L 12 AL 303/02

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 9 AL 1204/01
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AL 303/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Das Vorpraktikum für die Erzieherinnen-Ausbildung in Baden Württemberg kann nicht durch die Bundesanstalt für Arbeit gem. § 89 SGB III gefördert werden.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 11.12.2001 aufgehoben und die Klage insgesamt abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Klägerin im Rahmen der Leistungen zur beruflichen Rehabilitation der Behinderten Leistungen für die Förderung eines Vorpraktikums zur Ausbildung als Erzieherin beanspruchen kann.

Die Klägerin verließ das Gymnasium mit der mittleren Reife. Sie war von 1991 bis 1993 als Bedienung, Praktikantin und Verkäuferin tätig. Von 1994 bis 1997 absolvierte sie die Ausbildung zur staatlich anerkannten Physiotherapeutin. Zuletzt war sie bis Dezember 1999 als Verkäuferin im Einzelhandel (Schreibwaren) beschäftigt.

Die Klägerin leidet an einer anlagebedingten Minderbelastbarkeit der Haut mit juckenden Ausschlägen, chronischer Bronchitis mit Schwellung der Bronchialschleimhaut sowie an einem Gemütsleiden (verbunden mit Problemen, die Tätigkeit der Physiotherapeutin auszuüben). Im Frühjahr 2000 wandte sie sich an das Arbeitsamt (AA) Heidelberg. Das dort veranlasste Gutachten des Arbeitsamtsarztes Dr. V. vom 4.5.2000 kam zum Ergebnis, zumutbar seien nur noch leichte bis mittelschwere körperliche Arbeiten mit zusätzlichen Einschränkungen vollschichtig. Ob die Klägerin ihren erlernten Beruf (Physiotherapeutin) weiterhin ausüben könne, hänge davon ab, ob hierbei das beschriebene Leistungsbild eingehalten werden könne. Gegen eine Tätigkeit als Erzieherin oder Kindergärtnerin bestünden keine Einwände.

Am 30.05.2000 beantragte die Klägerin die Förderung einer Ausbildung zur Erzieherin (Beginn der schulischen Ausbildung bei der E.-H.-K.-Schule, N. ab September 2001). Hierzu begann sie am 21.08.2000 ein Vorpraktikum bei dem K. e. V. in H.-Z ... In dem psychologischen Gutachten vom 17.11.2000 befürwortete Diplom-Psychologe von A. die entsprechende Ausbildung.

Mit Bescheid vom 06.03.2001 lehnte das AA die Förderung des Vorpraktikums ab. Die zu fördernde Ausbildung zur Erzieherin beginne erst im September 2001. Das Vorpraktikum sei nicht Bestandteil der Maßnahme und könne daher nicht gefördert werden.

Den Widerspruch wies das AA mit Widerspruchsbescheid vom 02.05.2001 zurück: Die Klägerin sei zwar grundsätzlich Rehabilitandin im Sinne des § 97 SGB III. Eine Weiterbildungsmaßnahme, die Zeiten betrieblicher Vor- und Zwischenpraktika enthalte, könne nur anerkannt werden, wenn Dauer und Inhalt der Praktika in Ausbildungs- oder Prüfungsbestimmungen festgelegt seien oder die Erfolgsaussichten einer Eingliederung dadurch verbessert würden. Die im September 2001 beginnende Maßnahme enthalte ein vorgeschriebenes dreiwöchiges Praktikum. Ein Vorpraktikum sei nicht in den Ausbildungs- oder Prüfungsbestimmungen vorgesehen, es rechne nicht zu der förderungsfähigen Maßnahme und könne daher nicht gefördert werden.

Am 15.05.2001 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht (SG) Mannheim erhoben: § 4 Nr. 2 Buchstabe a) der Verordnung des Ministeriums für Kultus und Sport über die Ausbildung und Prüfung an den Fachschulen für Sozialpädagogik (Erzieher-Verordnung) vom 13.03.85 (Bad.-Württ. GBl. 1985, S. 57) setze für die entsprechende Ausbildung zwingend eine praktische Tätigkeit von mindestens einem Jahr (Vorpraktikum) voraus, so dass entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten die Voraussetzungen des § 89 SGB III gegeben seien.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten: Bei dem Vorpraktikum handele sich um eine schulische Zugangsvoraussetzung, die nicht Bestandteil der förderungsfähigen Maßnahme sei. Wenn die Erzieher-Verordnung als Voraussetzung ein Vorpraktikum fordere, handele es sich um eine reine Zugangsvoraussetzung wie z. B. das Latinum für ein Medizinstudium.

Im Termin zur Erörterung des Sachverhalts vom 13.9.2001 hat die Klägerin dargelegt, dass sie von August 2000 bis 24.1.2001 an einem vollschichtigen Praktikum teilgenommen habe. Anschließend sei sie krank gewesen. Ab 1.3.2000 habe sie das Vorpraktikum ausnahmsweise mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von zehn Stunden absolvieren dürfen. In dieser Zeit habe sie Arbeitslosengeld (Alg) bekommen. Sie begehre ausschließlich die Förderung des vollzeitigen Praktikums durch Unterhaltsgeld (Uhg) und Fahrtkosten. In den im Anschluss vorgelegten Bescheinigungen des Kinderhauses e. V. vom 20.06.2001 und der Stadt H. vom 09.03.2001 wurde bestätigt, dass die Klägerin in der Zeit vom 21.08.2000 bis zum 13.09.2000 sowie vom 18.09.2000 bis zum 24.01.2001 in Vollzeit an einem entsprechenden Praktikum teilgenommen habe.

Mit Urteil vom 11.12.2001 hat das SG die Beklagte verurteilt, das Vorpraktikum für die Zeit vom 21.08.2000 bis zum 13.09.2000 sowie vom 18.09.2000 bis zum 24.01.2001 durch Zahlung Uhg und Fahrtkosten (in Höhe von insgesamt 190,00 DM) zu fördern. Zwischen den Beteiligten stehe außer Streit, dass die Klägerin wegen ihrer Erkrankungen zu dem Personenkreis der behinderten Menschen gehöre, der besondere Hilfen von der Beklagten beanspruchen könne. Zu den entsprechenden Leistungen zugunsten Behinderter gehöre auch die Förderung der beruflichen Weiterbildung. Weiterhin stehe nicht in Streit, dass die Ausbildung zur Erzieherin zu fördern sei. Das ausschließlich streitige Vorpraktikum sei zu fördern, denn die Ableistung eines Vorpraktikums sei in § 4 Erzieher-Verordnung vorgeschrieben. Dieses sei Teil der Ausbildung, weil Kenntnisse und Fertigkeiten erworben würden, die notwendige fachliche Voraussetzungen für den angestrebten Beruf seien.

Gegen das ihr am 28.12.2001 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 25.1.2002 Berufung eingelegt: Es sei zwar richtig, dass § 4 Erzieher-Verordnung ein Vorpraktikum fordere. Dieses sei jedoch nicht Bestandteil der Ausbildung. Die Heranbildung von Erzieherinnen gliedere sich in drei Abschnitte, das Vorpraktikum als Zugangsvoraussetzung, die zweijährige, überwiegend theoretische Ausbildung an einer Fachschule und ein anschließendes zwölfmonatiges Berufspraktikum. Die eigentliche berufliche Bildungsmaßnahme stelle lediglich die theoretische Ausbildung an einer Fachschule dar. Das Vorpraktikum sei nur für diejenigen Zulassungsvoraussetzung, die keine abgeschlossene Berufsausbildung in einem pädagogischen oder pflegerischen Beruf hätten. Der Inhalt des Vorpraktikums sei nicht näher bestimmt, somit fehle es an der Voraussetzung, dass bestimmte Fähigkeiten oder Kenntnisse vermittelt würden, es handele sich nur um einen allgemeinen Einblick in das Berufsleben.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 11.12.2001 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz und die beigezogenen Akten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Insbesondere übersteigt der Beschwerdewert die nach § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG maßgebliche Grenze von 500,00 EUR. Unter Berücksichtigung der Fahrtkosten und des der Klägerin im streitigen Zeitraum zustehenden Uhg wird der Grenzbetrag eindeutig überschritten.

Die Berufung der Beklagten ist begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Förderung des Vorpraktikums. Es fehlt eine Voraussetzung des § 89 SGB III. Deswegen kann es dahinstehen, ob die übrigen Förderungsvoraussetzungen erfüllt sind.

Maßgeblich ist vorliegend das zum Zeitpunkt des Beginns des Vorpraktikums geltende Recht (§ 422 Abs. 1 SGB III). Die Klägerin gehört zum Personenkreis der Behinderten (§ 19 SGB III), was zwischen den Beteiligten nicht streitig ist. Somit kann die Beklagte Leistungen zur Förderung der beruflichen Eingliederung erbringen, die wegen Art oder Schwere der Behinderung erforderlich sind, um die Erwerbsfähigkeit zuhalten, zu bessern, herzustellen oder wiederherzustellen und die berufliche Eingliederung zusichern (§ 97 Abs. 1 SGB III). Es ist nichts dafür ersichtlich, dass die Klägerin besondere Leistungen i. S. d. §§ 102 ff. SGB III benötigt. Somit kommt ausschließlich die Förderung durch allgemeine Leistungen in Betracht, zu denen die berufliche Weiterbildung gehört (§ 100 Nr. 6 SGB III). Bei der Ausbildung zur Erzieherin handelt es sich vorliegend um eine Maßnahme der Weiterbildung. Nach § 77 Abs. 1 Nr. 4 SGB III setzt die Förderung einer Weiterbildungsmaßnahme u. a. voraus, dass sie Maßnahme für die Weiterbildungsförderung durch das AA anerkannt ist. Gem. § 89 Abs. 1 Satz 1 SGB III kann eine Maßnahme, die Zeiten betrieblicher Vor- und Zwischenpraktika enthält, für die Weiterbildungsförderung nur anerkannt werden, wenn Dauer und Inhalt der Praktika in Ausbildungs- oder Prüfungsbestimmungen festgelegt sind oder die Erfolgsaussichten einer Eingliederung dadurch verbessert werden.

Damit kommt die Förderung des streitigen Praktikums nur in Betracht, wenn zwei Voraussetzungen kumulativ vorliegen: 1) Das Praktikum muss Bestandteil der Maßnahme, d.h. der Ausbildung, sein ("eine Maßnahme, die Zeiten betrieblicher Vor- und Zwischenpraktika enthält").

2) Dauer und Inhalt der Praktika müssen in Ausbildungs- oder Prüfungsbestimmungen festgelegt sein oder die Erfolgsaussichten einer Eingliederung dadurch verbessert werden.

Das Vorpraktikum ist nicht Bestandteil der Ausbildung zur Erzieherin. Nach der Rechtsprechung des BSG (zum Kindergeldrecht) hängt die Zuordnung der Vorpraktika zur Berufsausbildung zunächst davon ab, ob sie Ausbildungscharakter in dem Sinne haben, dass ein gewisses Maß an berufsbezogenen Kenntnissen vermittelt wird; ein Vorpraktikum ist nur dann Teil der Berufsausbildung, wenn die in diesem Praktikum zu erwerbenden Kenntnisse und Fertigkeiten notwendige fachliche Voraussetzungen für den angestrebten Beruf sind, wenn sie also als Teil der Ausbildung im weiteren Sinne angesehen werden müssen. Nicht um Ausbildung handelt es sich hingegen, wenn das Vorpraktikum dazu dient, bestimmte Eignungskriterien oder nur das Vorhandensein einer gewissen Erfahrung, eines Einblickes in das Berufsleben oder allgemein eine gewisse Reife zu vermitteln, oder wenn schließlich die geforderte praktische Tätigkeit nur die Neigung und Eignung für den angestrebten Beruf erproben und den Bewerber mit den Anforderungen und Problemen des angestrebten Berufes vertraut machen soll (zum Ganzen: BSG, Urteil vom 10.4.1985 - 10 RKg 21/84 -). Vorrang vor derartigen allgemeinen Überlegungen haben jedoch die Rechtsvorschriften, die die Ausbildung regeln. Aus den einschlägigen Vorschriften der Erzieher-Verordnung geht eindeutig hervor, dass das Vorpraktikum nicht Teil der Ausbildung und damit nicht Teil der Maßnahme ist.

Nach § 2 Abs. 1 Erzieher-Verordnung dauert die Ausbildung drei Jahre und gliedert sich in 1. eine Ausbildung von zwei Schuljahren in der Fachschule für Sozialpädagogik (schulische Ausbildung) und 2. eine durch die Fachschule begleitetes berufsbezogenes Praktikum (Berufspraktikum) von einem Jahr in einer sozialpädagogischen Einrichtung.

Gemäß § 4 Erzieher-Verordnung sind Voraussetzung zur Aufnahme in die Fachschulen für Sozialpädagogik 1. die Fachschulreife oder der Realschulabschluss oder der Werkrealschule oder das Versetzungszeugnis in die Klasse 11 des Gymnasiums oder der Nachweis eines gleichwertigen Bildungsstandes , 2. a) eine mindestens einjährige praktische Tätigkeit (Vorpraktikum), gegebenfalls auch im Rahmen des freiwilligen sozialen Jahres, das geeignet ist, auf die nachfolgende Berufsausbildung vorzubereiten (in Kindergarten, -tagesstätten, -heimen u. ä.), oder b) die staatliche Anerkennung als Kinderpfleger/in oder c) das Abschlusszeugnis der zweijährigen Hauswirtschaftlich-sozialpädagogischen Berufsfachschule oder der zweijährigen Berufsfachschule für Gesundheit und Pflege und ein sechswöchiges Praktikum. 3. der Nachweis, dass keine ansteckungsfähige Tuberkulose der Atmungsorgane vorliegt (§ 48 Bundesseuchengesetz).

Schon aus § 2 der Erzieher-Verordnung wird ersichtlich, dass die einschlägige Ausbildungsvorschrift das Vorpraktikum gerade nicht als Bestandteil der Maßnahme ansieht. Das Vorpraktikum ist vielmehr nur Voraussetzung für die Aufnahme in die Fachschulen für Sozialpädagogik, mit der die Ausbildung beginnt, wie aus § 4 Erzieher-Verordnung folgt. Bei dem Vorpraktikum handelt es sich auch nicht um eine generelle Aufnahmevoraussetzung. Es ist vielmehr nur für die Personen Aufnahmevoraussetzung, die nicht die Voraussetzungen nach § 4 Nr. 2 Buchst. b oder c Erzieher-Verordnung erfüllen. Auch aus dem Wortlaut von § 4 Nr. 2 Buchst. a Erzieher-Verordnung wird ersichtlich, dass das Vorpraktikum nicht Bestandteil der Maßnahme ist. Die Vorschrift spricht von einer praktischen Tätigkeit, die zur Vorbereitung auf die nachfolgende Berufsausbildung geeignet ist.

Damit werden auch keine konkreten berufsbezogenen Kenntnisse im Sinne der zitierten Rechtsprechung des BSG vermittelt. Vielmehr ist es Ziel des Vorpraktikums, allgemeine Erfahrungen zu vermitteln. Dies wird auch daraus ersichtlich, dass der Inhalt des Vorpraktikums nicht vorgeschrieben ist und es nach § 4 Nr. 2 Buchst. b und c Erzieher-Verordnung nicht erforderlich ist, wenn die allgemeine Erfahrung auf anderem Wege erworben worden ist.

Ist das Vorpraktikum schon nicht Bestandteil der Maßnahme, kommt es nicht darauf an, ob es in einer Ausbildungsvorschrift vorgeschrieben ist oder der Eingliederung dient. Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass zumindest die erste der vorgenannten Voraussetzungen gleichfalls nicht gegeben ist, weil § 4 Nr. 2 Buchst. a Erzieher-Verordnung den Inhalt des Vorpraktikums nicht festlegt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor
Rechtskraft
Aus
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