L 12 RJ 2916/01

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 8 RJ 3196/99
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 RJ 2916/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Eine Verweisung eines Facharbeiters auf die Tätigkeit eines Registrators oder Poststellenarbeiters ist nur dann möglich, wenn der Versicherte auf Grund von Vorkenntnissen in der Lage ist, diese Tätigkeiten innerhalb von 3 Monaten zu erlernen. Dies ist in jedem Einzelfall zu prüfen.
Auf die Berufung des Klägers werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 6. Juli 2001 und der Bescheid der Beklagten vom 13. Juli 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. Dezember 1999 abgeändert und die Beklagte verurteilt, dem Kläger Rente wegen Berufsunfähigkeit ab 1. Oktober 1998 zu gewähren.

Die Beklagte trägt zwei Drittel der außergerichtlichen Kosten des Klägers für beide Rechtszüge.

Tatbestand:

Streitgegenstand ist ein Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbs- bzw. Berufsunfähigkeit.

Der 1938 geborene Kläger hat von 1955 bis 1956 nach seinen Angaben eine elektrotechnische Schule in Belgrad besucht. Einen Abschluss hat er nicht erzielt. Von 1962 bis 1973 war er nach seinen Angaben als angelernter Spritzlackierer beschäftigt. Vom 19.2.1973 bis 18.7.1973 absolvierte er eine vom Arbeitsamt geförderte Umschulung zum Autolackierer. Hierfür stellte die Lackiererinnung St. am 20.6.1973 das Gesellenprüfungszeugnis aus. Vom 2.1.1985 an war er bei der S. AG als Spritzlackierer beschäftigt. Am 27.8.1986 erlitt er einen Arbeitsunfall, bei dem er sich eine Kreuzbandruptur zuzog (Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 24.8.90 - 7 U 1024/98 -). Ab dem 4.10.1987 war er als Wickler in der Fertigung von Schleifringläufermotoren beschäftigt. Zum 31.10.1988 beendete er das Beschäftigungsverhältnis und war bis Januar 1991 selbstständig als Gastwirt tätig. Seither übt er keine Beschäftigung aus.

Am 1.10.1998 beantragte der Kläger die Gewährung einer Rente wegen Erwerbs- bzw. Berufsunfähigkeit. Daraufhin zog die Beklagte das Gutachten von Dr. P., O.hospital St. vom 22.5.1996 für die BG für Feinmechanik und Elektrotechnik bei und veranlasste eine Untersuchung des Klägers in der ärztlichen Untersuchungsstelle der Beklagten in St ... Der Gutachter Dr. D. hielt ihn in seinem Gutachten vom 10.3.1999 für fähig, leichte Arbeiten überwiegend im Sitzen, ohne Wechselschicht, ohne Nachtschicht, ohne überwiegend einseitige Körperhaltung, ohne häufiges Bücken und häufiges Klettern oder Steigen und ohne Absturzgefahr vollschichtig zu verrichten. Anmarschwege bis zu 1.000 m seien ihm zumutbar. Im Vordergrund der krankhaften Veränderungen des Versicherten stünden die Kniegelenkschmerzen rechts, die als Folge seiner Kniegelenksverletzung 1969 mit Meniskusverletzung und als Folge des Arbeitsunfalls am 27.8.1986 mit Verzerrung des rechten Kniegelenkes und Verletzungen des vorderen Kreuzbandes aufgetreten seien. Die Leistungsfähigkeit des Klägers sei vornehmlich durch die Folgen des Arbeitsunfalls gemindert. Die Tätigkeit als Auto- und Spritzlackierer überfordere den Kläger seit dem Arbeitsunfall am 27.8.1986.

Auf Anfrage der Beklagten teilte die Firma S., St., mit Schreiben vom 25.6.1999 mit, der Kläger sei in dem Unternehmen vom 2.1.1985 bis 31.10.1988 beschäftigt gewesen. Er habe zunächst Arbeiten als Spritzlackierer (Lackiererarbeiten) und ab Oktober 1997 als Wickler ausgeübt. Es habe sich bei den Tätigkeiten um angelernte Arbeiten (Ausbildung von mehr als einem Jahr bis zu zwei Jahren) gehandelt. Tarifvertraglich sei er als Spritzlackierer in der Lohngruppe 10 des Tarifvertrages der Metallindustrie in Nordwürttemberg/Nordbaden und als Wickler in Lohngruppe 8 eingestuft gewesen. Die Umsetzung zur Tätigkeit als Wickler sei aus gesundheitlichen Gründen notwendig gewesen.

Mit Bescheid vom 13.7.1999 lehnte die Beklagte den Rentenantrag des Klägers ab. Der Kläger könne zwar nicht mehr in seinem Beruf als Spritzlackierer arbeiten, er sei jedoch auf zumutbare Tätigkeiten, wie in diejenige des Sortierers oder Montierers verweisbar.

Hiergegen erhob der Kläger am 10.8.1999 Widerspruch und trug vor, er sei seit seinem Arbeitsunfall nicht mehr in der Lage gewesen, seinen Beruf als Spritzlackierer bzw. Autolackierer auszuüben. Inzwischen werde die Instabilität des rechten Kniegelenks immer größer, so sei es zu einem Verschleiß der Lendenwirbelsäule mit Funktionsminderung gekommen. Der Kläger legte ferner den Bericht der behandelnden Internistin E., L. und vom 12.6.1999 vor. Die Beklagte veranlasste daraufhin die Untersuchung und Begutachtung des Klägers auf internistischem Gebiet durch Dr. A.-M., Ärztliche Untersuchungsstelle der Beklagten. In dem Gutachten vom 26.10.1999 diagnostizierte der Gutachter eine coronare Herzkrankheit bei Coronarsklerose und rezidivierende Herzrhythmusstörungen bei Vergrößerung des linken Vorhofs und Mitralinsuffizienz. Hierdurch sei eine deutliche Minderung des beruflichen Leistungsvermögens des Klägers eingetreten. Der Kläger könne deshalb seit Rentenantragstellung nur noch leichte Tätigkeiten unter 2 Stunden verrichten.

Mit Widerspruchsbescheid vom 9.12.1999 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Es stehe zwar fest, dass seit 1.10.1998 Erwerbsunfähigkeit vorliege, ein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bestehe dennoch nicht, weil die hierfür erforderlichen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Der Kläger habe in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit keine 3 Jahre Pflichtbeiträge zurückgelegt. Der letzte Pflichtbeitrag sei für Oktober 1988 entrichtet worden. In der Zeit vom 1.1.1984 bis 30.9.1998 sei der Zeitraum vom 1.11.1988 bis 31.12.97 nicht mit Anwartschaftserhaltungszeiten nach § 241 Absatz 2 in Verbindung mit § 240 Absatz 2 SGB VI belegt.

Am 28.12.1999 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Heilbronn (SG) erhoben: Er sei nicht erst jetzt berufsunfähig geworden, sondern bereits durch die Folgen des Arbeitsunfalls im August 1986. Er genieße bezüglich der Tätigkeit als Spritzlackierer Berufsschutz. Von der Firma S. sei er als "Gruppenführer/Spritzlackierer" eingestellt worden. Diese Tätigkeit habe auf seinen Kenntnissen als Fahrzeuglackierer aufgebaut. Sowohl die Tätigkeit des Spritzlackierers, als auch diejenige des Wicklers habe er aus gesundheitlichen Gründen aufgeben müssen. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen einer Rente wegen Berufsunfähigkeit seien erfüllt, weil der Versicherungsfall auf Grund eines Arbeitsunfalls eingetreten sei.

Die Beklagte vertrat die Auffassung, dass die Tätigkeit des Spritzlackierers eine angelernte Tätigkeit sei, so dass der Kläger keinen Berufsschutz genieße. Der Versicherungsfall der Berufsunfähigkeit ab dem Arbeitsunfall 1986 komme bereits aus diesem Grunde nicht in Betracht.

Das SG hat eine schriftliche Auskunft der Firma S. eingeholt. Mit Schreiben vom 19.10.2000 führte die Firma S. aus, der Kläger sei zunächst als Spritzlackierer vom 2.1.1985 bis 3.10.1987 eingesetzt gewesen. Hierfür sei er gemäß dem Tarifvertrag der Metallindustrie in Nordwürttemberg/Nordbaden nach Lohngruppe 10 entlohnt worden. Als Wickler sei er in die Lohngruppe 8 eingestuft gewesen. Es habe sich bei der Tätigkeit des Klägers um eine angelernte Tätigkeit gehandelt. Hierfür sei eine Anlernzeit von 12 Monaten notwendig gewesen.

Mit Gerichtsbescheid vom 6.7.2001 hat das SG die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen, auf die im Übrigen Bezug genommen wird, hat es ausgeführt, der Kläger sei auf die Tätigkeit als Registrator im Versicherungsgewerbe und in großen Behörden sowie im Postein- und Postausgang einer Behörde oder eines Betriebes zumutbar verweisbar. Die Tätigkeit als Registrator werde nach der VergGr. VIII BAT (im öffentlichen Dienst) und nach der Gehaltsgruppe III in des Tarifvertrages für das private Versicherungsgewerbe entlohnt. Diese Tätigkeit sei einem Facharbeiter sozial zumutbar. Sie werde nach Lohngruppe VIII BAT vergütet.

Gegen den am 11.7.2001 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 17.7.2001 Berufung eingelegt: Er könne nicht zumutbar auf die Tätigkeit des Registators und des Arbeiters im Postein- und Postausgang einer Behörde zumutbar verwiesen werden. Die Tätigkeit als Registrator bzw. diejenige im Postein- und Ausgangsbereich sei für ihn nicht innerhalb einer Einarbeitungszeit von drei Monaten zu erlernen.

Bei seiner Anhörung durch den Senat hat der Kläger im Hinblick auf die ihm von der Beklagten benannte Verweisungstätigkeit ergänzend vorgetragen: Er besitze privat keinen Computer und habe keine EDV-Kenntnisse. Seine Tätigkeit beim "Verwalten" der Gaststätte habe sich auf den Einkauf und das Sammeln der Belege für den Steuerberater beschränkt. Beim Betreiben der Gaststätte hätten sein Sohn und seine Ehefrau, die "Juristin" sei, mitgearbeitet. Er habe die Gaststätte aufgeben müssen, weil sie sich wirtschaftlich nicht getragen habe, er vielmehr mit Verlust gearbeitet habe.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 6. Juli 2001 und den Bescheid der Beklagten vom 13. Juli 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. Dezember 1999 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente wegen Berufsunfähigkeit ab 1. November 1998 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den Kläger weiterhin für sozial zumutbar auf die Tätigkeit eines Registrators bzw. in einer Poststelle verweisbar. Ein Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Berufsunfähigkeit bestehe deshalb nicht.

Bezüglich weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen sowie auf die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig und teilweise begründet. Der Gerichtsbescheid und der angefochtene Bescheid der Beklagten sind insoweit abzuändern, als auch ein Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit abgelehnt worden ist.

Für die Gewährung einer Rente wegen Berufsunfähigkeit ist § 43 SGB VI in der bis zum 31.12.2000 geltenden Fassung maßgebend.

(1) Versicherte haben bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit, wenn sie 1. berufsunfähig sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Berufsunfähigkeit drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Berufsunfähigkeit die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. § 38 Satz 2 ist anzuwenden.

(2) Berufsunfähig sind Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung auf weniger als die Hälfte derjenigen von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Zumutbar ist stets eine Tätigkeit, für die die Versicherten durch Leistungen zur beruflichen Rehabilitation mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden sind. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit vollschichtig ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

(3) Der Zeitraum von fünf Jahren vor Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit verlängert sich um folgende Zeiten, die nicht mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit belegt sind: 1. Anrechnungszeiten und Zeiten des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, 2. Berücksichtigungszeiten, soweit während dieser Zeiten eine selbständige Tätigkeit nicht ausgeübt worden ist, die mehr als geringfügig war, 3. Zeiten, die nur deshalb keine Anrechnungszeiten sind, weil durch sie eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit nicht unterbrochen ist, wenn in den letzten sechs Kalendermonaten vor Beginn dieser Zeiten wenigstens ein Pflichtbeitrag für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit oder eine Zeit nach Nummer 1 oder 2 liegt,

4. Zeiten einer schulischen Ausbildung nach Vollendung des 17. Lebensjahres bis zu sieben Jahren, gemindert um Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung.

(4) Eine Pflichtbeitragszeit von drei Jahren für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit ist nicht erforderlich, wenn die Minderung der Erwerbsfähigkeit aufgrund eines Tatbestandes eingetreten ist, durch den die allgemeine Wartezeit vorzeitig erfüllt ist.

(5) Eine Rente wegen Berufsunfähigkeit wird abhängig vom erzielten Hinzuverdienst (§ 96a Abs. 2 Nr. 2) in voller Höhe, in Höhe von zwei Dritteln oder in Höhe von einem Drittel geleistet.

Ausgangspunkt ist bei der Prüfung der Berufsunfähigkeit der bisherige Beruf des Versicherten. Darunter ist im allgemeinen eine der Versicherungspflicht unterliegende Tätigkeit zu verstehen, die zuletzt auf Dauer das heißt mit dem Ziel verrichtet wurde, sie bis zum Eintritt der gesundheitlichen Unfähigkeit oder bis zum Erreichen der Altersgrenze auszuüben; in der Regel ist das die letzte versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit, jedenfalls wenn sie die qualitativ höchste ist (BSG Urteil vom 25.7.2000 - SozR 3-2006 § 43 Nr. 26). Maßgebend ist hier die Tätigkeit des Spritzlackierers, die der Kläger bei der Firma S. bis Oktober 1987 ausgeübt hat. Auf Grund des am 27.8.1986 erlittenen Arbeitsunfalls ist der Kläger auf Dauer nicht mehr in der Lage gewesen, diese Tätigkeit auszuüben. Dies ergibt sich auch aus der Tatsache, dass er danach auf einen anderen Arbeitsplatz versetzt worden ist und aus dem Gutachten des Dr. D. vom 10.3.1999, wonach ihn diese Tätigkeit seit dem Arbeitsunfall überfordert habe. Auf Grund des Arbeitsunfalls ist er zunächst gezwungen gewesen, die qualitativ niedrigere Tätigkeit des Wicklers auszuüben. Auch hierzu hat der Sachverständige Dr. D. bestätigt, dass er infolge des Arbeitsunfalls auch durch diese Tätigkeit überfordert und schließlich zu deren Aufgabe gezwungen gewesen ist. Die dann aufgenommene Tätigkeit als selbstständiger Gastwirt hat keine Lösung von dem bisherigen Beruf des Spritzlackierer bedeutet, weil sie auf gesundheitliche Gründe zurückzuführen ist.

Kann der bisherige Berufs nicht mehr ausgeübt werden, hängt der Rentenanspruch davon ab, ob es zumindest eine Tätigkeit gibt, die sozial zumutbar ist und gesundheitlich wie fachlich noch bewältigt werden kann. Dabei richtet sich die soziale Zumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit nach der Wertigkeit des bisherigen Berufs. Zur Erleichterung dieser Beurteilung hat die Rechtsprechung des BSG die Berufe der Versicherten in Gruppen eingeteilt. Diese Berufsgruppen sind ausgehend von der Bedeutung, welche die Dauer und der Umfang der Ausbildung für die Qualität eines Berufes haben, gebildet worden. Entsprechend diesem Mehrstufenschema werden die Arbeiterberufe durch Gruppen mit den Leitberufen des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion bzw. des besonders hoch qualifizierten Facharbeiters, des Facharbeiters (anerkannter Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungszeit von mehr als zwei Jahren), des angelernten Arbeiters (sonstiger Ausbildungsberuf mit einer Regelausbildungszeit von drei Monaten bis zu zwei Jahren) und des ungelernten Arbeiters charakterisiert (BSG a.a.O. m.w.N.).

Die nach diesem Schema vorzunehmende Einordnung sowohl des bisherigen Berufs als auch der zumutbaren Verweisungstätigkeiten erfolgt aber nicht ausschließlich nach der Dauer der absolvierten oder der erforderlichen förmlichen Ausbildung. Entscheidend ist die Qualität der verrichteten oder zu verrichtenden Arbeit, das heißt der aus einer Mehrzahl von Faktoren zu ermittelnde Wert der Arbeit für den Betrieb. Es kommt auf das Gesamtbild an, wie es durch die in § 43 Absatz 2 Satz 2 SGB VI genannten Merkmale (Dauer und Umfang der Ausbildung sowie des diesjährigen Berufs, besondere Anforderungen der bisherigen Berufstätigkeit) umschrieben wird (BSG a.a.O. m.w.N.).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist der bisherige Beruf des Klägers als Spritzlackierer, eingestuft in die Lohngruppe 10 des Tarifvertrages der Metallindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden innerhalb des Mehrstufenschemas in die Gruppe der Facharbeiter einzuordnen. Nach den für Lohngruppe 10 maßgeblichen Merkmale des Lohnrahmentarivvertrages (gültig ab 1.4.1973) ist die Lohngruppe 10 vorgesehen für Arbeiten, die außer umfangreichen Berufskenntnissen und einer mehrjährigen Berufserfahrung auch noch ein betriebliches Spezialkönnen voraussetzen, oder Arbeiten der Lohngruppe 9, jedoch mit erschwerten Belastungen. Beachtet man den beruflichen Werdegang des Klägers, so hat dieser im Wege der Umschulung den Beruf des Fahrzeuglackierers erlernt und hierfür ein Gesellenprüfungszeugnis erhalten. Diese Vorkenntnisse konnte der Kläger beim Eintritt in die Firma S. als Spritzlackierer ausnützen und konnte somit innerhalb kurzer Zeit die Tätigkeiten vollwertig ausüben. Der Vortrag des Klägers ist insoweit überzeugend, zumal der Kläger von Anfang an in die relativ hohe Lohngruppe 10 (Einstiegslohngruppe für Facharbeiter ist die - niedrigere -Lohngruppe 7) zugesprochen bekommen hat. Der Kläger ist daher als Facharbeiter einzustufen.

Ein Facharbeiter kann nur auf solche Tätigkeiten verwiesen werden, die eine betriebliche Anlernzeit von wenigstens drei Monaten erfordern oder sich aus dem Kreis der ungelernten Tätigkeiten nach der tariflichen Eingruppierung durch den Arbeitgeber bzw. der tarifvertraglichen Eingruppierung oder auf Grund besonderer qualitativer Merkmale hervorheben und deshalb einer Anlerntätigkeit gleichstehen. Für die Ermittlung der Wertigkeit sowohl des bisherigen Berufs als auch der ins Auge gefassten Verweisungstätigkeiten, hier des Registrators bzw. des Arbeiters in einer Postein- und Ausgangsstelle einer Behörde oder eines großen Unternehmens, haben nach der Rechtsprechung des BSG tarifliche Regelungen unter zwei Gesichtspunkten Bedeutung: Zum einen wird eine tarifliche Eingruppierung des Versicherten in eine Tarifgruppe des jeweils geltenden Tarifvertrages durch den Arbeitgeber als Hinweis dafür gewertet, dass die vom Versicherten ausgeübte Tätigkeit in ihrer Wertigkeit der Berufs- und Tarifgruppe entspricht, nach der die Arbeit bezahlt wird (BSG Urteil vom 28.5.00 91 - 13/5 RJ 69/90 -, SozR 3-2200 § 1246 Nr. 14). Zum anderen geht die Rechtsprechung des BSG davon aus, dass die abstrakte – tarifvertragliche - Einstufung einer bestimmten Tätigkeit in das Lohngruppengefüge eines nach Qualitätsmerkmalen geordneten Tarifvertrages in der Regel auch den qualitativen Rang dieser Tätigkeit widerspiegelt (BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr. 55 m.w.N.). Die genannten Tätigkeiten werden im öffentlichen Dienst nach der VergGr. VIII BAT und im privaten Versicherungsgewerbe nach Gehaltsgruppe II des Manteltarifvertrages für die private Versicherungswirtschaft entlohnt. Bis zum 25.10.1990 hatte der Manteltarifvertrag des privaten Versicherungsgewerbes in Lohngruppe II Arbeiten vorgesehen, die Kenntnisse und Fertigkeiten voraussetzen, wie sie im allgemeinen durch eine Zweckausbildung, eine längere Einarbeitung oder eine abgeschlossene Ausbildung nach dem Berufsbild Bürogehilfe erworben werden. Nach dem ab dem 25.10.1990 geltenden Manteltarifvertrag hat die Lohngruppe II Tätigkeiten erfasst, die Kenntnisse oder Fertigkeiten voraussetzen, wie sie im allgemeinen durch eine planmäßige Einarbeitung erworben werden. In der Gehaltsgruppe II werden, wie von der Beklagte zutreffend angeführt, Registratur-, Kartei- und einfache allgemeine Büroarbeiten als Beispiele aufgeführt. Auch nach Auffassung des Senats stellen diese Tätigkeiten Anforderungen, die eine Anlernzeit von mindestens drei Monaten voraussetzen und daher entsprechend in das Mehrstufenschema einzuordnen sind. Es handelt sich daher ebenso wie bei der Lohngruppe VIII tariflich um eine Gruppe für Angelernte. Nach der vom SG zutreffend dargestellten Beschreibung der Tätigkeiten und Aufgaben eines Arbeiters in einer Poststelle oder des Registrators ist die Einordnung der Tätigkeit in den Angelerntenbereich korrekt. Es handelt sich somit um für Facharbeiter grundsätzlich zumutbare Verweisungstätigkeiten (Urteil des BSG v. 27.11.1991 - 5 RJ 91/89 -).

Auf eine Tätigkeit darf jedoch nur verwiesen werden, wenn die für sie notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten innerhalb einer bis zu drei Monaten dauernden Einarbeitung und Einweisung erworben werden können (ständige Rechtsprechung vgl. u.a. BSGE 44, 288,290 f). In dem vom SG zitierten Urteil vom 27.11.91 - 5 RJ 91/ 89 - ist hiervon auch das BSG nicht abgewichen. Es hat ebenso wie hier lediglich festgestellt, dass die Tätigkeit eines Registrators in der VergGr. VIII BAT als Verweisungstätigkeit von ihrem Wert her grundsätzlich auch einem Facharbeiter zumutbar sei. Es hat jedoch letztlich eine Prüfung im Einzelfall offen gelassen, weil die Verweisung auf die Tätigkeit des Registrators durch die Vorinstanz verfahrensfehlerhaft gewesen war. Es ist in jedem konkreten Einzelfall zu prüfen, ob der Versicherte innerhalb von drei Monaten die geforderten Tätigkeiten erlernen kann. In eine angelernte Tätigkeit, die eine Ausbildung von mindestens drei Monaten voraussetzt, können sich in kürzerer Zeit in der Regel nur Versicherte einarbeiten, die gewisse Vorkenntnisse haben. Da für angelernte Tätigkeiten eine Mindestausbildung oder -Einarbeitung von drei Monaten erforderlich ist, kann auf solche in der Regel nur verwiesen werden, wenn es sich um eine mit dem bisherigen Beruf verwandte Tätigkeit handelt oder eine solche bereits früher ausgeübt wurde.

Nach diesen Grundsätzen ist der Kläger auf die von der Beklagten benannten Tätigkeiten eines Registrators oder im Posteingang nicht verweisbar, da er nicht die erforderlichen Vorkenntnisse besitzt, die es ihm ermöglichen würden, sich in weniger als 3 Monaten in diese Tätigkeiten einzuarbeiten.

Der Kläger hat bisher ausschließlich Berufstätigkeiten ausgeübt, die gegenüber den benannten Verweisungstätigkeiten völlig berufsfremd gewesen sind. Dies betrifft zunächst einmal seinen Ausgangsberuf des Spritzlackierers und Autolackierers. Bei diesen Berufstätigkeiten hat er so gut wie nicht mit Verwaltungsdingen zu tun gehabt. Aber auch seine selbstständige Tätigkeit als Gastwirt von Ende 1988 bis Januar 1991 hat solche Kenntnisse weder vorausgesetzt noch ihm vermittelt. Dies gilt mindestens dafür, wie er diese selbständige Tätigkeit konkret ausgestaltet hatte und dem Senat in der mündlichen Verhandlung überzeugend geschildert hat. Er hat auch dabei keine EDV-Grundkenntnisse benötigt und/oder selbst angewandt und seine verwaltende Tätigkeit hat sich auf den Einkauf und das Sammeln von Belegen beschränkt. Anspruchsvollere Tätigkeiten hat ihm seine Ehefrau abgenommen. Auch privat besitzt er keinen Computer. Der Kläger besitzt somit keinerlei Vorkenntnisse, die es ihm ermöglichen würden die Anforderungen an eine vollwertige Ausübung der Tätigkeiten eines Registrators oder auf der Poststelle, die heutzutage, was allgemein bekannt und mit den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung erörtert worden ist, Grundkenntnisse in EDV und über Verwaltungsabläufe voraussetzt, in weniger als den ohne Vorkenntnisse erforderlichen drei Monaten zu erlernen. Der Kläger kann daher zumutbar nicht auf die genannten Tätigkeiten eines Registrators beziehungsweise eines Arbeiters in einer Poststelle verwiesen werden.

Da eine zumutbare Verweisungstätigkeit nicht benannt werden konnte, ist der Kläger berufsunfähig.

Der Kläger erfüllt für eine Rente wegen Berufsunfähigkeit auch die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen.

Für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bzw. Berufsunfähigkeit ist nach den §§ 43 Absatz 1, 44 Absatz 1 SGB VI in der bis zum 31.12.2000 geltenden Fassung Tatbestandsvoraussetzung, dass der Versicherte erwerbsunfähig bzw. berufsunfähig im Sinne von §§ 43 Absatz 2, 44 Absatz 2 SGB VI ist, die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren erfüllt hat sowie in den letzten Jahren vor Eintritt des Versicherungsfalles 3 Jahre Pflicht Beitragszeiten vorliegen (sog. 3/5-Belegung).

Nach §§ 43 Absatz 4, 44 Absatz 4 SGB VI in der bis zum 31.12.2000 geltenden Fassung ist eine Pflichtbeitragszeit von drei Jahren für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit jedoch nicht erforderlich, wenn die Minderung der Erwerbsfähigkeit auf Grund eines Tatbestandes eingetreten ist, durch den die allgemeine Wartezeit vorzeitig erfüllt ist.

Die allgemeine Wartezeit ist gemäß § 53 Absatz 1 Nr. 1 SGB VI vorzeitig erfüllt, wenn Versicherte wegen eines Arbeitsunfalls vermindert erwerbsunfähig geworden sind und die bei Eintritt des Arbeitsunfalls versicherungspflichtig beschäftigt waren oder in den letzten zwei Jahren davor mindestens ein Jahr Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben.

Der Kläger hat in Folge des am 27.8.1986 einen Arbeitsunfall erlitten, in dessen Folge er auch nach der Begutachtung durch Dr. D. bezüglich der Tätigkeit des Spritzlackierers überfordert gewesen ist. Er hat seine Tätigkeit aufgeben müssen und zunächst die Tätigkeit des Wicklers ausgeübt, die er jedoch ebenfalls aus gesundheitlichen Gründen wieder aufgeben musste, zumal auch nach der dem SG vorgelegten Stellenbeschreibung diese Tätigkeit als ständig mittelschwer bezeichnet wird und in ständigem Stehen ausgeübt werden musste. Die Berufsunfähigkeit ist daher auf Grund des Arbeitsunfalls eingetreten, so dass auch die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen einer Rentengewährung vorliegen.

Damit hat der Kläger dem Grunde nach Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit, beginnend gemäß § 99 Absatz 1 Satz 2 SGB VI ab 1.10.98.

Der Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ist vom Kläger im Berufungsverfahren nicht aufrechterhalten worden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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