17 Abs. 1 Satz 2 des 6. SGGÄndG eben nicht nur von Klagen oder Klageverfahren gesprochen hat, was aber nahegelegen hätte, wenn er dies so gewollt hätte. Dieses Ergebnis entspricht auch allgemeinem Sprachgebrauch, weil auch sonst kein alle Instanzen umfassender Verfahrensbegriff verwendet wird. Vielmehr wird unter Verfahren das Verfahren in dem jeweiligen Rechtszug (Klageverfahren, Berufungsverfahren, Revisionsverfahren) verstanden.

Die erhöhte Kostenlast auch schon für das Berufungsverfahren tritt bei Berufungseinlegung nach dem 2.1.2002 auch nicht überraschend ein. Die Klägerin konnte im hier streitigen Fall vor ihrer Entscheidung, in Berufung zu gehen, ihr Kostenrisiko nach den neuen Kostenregelungen kalkulieren. Im Übrigen macht die Auslegung, dass § 197 a SGG n.F. nur für die Verfahren gilt, in denen Klage nach dem 2.1.2002 erhoben worden ist, rechtspolitisch wenig Sinn. Krankenkassen, die in Vertragsarztsachen als Kläger auftreten, wären von Gerichtskosten befreit, während sie immer dann, wenn sie von Versicherten beklagt werden, in allen Rechtszügen die erhöhten Pauschgebühren zu entrichten haben. Warum die Arbeitsverwaltung für nach dem 2.1.2002 eingelegte Berufungen die drastisch erhöhten Pauschgebühren zu zahlen hat, die Kassenärztlichen Vereinigung aber die niedrigen des alten Rechts und die ihr angeschlossenen Ärzte für die folgenden Berufungs- und Revisionsverfahren von Gerichtskosten freigestellt bleiben sollen, ist nicht nachvollziehbar.

Ob Gerichtskosten erhoben werden, entscheidet im Übrigen der Präsident des Landessozialgerichts. Ihm obliegt im Ergebnis die erste Beurteilung, ob er der Entscheidung des BSG vom 30.01.2002 - B 6 KA 12/01 R - folgt.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved