S 11 AL 40/04

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 11 AL 40/04
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 1 AL 94/04
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 05.12.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12.07.2004 verurteilt, der Klägerin Arbeitslosenhilfe ab dem 27.10.2003 weiter zu zahlen. Die Beklagte hat die Kosten der Klägerin zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Leistung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) über den 26.10.2003 hinaus.

Die am 00.00.1950 geborene Klägerin bezog ab dem 01.04.1998 Arbeitslosengeld; seit dem 27.10.1998 bezog sie Alhi. Der wöchentliche Leistungssatz betrug ab dem 01.01.2003 106,96 Euro bei einem gerundeten wöchentlichen Arbeitsentgelt von 275.- Euro und der Leistungsgruppe A/0.

Nach Ablauf des Bewilligungsabschnitts am 27.10.2003 beantragte die Klägerin am 20.11.2003 die Weiterzahlung der Alhi. Sie gab an, über kein Bargeld und ein Girokontoguthaben i.H.v. 188,07 Euro zu verfügen. Außerdem legte sie einen Auszug aus ihrem Bausparkonto (Guthaben 3.643,59 Euro) und eine Bescheinigung der O Versicherungs-AG über eine Lebensversicherung mit einem Rückkaufwert von 7.644,69 Euro vor.

Mit Bescheid vom 05.12.2003 lehnte die Beklagte den Antrag mit der Begründung ab, die Klägerin verfüge über Vermögen i.H.v. ingesamt 11.476,26 Euro; nach Abzug des Freibetrags von 10.600.- Euro verblieben ihr 876,26 Euro, weswegen sie nicht bedürftig sei.

Ihren am 05.01.2004 eingelegten Widerspruch begründete die Klägerin damit, das Guthaben aus dem Bausparvertrag werde in absehbarer Zeit zur Renovierung ihres Badezimmers benötigt. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 12.07.2004 zurück.

Hiergegen richtet sich die am 29.07.2004 erhobene Klage.

Die Klägerin wiederholt und vertieft ihre bisherigen Darlegungen und verweist weiter darauf, die Lebensversicherung sei auf Zahlung einer monatlichen Rente gerichtet und müsse aus diesem Grund als nachgewiesenes Altersvorsorgevermögen besonders geschützt sein. Sie habe die Versicherung eigens deswegen abgeschlossen, da sie aus der Gesetzlichen Rentenversicherung nur eine unzureichende Rente zu erwarten habe. Die Klägerin hat einen Nachtrag zum Versicherungsschein der O Versicherungs-AG vom 21.06.1994 vorgelegt, wonach sie aus der Lebensversicherung ab dem 01.09.2015 eine monatliche Rente i.H.v. 214,25 Deutsche Mark (wahlweise eine Kapitalabfindung i.H.v. 38.997,51 Deutsche Mark) erhalten soll.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 05.12.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12.07.2004 zu verurteilen, ihr Arbeitslosenhilfe ab dem 27.10.2003 weiter zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bleibt bei ihrer bisherigen Auffassung.

Hinsichtlich der wesentlichen Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet. Die angefochtenen Entscheidungen der Beklagten sind rechtswidrig im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG), da die Klägerin auch ab dem 27.10.2003 einen Anspruch auf Alhi hat.

Nach § 190 Sozialgesetzbuch - Drittes Buch - Arbeitsförderung (SGB III) haben Arbeitnehmer nach näherer Maßgabe der folgenden Vorschriften Anspruch auf Alhi. Streitig ist im vorliegenden Fall allein die Bedürftigkeit der Klägerin.

Nach § 190 Abs. 1 Nr. 5 SGB III erhalten nur bedürftige Arbeitnehmer Alhi. Nach § 193 Abs. 2 SGB III ist ein Arbeitsloser nicht bedürftig, solange die Erbringung von Alhi mit Rücksicht auf sein Vermögen nicht gerechtfertigt ist. Die Generalklausel in § 193 Abs. 2 wird durch die aufgrund § 206 Nr. 1 bis 4 SGB III erlassene Arbeitslosenhilfe-Verordnung vom 13.12.2001 (AlhiV) näher konkretisiert, die in § 1 Abs. 1 und 2 eine Freibetragsregelung zugunsten des Arbeitslosen enthält.

In Anwendung von § 1 Abs. 2 Satz 1 AlhiV ergibt sich zugunsten der Klägerin ein Freibetrag i.H.v. 10.600.- Euro. Dieser Freibetrag mindert sich in analoger Anwendung von § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 3 AlhiV um den Wert der Lebensversicherung, jedoch gem. § 1 Abs. 2 Satz 2 AlhiV a.E. nur in der Höhe, dass ein Betrag von 4.100.- Euro nicht unterschritten wird (zur Wirkungsweise einer Privilegierung aufgrund § 1 Abs. 3 Nr. 3 AlhiV siehe LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 07.04.2004, L 12 (9) AL 265/03). Da das sonstige Vermögen der Klägerin (Bausparguthaben; Guthaben auf dem Girokonto) diesen Betrag nicht übersteigt, ist sie auch bedürftig iS.d. §§ 190 Abs. 1 Nr. 5, 193 Abs. 2 SGB III und hat daher einen Anspruch auf Alhi.

Die Lebensversicherung der Klägerin auf Rentenbasis ist bei der Bedürftigkeitsprüfung in analoger Anwendung von § 1 Abs. 3 Nr. 3 AlhiV (und dementsprechend § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 AhiV) zu berücksichtigen. Nach § 1 Abs. 3 Nr. 3 AlhiV ist das nach § 10a oder dem XI. Abschnitt des Einkommenssteuergesetzes (EstG) geförderte Altersvorsorgevermögen einschließlich seiner Erträge und der geförderten laufenden Altersvorsorgebeiträge, soweit der Inhaber das Altersvorsorgevermögen nicht vorzeitig steuerschädlich verwendet, nicht als Vermögen zu berücksichtigen. Der Grund für die Privilegierung dieses Vermögens (der sog. "Riester-Rente") gegenüber insbesondere Kapitallebensversicherungen liegt in der besonderen Zweckbindung der in § 1 Abs. 3 Nr. 3 AhiV aufgeführten Versicherungen, während bei Kapitallebensversicherungen eine Verwendung zum Zweck der Altersvorsorge möglich, aber nicht zwingend ist (LSG Nordrhein-Westfalen, a.a.O. sowie Urteil vom 22.09.2004, L 12 AL 109/04; LSG Berlin, Urteil vom 02.09.2003, L 6 AL 16/03).

Dieselben Erwägungen führen nach Auffassung der Kammer jedoch dazu, die Privilegierung aus § 1 Abs. 3 Nr. 3, Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 AhiV auch auf solche Lebensversicherungen auszudehnen, in denen sich der Versicherer zur Zahlung einer (in ihren Modalitäten der Rente aus der Gesetzlichen Rentenversicherung vergleichbaren) monatlichen Rente verpflichtet und sich ein der "Riester-Rente" vergleichbarer Zweck in den vertraglichen Vereinbarungen (unter Einbeziehung der wirtschaftlichen Begleitumstände) manifestiert. Mit derartigen - meist vor Einführung der sog. "Riester-Rente" geschlossenen - Lebensversicherungsverträgen verfolgen die Versicherungsnehmer ganz regelmäßig den Zweck, ihr Einkommen nach Ausscheiden aus dem Erwerbsleben aufzubessern und nicht auf bedarfsorientierte Sozialleistungen angewiesen zu sein.

Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall gegeben. Der von der Klägerin abgeschlossene Lebensversicherungsvertrag richtet sich grundsätzlich auf eine Verwendung als monatliche Rente im Alter, insbesondere besteht der Rentenanspruch der Klägerin ab dem 01.09.2015 und somit ab dem Monat nach Vollendung des 65. Lebensjahres.

Der analogen Anwendung von § 1 Abs. 3 Nr. 3 AhiV steht auch nicht entgegen, dass der Lebensversicherungsvertrag die Möglichkeit einer Kapitalabfindung in Höhe von ungefähr 15 Jahresrenten vorsieht. Angesichts der gesamten wirtschaftlichen Lebensverhältnisse der Klägerin stellt die Auszahlung des Lebensversicherungsguthabens im Rentenwege dessen einzig wirtschaftlich sinnvolle Verwertung dar, denn eine Kapitalabfindung hätte zur Folge, dass der Lebensunterhalt der Klägerin nach Verbrauch des Kapitals nicht mehr hinreichend gedeckt ist, und liefe dem von der Klägerin nachvollziehbar dargelegten wirtschaftlichen Zweck der Lebensversicherung zuwider. Darüber hinaus ist auch bei der sog. "Riester-Rente" eine andere Auszahlung als auf regelmäßiger Rentenbasis vorgesehen, wie sich aus § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, 5, 10 c des Gesetzes über die Zertifizierung von Altersvorsorgeverträgen (Altersvorsorgeverträge-Zertifizierungsgesetz - AltZertG i.d.F. vom 05.07.2004 - BGBl. I, 1427) ergibt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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