L 5 KA 4356/01

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
5
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 11 KA 3737/00
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 KA 4356/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Einem ärztlichen Psychotherapeuten darf die Zulassung nicht unter der Auflage erteilt werden, er müsse den Wohnsitz näher an den Praxissitz verlegen, wenn er nur 23 km von seiner Praxis entfernt wohnt.
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 17. Oktober 2001 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die der Zulassung des Klägers zur vertragsärztlichen Versorgung beigefügte Nebenbestimmung, den Hauptwohnsitz zu verlegen und dies durch die Vorlage bestimmter Unterlagen nachzuweisen, rechtmäßig ist.

Der 1960 geborene Kläger hat die Anerkennung als Facharzt für Psychiatrie und für Psychotherapeutische Medizin. Er ist berechtigt, die Gebietsbezeichnung Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie sowie die Zusatzbezeichnungen Psychotherapie und Rehabilitationswesen zu führen und hat die Fachkunde Suchttherapie im Gebiet Psychiatrie und Psychotherapie nachgewiesen. Die Eintragung des Klägers ins Arztregister der Beigeladenen Nr. 1 erfolgte am 22.11.1999. Der in S. wohnhafte Kläger, der bis 31.5.2000 bei einer Klinik beschäftigt war, beantragte am 20.1.2000 die Zulassung zur vertragsärztlichen Tätigkeit als "Ärztlicher Psychotherapeut" in T ... Im Zulassungsantrag nannte er keine konkrete Praxisanschrift.

Der Zulassungsausschuss ließ den Kläger mit Wirkung vom 1.6.2000 als Facharzt für Psychotherapeutische Medizin in T. zur vertragsärztlichen Versorgung zu (Beschluss vom 22.3.2000/Bescheid vom 3.4.2000). Seinen Beschluss versah der Zulassungsausschuss mit folgenden Nebenbestimmungen: "Herr T. hat der Geschäftsstelle des Zulassungsausschusses bis spätestens 3 Monate nach Rechtskraft der Entscheidung (§ 20 Abs. 3 Ärzte-ZV) einen Mietvertrag sowie eine Einwohnermeldebestätigung der Stadt T. einzureichen, denen zu entnehmen ist, dass er seinen Hauptwohnsitz nach T. verlegt hat. Bis spätestens zum 31.5.2000 hat Herr T. die konkrete Praxisanschrift mitzuteilen. Die Zulassung endet, wenn die vertragsärztliche Tätigkeit nicht innerhalb von 3 Monaten nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung aufgenommen wird (in Analogie zu § 19 Abs. 3 Ärzte-ZV)."

Gegen den ihm am 7.4.2000 zugestellten Bescheid des Zulassungsausschusses erhob der Kläger am 17.4.2000 Widerspruch, soweit er durch die Nebenbestimmung dazu verpflichtet werde, bis spätestens 3 Monate nach Rechtskraft der Entscheidung einen Mietvertrag sowie eine Einwohnermeldebestätigung der Stadt T. einzureichen, denen zu entnehmen sei, dass er seinen Hauptwohnsitz nach T. verlegt habe. Er machte geltend, die Distanz zwischen seinem Wohnsitz in der in S. und seinen (inzwischen angemieteten und dem Zulassungsausschuss mitgeteilten) Praxisräumlichkeiten in der in T. betrage exakt 23 Kilometer. Die Praxis könne in spätestens 20 Minuten erreicht werden. Soweit er am organisierten Notfalldienst teilzunehmen habe, halte er sich ohnehin in seinen Praxisräumen auf. Damit sei die Präsenzpflicht, wie sie an einen Facharzt für Psychotherapeutische Medizin zu stellen sei, erfüllt. Zudem habe er die Möglichkeit der verbalen Intervention auch im Rahmen von Telephongesprächen.

Der Beklagte wies den Widerspruch des Klägers zurück und ordnete die sofortige Vollziehung seiner Entscheidung an (Beschluss vom 16.8.2000/Bescheid vom 21.9.2000). Zur Begründung führte er aus, der Kläger erfülle die Voraussetzungen des § 24 der Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV) nicht. Bei einer Entfernung von S. bis T. von ca. 23 Auto-Kilometer zuzüglich der Fahrtstrecke innerhalb von T. stehe er für die Patienten nicht jederzeit zur Verfügung. In Krisensituationen sowie in Notfällen könne er nicht ausreichend schnell genug die Patienten unmittelbar erreichen, so dass damit erhebliche Gefahren für den Gesundheitszustand des Patienten verbunden seien. Bei schlechten Straßenverkehrsverhältnissen wie bei Schnee- und Eisglätte, bei Regen und bei erheblichen Verkehrsbehinderungen, die in Stoßzeiten, bei Verkehrsunfällen oder bei Bauarbeiten zu besorgen seien, könnten die Patienten nicht ausreichend schnell erreicht werden. Der fernmündliche Kontakt mit den Patienten vermöge dieses Manko nicht zu kompensieren. Die mit der Zulassungsentscheidung verbundene Nebenbestimmung sei zur Sicherung der vertragsärztlichen Versorgung der Versicherten am Praxisort auch notwendig.

Gegen den seinen Prozessbevollmächtigten am 13.11.2000 zugestellten Bescheid des Beklagten hat der Kläger am 13.12.2000 Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben und die Auffassung vertreten, die Maßgaben des Rettungsdienstgesetzes des Landes Baden-Württemberg vom 19.11.1991, GBl 1991 S. 713, geändert durch Gesetz vom 18.12.1995 (GBl S. 879) (RDG) seien auf die Präsenzpflichten der Ärzte-ZV nicht analog anwendbar. Das Gegenteil sei der Fall. Unabhängig davon müsse den Besonderheiten des Fachgebietes Rechnung getragen werden. Der Beklagte verkenne, dass es auch bei einer (von ihm als Höchstgrenze angesehenen) Distanz von 15 Kilometer zwischen Wohnsitz und Praxis es zu Baustellen, Verkehrsbehinderungen im Winter und Unfällen kommen könne, welche verhinderten, dass die Distanz binnen 30 Minuten überwunden werden könne.

Das SG hat mit Urteil vom 17.10.2001 den Bescheid des Beklagten vom 21.9.2000 insoweit aufgehoben, als der Kläger durch ihn verpflichtet wird, einen Mietvertrag sowie eine Einwohnermeldebestätigung der Stadt T. einzureichen, denen zu entnehmen ist, dass er seinen Hauptwohnsitz nach T. verlegt hat. Zur Begründung hat es ausgeführt, auch wenn mit dem Beklagten davon auszugehen wäre, dass der Verpflichtung des Vertragsarztes, in angemessener Zeit an seinem Vertragsarztsitz zur Verfügung zu stehen, nur bei einer Entfernung zwischen Praxissitz und Wohnsitz von höchstens 15 Kilometer Rechnung getragen werden könne, wäre die in der Nebenbestimmung erfolgte Festlegung des Wohnortes nicht wegen der sich aus § 24 Abs. 2 Satz 2 Ärzte-ZV ergebenden Verpflichtung gerechtfertigt. Schon gar nicht gerechtfertigt sei die in der Nebenbestimmung dem Kläger auferlegte Verpflichtung, einen Mietvertrag vorzulegen. Schließlich sei aber auch die Annahme des Beklagten, für die Beurteilung der Verfügbarkeit des Vertragsarztes sei auf die im RDG vorgesehenen Distanz von 15 Kilometer abzustellen, rechtlich nicht zu begründen. Ob der Vertragsarzt in angemessener Zeit den Versicherten an seinem Vertragsarztsitz zur Verfügung stehe, könne nicht allein von einer starren Entfernungsgrenze abhängig gemacht werden. Zu berücksichtigen sei auch das Fachgebiet des Vertragsarztes und der Umstand, ob sich die Praxis und der Wohnort im ländlichen Raum oder in einem städtischen Ballungszentrum befinde. Bei Berücksichtigung der sich nach der Generalkarte ergebenden Distanz von 23 Kilometer zwischen T. und S. ergäben sich keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass eine ausreichende Verfügbarkeit des Klägers für die psychotherapeutische Behandlung der Versicherten an seinem Praxissitz nicht gewährleistet wäre.

Gegen das ihm am 23.10.2001 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 29.10.2001 Berufung eingelegt. Er hält zwar das angefochtene Urteil insoweit für zutreffend, als es ausführt, die Nebenbestimmung, der Arzt müsse seinen Hauptwohnsitz nach T. verlegen und einen Mietvertrag vorlegen, könne aus Rechtsgründen nicht gerechtfertigt werden. Er ist aber weiterhin der Auffassung, dass auf der Grundlage des RDG die Präsenzpflicht nur dann erfüllt sei, wenn die Distanz von Wohnung zu Praxis nicht mehr als 15 Kilometer bzw. 15 Minuten betrage. Dem werde die Entfernung von 23 Kilometer zwischen Wohnung und Praxis nicht gerecht. Im Hinblick auf die gebotene Verfügbarkeit von Psychotherapeuten, die mit den Ärzten gleichgestellt seien, könne und müsse das RDG entsprechend zur Anwendung kommen. Denn bei der psychotherapeutischen Behandlung könne es zu notfallmäßigen Krisenintervention etwa bei Selbstmordabsichten, Dekompensationen oder psychotischen Entgleisungen kommen. Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 17. Oktober 2001 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. § 24 Ärzte-ZV sei keine geeignete Rechtsgrundlage für eine Auflage hinsichtlich der Wohnsitzwahl des Arztes. Im RDG sei weder von 15 Minuten noch von 15 Kilometer die Rede, sondern von einer bedarfsgerechten und wirtschaftlichen Versorgung der Bevölkerung.

Die übrigen Beteiligten haben im Berufungsverfahren keine Anträge gestellt.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Senatsakte, die Akte des SG sowie die vom Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung des Beklagten, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten nach §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) entscheidet, ist zulässig. Sie ist insbesondere statthaft. Ein Berufungsausschlussgrund des § 144 Abs. 1 SGG ist nicht gegeben. Denn die Klage betrifft keine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt und es handelt sich auch nicht um eine Erstattungsstreitigkeit zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder Behörden.

II.

Die zulässige Berufung des Beklagten ist unbegründet. Das SG hat den Bescheid des Beklagten hinsichtlich der Nebenbestimmung, den Hauptwohnsitz zu verlegen, zu Recht aufgehoben.

Die Nebenbestimmung, die der Beklagte der Zulassung des Klägers zur vertragsärztlichen Versorgung beigefügt hat, ist gesondert anfechtbar (vgl. BSG, Urteil vom 30.1.2002 - B 6 KA 20/01 R -, mwN). Diese Nebenbestimmung ist im Laufe des gerichtlichen Verfahrens weder durch einen Bescheid gem. § 96 SGG noch durch ein Anerkenntnis geändert worden. Über ihre Rechtmäßigkeit hat der Senat somit zu entscheiden. Soweit der Bevollmächtigte des Beklagten im Berufungsverfahren die Auffassung vertreten hat, dass nicht mehr daran festgehalten werde, dass der Kläger einen Mietvertrag vorlegen müsse und es ausreiche, wenn er seinen Wohnsitz im Umkreis von 15 Kilometer vom Praxissitz nehme, handelt es sich um eine bloße Meinungsäußerung.

Die Nebenbestimmung, den Hauptwohnsitz zu verlegen und dies durch die Vorlage bestimmter Unterlagen nachzuweisen, ist rechtswidrig.

Nach § 32 Abs. 1 SGB X darf ein Verwaltungsakt, auf den ein Rechtsanspruch besteht, mit einer Nebenbestimmung nur versehen werden, wenn sie durch Rechtsvorschrift zugelassen ist (1. Alternative) oder wenn sie sicherstellen soll, dass die gesetzlichen Voraussetzungen des Verwaltungsaktes erfüllt werden (2. Alternative). Die Vorschrift gibt im Rahmen der 2. Alternative des Abs. 1 aaO (Sicherstellung, dass gesetzliche Voraussetzungen des Verwaltungsaktes erfüllt werden) der Verwaltung die Möglichkeit, über die Gewährung von Vorschüssen i.S. von § 42 Abs. 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) hinaus einen begünstigenden Verwaltungsakt, auf den ein Rechtsanspruch besteht, schon dann zu erlassen, wenn zwar wesentliche, aber noch nicht alle tatbestandlichen Voraussetzungen der Anspruchsnorm erfüllt oder nachgewiesen sind, also noch nicht endgültig feststeht, ob der Anspruch überhaupt dem Grunde nach besteht. Die Norm darf grundsätzlich nur herangezogen werden, um die Erfüllung geringfügiger tatbestandlicher Voraussetzungen eines Verwaltungsaktes sicherzustellen (vgl. zum Ganzen; BSG SozR 3-2500 § 85 Nr. 42, mwN). In welchem Umfang unter Berücksichtigung dessen einem statusbegründenden Verwaltungsakt wie dem der Zulassung - abgesehen von den in der Ärzte-ZV ausdrücklich geregelten Fällen, z.B. § 20 Abs. 3 Ärzte-ZV - die Beifügung einer Nebenbestimmung überhaupt rechtens ist (offengelassen auch BSG, Urteil vom 17.11.1999 - B 6 KA 30/99 R -), kann dahingestellt bleiben. Denn jedenfalls ist die angefochtene Nebenbestimmung inhaltlich rechtswidrig.

Nach § 24 Abs. 2 Ärzte-ZV muss der Vertragsarzt am Vertragsarztsitz seine Sprechstunde halten. Er hat seine Wohnung so zu wählen, dass er für die ärztliche Versorgung der Versicherten an seinem Vertragsarztsitz zur Verfügung steht. Ob der Vertragsarzt seiner Residenzpflicht genügt, kann - wie das SG zutreffend ausgeführt hat - nur im Einzelfall unter Berücksichtigung der Verkehrsanbindungen und der Verkehrsverhältnisse entscheiden werden (Schallen, Kommentar zur Zulassungsverordnung für Vertragsärzte und Vertragszahnärzte, 1998, Rdnr. 285; vgl. auch Urteil des Senats vom 14.7.1999 - L 5 KA 3006/98, veröffentlicht in juris zur Residenzpflicht eines Belegarztes). Eine feste Grenze, wonach der Vertragsarzt in 15 Minuten seine Praxis erreichen muss, ist nicht sachgerecht.

Entgegen der Auffassung des Beklagten kann hierfür nicht das RDG herangezogen werden, insbesondere die nach § 3 Abs. 2 Satz 6 RDG Hilfsfrist für den bodengebundenen Rettungsdienst von möglichst nicht mehr als 10, höchstens 15 Minuten. Das RDG regelt die Sicherstellung der bedarfsgerechten Versorgung der Bevölkerung mit Leistungen der Notfallrettung und des Krankentransportes zu sozial tragbaren Benutzungsentgelten (§ 1 Abs. 1 RDG). Gegenstand der Regelung ist ausschließlich die Notfallrettung. Bei einem akuten Notfall, der unmittelbare Hilfe erfordert, steht der niedergelassene Vertragsarzt hierfür nur zur Verfügung, wenn der Notfall sich in seiner unmittelbaren Nähe ereignet. Dies wird aber nur selten der Fall sein.

Selbst wenn der Kläger sich in seiner Praxis aufhält, wird er nicht all seinen Patienten innerhalb von 15 Minuten zur Verfügung stehen können. Dies gilt nur für jene Patienten, die in einem Umkreis der Praxis sich gewöhnlich aufhalten, den der Kläger innerhalb von 15 Minuten erreichen kann. Die Vorgabe des Beklagten, der Vertragsarzt müsse seinen Patienten binnen 15 Minuten zur Verfügung stehen, erfasst außerhalb der Praxiszeit nur Patienten, die entweder vor der Praxis warten oder die Praxis innerhalb dieser Zeit erreichen können. Andernfalls sind zu den 15 Minuten noch weitere Zeiten entweder des Arztes oder des Patienten zu addieren. Auch unter diesem Aspekt ist eine strikte 15 Minutengrenze wenig sachgerecht.

Soweit der Vertragsarzt für Notfälle zur Verfügung stehen muss, darf überdies das System des ärztlichen Notfalldienstes nicht unbeachtet bleiben. Es umfasst nach § 75 Abs. 1 Satz 2 SGB V die vertragsärztliche Versorgung zu den sprechstundenfreien Zeiten, nicht jedoch die notärztliche Versorgung im Rahmen des Rettungsdienstes, soweit Landesrecht nichts anderes bestimmt. Für die Versorgung von Notfällen ist es viel wichtiger, dass ein Notfalldienst flächendeckend so organisiert ist, dass im Notfall ein bereiter Arzt in kürzester Zeit erreichbar ist. Regelmäßig werden Notfallpatienten den Notfalldienst habenden Arzt aufsuchen und nicht den behandelnden Arzt, von dem sie nicht wissen, ob er in der sprechstundenfreien Zeit überhaupt erreichbar ist. Schnelle Erreichbarkeit gerade des behandelnden Arztes dürfte daher nur für die Patienten von Bedeutung sein, bei denen ein Notfall eintritt und gerade die Kenntnis der Krankengeschichte für die Notfallbehandlung von Bedeutung ist. Dies wird bei Patienten, die psychotherapeutischer Behandlung bedürfen, angesichts auch der geringen Fallzahlen von Psychotherapeuten nur in seltenen Ausnahmefällen der Fall sein. Ob im Falle etwa von Hausärzten, die von Patienten sehr viel häufiger angesprochen werden und die häufig in der sprechstundenfreien Zeit auch zu Hausbesuchen gerufen werden, eine andere Beurteilung erforderlich ist, kann offen bleiben. Im Falle des Klägers als Facharzt für Psychotherapeutische Medizin kann eine stärkere Präsenzpflicht nicht mit dem Erfordernis begründet werden, er müsse, um für Notfallbehandlungen zur Verfügung stehen, näher an seinem Praxissitz wohnen. Während des regulären Notfalldienstes hält sich der Kläger nach eigenen Angaben ohnedies stets in seiner Praxis auf.

Daraus folgt, dass die sich aus § 24 Abs. 2 Ärzte-ZV ergebenden Residenzpflicht des Vertragsarztes nicht den Zweck hat, der Vertragsarzt müsse zu einer umgehenden Notfallbehandlung seiner Patienten zur Verfügung stehen. Vielmehr soll mit dieser Regelung sichergestellt werden, dass der Vertragsarzt in der Lage ist, an seinem Praxissitz ausreichend Sprechstunden anzubieten. Der Vertragsarzt soll nicht auf Grund einer möglicherweise weiten Entfernung von seiner Wohnung nur ein- bis zweimal pro Woche Sprechstunde halten, sondern möglichst jeden Tag in ausreichendem Umfang. Ob diese Rechtsauffassung es auch erlauben würde, über weite Entfernungen zur Praxis anzufahren, sofern der Arzt während der fachgruppen- bzw. ortsüblichen Sprechstundenzeiten in seiner Praxis erreichbar ist, braucht angesichts der hier streitigen Entfernungen nicht entschieden zu werden.

Unter Berücksichtigung dessen ist eine Entfernung von 23 Kilometer, die der Kläger, da überwiegend überörtliche Straßen benutzt werden können, in ca. 30 Minuten zurücklegen kann, ausreichend, um den Versicherten in ausreichendem Maße zur Verfügung zu stehen.

Soweit der Beklagte schließlich darauf abhebt, dass bei schlechten Straßenverkehrsverhältnisse wie bei Schnee- und Eisglätte, bei Regen und bei erheblichen Verkehrsbehinderungen, die in Stoßzeiten, bei Verkehrsunfällen und bei Bauarbeiten zu besorgen seien, der Kläger die Patienten nicht ausreichend schnell erreichen könne, rechtfertigt dies die Nebenbestimmung ebenfalls nicht. Diese Umstände können auch die Anfahrt des Arztes zu einem (Notfall-)Patienten behindern, der einen Wohnsitz in einem Umkreis von 15 Kilometer bzw. 15 Minuten zu seiner Praxis hat. Ausschließen ließe sich dies - worauf der Kläger zu Recht hingewiesen hat (Schriftsatz vom 7.8.2001, Blatt 36 SG-Akte) - nur, wenn der Vertragsarzt entweder seine Praxis und seine Wohnung im selben Haus oder seine Wohnung in unmittelbarer Nähe der Praxis hat, so dass er den Weg zu Fuß zurücklegen kann. Dies wird auch von dem Beklagten nicht gefordert

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

Der Senat hat die Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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