L 5 RA 37/02

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 37 RA 2358/00
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 5 RA 37/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 29. Mai 2002 wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat der Klägerin auch für das Berufungsverfahren außer- gerichtliche Kosten nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Die 1956 geborene Klägerin war im Anschluss an ihre vom 1. April 1973 bis zum 30. September 1975 absolvierte Ausbildung als Sozialversicherungsfachangestellte bei der Landesversicherungsanstalt Berlin beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis besteht nach Aktenlage noch. Nach mehrjährigen, auch gerichtlich ausgetragenen Konflikten am Arbeitsplatz war die Klägerin seit dem 28. August 1998 arbeitsunfähig krank. Auf Veranlassung des Arbeitgebers erstattete der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. C unter dem 29. Januar 1999 ein nervenfachärztliches Gutachten, in dem er wegen einer dekompensierten Neurose die Berentung der Klägerin empfahl.

Am 29. März 1999 stellte die Klägerin bei der Beklagten einen Rentenantrag und machte geltend, seit 1998 wegen einer reaktiven Depression mit paranoiden Zügen erwerbsgemindert zu sein. Die Beklagte stellte das Vorliegen der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen fest und ließ die Klägerin von der Nervenärztin Dr. S untersuchen, die in ihrem am 8. Juli 1999 abgeschlossenen Gutachten zu der Einschätzung gelangte, dass die Klägerin wegen einer ausgeprägten neurotischen Fehlentwicklung zwar nicht an ihren bisherigen Arbeitsplatz zurückkehren könne, weil dort eine erneute Dekompensation zu erwarten sei, leichte bis mittelschwere Tätigkeiten ohne vermehrten Zeitdruck und Publikumsverkehr seien ihr aber noch vollschichtig möglich. Daraufhin lehnte die Beklagte den Rentenantrag mit Bescheid vom 21. Oktober 1999 ab, weil die Klägerin in ihrem bisherigen Berufsbereich weiterhin vollschichtig tätig sein könne, ebenso auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Nachdem die Klägerin dagegen Widerspruch eingelegt und ihr behandelnder Nervenarzt Dr. R eine Verschlechterung ihrer depressiven Zustände attestiert hatte, holte die Beklagte ein weiteres Gutachten von Dr. C ein, der unter dem 26. Januar 2000 feststellte, dass das Leistungsvermögen der Klägerin zwar qualitativ erheblich eingeschränkt und ihre Rückkehr an den alten Arbeitsplatz nicht mehr möglich sei, ihr aber noch leichte, stressarme Tätigkeiten bei einem anderen Arbeitgeber vollschichtig zugemutet werden könnten. Daraufhin wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 29. März 2000 zurück, weil weder Berufs- noch Erwerbsunfähigkeit im Sinne der §§ 43, 44 Sozialgesetzbuch - SGB - VI vorliege. Der Bescheid wurde nach Postrücklauf am 25. April 2000 erneut an die Klägerin abgesandt.

Am 23. Mai 2000 hat die Klägerin Klage erhoben und zur Begründung auf ein Attest des Dr. R vom 30. Oktober 2000 verwiesen, der ihr aufgrund einer schweren, chronifizierten, neurotischen Depression mit deutlichen paranoiden Zügen Erwerbsunfähigkeit bescheinigt hat.

Nachdem die Klägerin auf mehrere gerichtliche Anfragen nicht reagiert hatte, hat das Sozialgericht ihre Klage mit Gerichtsbescheid vom 29. Mai 2002 abgewiesen. Sie sei zulässig, aber unbegründet. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Rente nach §§ 43, 44 SGB VI in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung, weil sie weder berufs- noch erwerbsunfähig sei; ihr stehe auch kein Rentenanspruch nach §§ 43, 240 SGB VI in der ab 1. Januar 2001 geltenden Fassung zu. Das Gericht folge der Begründung des Widerspruchsbescheides. Medizinische Ermittlungen, die zu einer anderen Beurteilung hätten führen können, seien dem Gericht verwehrt gewesen, weil die Klägerin die sie behandelnden Ärzte nicht von ihrer Schweigepflicht entbunden habe.

Mit Schreiben vom 20. Juni 2002 hat die Klägerin mitgeteilt, dass sie vom 19. März bis 18. April 2002 gegen ihren Willen in stationärer Behandlung in der Psychiatrischen Klinik des Universitätsklinikums B F gewesen sei und gebeten, ärztliche Befundberichte zur Bewertung ihres Rentenanspruches anzufordern. Gegen den ihr am 27. Juni 2002 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 24. Juli 2002 Berufung eingelegt.

Sie beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 29. Mai 2002 sowie den Bescheid der Beklagten vom 21. Oktober 1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29. März 2000 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab 1. März 1999 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit, zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Der Senat hat von dem aktuell behandelnden Nervenarzt Dr. B einen Befundbericht angefordert und den Entlassungsbericht über die angegebene stationäre Behandlung vom 24. Mai 2002 angefordert. Daraus ergibt sich, dass die Klägerin vom sozialpsychiatrischen Dienst wegen akuter Suizidalität eingewiesen worden ist. Am Einweisungstag sei im Rahmen von Fassadenarbeiten eine vollständige Vermüllung ihrer Wohnung aufgefallen. Die eingeschaltete Hausverwaltung habe u.a. eine völlig verstopfte Toilette sowie eine mit Fäkalien gefüllte Badewanne vorgefunden. Die Klägerin sei massiv erregt gewesen und habe mit Selbstmord gedroht. Bis zum Zeitpunkt der Entlassung habe weder eine Zwangsstörung, noch eine paranoide Psychose als Ursache für die ausgeprägte Vermüllung der Wohnung sicher diagnostiziert werden können. Die Klägerin habe bei fehlender Krankheitseinsicht die psychiatrische Behandlung abgelehnt. Aus der vom Senat beigezogenen Betreuungsakte des Amtsgerichts C - ist folgender Verlauf zu entnehmen: Durch Beschluss vom 20. März 2002 wurde auf Antrag des Gesundheitsamtes wegen akuter Suizidalität bei schwerer Depression die vorläufige Unterbringung der Klägerin in stationäre psychiatrische Behandlung angeordnet. Nach Abklingen der Symptomatik wurde die Klägerin auf eine offene Station verlegt, die sie auf eigenen Wunsch am 18. April 2002 verließ. Mit Beschluss vom 10. Mai 2002 bestellte das Amtsgericht für die Klägerin einen Betreuer mit dem Aufgabenkreis Aufenthaltsbestimmung zum Zwecke der nervenärztlich-psychiatrischen Heilbehandlung, Gesundheitssorge, Vermögenssorge, Wohnungsangelegenheiten, Vertretung gegenüber Behörden, Ämtern und gegebenenfalls Gerichten, nachdem der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. D in seinem Gutachten vom 8. April 2002 zu der Einschätzung gelangt war, dass die Klägerin ihre Angelegenheiten in den genannten Bereichen aufgrund einer psychischen Erkrankung, deren genaue diagnostische Einschätzung derzeit nicht möglich sei, nicht wahrnehmen könne. Als Diagnosen seien eine querulatorische Persönlichkeitsstörung, eine ausgeprägte Zwangserkrankung sowie eine Schizophrenie zu diskutieren, ferner liege ein ausgeprägtes depressives Syndrom mit teilweise akuter Suizidalität vor. Nachdem der Betreuer bereits im Juni 2002 angeregt hatte, die Betreuung aufzuheben und die Betreute dies ebenfalls wünschte, holte das Amtsgericht ein weiteres Gutachten von dem Nervenarzt K vom 4. Oktober 2002 ein, der bei der Klägerin eine deutliche Stabilisierung des Krankheitsbildes feststellte. Sie wohne bei ihrem Freund, habe verschiedene Behandlungs- und Rehabilitationsmöglichkeiten mit Erfolg genutzt und sehe sich selbst grundsätzlich als arbeitsfähig an, wolle aber nicht zu ihrem früheren Arbeitgeber zurückkehren. Daraufhin hob das Amtsgericht C die Betreuung mit Beschluss vom 25. Oktober 2002 auf.

Nachdem die Klägerin mit Schreiben vom 4. November 2003 eine deutliche Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes geltend gemacht hatte, hat der Senat nochmals aktuelle Befundberichte ihrer behandelnden Nervenärzte Dr. S und Dr. B sowie von dem Orthopäden Dr. angefordert.

Schließlich hat der Senat die Ärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. Bär mit der Erstellung eines schriftlichen Gutachtens beauftragt. Die Sachverständige hat in ihrem Gutachten vom 26. März 2004, auf das wegen der Einzelheiten verwiesen wird, zusammenfassend ausgeführt: Die Klägerin sei in gutem Allgemeinzustand und ausreichend gepflegt, wach und allseits orientiert. Sie erscheine freundlich und auskunftswillig, zeitweise sehr weitschweifig, in der Wortwahl deftig und ausdrucksstark. Ihr formales Denken sei geordnet, eine krankheitswertige Depressivität liege ebenso wenig vor wie aktuelle Suizidalität. Im inhaltlichen Denken dominierten ein gewisses Opfererleben, aber auch querulatorische Züge. Die Klägerin zeige eine übersteigerte Neigung, sich von Behörden und Institutionen, insbesondere dem alten Arbeitgeber LVA, ungerecht behandelt, schikaniert und von den Mitarbeitern des Sozialamtes und Gesundheitsamtes kontrolliert zu fühlen. Bei gestörtem Realitätsbezug und eingeschränkter Kritik- und Urteilsfähigkeit zeige sich hier eine sehr starre Reaktion der Klägerin auf tatsächlich stattgefundene Entscheidungen und Forderungen dieser Ämter. Offensichtlich falle es der Klägerin sehr schwer, Regeln und Normen anzuerkennen, und sie empfinde es als kränkend, ihr Leben danach ausrichten zu müssen. Übereinstimmend mit den Behandlern und Vorgutachtern sei von einer krankheitswertigen Persönlichkeitsstörung der Klägerin auszugehen, bei der die Störung der Affektivität und Impulskontrolle und auch querulatorische Züge im Vordergrund stünden. Zu Beginn des Jahres 2002 sei es vor diesem Hintergrund einer Persönlichkeitsstörung nach fortwährenden Arbeitskonflikten mit der LVA zu einer Überlastung der Klägerin mit der Versorgung der pflegebedürftigen Mutter und finanziellen Problemen gekommen, die zu einer depressiven Symptomatik mit Verwahrlosungstendenz und schließlich der Konsequenz der stationären psychiatrischen Behandlung geführt habe. Bereits im Oktober 2002 habe aber eine deutliche Besserung des seelischen Befindens festgestellt und das bestehende Betreuungsverhältnis aufgehoben werden können. Die Klägerin sei seitdem wieder in der Lage, ihre Angelegenheiten selbst zu regeln, sowie eine Partnerbeziehung und einen Haushalt zu führen. Eine erneute Verschlechterung des seelischen Befindens habe bis zum gegenwärtigen Begutachtungszeitpunkt nicht mehr festgestellt werden können. Die Klägerin halte sich jedoch in nicht nachvollziehbarer Weise für vollständig erwerbsunfähig und verfolge mit Nachdruck ihr Rentenbegehren. Folgende Diagnosen hat die Gutachterin bei der Klägerin gestellt:

Emotional instabile Persönlichkeitsstörung (ICD F60.30) mit querulatorischen und paranoiden Zügen, rezidivierend depressive Stimmungsschwankungen, derzeitig gutes soziales Aktionsniveau,

rezidivierende Lumboischialgie (ICD M54.4) mit sensibler Wurzelläsions- symptomatik S 1 linksseitig bei bekannter Spondylolisthesis L 4/5 und sonstigen degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule.

Das Leistungsvermögen der Klägerin hat die Sachverständige dahingehend eingeschätzt, dass sie noch täglich regelmäßig vollschichtig leichte bis mittelschwere körperliche Tätigkeiten vorrangig in geschlossenen Räumen verrichten könne. Extreme Witterungsbedingungen wie Hitze, Feuchtigkeit, Zugluft und Kälte seien zu vermeiden, ebenso einseitige körperliche Belastungen sowie Zeitdruck. Ein Wechsel der Haltungsarten zwischen Gehen, Stehen und Sitzen solle gewährleistet sein. Die Klägerin könne in festgelegtem Arbeitsrhythmus, an laufenden Maschinen, in Wechsel- und Nachtschicht sowie auf Leitern und Gerüsten eingesetzt werden und Lasten bis ca. 10 kg heben und tragen. Fingergeschicklichkeit sowie die Belastbarkeit der Arme und Hände seien gegeben. Die festgestellten Leiden schränkten die Klägerin in der Ausübung einfacher bis mittelschwerer geistiger Tätigkeiten nicht ein. Lediglich die Entschluss- und Verantwortungsfähigkeit sowie die Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit seien eingeschränkt. Besonderheiten für den Weg zur Arbeit seien nicht zu beachten. Es bestehe begründete Aussicht, dass die Leistungsminderung zumindest teilweise behebbar sei, und zwar durch eine Intensivierung der derzeitigen ambulanten Therapie sowie ein bereits von mehreren Gutachtern vorgeschlagenes stationäres psychotherapeutisches Heilverfahren und eine anschließende psychotherapeutische und gegebenenfalls auch medikamentöse nervenärztliche Weiterbehandlung im Zeitraum von zwei bis drei Jahren. Die Vorenthaltung der Rente sei von Bedeutung dafür, dass die Klägerin ihre Fehlhaltung überwinde.

Die Beklagte ist der Auffassung, dass die Klägerin mit dem von der Gutachterin festgestellten Restleistungsvermögen in der Lage sei, die Tätigkeit einer Mitarbeiterin in der Registratur zu verrichten, die ihr inhaltlich und sozial zumutbar sei. Hierzu hat die Beklagte eine ärztliche Stellungnahme des beratenden Abteilungsarztes L sowie eine berufskundliche Stellungnahme vorgelegt, auf deren Inhalt Bezug genommen wird.

Die Klägerin hat Atteste ihrer behandelnden Ärzte Dr. B (vom 11. Mai 2004) und Dr. S (vom 27. April 2004) überreicht. Letzterer meint, dass der Leistungseinschätzung der Gutachterin Dr. B nicht gefolgt werden könne. Die Klägerin sei trotz intensiver stationärer und seit August 2003 regelmäßiger ambulanter Psychotherapie allenfalls in der Lage, in dem geschützten und wohlwollenden Milieu einer Therapiegruppe einigermaßen klar zu kommen. Auf dem Arbeitsmarkt sei sie höchstens halbschichtig einsetzbar, wobei mit häufigen krankheitsbedingten Fehlzeiten zu rechnen sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die von den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf den sonstigen Akteninhalt verwiesen. Die die Klägerin betreffende Rentenakte der Beklagten hat vorgelegen und ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung, wie das Sozialgericht im Ergebnis zutreffend entschieden hat.

Der von der Klägerin für die Zeit ab März 1999 geltend gemachte Anspruch auf Rente wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit ist gemäß § 300 Abs. 2 SGB VI noch nach den §§ 43, 44 SGB VI in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung zu beurteilen. Die Klägerin erfüllt zwar unstreitig die in diesen Vorschriften normierten versicherungsrechtlichen Voraussetzungen. Ihr Leistungsvermögen ist jedoch nicht in rentenrechtlich erheblichem Maße eingeschränkt. Die Klägerin ist schon nicht berufsunfähig und damit erst recht nicht erwerbsunfähig.

Berufsunfähig sind nach § 43 Abs. 2 SGB VI a.F. Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung auf weniger als die Hälfte derjenigen von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit vollschichtig ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Ausgangspunkt für die Beurteilung von Berufsunfähigkeit ist der "bisherige Beruf", den der Versicherte ausgeübt hat. Die Klägerin hat eine Ausbildung zur Sozialversicherungsfachangestellten bei der LVA Berlin erfolgreich absolviert und danach viele Jahre ununterbrochen bis Ende August 1998 ausgeübt. "Auf dem Papier" besteht das Arbeitsverhältnis noch immer. Es ist der Klägerin jedoch unstreitig krankheitsbedingt nicht zuzumuten, an ihren alten Arbeitsplatz zurückzukehren, weil zu erwarten ist, dass es dort angesichts ihrer emotional instabilen Persönlichkeit mit querulatorischen und paranoiden Zügen und der früheren massiven Arbeitsplatzkonflikte erneut zu einer Dekompensation kommen würde.

Allein deshalb besteht aber noch keine Berufsunfähigkeit. Eine solche liegt nämlich erst dann vor, wenn es nicht zumindest eine andere berufliche Tätigkeit gibt, die der Klägerin sozial zumutbar und für sie sowohl gesundheitlich als auch fachlich geeignet ist. Die soziale Zumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit richtet sich nach der Wertigkeit des bisherigen Berufs. Zur Erleichterung dieser Beurteilung hat das Bundessozialgericht in ständiger Rechtsprechung (vgl. nur Urteil vom 11. Mai 2000 - B 13 RJ 43/99 R - m.w.N.; Urteil vom 24. März 1998 - B 4 RA 44/96 R -, jeweils zitiert nach juris) die Berufe der Versicherten in Gruppen eingeteilt. Diese Berufsgruppen sind ausgehend von der Bedeutung, die Dauer und Umfang der Ausbildung für die Qualität eines Berufes haben, gebildet worden. Die Gruppen werden in der Angestelltenversicherung charakterisiert durch die Leitberufe, deren hohe Qualität regelmäßig auf einem Hochschulstudium oder einer vergleichbaren Qualifikation beruht (6. Stufe), die zwar ein abgeschlossenes Studium voraussetzen, jedoch Kenntnisse und Fertigkeiten unterhalb der obersten Stufe erfordern (5. Stufe), die eine Meisterprüfung oder den vergleichbaren Besuch einer Fachschule voraussetzen (4. Stufe), der Angestellten mit einer längeren Ausbildung als zwei Jahre (3. Stufe), der angelernten Angestellten mit einer Ausbildung bis zu zwei Jahren (2. Stufe) und der ungelernten Angestellten (1. Stufe). Grundsätzlich darf der Versicherte im Vergleich zu seinem bisherigen Beruf auf die nächst niedrigere Gruppe verwiesen werden.

Die Klägerin ist mit ihrer Ausbildung zur Sozialversicherungsfachangestellten und ihrer daran anschließenden Tätigkeit im Ausbildungsberuf, die nach Aktenlage zuletzt nach der Vergütungsgruppe BAT VI b eingruppiert war, der 3. Stufe des Mehrstufenschemas einzuordnen, so dass sie unstreitig Berufsschutz genießt und ihr eine zumutbare Verweisungstätigkeit zu benennen ist, die zumindest der zweiten Stufe zuzuordnen ist.

Die umfangreichen medizinischen Ermittlungen und die Beweisaufnahme im Berufungsverfahren haben die Einschätzung der Beklagten bestätigt, dass die Klägerin - nach einer vorübergehenden Verschlechterung ihres seelischen Befindens - über ein nur qualitativ eingeschränktes Leistungsvermögen verfügt. Die Ärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. B hat aufgrund einer sehr eingehenden Anamnese- und Befunderhebung am 23. Februar 2004 bei der Klägerin die im Tatbestand aufgeführten seelischen und orthopädischen Leiden diagnostiziert und ihre Auswirkungen auf das Leistungsvermögen der Klägerin ausführlich und nachvollziehbar dargelegt. Nach ihrer mit den von der Beklagten eingeholten Gutachten übereinstimmenden Einschätzung war die Klägerin nach fortwährenden Arbeitsplatzkonflikten und dem Auftreten von Angstzuständen, Konzentrationseinbußen und affektiven Störungen im Verlauf des Jahres 1999 nicht mehr mit einer Tätigkeit bei der LVA Berlin belastbar, aber noch vollschichtig einsetzbar für eine Beschäftigung bei einem anderen Arbeitgeber. Anfang des Jahres 2002 kam es zu einer Überlastung der Klägerin durch die Versorgung der pflegebedürftigen Mutter und finanzielle Probleme, die zu einer depressiven Symptomatik mit Verwahrlosungstendenz, akuter Suizidalität und als Konsequenz ihrer stationären psychiatrischen Behandlung geführt hat. Die gerichtlich angeordnete Betreuung wurde auf Antrag des Betreuers vom 11. Juni 2002 nach Begutachtung durch den Nervenarzt K am 4. Oktober 2002 wegen einer deutlichen Besserung des seelischen Befindens aufgehoben. Seitdem war die Klägerin wieder in der Lage, ihre Angelegenheiten selbst zu regeln sowie eine Partnerbeziehung und einen Haushalt zu führen. Eine erneute Verschlechterung des seelischen Befindens konnte die Gutachterin nicht feststellen und hat das Leistungsvermögen der Klägerin deshalb folgerichtig dahingehend eingeschätzt, dass sie noch täglich regelmäßig leichte bis mittelschwere körperliche Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung unter Beachtung der im Tatbestand näher aufgeführten qualitativen Einschränkungen vollschichtig verrichten könne.

Die von der Klägerin zuletzt noch eingereichten Atteste ihrer behandelnden Ärzte führen nicht zu einer anderen Beurteilung. Dr. B referiert lediglich den bekannten Krankheitsverlauf und bestätigt, dass die Klägerin nach stationärer und ambulanter Psychotherapie etwas stabilisiert wirke. Dr. S, bei dem die Klägerin seit August 2003 eine ambulante Gruppenpsychotherapie besucht, räumt ein, dass das Gutachten der Frau Dr. B sorgfältig erstellt sei und begründet seine abweichende Einschätzung einer allenfalls halbschichtigen Belastbarkeit der Klägerin im Wesentlichen mit ihren überschießenden emotionalen Reaktionen und ihrer erheblich beeinträchtigten Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit. Dabei lässt er jedoch unberücksichtigt, dass Dr. B konkrete Empfehlungen für eine Intensivierung der Therapie gegeben hat, u.a. die Verordnung von Medikamenten bei depressiven Stimmungsschwankungen oder einer Verdichtung des paranoiden Erlebens. Die von Dr. S geäußerte Befürchtung häufiger, gegebenenfalls auch längerer Arbeitsunfähigkeitszeiten der Klägerin ist nicht mit Berufs- oder gar Erwerbsunfähigkeit gleichzusetzen. Schließlich ist entscheidungserheblich auch der Hinweis der Sachverständigen Dr. B, die nicht nur über große Erfahrung als praktizierende Ärztin und bei der sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung verfügt, sondern auch als unabhängige Gerichtsgutachterin die notwendige Distanz zur Klägerin hat, dass diese ihre Fehlhaltung bei zumutbarer Willensanstrengung - und mit ärztlicher Unterstützung - überwinden kann, dabei aber die Vorenthaltung der Rente von Bedeutung ist. Dies leuchtet ohne weiteres ein, um nicht durch einen sogenannten sekundären Krankheitsgewinn einer Chronifizierung des seelischen Leidens Vorschub zu leisten.

Die Klägerin kann mit dem danach nur qualitativ eingeschränkten Leistungsvermögen noch die von der Beklagten benannte Verweisungstätigkeit einer Registratorin verrichten, die ihr gesundheitlich und auch sozial zumutbar ist. Die Tätigkeit einer Registraturangestellten ist als im Wesentlichen körperlich leicht zu beurteilen. Gelegentlich schwerere Aktenstücke kann die Klägerin bewältigen, da sie Lasten bis 10 kg heben und tragen kann. Wie bei allen Bürotätigkeiten überwiegt bei der Arbeit einer Registraturangestellten die sitzende Körperhaltung, aber auch ein Wechsel zum Gehen und Stehen ist im Tagesablauf vielfach möglich. Die Aufgabe einer Registraturangestellten ist es, die Akten zu verwalten, die anfallenden Geschäftspapiere zu sortieren, der Aktenordnung entsprechend den Vorgängen beizufügen und Verfügungen der Sachbearbeiter abzuarbeiten. Die Klägerin ist als Sozialversicherungsfachangestellte mit über zwanzigjähriger Berufserfahrung zweifellos in der Lage, diese Tätigkeit nach einer Einarbeitung von höchstens drei Monaten vollwertig zu verrichten. Da es sich um eine ihrem Ausbildungsberuf verwandte, wenn auch von den inhaltlichen Anforderungen her weniger anspruchsvolle Tätigkeit handelt, sind auch keine übergroßen Anforderungen an ihre Entschluss- und Verantwortungsfähigkeit sowie ihre Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit gegeben. Die Eingruppierung erfolgt nach der Vergütungsgruppe BAT VIII und ist der Klägerin sozial zumutbar. Arbeitsplätze für Registraturangestellte sind auch in nennenswerter Anzahl vorhanden und frei zugänglich.

Ob die Klägerin eine derartige Tätigkeit auf dem Arbeitsmarkt finden kann, ist kein Risiko, für das die Beklagte als Träger der Rentenversicherung einzustehen hat.

Da die Klägerin nach alledem noch über ein vollschichtiges Leistungsvermögen verfügt, steht ihr auch kein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung nach dem SGB VI in der ab dem 1. Januar 2001 geltenden Fassung zu.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved