L 2 U 408/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 40 U 5091/99
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 408/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 07.11.2003 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die 1953 geborene Klägerin stürzte laut Unfallanzeige vom 14.04.1992 am 03.08.1991 von einem Pferd.

Vom 03.08. bis 28.08.1991 wurde sie im Kreiskrankenhaus M. behandelt. Der Chirurg Privatdozent Dr.H. diagnostizierte eine Schädelprellung, Jochbogenkontusion, Fraktur der 4. und 5. Rippe, dislozierte Clavikelfraktur und Bennettsche Fraktur. Im Bericht vom 30.06.1993 gab die Chirurgin Dr.S. , Oberärztin am Kreiskrankenhaus M. , an, die Fraktur am Daumen sei in guter Stellung knöchern fest durchbaut. An der Clavicula zeige sich eine traumatisch bedingte Osteolyse mit Hochstand und Druckschmerz. Arbeitsunfähigkeit habe vom 03.08.1991 bis 30.10.1991 und vom 21.02.1992 bis 15.03.1992 (Entfernung des Osteosynthesematerials am Daumen) bestanden. Für einige Monate bestehe eine MdE von 20 v.H., der Dauerschaden werde wohl 10 v.H. betragen. Der Allgemeinarzt Dr.F. führte aus, die Behandlung wegen des Unfalls sei seit dem 05.11.1991 abgeschlossen. Das Kreiskrankenhaus M. berichtete über die stationäre Behandlung der Klägerin vom 09. bis 15.08.1992. Es bestehe ein Zustand nach Claviculafraktur und Schultereckgelenkssprengung. Am 10.08.1992 sei die Rekonstruktionsplatte entfernt worden.

Im Gutachten vom 16.09.1992 führte der Chirurg Dr.W. aus, die MdE wegen der Unfallfolgen betrage bis 04.09.1992 20 v.H. mit zweimaliger Unterbrechung durch Materialentfernung. Bis 03.03.1992 sei eine MdE von 15 v.H. gegeben, danach voraussichtlich 10 v.H ...

Die Beklagte gewährte der Klägerin mit Bescheid vom 21.10.1992 wegen der Folgen des Arbeitsunfalles eine vorläufige Rente, die in Form einer Gesamtvergütung gezahlt wurde und den Zeitraum vom 31.10.1991 bis 31.03.1993 umfasste. Danach werde eine MdE voraussichtlich nicht mehr bestehen. Als Unfallfolgen wurden anerkannt: Zustand nach Schlüsselbeinbruch rechts - seitlich mit Beteiligung des Schultereckgelenkes und operativer Versorgung, Vergröberung des seitlichen Schlüsselbeinendes, Verbreiterung des Schultereckgelenkes, Bewegungseinschränkung im rechten Schultergelenk bei Vorwärts - und Seitlichanheben des Armes sowie glaubhaften Belastungsbeschwerden, Zustand nach verschobenem Bruch des Daumensattelgelenks links und operativer Versorgung, Bewegungseinschränkung des linken Daumens, beginnende Arthrose im Bereich des Daumensattelgelenks und Entkalkung der kleinen Handwurzelknochen mäßigen Grades, glaubhafte Belastungsbeschwerden der linken Hand.

Am 20.04.1993 beantragte die Klägerin die Weitergewährung der Verletztenrente. Die Beschwerden seien unverändert, zusätzlich habe sie starke Rückenschmerzen. Beigezogen ist ein Bericht des Allgemeinarztes Dr.T. vom 15.01.1993, in dem ausgeführt wird, die Klägerin befinde sich seit 10.12.1992 wegen chronifizierter Folgebeschwerden des Unfalls in seiner Behandlung. Es bestehe ein Thorax-Nacken-Schulter-Armsyndrom mit vertebragenen Cephalgien bei multiplen Blockierungen, Myosen und Insertionstendinosen. In den Berichten vom 06.04.1993 und 12.05.1993 wies Dr.T. darauf hin, die Klägerin leide unter chronischen Nacken- und Kopfschmerzen bei Belastungsschmerzen im Schulter-Arm-Bereich. Die Beschwerden hätten durch die Behandlung nicht ausreichend gebessert werden können. Vom 03.06. bis 02.07.1993 befand sich die Klägerin im Städtischen Krankenhaus M. zur stationären Behandlung wegen rezidivierender Lumboischialgien, zunehmend seit Mitte Mai 1993 mit Ausstrahlung in beide Füße bei Bandscheibenprolaps L 3/4 und L 5/S 1; außerdem wegen Schmerzen im BWS- und LWS-Bereich, zunehmend seit November 1991 bei Zustand nach Sturz vom Pferd. Sie leide an chronischer Sinusitis seit ca. 1980, an Migräneanfällen seit 1972 sowie an einer psychovegetativen Überlastung seit Jahren. Ein CT vom 26.05.1993 zeigte deutliche Protrusionen in Höhe L 5/ S 1 und L 3/4. Es bestünden offensichtlich keine Paresen bzw. neurologischen Ausfälle. Vom 06.07. bis 08.07.1993 befand sich die Klägerin in der Reha-Klinik Bad W. wegen Schmerzen im HWS- und BWS-Bereich. Sie verließ die Klinik vorzeitig. Der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr.M. berichtete nach Untersuchung der Klägerin am 10.08. 1993, es habe sich eine deutliche Bewegungseinschränkung der Halswirbelsäule gefunden und eine Unterschenkelverschmächtigung links. Im Elektromyogramm habe eine chronifizierte mittelschwere C 7-Wurzelläsion links objektiviert werden können ohne aktive Denervierungszeichen. Ein Wurzelkompressionssyndrom sei somit auszuschließen. Auch auf der rechten Seite bestünden Zeichen einer geringen Wurzelirritation. Im Bereich der unteren Extremitäten sei der Nachweis einer abgeschlossenen Denervierung bei L 4, geringergradig L 5 links gegeben. Ein Wurzelkompressionssyndrom sei auszuschließen. Bei Funktionsaufnahmen der Halswirbelsäule sei eine Instabilität des Segments HWK 6/7 deutlich.

Der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr.N. führte im Gutachten vom 17.10.1993 aus, die von Dr.M. mitgeteilten Befunde könnten nicht bestätigt werden und seien auch von keinem der Voruntersucher beschrieben. Die Klägerin gebe eine initiale Bewusstlosigkeit nach dem Sturz an, so dass von einer Gehirnerschütterung auszugehen sei. Auffallend sei aber, dass typische postkommotionelle Beschwerden wie Brechreiz, Erbrechen und Schwindel im Krankenhaus nicht erwähnt worden seien. Im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit dem Unfallgeschehen hätten keine Lähmungen oder Empfindungsstörungen bestanden. Es sei auch nicht zu vegetativen Funktionsstörungen gekommen. Für einen traumatischen Bandscheibenvorfall sei typisch, dass eine sensible Reiz- und Ausfallsymptomatik und motorische Defizite sofort nach der Gewalteinwirkung einträten. Dies sei hier mit Sicherheit nicht der Fall gewesen. Auffallend sei auch, dass das Beschwerdebild das gesamte Achsenorgan umfasse. Bereits im Krankenhaus M. sei darauf hingewiesen worden, dass seit Jahren eine psychovegetative Überlastung bestehe. Die Klägerin habe auch über eine seit vielen Jahren bestehende Migräne berichtet und ein rezidivierendes Schmerzsyndrom im Bereich des Gesichtsschädels. Hierbei handele es sich um unfallunabhängige Beeinträchtigungen. Eine Gehirnerschütterung heile typischerweise innerhalb weniger Wochen bis Monate aus. Es sei davon auszugehen, dass die Gehirnerschütterung bereits zum Zeitpunkt des Wiedereintritts der Arbeitsfähigkeit ausgeheilt gewesen sei. Eine Schädigung des Rückenmarks könne nicht wahrscheinlich gemacht werden. Unfallfolgen auf nervenärztlichem Gebiet bestünden nicht. Die MdE sei mit 0 von Hundert einzuschätzen.

Der Chirurg Dr.M. kam im Gutachten vom 07.10.1993 zusammenfassend zu dem Ergebnis, die Klägerin habe durch den Arbeitsunfall eine Schädelprellung mit leichter Gehirnerschütterung, eine Jochbogenprellung, einen Bruch der 4. und 5. Rippe, einen verschobenen Schlüsselbeinbruch sowie eine Bennettsche Fraktur erlitten. Diese Verletzungen seien im Gutachten des Dr.W. gewürdigt worden. Die nachfolgenden Beschwerden im Bereich der Wirbelsäule stünden mit dem Unfallgeschehen in keinem ursächlichen Zusammenhang. Sie beruhten auf der statischen Insuffizienz der Wirbelsäule, die sich in einer erheblichen Flachrückenbildung mit entsprechender Steilstellung von Hals- und Lendenwirbelsäule äußere. Hierbei handele es sich um eine Normvariante der Wirbelsäule, die auch dazu führe, dass Heil- verläufe nach Wirbelsäulenverletzungen besonders verzögert abliefen und sich als Krankheitsbild verselbständigen könnten. Die Normvariante führe auch durch die insgesamt gestreckte Haltung der gesamten Wirbelsäule zu früher als altersüblich auftretenen degenerativen Veränderungen, auch zu Bandscheibenvorfällen, wie sie bei der Klägerin diagnostiziert worden seien.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 09.12.1993 die Gewährung einer Rente über den 31.03.1993 hinaus ab, weil der Unfall über diesen Zeitpunkt hinaus eine MdE in rentenberechtigendem Grad nicht hinterlassen habe und die chronischen Nacken-Kopfschmerzen nicht Folge des Unfalls seien.

Hiergegen richtete sich der Widerspruch vom 04.01.1994. Die Klägerin übersandte einen Bericht des Neurologen und Psychiaters Dr.K. vom 19.01.1994, in dem ausgeführt wird, es bestehe der Verdacht auf eine spinal-radikuläre Raumforderung. Ob der Bandscheibenvorfall allein dafür veranwortlich sei, könne er nicht sagen. Man müsse auch an eine beginnende Syringomyelie denken. Weiter übersandte sie einen Bericht der Deutschen Klinik für Diagnostik über eine ambulante Untersuchung vom 22.11. 1993; ein MRT habe einen rechts-medio-lateralen Prolaps BWK 8/9 mit Impression des Myelons gezeigt. Neurologische Ausfälle bestünden nicht. Die Rückenschmerzen erklärten sich durch den Bandscheibenvorfall BWK 8 und 9.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 23.03.1994 zurück. Aus dem Bericht der Klinik gehe in keiner Weise hervor, dass der Bandscheibenvorfall mit dem Unfall in ursächlichem Zusammenhang stehe. Dr.N. führte in der Stellungnahme vom 14.03.1994 aus, in der Klinik hätten offensichtlich gleichfalls keine neurologischen Normabweichungen festgestellt werden können. Der von Dr.M. beschriebene Befund könne durch den Bandscheibenvorfall nicht erklärt werden.

In dem gegen den Bescheid vom 09.12.1993 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.03.1994 gerichteten Klageverfahren (S 19 U 5040/94) ernannte das SG den Chirurgen Dr.H. zum ärztlichen Sachverständigen. Im Gutachten vom 25.03.1996 führte Dr.H. aus, aufgrund der Verlaufsbefunde und Begutachtungen sei es nicht wahrscheinlich, dass der Bandscheibenvorfall der Brustwirbelsäule Unfallfolge sei. Ein traumatischer Bandscheibenvorfall sei extrem selten und nur bei einer vertikalen Stauchung, die die Klägerin nicht erlitten habe, theoretisch vorstellbar. Die Wahrscheinlichkeit spreche vielmehr dafür, dass eine Degeneration der Bandscheibe, ebenso wie in den Bandscheibenräumen L 3/4 und L 5/S 1, ursächlich sei. Die MdE wegen der Folgen des Unfalls werde mit unter 10 v.H. eingeschätzt. Der auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 SGG zum ärztlichen Sachverständigen ernannte Neurochirurg Prof.Dr.C. kam im Gutachten vom 08.10.1996 zusammenfassend zu dem Ergebnis, eine Zuordnung des klar dokumentierten Bandscheibenvorfalls zwischen dem 7. und 8. Brustwirbel zu dem Unfall sei nicht möglich. Es fehlten eine anfängliche Schmerzangabe in diesem Bereich und ein ärztlich diagnostizierter krankhafter Befund. Auch objektivierbare neurologische Störungen seien nicht dokumentiert. Für einen rein traumatisch bedingten Bandscheibenvorfall sei eine Verletzung der benachbarten Strukturen zu fordern, die nicht vorliege. Die Halswirbelsäule zeige keinen krankhaften Befund. Die Bandscheibenvorfälle an der Lendenwirbelsäule seien degenerativer Natur. Es müsse der Klägerin klar gemacht werden, dass trotz glaubhafter Beschwerden ein Zusammenhang zwischen Unfall und den Wirbelsäulenbeschwerden nicht gegeben sei.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 24.03.1997 abgewiesen.

Mit Schreiben vom 05.01.1999 beantragte die Klägerin die Wiederaufnahme des Verfahrens und Zahlung von Unfallrente, da Ursache ihrer Beschwerden eine beim Unfall erlittene Hirnkontusion sei. Sie übersandte einen Bericht des Bezirkskrankenhauses G. , in dem Dr.N. nach stationärer Behandlung vom 27.10. bis 18.11.1998 ausführte, es bestünden ein Zustand nach Contusio cerebri links-frontal mit pseudoneurasthenischem Syndrom und ein chronisches Schmerzsyndrom der gesamten Wirbelsäule bei Verdacht auf anhaltende somatoforme Schmerzstörung. Die Myelografie habe keine Hinweise für eine Ursache des anhaltenden Schmerzsyndroms erbracht. Ein entzündlicher Prozess des Nervensystems habe ausgeschlossen werden können. Es bestehe ein links-frontotemporaler Contusionsdefekt. Psychogene Faktoren seien nach dem Untersuchungsergebnis und der langen Beschwerdedauer sicherlich von Bedeutung. Die Klägerin leide an einem pseudoneurasthenischen Syndrom mit rascher Ermüdbarkeit, Leistungsinsuffizienz und Überempfindlichkeit nach dem Reitunfall. Die Schmerzen dürften sekundär auf dem Boden einer Fehlhaltung und pathologischer Muskelkontraktion entstanden sein.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 18.02.1999 die Wiederaufnahme des Verwaltungsverfahrens zur Feststellung eines Anspruchs auf Verletztenrente ab. Die gegen den Bescheid vom 09.12.1993 erhobene Klage sei durch Urteil vom 12.09.1997 rechtskräftig abgewiesen. Der jetzt behauptete Sachverhalt sei im Urteil des Sozialgerichts bereits berücksichtigt. Einer Wiederaufnahme stehe die Rechtskraft des Urteils entgegen. Die hiergegen gerichtete Klage (S 23 U 5014/99) nahm die Klägerin am 24.06.1999 zurück.

Der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr.D. führte im Gutachten vom 06.08.1999 aus, man werde mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen müssen, dass es im Rahmen des Unfalls nicht zu einer Commotio cerebri, sondern zu einer leichteren Hirnkontusion mit bleibendem Hirnsubstanzdefekt gekommen sei. Hirnorganische Veränderungen seien weder unfallnah noch anläßlich der zahlreichen Untersuchungen beschrieben worden. Als Folge einer Hirnkontusion könne ein sogenanntes pseudoneurasthenisches Syndrom auftreten. Daneben sei auch als Folge der Hirnkontusion eine vermehrte Kopfschmerzneigung anzunehmen. Eine chronifizierte anhaltende somatoforme Schmerzstörung sei zu diagnostizieren. Es sei sicher nicht möglich, eine hinreichende Differenzierung zwischen den Symptomen der unfallunabhängigen psychiatrischen Störung und den möglichen Symptomen eines pseudoneurasthenischen Syndroms, die Unfallfolge wären, vorzunehmen, denn es komme zu partiellen Überschneidungen der Symptome beider Krankheitsbilder. Aufgrund allgemeiner neuropsychiatrischer Erfahrung könne jedoch gesagt werden, dass die Symptomatik in dem seit Jahren bestehenden Ausmaß sicherlich nicht allein auf ein pseudoneurasthenisches Syndrom zu beziehen sei, sondern was Art, Umfang und Intensität angehe, deutlich darüber hinausgehe. Die Gesamtheit der jetzigen Beschwerden könne also nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit allein auf die unfallbedingte Hirnschädigung zurückgeführt werden, auch nicht unter der Annahme, dass erst durch das unfallbedingte neurasthenische Syndrom die weitere psychiatrische Symptomatik gebahnt worden sei. Gegen diese Annahme spreche, dass eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung ein eigenes Krankheitsbild darstelle und nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf ein pseudoreurasthenisches Syndrom zurückgeführt werden könne. Ab 01.01.1995 lägen noch folgende Unfallfolgen vor: Zustand nach Hirnkontusion mit linksfrontotemporalem Substanzdefekt, Kopfschmerzneigung und pseudoneurasthenischem Syndrom. Nicht unfallbedingt seien die anhaltende somatoforme Schmerzstörung sowie die Migräne. Die MdE sei mit 20 v.H. einzuschätzen.

Der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Prof.Dr.P. kam im Gutachten vom 12.10.1999 zu dem Ergebnis, es sei Dr. D. zuzustimmen, dass das Gesamtbild der Beschwerden nicht als Folge der nicht ausgeprägten contusionellen Hirnsubstanzschädigung anzusehen sei. Das gelte insbesondere für die Beschwerden von Seiten der Wirbelsäule, die Ausdruck einer chronisch-anhaltenden somatoformen Schmerzstörung seien.

Die Beklagte nahm mit Bescheid vom 25.11.1999 das Verwaltungsverfahren zur Feststellung eines Anspruchs auf Rente wieder auf. Die Folgen des Arbeitsunfalles hätten sich verschlimmert. Es werde daher wegen wesentlicher Änderung der Verhältnisse ab 01.01.1995 Rente nach einer MdE von 20 v.H. wieder gewährt. Als Unfallfolgen wurden anerkannt: In guter Stellung verheilter, operativ versorgter Schlüsselbeinbruch rechts, in guter Stellung verheilter Bruch des linken Mittelhandstrahls, Zustand nach Hirnkontusion mit links-frontotemporalem Substanzdefekt mit Kopfschmerzneigung und pseudoneurasthenischem Syndrom. Nicht anerkannt wurden Bandscheibenvorfall L 3/4 und L 5/S 1, Degeneration der Bandscheibe zwischen BWK 8 und 9, statische Insuffizienz der Wirbelsäule, anhaltende somatoforme Schmerzstörungen, vorbestehende Migräne.

Die gegen diesen Bescheid gerichtete Klage vom 27.12.1999 hat die Klägerin damit begründet, die Rückenprobleme seien auf die durch den Unfall entstandene Fehlstatik zurückzuführen.

Die Beklagte wies den Widerspruch, als den sie die Ausführungen in der Klageschrift ansah, mit Widerspruchsbescheid vom 24.05. 2000 zurück.

Zur Begründung der Klage hat die Klägerin ein CT vom 20.03. 2000 übersandt, in dem ausgeführt wird, es bestehe ein frontaler posttraumatischer cortikaler Substanzdefekt im Gehirn mit einer kleinen Narbe, außerdem Marklagergliosen. Die Läsionen seien ätiologisch nicht eindeutig einzuordnen. Neben wahrscheinlich narbigen oder anlagebedingten Defekten lasse sich eine Enzephalomyelitis disseminata nicht mit Sicherheit ausschließen. Der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr.K. hat am 22.02.2000 einen Hinweis auf eine sensible Afferenzstörung unbekannter Höhe diganostiziert. Eine Kernspintomographie der Brust- und Lendelwirbelsäule vom 17.01.1994 hat in Höhe BWK 7/8 einen Bandscheibenvorfall gezeigt sowie degenerative Veränderungen des Zwischenwirbelraums, degenerative Veränderungen von LWK 3 bis S 1 mit Bandscheibenprotrusion.

Der auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 SGG zum ärztlichen Sachverständigen ernannte Psychiater Dr.S. hat im Gutachten vom 06.04.2002 zusammenfassend ausgeführt, die Klägerin gebe eine Bewusstlosigkeit von zwei Stunden nach dem Unfall und Bewusstseinseintrübung von ca. 48 Stunden an. Daher müsse man von einem Schädelhirntrauma Grad II ausgehen. Die erhebliche Schmerzsymptomatik werde durch die Bandscheibenvorfälle verursacht, die die Klägerin als Folge des erlittenen Unfalls betrachte. Dies sei aber nicht zutreffend. Seit März 2000 sei durch einen Unfall des Ehemannes eine Beeinträchtigung familiärer und sozialer Funktionen anzunehmen. Demgegenüber bestünden die Schmerzsymptome mit funktionellen Einschränkungen im lebensspraktischen Bereich bereits seit Anfang bis Mitte der Neunziger Jahre. Es handele sich also nicht um eine somatoforme Störung, sondern um ein neurasthenisches Syndrom. Die Contusio cerebri sei mit einer MdE von 30 v.H., das pseudoneurasthenische Syndrom mit 20 v.H. zu bewerten. Insgesamt sei eine MdE von 40 v.H. gegeben.

Die Beklagte hat eine Stellungnahme des Dr.D. vom 30.04.2002 übersandt. Die Gesamtheit der Beschwerden überschreite den Rahmen eines pseudoneurasthenischen Syndroms. Derart heftige Schmerzustände seien nicht mehr vereinbar mit den körperlichen Beschwerden, die im Rahmen eines pseudoneurasthenischen Syndroms zu erwarten seien. Somit werde man eine weitere psychisch bedingte Störung annehmen müssen, sei es nun im Sinne einer somatoformen Störung oder einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung, einer konversionsneurotischen Verarbeitung organisch verursachter Schmerzen, d. h. also einer psychogenen Schmerzausweitung bei einem organischen Kern. Die genaue diagnostische Einordnung sei sekundär, da die Fülle der geklagten Symptome nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf den Unfall zurückgeführt werden könne, also nicht auf die contusionelle Hirnschädigung mit pseudoneurasthenischem Syndrom. Die Einschätzung der MdE, wie sie Dr.S. vorgenommen habe, sei nicht schlüssig. Die Hauptfolge der Contusio cerebri sei eben das pseudoreurasthenische Syndrom, abgesehen von der Kopfschmerzneigung. Sonstige Leistungsbeeinträchtigungen könnten nicht wahrscheinlich gemacht werden. Bei einer traumatischen Hirnschädigung mit geringer Leistungsbeeinträchtigung sei eine MdE von bis zu 20 v.H. gegeben.

Der vom SG zum ärztlichen Sachverständigen ernannte Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr.K. hat im Gutachten vom 30.09.2002 die Auffassung vertreten, außer dem pseudoneurasthenischen Syndrom bestehe eine Somatisierungsstörung, von der in erster Linie der Bewegungsapparat betroffen sei. Hier sei ein Unfallzusammenhang nicht anzunehmen. Es handele sich um eine anlagebedingte Ausgleichsstörung des vegetativen Nervensystems. Die Bandscheibenschäden seien mit hinreichender Sicherheit als unfallunabhängig anzusehen. Die unfallbedingte seelische Störung sei leicht; eine MdE von 20 v.H. sei anzunehmen. Höhergradige organisch bedingte cerebrale Störungen lägen nicht vor, insbesondere bestehe kein hirnorganisches Psychosyndrom. Es ergäben sich auch keine Anhaltspunkte für eine hirnorganische Wesensänderung.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 07.11.2003 abgewiesen und sich dabei auf die Ausführungen des Sachverständigen Dr.K. gestützt. Maßgeblich für die Einschätzung der MdE sei nicht das räumliche Ausmaß des Hirnsubstanzdefektes, sondern die von ihm ausgehende Funktionsbeeinträchtigung. Sie sei von Dr.D. , Prof.Dr.P. , Dr.S. und Dr.K. übereinstimmend mit 20 v.H. bewertet worden. Als weitere Folge der Hirnkontusion bestehe eine vermehrte Kopfschmerzneigung bei vorbestehender Migräneerkrankung, die sich nicht MdE- erhöhend auswirke. Der Vorschlag Dr.S. , eine Gesamt-MdE um 40 v.H. anzunehmen, sei nicht nachvollziebar begründet. Das pseudoneurasthenische Syndrom sei Folge der Contusio cerebri. Darüber hinausgehende wesentliche Funktionsbeeinträchtigungen habe Dr.S. nicht beschrieben. Nicht in ursächlichem Zusammenhang mit dem Unfall stünden die Wirbelsäulenerkrankung und die chronifiziert anhaltende somatoforme Schmerzstörung. Bei beiden Erkrankungen handele es sich um anlagebedingte Gesundheitsstörungen, die sich schicksalhaft entwickelt hätten. Ein ursächlicher Zusammenhang mit dem Unfall sei nicht ersichtlich.

Die Klägerin begehrt mit der Berufung eine höhere MdE. Als Zeugen, die bestätigen könnten, dass sie bis zum Unfall zu 100 % arbeitsfähig gewesen sei, danach oft nicht einmal eine halbe Stunde bei den leichtesten Tätigkeiten belastbar sei, gab sie an: J. K. , E. K. , A. U. , A. R. und G. S ...

Die Klägerin übersandte ein Gutachten des Dr.N. vom 04.01.1999 für den G.-Konzern, Allgemeine Versicherungs AG. Darin wird ausgeführt, die Klägerin habe ein Schädelhirntrauma Grad II erlitten, außerdem knöcherne Verletzungen, die folgenlos ausgeheilt seien. Als Dauerfolge des Unfalls sei ein posttraumatisches organisches Psychosyndrom mit vorwiegend depressiver Symtomatik festzustellen, das auf der Hirnsubstanzminderung beruhe und auch als posttraumatisches pseudoneurasthenisches oder postkontusionelles Syndrom bezeichnet werde. Als zusätzliches Beschwerdebild habe sich eine die gesamte Wirbelsäule betreffende Schmerzstörung eingestellt, für die die Untersuchungen keine organische Grundlage ergeben hätten. Hier sei von einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung zu sprechen. Sie sei nur teilweise als mittelbare Unfallfolge anzusehen. Der unfallbedingte Anteil lasse sich durch eine pathologische Verarbeitung des Traumas sowie durch eine unzureichende Kompensation aufgrund des Psychosyndroms erklären und betrage etwa 50 %. Als wesentlich mitverursachender Faktor für die Entstehung und Persistenz des Schmerzsyndroms sei eine persönliche Disposition der Klägerin zu nennen.

Die Beklagte führte hierzu im Schreiben vom 16.02.2004 aus, Dr. N. Bewertung stehe im Widerspruch zu den Aussagen anderer Sachverständiger, dass es sich bei einer Somatisierungsstörung um eine anlagebedingte Ausgleichsstörung des vegetativen Nervensystems handele, die nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf ein pseudoneurasthenisches Syndrom zurückgeführt werden könne. Im Übrigen sei das Gutachten für die Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers erstellt und könne daher nicht uneingeschränkt herangezogen werden.

Die Klägerin stellt den Antrag, das Urteil des Sozialgerichts München vom 07.11.2003 aufzuheben und die Beklagte in Abänderung des Bescheides vom 25.11.1999 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.05. 2000 zu verurteilen, ihr ab 03.08.1991 eine Verletztenrente in Höhe von mindestens 40 v.H. der Vollrente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG München vom 07.11.2003 zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den wesentlichen Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten sowie der Klage- und Berufungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, sachlich aber nicht begründet.

Von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe wird abgesehen, da der Senat die Berufung auf den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist (§ 153 Abs.2 SGG).

Der Einvernahme der im Berufungsverfahren benannten Zeugen bedarf es nicht. Denn die von ihnen zu bekundende Tatsache, dass die Klägerin vor dem Unfall uneingeschränkt arbeitsfähig gewesen sei, nach dem Unfall aber überhaupt nicht mehr, wird als wahr unterstellt. Der zeitliche Zusammenhang der Leistungsminderung mit dem Unfall sagt aber nichts über den Kausalzusammenhang aus.

Ergänzend ist noch darauf hinzuweisen, dass der Sachverständige Dr.S. bei der Bewertung des Schweregrades der Hirnver- letzung davon ausging, die Klägerin sei nach dem Unfall über zwei Stunden bewusstlos gewesen, anschließend habe eine Bewusstseinstrübung bis zu 2 Tagen bestanden. Dies stimmt mit den Angaben im Durchgangsarztbericht vom 21.05.1992 nicht überein. Die Klägerin traf gegen 17.oo Uhr im Kreiskrankenhaus M. ein; nach den Angaben ihres Ehemannes in der Unfallanzeige vom 14.04.1992 ereignete sich der Unfall gegen 16.3o Uhr. Gegen 17.oo Uhr war die Klägerin aber nach den Bekundungen des Priv. Doz.Dr.H. ansprechbar und zeitlich und örtlich orientiert.

Schon aus diesen Gründen überzeugt die Argumentation des Dr.S. , die Contusio cerebri, die eine geringe Leistungsbeeinträchtigung verursache, sei mit einem MdE-Grad von 30 v.H. zu bewerten, nicht. Bei einer traumatischen Hirnschädigung mit geringer Leistungsbeeinträchtigung ist eine MdE bis zu 20 v.H. anzunehmen (vgl. Schönberger-Mehrtens-Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit 7. Auflage 2003, Seite 275). Zudem bewertet Dr.S. das pseudoneurasthenische Syndrom als leichte behindernde Störung mit einer MdE von 20 v.H ... Wie Dr.D. und Dr.K. erläutert haben, besteht die Leistungsbeeinträchtigung durch die Contusio cerebri gerade in Form des pseudoneurasthenischen Syndroms, so dass es daher nicht zusätzlich bei der Festsetzung der MdE zu berücksichtigen ist.

Nicht überzeugen kann bezüglich der unfallversicherungsrechtlichen Beurteilung das Gutachten des Dr.N. vom 04.01.1999 Denn Dr.N. geht davon aus, dass als Dauerfolge des Unfalls ein posttraumatisches organisches Psychosyndrom festzustellen ist, das auf der kontusionell verursachten Hirnsubstanzminderung beruhe. Eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung, wie sie Dr.N. als mittelbare Unfallfolge ansieht, hat aber Dr.S. ausdrücklich ausgeschlossen. Denn wie er erläutert, erfordert die Diagnose einer somatoformen Störung anhaltende multiple und unterschiedliche Symptome, für die keine ausreichende somatische Erklärung gefunden wurde, die hartnäckige Weigerung, den Rat oder die Versicherung der Ärzte anzunehmen und eine gewisse Beeinträchtigung familiärer und sozialer Funktion. Schon das erste Kriterium, nämlich das Fehlen einer somatischen Erklärung für die Schmerzsymptome ist hier nicht erfüllt, denn die Klägerin leidet an einer Wirbelsäulenerkrankung mit Bandscheibenvorfällen, die ihre Schmerzen ohne Weiteres erklärt. Prof.Dr.C. hat im Gutachten vom 08.10.1996 überzeugend erläutert, dass diese Wirbelsäulenerkrankung nicht im Zusammenhang mit dem Unfall steht. Eine Beeinträchtigung familiärer und sozialer Funktion ist sicher durch den schweren Unfall des Ehemannes im März 2000 eingetreten; auch bezüglich bereits früher geäußerter Klagen ist, wie Dr.S. bestätigt, von unfallfremden Ursachen auszugehen. Im Übrigen betont auch Dr.N. , dass als wesentlich mitverursachender Faktor für die Entstehung und Persistenz des Schmerzsyndroms eine persönliche Disposition der Klägerin gegeben ist.

Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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