L 5 RA 110/03

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 8 RA 433/03
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 5 RA 110/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 2. Oktober 2003 wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat dem Kläger auch für das Berufungsverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I. Streitig ist, ob die Beklagte als Versorgungsträger für das Zusatzversorgungssystem verpflichtet ist, für den Kläger Beitragszeiten nach dem Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) und entsprechende Verdienste festzustellen.

Der 1950 geborene Kläger machte 1969 einen Facharbeiterabschluss als Maschinenbauer, arbeitete anschließend als Schlosser und studierte von 1975 bis 1979 Physik-Elektronik. Mit Urkunde vom 18. August 1975 wurde ihm der Grad des Diplom-Physikers verliehen. Vom 1. September 1975 bis Ende 1979 war er als Wartungs-Ingenieur bei dem VEB Kombinat Kin Berlin, anschließend bis zum 30. Juni 1990 als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei dem VEB Ntätig.

Den Antrag des Klägers vom 13. Juni 2002 auf Überführung von Zusatzversorgungsanwartschaften aus den genannten Tätigkeiten ab 1. September 1975 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 15. Juli 2002 und Widerspruchsbescheid vom 18. Dezember 2002 ab: Der Antragsteller sei weder am 30. Juni 1990 in der DDR in ein Versorgungssystem einbezogen gewesen noch habe er aufgrund der Sachlage am 30. Juni 1990 im Juli 1991 Anspruch auf eine Versorgungszusage gehabt. Als Diplom-Physiker sei er nicht berechtigt gewesen, den Titel eine Ingenieurs zu führen, wie das BSG bereits in mehreren Entscheidungen geklärt habe.

Mit seiner hiergegen gerichteten Klage vom 29. Januar 2003 hat der Kläger im Wesentlichen auf sein Vorbringen im Widerspruchsverfahren verwiesen, wonach er ebenso wie die Ingenieure in seinem Team in der Abteilung Sonderentladungslampen im VEB Neingesetzt worden sei, und damit eine Differenzierung nach Ausbildungsabschlüssen und erworbenen Bildungsgraden ausscheide. Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 2. Oktober 2003 abgewiesen. Der Bescheid vom 15. Juli 2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 18. Dezember 2002 sei rechtmäßig. Der Kläger habe gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Feststellung einer Zusatzversorgungszeit und der versorgungsspezifischen Daten nach § 8 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 1 und 2 AAÜG, denn das AAÜG gelte gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 nur für Ansprüche und Anwartschaften, die aufgrund der Zugehörigkeit zu Zusatz- oder Sonderversorgungssystemen im Beitrittsgebiet erworben wordenseien und damit bei Inkrafttreten des AAÜG am 1. August 1991 bereits bestanden hätten. Einen Anspruch auf Versorgung habe der Kläger am 1. August 1991 nicht gehabt, da der Versorgungsfall (Alter, Invalidität) zu diesem Zeitpunkt noch nicht eingetreten gewesen sei. Er habe aber auch keine Anwartschaft im Versorgungssystem der technischen Intelligenz zu diesem Zeitpunkt gehabt. Eine Versorgungsanwartschaft im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG sei im Falle einer bindend gebliebenen Einbeziehungsentscheidung (der DDR), im Falle einer Rehabilitierungsentscheidung, die die Einbeziehung in ein Versorgungssystem vorsieht, oder aber dann anzunehmen, wenn aus bundesrechtlicher Sicht aufgrund der am 30. Juni 1990 gegebenen Sachlage ein Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage bestanden hätte, entweder weil die abstrakt generellen Voraussetzungen für die Einbeziehung nach der Versorgungsordnung und den Durchführungsbestimmungen vorlagen, oder, weil zu Zeiten der DDR ein besonderer Vertrauenstatbestand auf spätere Einbeziehung entstanden sei. Da im Falle des Klägers weder eine bindend gebliebene Einbeziehungsentscheidung noch eine ihn einbeziehende Rehabilitierungsentscheidung vorliege, komme allein die Einbeziehung aufgrund verfassungskonformer ausdehnender Auslegung des § 1 Abs. 1 AAÜG in Betracht. Die Voraussetzungen hierfür lägen jedoch im Fall des Klägers nicht vor, denn er hätte aufgrund der am 30. Juni 1990 gegebenen Sachlage nach der am 1. August 1991 bestehenden bundesrechtlichen Rechtslage keinen "Anspruch auf Versorgungszusage" nach den Regelungen der Versorgungssysteme gehabt. Dies ergebe sich aus den Texten der Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben vom 17. August 1950 und der dazu ergangenen 2. Durchführungsbestimmung (2. DB) vom 24. Mai 1951. Der Kläger habe als Diplom-Physiker nicht dem Kreis der obligatorisch Versorgungsberechtigten nach § 1 Abs. 1 Satz 1 der 2. DB angehört. Die Berufsbezeichnung des Diplom-Physikers finde sich in der dortigen Aufzählung nicht. Soweit nach § 1 Abs. 1 Satz 2 der 2. DB auf Antrag des Werkdirektors auch Personen mit bestimmten Funktionen und Aufgaben unter weiteren Voraussetzungen durch Einzel-Ermessensentscheidung in das Versorgungssystem einbezogen werden konnten, könne eine solche Entscheidung im Hinblick auf eine ggf. willkürliche gleichheitswidrige Verwaltungspraxis der DDR als Anknüpfungspunkt nicht in Betracht kommen. Der Kläger unterfalle als Diplom-Physiker, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter beim VEB Nmit ingenieurtechnischen Aufgaben betraut gewesen sei, auch nicht der Verordnung über die Altersversorgung der Intelligenz an wissenschaftlichen, künstlerischen, pädagogischen und medizinischen Einrichtungen der DDR vom 12. Juli 1951 (VO-AVI), denn die Tätigkeit des Klägers werde in § 2 der genannten Verordnung nicht genannt. Soweit der Kläger die Auffassung vertrete, es sei mit dem Grundgesetz unvereinbar, dass Personen mit gleichwertiger beruflicher Tätigkeit keine "Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem" erlangen könnten, sei darauf hinzuweisen, dass der Einigungsvertragsgesetzgeber nicht gehalten gewesen sei, solche in den einzelnen Versorgungsordnungen möglicherweise angelegten Ungleichbehandlungen zu korrigieren; der Gesetzgeber habe vielmehr im Rahmen der Rentenüberleitung an die insoweit vorgefundenen Versorgungsordnungen, wie sie am 2. Oktober 1990 vorgelegen hätten, anknüpfen dürfen.

Gegen das am 24. Januar 2003 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung des Klägers vom 23. Dezember 2003, mit der er sich - nur noch - dagegen wendet, dass er als Diplom-Physiker mit einer nachweislich ingenieurtechnischen Tätigkeit nicht zur technischen Intelligenz der DDR gehört haben solle. Der Ingenieur sei in der DDR im Wesentlichen als Überbegriff für qualifizierte technische Berufe genutzt worden. Den Titel Ingenieur gebe es überhaupt nicht, anstelle dessen gebe es den Fachschul-Ingenieur, der ohne Erlangung des Abiturs habe erreicht werden können und in der DDR z.B. mit anderen Fachschulausbildungen gleichgestellt gewesen sei, wie z.B. dem Zahntechniker. Daneben gebe es den Diplom-Ingenieur, der juristisch gleichgestellt sei mit z.B. dem Diplom-Physiker oder Diplom Chemiker, was sich auch bei der Eingruppierung in die entsprechenden Gehaltsgruppen widerspiegele. Dementsprechend habe es in der DDR auch keine Ungleichbehandlung der Diplom-Physiker bei der Altersversorgung der technischen Intelligenz gegeben; die Intelligenzrente sei nie abgelehnt worden mit der Begründung, der Antragsteller sei Diplom-Physiker. Die Ungleichbehandlung der Diplom-Physiker sei erst durch die fehlinterpretierte Auffassung des DDR-Gesetzes durch die Einigungsvertragsgesetzgeber geschaffen worden. Im Übrigen habe er eigentlich Bau-Ingenieur werden wollen, was aufgrund seiner politisch bedingten Vorstrafen abgelehnt worden sei. Das Urteil des Bezirksgerichts Erfurt vom 20. November 1968, wonach er wegen mehrfach begangener staatsfeindlicher Hetze verurteilt worden sei, sei vom Bezirksgericht Erfurt mit Beschluss vom 25. März 1993 im Rahmen eines Rehabilitierungsverfahrens aufgehoben worden. Ohne die damalige Ablehnung wäre er Bau-Ingenieur geworden, und die Intelligenzrente wäre ihm zuerkannt worden.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 2. Oktober 2003 sowie den Bescheid der Beklagten vom 15. Juli 2002 in der Fassung des Wider- spruchsbescheides vom 18. Dezember 2002 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Zeit seiner Tätigkeit als Diplom-Physiker vom 1. September 1975 bis zum 30. Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zur Altersversorgung der technischen Intelligenz (Anlage 1 Nr. 1 zum AAÜG) sowie die tatsächlich erzielten Entgelte festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend. Maßgebend sei, dass der Kläger zur Führung des Titels "Ingenieur" am 30. Juni 1990 nicht berechtigt gewesen sei. Dagegen sei nicht von Bedeutung, ob er nach § 1 Abs. 1 Satz 3 der 2. DB zu DDR-Zeiten möglicherweise in den Kreis der Versorgungsberechtigten hätte aufgenommen werden können, denn Regelungen, die eine bewertende oder Ermessensentscheidung in der DDR vorgesehen hätten, seinen kein Bundesrecht geworden, weil die dafür erforderlichen Entscheidungen nur auf der Grundlage des von der SED-Ideologie geprägten Systems hätten getroffen werden können.

II. Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts und die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.

Der Kläger hat gegen den beklagten Versorgungsträger keinen Anspruch darauf, seine Beschäftigungszeit als Wartungs-Ingenieur im Rechenzentrum VEB Kombinat Kvon 1975 bis 1979 und seine Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungszentrum VEB N von 1980 bis zum 30. Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zum Versorgungssystem der technischen Intelligenz festzustellen sowie die in diesem Zeitraum erzielten Arbeitsentgelte auszuweisen (§§ 1, 5 ff., 8 AAÜG).

Der Kläger kann mit seinem Feststellungsbegehren schon deshalb keinen Erfolg haben, weil er dem persönlichen Anwendungsbereich des AAÜG nicht unterliegt. Das AAÜG ist auf ihn nicht anwendbar, weil er im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes im August 1991 keinen Versorgungsanspruch und keine Versorgungsanwartschaft gegen einen Versorgungsträger hatte (§ 1 Abs. 1 AAÜG).

Dass der Kläger keinen Anspruch auf Versorgung bei Inkrafttreten des AAÜG hatte, ist unstreitig, denn der Versorgungsfall des Alters oder der Invalidität war zu diesem Zeitpunkt noch nicht eingetreten. Der Kläger hatte zu diesem Zeitpunkt aber auch keine Versorgungsanwartschaft. Ihm ist weder eine Versorgungszusage erteilt worden, die nach Bundesrecht als Verwaltungsakt verbindlich sein könnte (vgl. Art. 19 EV), noch durfte der Kläger aufgrund besonderer Umstände auf die Zuerkennung des Versorgungsanspruchs am 1. Juli 1990 vertrauen, falls der Leistungsfall bis zum 30. Juni 1990 eingetreten wäre. Schließlich liegt auch keine Zugehörigkeitszeit gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG unter dem Gesichtspunkt vor, dass die konkret von dem Kläger ausgeübte Beschäftigung ihrer Art nach (abstrakt-generell) zu denjenigen gehörte, deretwegen entsprechend der - nach objektiven Auslegungskriterien des Bundesrechts zu verstehenden - Versorgungsordnung das Versorgungssystem errichtet worden war. Der Kläger hat im streitigen Zeitraum nämlich keine Tätigkeit ausgeübt, für die ihrer Art nach eine zusätzlichen Altersversorgung vorgesehen war. Die Voraussetzungen für die in Betracht kommende zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz erfüllte der Kläger nicht, weil er weder aufgrund seiner Qualifikation als Diplom-Physiker noch im Hinblick auf die von ihm geltend gemachten ingenieurtechnischen Tätigkeiten zu dem von der maßgeblichen Versorgungsordnung abstrakt-generell begünstigen Personenkreis gehörte. Der Senat nimmt insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen auf die ausführlichen, an der einschlägigen Rechtsprechung des BSG orientierten und die konkreten Umstände zutreffend würdigenden Ausführungen des Sozialgerichts in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils gemäß § 153 Abs. 2 SGG Bezug.

Nur ergänzend ist im Hinblick auf das Vorbringen des Klägers im Berufungsverfahren zu bemerken, dass es nicht darauf ankommt, ob nach dem Sprachgebrauch in der DDR der "Ingenieur" im Wesentlichen als Oberbegriff für qualifizierte technische Berufe benutzt worden ist. Ein solcher Sprachgebrauch liegt jedenfalls dem § 1 Abs. 1 Satz 1 der 2. DB nicht zugrunde. Auch reicht die bloße tatsächliche Ausübung von ingenieurtechnischen Arbeiten nicht aus. Vielmehr muss ein Recht auf Führung des Titels "Ingenieur" bestanden haben. Dies ergibt sich eindeutig aus § 1 Abs. 1 Satz 3 der 2. DB. Zur Führung dieses Titels war der Kläger am 30. Juni 1990 aber nicht berechtigt, denn dies hätte gemäß § 1 der Verordnung über die Führung der Berufsbezeichnung "Ingenieur" vom 12. April 1962 (GBl. DDR II S. 278) - neben der qualifizierten Ausbildung - vorausgesetzt, dass das Recht zur Führung des Titels durch einen besonderen Staatsakt verliehen worden ist. Dies ist im vorliegenden Fall nicht ersichtlich und wird von dem Kläger selbst auch nicht behauptet.

Etwa anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass Diplom-Ingenieure, -Physiker und -Chemiker nach Angaben des Klägers in die gleichen Gehaltsgruppen eingruppiert waren, denn mit der Regelung zur Entlohnung der Arbeiter und Angestellten in der DDR wurden keine neuen Versorgungsberechtigungen geschaffen, sondern lediglich an die bereits bestehenden gesetzlichen Bestimmungen für die Versorgung angeknüpft mit der Maßgabe, dass die erhöhten Gehälter für den danach begünstigten Personenkreis in die Rentenberechnung einzugehen hatten (vgl. BSG Urteil vom 10. April 2002 - B 4 RA 18/01 R - in SozR 3-8570 § 1 AAÜG Nr. 8).

Schließlich führt auch der Hinweis des Klägers auf den Rehabilitierungsbeschluss des Bezirksgerichts Erfurt vom 25. März 1993 zu keinem anderen Ergebnis. Mit dem genannten Beschluss wurde lediglich das frühere Strafurteil als rechtsstaatswidrig aufgehoben. Dass der Lebensweg des Klägers aufgrund der damaligen Verurteilung einen anderen Verlauf genommen hat, ist eine bedauerliche schicksalsmäßige Entwicklung. Hierdurch ist dem Kläger aber nicht von vornherein der Zugang zur Zusatzversorgung der technischen Intelligenz verwehrt gewesen, denn den Titel "Ingenieur" hätte er auch bei dem von ihm tatsächlich eingeschlagenen Berufsweg erlangen können.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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