L 9 RJ 95/01

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 2 RJ 2644/00
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 RJ 95/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Regelung des § 256 Abs. 3 SBG VI, wonach für Wehr- und Zivildienstzeiten vor dem 1.5.1961 und im Zeitraum vom 1.1.1982 bis 31.12.1991 für jedes volle Kalenderjahr 0,75 Entgeltpunkte (EP), für die Zeit vom 1.5.1961 bis zum 31.12.1981 jedoch 1,0 EP zugrunde zu legen sind, verstößt nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 15. November 2000 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung einer höheren Altersrente unter Berücksichtigung der Wehrdienstzeit.

Der am 1939 geborene Kläger beantragte am 16.4.1999 die Gewährung von Altersrente wegen Arbeitslosigkeit.

Mit Bescheid vom 20.5.1999 gewährte die Beklagte dem Kläger Altersrente wegen Arbeitslosigkeit ab 1.8.1999 in Höhe von DM 2751,92, wobei sie eine Versicherungspflicht in der Kranken- und Pflegeversicherung der Rentner unterstellte, um die Erteilung des Rentenbescheides nicht zu verzögern. Außerdem erklärte sie sich bereit, die Rente neu zu berechnen, wenn die Lehrzeit außerhalb der ersten 36 Kalendermonate läge.

Mit Bescheid vom 28.7.1999 nahm die Beklagte eine Neufeststellung vor, wobei sie die Zeit vom 2.5.1955 bis 31.10.1958 als Lehrzeit berücksichtigte und dem Kläger Beitragszuschüsse zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung gewährte. Der Zahlbetrag der Altersrente wegen Arbeitslosigkeit belief sich ab 01.09.1999 auf DM 3216.-.

Gegen den letztgenannten Bescheid erhob der Kläger am 30.8.1999 Widerspruch, ohne diesen zu begründen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 7.4.2000 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Gegen den am 11.4.2000 abgesandten Widerspruchsbescheid erhob der Kläger am 3.5.2000 Klage zum Sozialgericht (SG) Stuttgart, mit der er die Gewährung einer höheren Altersrente wegen Arbeitslosigkeit unter Berücksichtigung der Wehrdienstzeit vom 02.04. 1959 bis 31.3.1960 mit 1,0 Entgeltpunkten (EP) anstelle von 0,75 EP begehrte.

Durch Urteil vom 15.11.2000 wies das SG die Klage ab. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.

Gegen das am 12.12.2000 zur Post gegebene Urteil hat der Kläger am 5.1.2001 Berufung eingelegt und vorgetragen, bei der Rentenberechnung würden für die Wehrdienstzeit vor Mai 1961 0,75 EP und ab Mai 1961 ein EP zugrundegelegt. Dies führe zu einer Ungleichbehandlung und stelle einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz dar. Es werde eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht angeregt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 15. November 2000 aufzuheben und den Bescheid der Beklagte vom 28. Juli 1999 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. April 2000 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm eine höhere Altersrente wegen Arbeitslosigkeit unter Berücksichtigung der Zeit vom 2. April 1959 bis 31. März 1960 mit einem Entgeltpunkt zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes wird auf die Akten der Beklagten, des SG sowie des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor.

Die Berufung des Klägers ist jedoch nicht begründet. Das angefochtene Urteil des SG sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden, da der Kläger keinen Anspruch auf höhere Altersrente wegen Arbeitslosigkeit hat. Die Beklagte hat die Wehrdienstzeit zu Recht mit 0,75 EP berücksichtigt. Maßgebend für den Anspruch des Klägers ist § 38 Satz 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) in der bis zum 31.12.1999 geltenden Fassung, die gemäß § 300 Abs. 2 SGB VI vorliegend noch anzuwenden ist, in Verbindung mit § 63 ff. SGB VI. Die Höhe einer Rente richtet sich vor allem nach der Höhe der während des Versicherungslebens durch Beiträge versicherten Arbeitsentgelte und Arbeitseinkommen (§ 63 Abs. 1 SGB VI). Nach Abs. 2 dieser Vorschrift wird das durch Beiträge versicherte Arbeitsentgelt und Arbeitseinkommen in EP umgerechnet. Die Versicherung eines Arbeitsentgelts oder Arbeitseinkommens in Höhe des Durchschnittsentgelts eines Kalenderjahres ergibt einen vollen EP.

Für Zeiten vom 1. Januar 1982 bis zum 31. Dezember 1991, für die Pflichtbeiträge gezahlt worden sind für Personen, die auf Grund gesetzlicher Pflicht mehr als drei Tage Wehrdienst oder Zivildienst geleistet haben, werden für jedes volle Kalenderjahr 0,75 EP, für die Zeit vom 1.5.1961 bis zum 31.12.1981 1,0 EP, für jeden Teilzeitraum der entsprechende Anteil zugrundegelegt (§ 256 Abs. 3 Satz 1 SGB VI). Für Zeiten vor dem 1.5.1961 gilt Satz 1 mit der Maßgabe, dass auf Antrag 0,75 EP zugrundegelegt werden (§ 256 Abs. 3 Satz 3 SGB VI).

Die Beklagte hat beim Kläger für die Wehrdienstzeit vom 02.04.1959 bis 31.3.1960 die gesetzlich vorgesehenen EP von 0,75 zugrundegelegt.

Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) liegt nicht vor. Eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 GG scheidet aus.

Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Damit ist dem Gesetzgeber aber nicht jede Differenzierung verwehrt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) will der Gleichheitssatz ausschließen, dass Gruppen von Normadressaten unterschiedlich behandelt werden, obwohl zwischen ihnen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die Ungleichbehandlung rechtfertigen können. Die rechtliche Unterscheidung muss also in sachlichen Unterschieden eine ausreichende Stütze finden. Die Anwendung dieses Grundsatzes verlangt den Vergleich von Lebenssachverhalten, die sich nie in allen, sondern stets nur in einzelnen Merkmalen gleichen. Unter diesen Umständen ist es Sache des Gesetzgebers zu entscheiden, welche von diesen Merkmalen er als maßgebend für eine Gleich- oder Ungleichbehandlung ansieht. Art. 3 Abs. 1 GG verbietet es ihm nur, dabei Art und Gewicht der tatsächlichen Unterschiede sachwidrig außer Acht zu lassen. Innerhalb dieser Grenzen ist er in seiner Entscheidung frei, soweit sich nicht aus anderen Verfassungsnormen weitergehende Einschränkungen ergeben (BSG vom 24.2.1999 in SozR 3-2600 § 300 Nr. 14 S. m.w.N.).

Die vom Gesetzgeber getroffenen Stichtagsregelungen, wonach bei Personen, die Wehrdienst geleistet haben, danach unterschieden wird, wann sie diesen geleistet haben und dementsprechend die zu berücksichtigenden EP bestimmt werden, ist sachlich vertretbar und verletzt nicht den Gleichheitsgrundsatz. Der Gesetzgeber des SGB VI hat sich nämlich an früheren gesetzlichen Regelungen orientiert.

§ 256 Abs. 3 SGB VI gibt insoweit die Entwicklung des Umfangs der Versicherungspflicht der Wehrpflichtigen wieder. Vor dem Gesetz zur Änderung sozialrechtlicher Vorschriften vom 25.04.1961 (BGB I 465) waren für die Beiträge der nach § 1227 Abs. 1 Nr. 6 Reichsversicherungsordnung (RVO) versicherungspflichtigen Wehrpflichtigen die Geld- und Sachbezüge maßgebend, die sie nach den Vorschriften des Soldatengesetzes erhielten (§ 1385 Abs. 3 Buchstabe d RVO). Diese Pflichtbeiträge wurden vom Bund getragen (§ 1385 Abs. 4 Buchstabe d RVO). Durch das Gesetz zur Änderung sozialrechtlicher Vorschriften vom 25.04.1961 – Art. 1 Nr. 7 – wurde § 1385 Abs. 3 Buchstabe d RVO geändert. Maßgeblich für die vom Bund zu entrichtenden Beiträge wurde ab 01.05.1961 das durchschnittliche Arbeitsentgelt aller Versicherten der Rentenversicherung der Arbeiter, der Angestellten und der knappschaftlichen Rentenversicherung. Durch das Zweite Gesetz zur Verbesserung der Haushaltsstruktur vom 22.12.1981 (BGBl I/1523 – Art. 9 Nr. 6) wurden den vom Bund für die Wehrpflichtigen zu entrichtenden Beiträgen 75 v.H. des durchschnittlichen Bruttoarbeitsentgelts aller Versicherten zugrundegelegt. Durch das Haushaltsbegleitgesetz 1983 (BGBl I, 1857 – Art. 19 Nr. 41 -) wurde die Zahl 75 in § 1385 Abs. 3 RVO durch die Zahl 70 ersetzt, das heißt, der Bund zahlte ab dem 01.01.1983 Beiträge für die Wehrpflichtigen noch aus 70 v.H. des durchschnittlichen Bruttoarbeitsverdienstes aller Versicherten. In dieser Höhe wurden Beiträge bis zum Inkrafttreten des SGB VI entrichtet. Seit dem 01.01.1992 galt § 166 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI, wonach beitragspflichtige Einnahmen bei Wehrpflichtigen 80 v.H. der Bezugsgröße sind. Die Bezugsgröße ist nach der Legaldefinition des § 18 Abs. 1 SGB IV das Durchschnittentgelt der gesetzlichen Rentenversicherung im vorvergangenen Kalenderjahr. Sie liegt geringfügig niedriger als das Durchschnittsentgelt aller Versicherten i.S.d. § 63 Abs. 2 Satz 2 SGB VI, dessen Versicherung in einem Jahr einen Entgeltpunkt ergibt. Mithin wurden bis zum 31.12.1999 durch die Wehrpflichtigen pro Jahr ca. 0,75 EP erreicht. Dementsprechend wurde durch § 256 Abs. 3 SGB VI für die Zeiten vor dem 01.05.1961 und vom 01.01.1982 bis zum 31.12.1991 bestimmt, dass für jedes volle Kalenderjahr – für die Zeit vor dem 01.05.1961 auf Antrag – 0,75 Entgeltpunkte zugrunde zulegen sind. Mithin wurde für diese Zeiträume nachträglich eine höhere Bewertung eingeführt, die nach der Gesetzesbegründung eine gleiche Bewertung mit den künftigen Beitragszeiten (ab 01.01.1992) sicherstellen solle. Durch das Haushaltssanierungsgesetz vom 22.12.1999 (BGBl I/2534) wurden die beitragspflichtigen Einnahmen der Wehrpflichtigen ab 01.01.2000 allerdings auf 60 vom Hundert der Bezugsgröße abgesenkt.

Ein Anspruch des Klägers, so gestellt zu werden, als habe er den Wehrdienst in der Zeit vom 1.5.1961 bis 31.12.1981 geleistet, lässt sich angesichts dieser Entwicklung der gesetzlichen Regelung mit dem Gleichheitsgrundsatz nicht begründen. Vielmehr ist der Gesetzgeber nicht verpflichtet, Vergünstigungen, die ab einem bestimmten Zeitpunkt eingeführt werden, rückwirkend auf alle betroffenen Versicherten zu erstrecken bzw. sie sodann unverändert fortbestehen zu lassen. In diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, dass Rentenansprüche und Rentenanwartschaften des Einzelnen Bestandteile eines Leistungssystems sind, dem eine besonders bedeutsame soziale Funktion zukommt. Die Berechtigung des einzelnen Versicherten ist eingefügt in einen Gesamtzusammenhang, der auf dem Gedanken der Solidargemeinschaft und des sogenannten Generationenvertrages beruht. Grundsätzlich kann ein Pflichtversicherter, der der gesetzlichen Rentenversicherung angehört, im Hinblick auf die Erhaltung der Funktions- und Leistungsfähigkeit des Systems nicht erwarten und darf mithin auch nicht darauf vertrauen, dass bei einer Veränderung der wirtschaftlichen Verhältnisse, die zu Einbußen der Einnahmen der Versicherungsgemeinschaft führen, die gesetzlichen Vorschriften über die Leistungen während seines gesamten Versicherungslebens bis zum Eintritt des Leistungsfalles unverändert fortbestehen; der Versicherte muss, sowohl was die Chancen als auch die Risiken anbelangt, mit Änderungen der Vorschriften rechnen (vgl. hierzu BVerfGE 58, 81, 122f; BVerfGE 64, 87, 105) Dasselbe gilt in Bezug auf die vom Bund bzw. dem Steuerzahler zu finanzierenden Beiträge.

Vor diesem Hintergrund vermag der Senat in der Tatsache, dass der Bund in den wirtschaftlichen guten Zeiten von 1961 bis 1981 für die Wehrpflichtigen Beiträge auf der Grundlage des durchschnittlichen Bruttoarbeitsverdienstes entrichtet hat, während für die Zeit zuvor und die wirtschaftlich schlechteren Zeiten danach bis einschließlich 1999 teilweise im Wege des sozialen Ausgleichs die Wehrdienstzeiten mit 0,75 EP pro Jahr bewertet werden, keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung zu erkennen.

Das Rentenrecht unterliegt vielmehr zahlreichen Veränderungen; Ziele der gesetzlichen Änderungen (z. B. Einsparungen) würden häufig nicht erreicht, wenn Stichtagsregelungen nicht möglich wären. So profitiert zum Beispiel der Kläger von einer abschlagsfreien Altersrente wegen Arbeitslosigkeit, die zwischenzeitlich in Wegfall gekommen ist.

Nach alledem ist das angefochtene Urteil des SG im Ergebnis nicht zu beanstanden. Die Berufung des Klägers musste deswegen zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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