L 2 U 372/02

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 4 U 168/00
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 372/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 351/04 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 10.10.2002 und der Bescheid der Beklagten vom 28.01.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.04.2000 aufgehoben. Es wird festgestellt, dass der Unfall des Klägers am 07.11.1995 ein Arbeitsunfall war.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Feststellung eines Arbeitsunfalls.

Der Kläger war von Februar 1995 bis Februar 1997 als Betreiber eines Pub versichert. Er erlitt am 07.11.1995 gegen 22.00 Uhr eine offene Unterschenkelfraktur. Der herbeigerufene Notarzt berichtete später, der Verletzte habe ihm geschildert, er sei mit dem Schienbein gegen eine Autostoßstange gestoßen und habe sich dann das Bein verdreht.

Am 17.11.1995 zeigte der Kläger den Unfall seiner privaten Versicherung an und gab an, er habe auf der Beifahrerseite aus einem Lkw aussteigen wollen, habe in der Dunkelheit das Trittbrett verfehlt bzw. sei ausgerutscht und ca. 1,5 m nach unten gefallen.

Am 03.11.1999 zeigte der Kläger diesen Unfall bei der Beklagten an. Ein ausländischer Lkw-Fahrer, der seine Ladung habe zustellen wollen, habe sich in seinem Lokal nach der Adresse einer Firma in unmittelbare Nähe erkundigt. Der Kläger habe ihm eine Lageskizze gezeichnet, der Fahrer sei jedoch kurz darauf zurückgekehrt, weil er die Adresse nicht gefunden habe. Daraufhin habe sich der Kläger bereit erklärt, kurz mitzufahren und ihm den Weg zu zeigen. Anschließend sollte der Fahrer ihn ins Pub zurückbringen. Vor der betreffenden Firma habe der Kläger aus dem Lkw aussteigen wollen. Dabei (Dunkelheit und Schneetreiben) sei er vom Trittbrett abgerutscht und auf die Straße gestürzt.

Mit Bescheid vom 28.01.2000 lehnte die Beklagte die Gewährung von Entschädigungen ab. Bei dem zum Unfall führenden Verhalten des Klägers habe es sich um eine Gefälligkeitsleistung gehandelt, die dem normalen privaten Bereich zuzuordnen sei. Sein Tätigsein sei nicht im Interesse des Unternehmens geschehen. Den anschließenden, nicht näher begründeten Widerspruch, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 27.04.2000 als unbegründet zurück.

Im Klageverfahren hat der Kläger erklärt, der betreffende Lkw-Fahrer habe ihm zugesichert, er wolle später etwas im Lokal essen und trinken. Das von dem LKW-Fahrer gesuchte Firmengelände sei nur wenige 100 Meter vom Lokal entfernt.

Mit Urteil vom 24.09.2002 hat das Sozialgericht die Klage als unbegründet abgewiesen. Das zum Unfall führende Verhalten des Klägers habe nicht dem Unternehmen gedient, es habe sich vielmehr um eine unversicherte Gefälligkeitshandlung gehandelt.

Mit seiner Berufung wiederholt der Kläger seine Darstellung der Vorgeschichte zum Unfall und führt zusätzlich aus, er wäre mit dem Lkw-Fahrer nicht mitgefahren, wenn dieser nicht versichert hätte, dass er im Anschluss daran bei ihm im Lokal Bestellungen aufgeben werde. Außerdem habe sich der Unfall während der Zeit des Geschäftsbetriebes ereignet.

Er hat zwei Zeugen benannt, von denen der eine bestätigen könne, dass der LKW-Fahrer zweimal im Lokal erschienen sei und der andere, dass er nach dem Unfall im Lokal von dem Hergang unterrichtet worden sei.

In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger auf Befragen eine detaillierte Darstellung des Vorgangs gegeben, die seinem vorherigen Vortrag entspricht. Zum zweiten Gespräch mit dem LKW-Fahrer hat er angegeben: "Daraufhin bot ich ihm an, mit ihm zu fahren und ihm den Weg zu zeigen, wenn er im Anschluss daran mich gleich wieder zurückfahren und bei mir kurz einkehren würde. Dazu erklärte er sich gleich bereit." Ferner hat er angegeben: "Wenn der Unfall nicht passiert wäre, hätte der LKW-Fahrer den Hänger oder Aufleger im Betriebsgelände abgestellt und mich zu meinem Lokal zurückgefahren."

Auf die Einvernahme der Zeugen haben die Parteien sodann verzichtet. Der Vertreter der Beklagten hat erklärt, dass er keinen Zweifel habe, dass der Vorgang sich so abgespielt habe, wie ihn der Kläger geschildert habe. Für den Fall, dass der Senat zu dem Ergebnis komme, dass der Kläger zum Unfallzeitpunkt unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden habe, erkenne die Beklagte an, dass der Unfall mit Wahrscheinlichkeit zu einer Körperschädigung geführt habe.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 10.10.2002 aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 28.01.2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.04.2000 aufzuheben und festzustellen, dass der am 07.11.1995 einen Arbeitsunfall erlitten habe.

Die Beklagte beantragt, die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 10.10.2002 zurückzuweisen.

Zum Verfahren beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren die Akte der Beklagten und die Akte des Sozialgerichts Regensburg in dem vorangegangenen Klageverfahren. Auf ihren Inhalt wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die vom Kläger form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig; eine Beschränkung der Berufung nach § 144 SGG besteht nicht.

Die Berufung ist auch begründet. Der Kläger hat am 07.11.1995 einen Arbeitsunfall erlitten, für dessen Folgen ihn die Beklagte zu entschädigen hat.

Die Entscheidung über den Rechtsstreit richtet sich nach § 212 SGB VII nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung, weil der Unfall vor dem 01.01.1997 geschehen ist und keine der Übergangsvorschriften der §§ 213 f. SGB VII Anwendung findet.

Nach § 548 Abs.1 RVO war Arbeitsunfall ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 genannten Tätigkeiten erlitt. Der Kläger gehörte zum versicherten Personenkreis des § 543 Abs.1 RVO. Der streitgegenständliche Unfall ist auch bei der versicherten Tätigkeit als Unternehmer geschehen.

Dazu ist in der Regel erforderlich, dass das Verhalten, bei dem sich der Unfall ereignet hat, einerseits der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist, und dass diese Tätigkeit andererseits den Unfall herbeigeführt hat. Zunächst muss also eine sachliche Verbindung mit der im Gesetz genannten versicherten Tätigkeit bestehen, der innere Zusammenhang, der es rechtfertigt, das betreffende Verhalten der versicherten Tätigkeit zuzuordnen. Der innere Zusammenhang ist wertend zu ermitteln, in dem untersucht wird, ob die jeweilige Verrichtung innerhalb der Grenze liegt, bis zu welcher der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht. Aus dem Unternehmen herzuleitende Umstände müssen für die Anerkennung des Versicherungsschutzes beim Personenkreis der selbständig tätigen Versicherten ein wesentliches Glied in der Reihe derjenigen Ursachen bilden, die beim Zustandekommen des Unfalls zusammengewirkt haben, d.h. die Tätigkeit muss dem Unternehmen zu dienen bestimmt gewesen sein (vgl. BSG, Urteil vom 28.09.1999 Az: B 2 U 33/98 R).

Verrichtungen, die ein Unternehmer nicht unmittelbar im Betrieb, sondern nebenher, zur mittelbaren Förderung des Unternehmens vornimmt (z.B. Werbung, Kundendienst, Pflege des geschäftlichen Ansehens), können dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung unterstehen. Der Begriff des Betriebes umfasst auch alle Handlungen und Maßnahmen, die durch das äußere Dasein des Betriebes und seine Beziehungen zum öffentlichen Leben für den Betrieb als solchen veranlasst sind.

Für den vorliegenden Fall ist jedoch eine Trennungslinie zwischen einer wesentlich mit dem Unternehmen zusammenhängenden Unternehmertätigkeit und dem Bekunden allgemein menschlicher Hilfsbereitschaft zu ziehen. (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 14.10.1955 Az.: 2 RU 54/54). Einem Fremden den Weg zu zeigen, gehört weder im Allgemeinen noch im Fall des Klägers zu den mit dem Betreiben einer Gastwirtschaft unmittelbar verbundenen unternehmerischen Tätigkeiten. Solche Handlungen gehören vielmehr zu den Gefälligkeiten des täglichen Lebens, die typischer Weise von jeder hierfür zur Verfügung stehenden und geeignet erscheinenden Person erwartet und erbracht werden. Bei solchen unternehmensfremden Gefälligkeitsdiensten muss zur Bejahung des Versicherungsschutzes die Gefälligkeit als Kundendienst eng mit dem Einzelhandelsgeschäft oder der Gastwirtschaft zusammenhängen, insbesondere in unmittelbarer Verbindung zu bestimmten (kurz zuvor getätigten oder bald bevorstehenden) Geschäftsabschlüssen stehen. Die allgemeine Erwägung des Unternehmers, dass Gefälligkeiten die Kunden erhalten oder gewinnen, ließe eine klare, vom Unfallversicherungsrecht gebotene Entscheidung von Unternehmertätigkeit und privaten Handlungen unter Menschen, die auch geschäftliche Beziehungen unterhalten oder unterhalten können, kaum noch möglich erscheinen. Ein Versicherungsschutz könnte im vorliegenden Fall deshalb nicht allein dadurch begründet werden, dass der Unfall während der Geschäftszeiten des Klägers geschehen ist oder der Kläger als Gastwirt für besonders ortskundig gehalten wurde. Der Versicherungsschutz ist jedoch zu begründen durch den konkreten Zusammenhang zwischen der Hilfeleistung für den (potenziellen) Gast und dem in Aussicht stehenden Geschäftsabschluss in Gestalt einer entsprechenden Zeche.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hat im vorliegenden Fall ein solcher konkreter Zusammenhang bestanden. Danach hat es der Kläger, anders als bei dem ersten Versuch einer Hilfeleistung, bei der zweiten, weitergehenden Hilfeleistung ausdrücklich zur Bedingung gemacht, dass der LKW-Fahrer anschließend bei ihm einkehren werde. Damit ist der Zusammenhang zwischen der Gefälligkeitsleistung und dem konkret in Aussicht stehenden Geschäft begründet. Er ist es im konkreten Fall umso mehr, als bei dem geschilderten Ablauf tatsächlich zu erwarten war, dass der LKW-Fahrer den Kläger zurück zu seinem Lokal bringen werde und es damit eher unwahrscheinlich wurde, dass er sich anschließend der bestätigten Erwartung entziehen werde.

Der Senat stützt sich bei seiner Überzeugung von dem entsprechenden Sachverhalt auf die Angaben des Klägers, auf die allein einerseits ein Beweis begründet werden kann (BSG, Urteil vom 06.04.1989 Az: 2 RU 47/88; Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, 7. Auflage, § 103 Rdnr.7a; Peters-Sauter-Wolff, Kommentar zum SGG, § 103 Rdnr.2b, c, 3), und gegen die andrerseits keine ernsthaften Zweifel ersichtlich sind. Eine weitere Überprüfung durch Einvernahme der zwei genannten Zeugen war nicht veranlasst, denn sie hätten nach dem Parteivorbringen über den Inhalt des entscheidungserheblichen Gespräches zwischen dem Kläger und dem LKW-Fahrer nichts aussagen können, so dass insoweit kein weiterer Erkenntnisgewinn zu erwarten war.

Bei der Beurteilung des Versicherungsschutzes für den Kläger ist für den konkreten Fall nicht ersichtlich, dass die Grenzen, innerhalb derer eine Verrichtung noch als vom Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung erfasst angesehen werden kann, überschritten wurden. Das Verhältnis zwischen der vom Kläger angebotenen Hilfeleistung und der hiermit voraussichtlich verbundenen Unfallgefahr einerseits und dem erwarteten Geschäftsabschluss andrerseits kann nicht als unangemessen angesehen werden. Es ist hierbei zu berücksichtigen, dass es sich um einen Weg von wenigen hundert Metern handelte, der einschließlich des Arbeitsaufwandes an der anzufahrenden Betriebsstätte auch keinen unverhältnismäßigen Zeitaufwand bedeutet hätte. Als Beifahrer eines LKWs war der Kläger erfahrungsgemäß auch nicht einer besonderen Verkehrs- oder Betriebsgefährdung ausgesetzt. Da die Witterungsverhältnisse an der Betriebsstätte des Klägers wie am angesteuerten Firmengelände gleich waren, kann ein zusätzliches Unfallrisiko allenfalls im Ein- und Aussteigen beim LKW und beim Aufenthalt in der Nähe des rangierenden Fahrzeuges gesehen werden. Dieses Risiko kann jedoch nicht als so gravierend angesehen werden, dass es dem Kläger als unverhältnismäßig im Hinblick auf den zu erwartenden Geschäftsabschluss entgegengehalten werden könnte.

Bei dem Unfall hat der Kläger eine Gesundheitsstörung, wie sie begrifflich für die Annahme eines Arbeitsunfalles notwendig ist, erlitten. Insoweit bedurfte es keiner weiteren Beweiserhebung, ob und inwieweit die Unterschenkelfraktur oder sonst eine Verletzung wesentlich durch den Unfall wenigstens mitverursacht wurde. Sofern dies nicht ohnehin auf der Hand liegt, hätte die Beklagte bezüglich des Kausalzusammenhanges ein entsprechendes Anerkenntnis abgegeben. Zwar setzt nach § 101 Abs.2 SGG das Anerkenntnis als Gegenstand einen entsprechenden Anspruch des Klägers voraus. Indessen kann nach § 55 Abs.1 Nr.3 SGG die Feststellung begehrt werden, dass eine Gesundheitsstörung Folge eines Arbeitsunfalles ist. Damit ist der Ursachenzusammenhang einer gesonderten Feststellung im Klageverfahren zugänglich (BSG SozR 3-2200, § 81 Nr.16). Die Feststellungsfähigkeit umfasst die gesamte Kausalkette, soweit sie für einen späteren Leistungsanspruch als Element von Bedeutung sein kann (vgl. BSG, Urteil vom 03.04.1990 Az: 8 RKnU 3/88; Urteil vom 22.03. 1983 Az: 2 RU 64/81). Wenn bezüglich dieses Elements des Ursachenzusammenhanges ein Feststellungsanspruch besteht, dann ist dieser Anspruch auch einem Anerkenntnis zugänglich.

Die Entscheidung über die Kosten stützt sich auf § 193 SGG und folgt der Erwägung, dass der Kläger im Ergebnis in vollem Umfang obsiegt hat.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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