L 10 VG 18/04

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
10
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 15 VG 207/03
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 10 VG 18/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 24. Juni 2004 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im zweiten Rechtszug nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Der 1952 geborene Kläger begehrt Versorgung nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (Opferentschädigungsgesetz - OEG).

Der Kläger wurde in der Neujahrsnacht vom 01.01.2001 von seinem Schwager S U (S.U.) verletzt. Er erlitt dabei im Wesentlichen eine Nasenbeinfraktur, eine Kontusion im Gesicht links, eine Platzwunde an der linken Augenbraue sowie eine Thoraxprellung (Bescheinigung des Dr. T vom 16.01.2001).

Am 02.02.2001 beantragte der Kläger Beschädigten-Versorgung nach dem OEG. Zur Begründung gab er an, gegen Ende der Silvesterfeier von S.U. geschlagen worden zu sei. Er führte aus: "Die Feier fand im Familienkreise statt in der Werkstatt des Mannes meines Schwägerin. Das Café H ist eine Kneipe zwei Häuser weiter. Nachdem ein Unfall mit Raketen, bei dem der Sohn meiner Schwägerin schwer verletzt wurde, den Beginn des Neuen Jahres überschattet hat, feierte der Mann meiner Schwägerin im besagten Café weiter und tanzte, lachte und amüsierte sich. Ich regte mich meiner Frau gegenüber über dieses Verhalten auf. Ich sagte dem Mann meiner Schwägerin mit einem Satz meine Meinung, worauf er ohne Vorwarnung mit zwei Fausthieben mein Gesicht zerschlug und mit einem dritten Schlag gegen mein Brustbein boxte."

Der Beklagte zog die Akten der Staatsanwaltschaft L (Allgäu) - 228 Js 1718/01 - bei. Daraus ergibt sich: Die Familien des Klägers und des S.U. hatten sich trotz jahrelanger Differenzen zwischen den beiden Schwägern auf Wunsch der gemeinsamen Schwiegermutter anlässlich deren Geburtstags zu einer Silvesterfeier in T im Allgäu getroffen. Bei der Explosion eines Feuerwerkskörpers verletzte sich der minderjährige Sohn des S.U. an beiden Händen. S.U. begleitete seinen Sohn zunächst ins Krankenhaus T und anschließend in das Kreiskrankenhaus J. Dort wurde er angehalten, nach Hause zurückzukehren, weil sein Sohn operativ versorgt werden würde und wegen der Narkose zunächst nicht besucht werden könne. S.U. begab sich darauf hin zurück zur Silvesterfeier. Der Kläger zeigte für dieses Verhalten kein Verständnis und äußerte sich darüber laut und mehrfach. Nach seinen eigenen Angaben sagte er zu S.U. "S, Du bist für mich ein elender Wichser.". Nach Aussagen der von der Polizei vernommenen Zeugen hat der Kläger S.U. mehrfach "angepöbelt" und beschimpft; er habe Worte wie "blöder Hund" und "Wichser" gebraucht; er habe S.U. als "schlechten Vater" bzw. "beschissenen Vater" bezeichnet. Nach diesen Äußerungen habe S.U. dem Kläger zwei oder drei Faustschläge versetzt (Aussagen des N H, des M I und des H Q).

Das gegen S.U. eingeleitete Strafverfahren wurde durch Beschluss des Amtsgerichts Kempten gem. § 153 Abs. 2 Strafprozessordnung eingestellt. Die Kosten des Strafverfahrens trug die Staatskasse, seine außergerichtlichen Kosten trug S.U. selbst.

Mit Bescheid vom 18.02.2002 lehnte der Beklagte den Antrag auf Beschädigtenversorgung mit der Begründung ab, der Kläger sei zwar Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs geworden. Leistungen seien aber gem. § 2 Abs. 1 Satz 1 OEG zu versagen, wenn der Beschädigte die Schädigung verursacht habe. Der Kläger habe sich im Vorfeld des Angriffs gegen seine Person im hohen Maße provokativ und beleidigend verhalten und sich in herabsetzender Weise gegenüber S.U. geäußert und dadurch eine wesentliche Mitbedingung für den späteren Angriff gesetzt.

Auf den Widerspruch des Klägers zog der Beklagte die Akten des Landgerichts (LG) Kempten - 1 O 650/02 - bei. In diesem Verfahren hatte der Kläger Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche gegen S.U. geltend gemacht. Die Parteien haben sich vergleichsweise darauf geeinigt, das S.U. dem Kläger zur Abgeltung sämtlicher Forderungen einen Betrag von 2.000 ¤ zahlt. In seinem Kostenbeschluss hat das LG dem Kläger 93 % der Kosten des Verfahrens auferlegt und zur Begründung u.a. ausgeführt, dass unstreitig der Kläger derjenige gewesen sei, der, ohne dass der Beklagte ihm dazu Anlass gegeben habe, diesem gegenüber aggressiv aufgetreten sei. Dem Kläger habe auch klar sein müssen, dass er aufgrund der allgemeinen Alkoholisierung mit einer extremeren Reaktion des Beklagten zu rechnen hatte. Aufgrund der Schwere der Beleidigungen müsse das Gericht von einer überwiegenden Schuld des Klägers ausgehen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 27.05.2003 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück.

Mit Klage vom 03.07.2003 hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt. Er hat ausgeführt, er bestreite die gegenüber S.U. abgegebenen Äußerungen nicht; an die Äußerung, S.U. sei ein beschissener Vater, könne er sich allerdings nicht erinnern.

Der Kläger hat schriftlich sinngemäß beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 18.02.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27.05.2003 zu verurteilen, ihm Versorgung nach dem OEG zu gewähren.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Sozialgericht (SG) Gelsenkirchen hat die Klage mit Urteil vom 24.06.2004 abgewiesen und u.a. zur Begründung ausgeführt: Leistungen nach dem OEG seien nach § 2 Abs. 1 OEG zu versagen, weil der Kläger die Schädigung wesentlich im Sinne der im Versorgungsrecht geltenden Kausalitätsnorm mitverursacht habe; sein Verhalten sei dem Tatbeitrag des S.U. in etwa gleichwertig gewesen. Der Kläger habe S.U. insbesondere durch seine eingeräumten Aussprüche eindeutig beleidigt; die Äußerung sei in ehrenrühriger Weise geschehen und erfüllt damit den Straftatbestand der Formalbeleidigung (§ 185 Strafgesetzbuch). Der Kläger habe unter den gegebenen Umständen, zumal sowohl er als auch S.U. reichlich Alkohol zu sich genommen hätten, und aufgrund ihrer familiären Streitigkeiten mit einer nicht nur verbalen Gegenreaktion des Beleidigten rechnen müssen. Faustschläge als spontane "tätliche Vergeltung" seien naheliegend und geradezu vorprogrammiert gewesen. Wie die Erfahrung lehre, führten zwischenmenschliche Auseinandersetzungen in dieser Art recht häufig zu gegenseitigen Beleidigungen, teilweise gepaart mit Körperverletzungen. Solche Vorgänge seien gleichsam an der Tagesordnung.

Gegen das am 14.07.2004 zugestellte Urteil hat der Kläger am 20.07.2004 Berufung eingelegt, mit der er sein Begehren weiter verfolgt. Er trägt vor, er habe S.U. nicht beleidigen bzw. provozieren wollen, sondern habe lediglich seine Meinung geäußert. Er weise nochmals darauf hin, dass S.U. ausgebildeter Karatekämpfer sei.

Die Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

das Urteil des SG Gelsenkirchen vom 24.06.2004 abzuändern und nach seinem erstinstanzlichen Antrag zu erkennen.

Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Der Senat hat die Beteiligten auf seine Absicht hingewiesen, die Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zurückzuweisen.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die o.a. Akten der Staatsanwaltschaft L und des LG Kempten sowie die Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.

II.

Der Senat kann über die Berufung des Klägers nach § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss entscheiden, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet hält und eine mündliche Verhandlung entbehrlich ist. Der Senat hat die Beteiligten hierzu mit Schreiben vom 31.08.2004 angehört; die Beteiligten haben keinen Einwand erhoben.

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen; denn der Kläger ist durch die angefochten Bescheide des Beklagten vom 18.02.2002 und 27.05.2003 nicht beschwert. Er hat keinen Anspruch auf Versorgung nach dem OEG.

Zur Begründung - und Vermeidung von Wiederholungen - nimmt der Senat auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Urteils (§ 153 Abs. 2 SGG) Bezug und führt ergänzend aus:

Das SG hat nach umfassender Würdigung des Sachverhalts zu Recht festgestellt, dass der Kläger die Schädigung selbst wesentlich mitverursacht hat. Ein Anspruch auf Leistungen nach dem OEG entfällt damit bereits nach der 1. Alternative des § 2 Abs. 1 OEG.

Soweit der Kläger mit seiner Berufung angibt, er habe S.U. nicht beleidigen, sondern lediglich seine Meinung äußern wollen, ist dieses Vorbringen unbeachtlich. Der Kläger hat S.U. zumindest als "Wichser" bezeichnet. Diese Wortwahl zeigt offenkundig und unwiderlegbar, dass er S.U. in abfälliger Weise charakterlich abzuwerten beabsichtigte. Die Äußerung ist in ehrenrühriger Weise geschehen und erfüllt damit den Straftatbestand der Formalbeleidigung.

Dem unstreitigen Umstand, dass S.U. ausgebildeter Karatekämpfer ist, vermag der Senat vorliegend ebenfalls keine Bedeutung zuzumessen, zumal auch der Kläger selber daraus keine Rückschlüsse darzulegen vermag. Jedenfalls rechtfertigt dieser Umstand weder die ausschließlich von dem Kläger ausgehenden, provozierenden Beleidigungen, noch gibt es Anhaltspunkte dafür, dass für die darauf vorhersehbar folgende Reaktion des S.U. seine Ausbildung als Karatekämpfer in irgendeiner Form mitursächlich sein könnte.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen (§ 160 Abs. 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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