L 3 U 40/01

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 3 U 40/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 13. Dezember 2000 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt Verletztenrente wegen der Folgen eines Arbeitsunfalls am 10. August 1993.

Am Unfalltage befand sich der Kläger mit seinem PKW auf dem Weg zur Arbeit, als ein nachfolgendes Fahrzeug auf diesen auffuhr und erheblich beschädigte. Etwa 50 Minuten nach dem Unfall wurde der Kläger mit dem Rettungswagen in das Universitätskrankenhaus Eppendorf (UKE) eingeliefert.

Der Durchgangsarztbericht der chirurgischen Abteilung des UKE vom 12. August 1993 weist als Befund eine massive Schonhaltung des Patienten im Nacken/Schultergürtelbereich sowie eine diskrete Schiefhaltung des Halses auf. Der Patient blicke leicht nach rechts, bei Rotation des Halses Schmerzzunahme über der Halswirbelsäule, Kribbelparästhesie an der rechten Schulter und am rechten Arm sowie Hypästhesie der rechten Gesichtshälfte und des rechten radialen Unterarms. Die grobe Kraft (Handdruck) rechts sei im Seitenvergleich schwächer, obwohl der Patient Rechtshänder sei. Es liege kein Ohrensausen, keine Schluckstörung und kein Horner-Syndrom vor. Zum Hergang des Unfalls wurde angegeben, dass der Patient bei dem Verkehrsunfall vorn gesessen habe. Es habe keine Bewusstlosigkeit, kein Erbrechen und keine Amnesie vorgelegen, jedoch eine bekannte degenerative Veränderung der Halswirbelsäule sowie ein Zustand nach Bandscheiben-Operation im Segment L4/L5. Die Beschwerden seien unmittelbar nach dem Unfall aufgetreten. Röntgenologisch wurde im Bereich der Halswirbelsäule ein Kantensprung im Bereich C3/C4 und C5/C6 (2 mm) beschrieben, mit Zunahme in Funktionsaufnahme. Diagnostiziert wurde eine schwere Halswirbelsäulen-Distorsion.

Der Kläger wurde noch am Unfalltag im UKE neurologisch untersucht. Hierbei zeigte er sich initial wach und orientiert. Im Bereich der Hirnnerven ließ sich kein Horner-Syndrom nachweisen, die Oculo-Pupillomotorik zeigte sich in allen Einzelheiten regelrecht. Der Cornealreflex war symmetrisch auslösbar bei subjektiver Angabe einer Missempfindung im Bereich des 1. und 2. Trigeminusastes der rechten Seite. Der übrige Hirnnervenbefund war regelrecht. Im Bereich der oberen Extremitäten ließen sich keine Paresen nachweisen, der Bizepsreflex war rechtsseitig geringgradig abgeschwächt, sonst waren die MDR seitengleich auslösbar. Bei vollständig erhaltener Spitz-Stumpf-Diskrimination wurden Missempfindungen im Bereich der Dermatome C2 - C6 der rechten Seite angegeben. Im Bereich der unteren Extremitäten ließen sich geringgradige Hypästhesien der Dermatome L5 beider Beine nachweisen, der Trizeps-Surae-Reflex war rechtsseitig abgeschwächt, Paresen lagen nicht vor. Das Zeichen nach Lasegue war beidseitig endgradig positiv. In der neurologischen Kontrolluntersuchung am darauf folgenden Tage wurden lediglich noch Missempfindungen festgestellt, die am rechten Arm im Bereich der ulnaren Unterarmseite im Sinne einer Irritation C8 angegeben wurden. Die Sensibilitätsstörungen der höher liegenden Dermatome waren nicht mehr zu objektivieren, die MDR der Arme waren jetzt alle seitengleich auslösbar. Auf den Untersuchungsbericht des UKE vom 7. September 1993 (Blatt 9 f. der Verwaltungsakte) wird ergänzend Bezug genommen.

Der Versicherte wurde bis zum 19. August 1993 auf der chirurgischen Abteilung des UKE konservativ durch Ruhigstellung mit Schanzscher Krawatte und Schmerzmedikation behandelt und anschließend in die neurologische Abteilung des Krankenhauses verlegt, von wo er am 8. September 1993 entlassen wurde. In dem Arztbericht der neurologischen Abteilung des UKE für den behandelnden Orthopäden des Klägers, Dr. H., vom 29. September 1993 heißt es unter Zusammenfassung und Verlauf:

Bei einem Auffahrunfall erlitt der Patient ein HWS-Schleudertrauma ohne klinische Anzeichen für Paresen, sensible Ausfälle oder eine sensible Dystaxie, Blasen- und Mastdarmstörungen waren nicht nachweisbar. Die Doppplersonographie der Halsgefäße und das EMG zeigten ebenfalls unauffällige Befunde. Auch computertomographisch fand sich kein Hinweis auf einen Bandscheibenvorfall im HWS- oder LWS-Bereich. Die Hypästhesie am rechten Vorfuß/Großzeh und einen abgeschwächten Triceps-Surae-Reflex fassten wir als Residuen des Bandscheibenvorfalls L4/L5 rechts von 1990 auf. Die Parästhesien im Bereich des Dermatoms C 8 beidseits führten wir auf eine Irritation der Wurzel C 8 zurück. Die keinem Dermatom zuzuordnenden Parästhesien im Bereich beider Beine fassten wir bei Hinweisen im SEP auf eine zentrale Reizleitungsstörung im Bereich der kaudalen Halsmarkregion als Zeichen einer cervikalen Myelonirritation auf.

Vom 29. September bis zum 10. November 1993 wurde auf Veranlassung der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte eine Anschlussheilbehandlung in der Rheumaklinik Bad B. durchgeführt. In dem ärztlichen Entlassungsbericht vom 15. November 1993 werden als Diagnosen ein HWS-Syndrom und fragliche zervikale Myelonirritation nach HWS-Schleudertrauma sowie Zustand nach Nukleotomie L4/5 rechts 1990 angegeben. Zum neurologischen Befund heißt es, die Hirnnervenfunktionsprüfung sei unauffällig, Tonus und Kraft der oberen und unteren Extremitäten seitengleich unauffällig. Zusammenfassend wird angegeben, es hätten sich in einem Medianus- und Tibialis-SEP vom 18. Oktober 1993 keine sicheren Zeichen einer Funktionsstörung im zervikalen Myelonbereich gefunden. Zwischenzeitlich gebe der Versicherte körperlich Symptome an, die sich dadurch auszeichneten, das sie erstens von flüchtigem Charakter, zweitens mit starken Ängsten verbunden seien und für die drittens keine morphologisch erkennbare Ursache zu finden sei. Soweit der Patient angebe, es sei zum Zurücksinken der Zunge mit Erstickungsangst und zu vorübergehenden Verkrampfungen der seitlichen Halsmuskulatur gekommen sowie zu Kribbelparästhesien im Bereich beider Unterarme, der Hände und Beine, habe sich aus neurologischer Sicht keine Erklärung gefunden. Der Patient sei auf eine mögliche psychogene Ursache der Symptome angesprochen und es sei ihm eine psychotherapeutische Behandlung angeraten worden. Er werde als arbeitsunfähig entlassen, jedoch sollte eine Wiederaufnahme der letzten beruflichen Tätigkeit mittelfristig möglich sein. Auf den Entlassungsbericht der Rheumaklinik Bad B. (Blatt 56 ff. der Verwaltungsakte) wird ergänzend Bezug genommen.

Die Beklagte zog Befundberichte der neurologischen Abteilung des UKE vom 7. Januar 1994, des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. vom 10. Februar 1994 und des Arztes für Orthopädie Dr. H. vom 21. Februar 1994 bei. In dem Bericht der neurologischen Klinik des UKE heißt es, es sei ein HWS-Schleudertrauma mit Hinweisen auf Irritationen im Bereich der zervikalen Wurzel C8 beider Seiten diagnostiziert worden. Die subjektive Systematik dort habe in Parästhesien im Bereich des betroffenen Dermatoms bestanden, während sich neurologische Ausfälle im Bereich des peripheren Nervensystems weder klinisch noch elektromyographisch nachweisen ließen. Auch eine Irritation des Nervus ulnaris sei neurologisch auszuschließen. Im Bereich des Halsmarks hätten sich geringgradig verlängerte Konduktionszeiten gezeigt, sodass eine Halsmarkirritation im Zusammenhang mit dem Schleudertrauma zumindest nicht auszuschließen sei. Als dritter Symptomkomplex habe sich das Residium eines Bandscheibenvorfalls mit Bandscheibenoperation aus dem Jahre 1990 mit geringgradigen Hypästhesien im Bereich des rechten Vorfußes sowie eines rechtsseitig abgeschwächten Trizeps-Surae-Reflexes gefunden. Das Beschwerdebild habe sich unter medikamentöser, krankengymnastischer und physikalischer Behandlung langsam zurückgebildet und es seien bei der Entlassung mit Ausnahme der Residualsymptomatik nach Bandscheibenoperation keine objektiven neurologischen Ausfälle mehr nachweisbar gewesen. Jedoch habe eine subjektive Beeinträchtigung durch Schmerzen im Bereich der Schulter- und Nackenmuskulatur sowie gelegentliche Parästhesien bestanden. Auf den Bericht der neurologischen Abteilung des UKE vom 7. Januar 1994 (Blatt 47 f. der Verwaltungakte) wird ergänzend Bezug genommen. Dr. S. verwies auf die im UKE gestellten Diagnosen einer mittels SEP nachgewiesenen zentralen Reizleitungsstörung, welche als zervikale Myelonirritation interpretiert worden sei und gab ferner an, dass sich im Laufe des Jahres 1994 im Rahmen krankengymnastischer Übungsbehandlung die Rückenschmerzsymptomatik erheblich verstärkt habe, ohne dass sich die neurologische Symptomatik verändert habe. Auf den Befundbericht von Dr. S. (Blatt 66 f. der Verwaltungsakte) wird ergänzend Bezug genommen. Dr. H. gab eine erhebliche Druckschmerzhaftigkeit der gesamten Schulter/Nackenmuskulatur an. Die Beweglichkeit der Halswirbelsäule sei in allen Freiheitsgraden um ca. 1/2 bis 2/3 eingeschränkt. Es bestünden Parästhesien im Bereich der Unterarme bis in den kleinen Finger, rechts mehr als links, sowie am Fußaußenrand beiderseits.

Auf Veranlassung von Dr. S. wurde der Kläger vom 14. März bis zum 9. April 1994 im Neuro-Orthopädischen Krankenhaus im Reha-Zentrum S. stationär behandelt. Dort blieb trotz wechselnder Behandlungsmethoden das Beschwerdebild im Behandlungsverlauf inkonstant und es konnte subjektiv eine Beschwerdeverbesserung nicht erzielt werden. Auf den Entlassungsbericht des Reha-Zentrums S. vom 28. April 1994 (Blatt 172 ff. der Verwaltungsakte) wird ergänzend Bezug genommen.

Die Beklagte beauftragte den Arzt für Chirurgie/Unfallchirurgie Dr. L. mit der ambulanten Untersuchung und anschließenden schriftlichen Begutachtung. Dieser veranlasste zunächst eine ambulante neurologisch/psychiatrische elektromyographische und elektroneurographische Untersuchung durch den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. H1. In seinem schriftlichen Gutachten vom 26. Juli 1994 gelangte dieser zu der Feststellung, dass die Bewegungseinschränkung im Bereich der Halswirbelsäule mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis im Sinne einer Verschlimmerung eines anlagebedingten Leidens zurückzuführen sei. Aus neurologisch/psychiatrischer Sicht handele es sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit um eine vorübergehende Verschlimmerung, die allenfalls für ein Jahr anzunehmen sei. Danach vorhandene Symptome und Beschwerden seien als Ausdruck unfallunabhängiger degenerativer Veränderungen der Halswirbelsäule aufzufassen. Alsdann wurde der Kläger am 5. August 1994 von Dr. L. ambulant untersucht. Dr. L. vertrat in seinem schriftlichen Gutachten vom 14. September 1994 die Auffassung, dass bei Würdigung des Unfallhergangs davon auszugehen sei, dass das Ereignis eine Zerrung der Halswirbelsäule sicher hervorgerufen habe, wobei in Anbetracht des sofort aufgetretenen Beschwerdebildes eine Zerrung entsprechend dem Schweregrad II nach Erdmann angenommen werden müsse. Ein Schweregrad III könne mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden. Das angeschuldigte Ereignis habe eine vorübergehende Verschlimmerung eines vorbestehenden Schadens im Bereich der Halswirbelsäule hervorgerufen. Unfallfolgen seien spätestens mit Abschluss der Behandlung im Krankenhaus Bad B. nicht mehr zu sehen und die Verschlimmerung sei als abgeschlossen zu betrachten. Das dann bestehende Beschwerdebild und die weiterhin bestehende Arbeitsunfähigkeit, die auch heute noch nachzuweisen seien, seien auf den Vorschaden und nicht auf das Unfallereignis zurückzuführen.

Vom 23. November bis zum 28. Dezember 1994 wurde der Kläger erneut stationär behandelt. Im Kreiskrankenhaus H. wurde zunächst ein Bandscheibenvorfall im Segment L4/L5 operativ beseitigt und alsdann eine Fusion des Bewegungssegments C3/C4 mit einem Knochenspan durchgeführt. Auf den Entlassungsbericht des Krankenhauses (Blatt 295 ff. der Verwaltungsakte) wird ergänzend Bezug genommen).

Mit Bescheid vom 20. März 1995 erkannte die Beklagte das Ereignis vom 10. August 1993 als Arbeitsunfall an, lehnte aber gleichzeitig die Gewährung einer Verletztenrente ab. Der Arbeitsunfall habe nach dem Wegfall der Arbeitsunfähigkeit keine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in rentenberechtigendem Grade zur Folge. Zu keiner Zeit seien Strukturschäden im Bereich der Halswirbelsäule und es seien auch keine Schäden auf neurologischem Fachgebiet festgestellt worden, die auf das angeschuldigte Ereignis zurückzuführen seien. Dieses habe nach Art und Schwere lediglich im Sinne einer vorübergehenden Verschlimmerung zu einer unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit vom Unfalltag bis zum 10. November 1993 geführt. Auf den Bescheid der Beklagten (Blatt 302 ff. der Verwaltungsakte) wird ergänzend Bezug genommen.

Zur Begründung seines gegen diesen Bescheid fristgerecht erhobenen Widerspruchs führte der Kläger im Wesentlichen aus, die Begründung sei medizinisch nicht nachzuvollziehen. Der Bescheid lasse jede ärztliche Berufsethik bzw. Moral und die gute Sitte außer Acht.

Im Widerspruchsverfahren ließ die Beklagte den Verletzten durch den leitenden Arzt der Abteilung für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie des Allgemeinen Krankenhauses H.H., Dr. H2, begutachten. Dieser hielt es in seinem nach Aktenlage gefertigten schriftlichen Gutachten vom 24. Oktober 1995 für bewiesen, dass das Unfallereignis auf eine vorgeschädigte und funktionsgeminderte Halswirbelsäule wie auch Lendenwirbelsäule getroffen sei. Am 10. November 1993 habe klinisch funktionell nach dem angeschuldigten Ereignis ein funktioneller Zustand der Halswirbel- und Lendenwirbelsäule vorgelegen, wie er zum Zeitpunkt des Unfalls am 10. August 1993 bestanden hatte. Durch röntgenologische Untersuchungsmethoden - einschließlich einer Kernspintomographie - habe nachgewiesen werden können, dass Strukturveränderungen durch das Unfallereignis an der Halswirbelsäule nicht stattgefunden hätten. Der am Unfalltag beschriebene Kantensprung von 2 mm im Halswirbelsäulenbewegungs-Segment C3/C4 sei verursacht durch die unfallunabhängige Bandscheibenschädigung in diesem Bewegungssegment. Die Strukturveränderung im Bewegungssegment C3/C4 mit Höhenminderung des Zwischenwirbelraums aufgrund einer Bandscheibenerkrankung habe bereits am 21. Juni 1991 röntgenologisch nachgewiesen werden können. Es sei somit festzustellen, dass am 10. November 1993 wesentliche Unfallfolgen nicht mehr vorgelegen hätten. Dies werde auch durch das neurologische Zusatzgutachten vom 26. Juli 1994 sowie durch das fachchirurgische Zusammenhangsgutachten vom 14. September 1994 nachgewiesen. Es sei davon auszugehen, dass Arbeitsfähigkeit ab 10. November 1993 eingetreten sei. Wesentliche Unfallfolgen seien ab diesem Zeitpunkt nicht mehr nachweisbar. Es sei durch das angeschuldigte Ereignis somit zu einer vorübergehenden Verschlimmerung der Vorschädigung der Wirbelsäule gekommen, die durch entsprechende Heilmaßnahmen behandelt worden sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 26. Januar 1996 wies die Beklagte den Widerspruch unter Hinweis auf die stattgefundene ärztliche Begutachtung zurück.

Mit seiner hiergegen fristgerecht erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiter verfolgt und geltend gemacht, er erhalte zurzeit von dem zuständigen Rentenversicherungsträger eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit mit einem Rentenbeginn am 1. März 1994. Diese Erwerbsunfähigkeit habe ihre Ursache ausschließlich im Unfallgeschehen. Sie sei nicht Ausfluss einer vorgeschädigten und funktionsgeminderten Hals- und Lendenwirbelsäule.

Das Sozialgericht hat Befundberichte von dem Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. und dem Arzt für Orthopädie Dr. H. beigezogen und ein Vorerkrankungsverzeichnis des Klägers von dessen Krankenkasse eingeholt. Hierauf wird (Blatt 20 ff., Blatt 35 und Blatt 36 ff. der Gerichtsakte) ergänzend Bezug genommen. Es hat den Kläger ferner durch den Arzt für Chirurgie/Unfallchirurgie M. ambulant untersuchen und schriftlich begutachten lassen. Der medizinische Sachverständige hat im Wesentlichen ausgeführt, dass eine Behandlungsdauer für die Unfallfolgen bis zum Abschluss der stationären Heilbehandlung am 10. November 1993 lediglich unter der Prämisse zu rechtfertigen sei, dass eine Zerrung der Halswirbelsäule bei vorbestehenden degenerativen Veränderungen verzögert zur Ausheilung gekommen sei. Bei fehlenden objektiven Verletzungsfolgen gebe es keine medizinischen Gründe, die Dauer der unfallbedingten Behandlungsbedürftigkeit über diesen Zeitraum hinaus zu verlängern. Die MdE werde aus unfallchirurgischer Sicht auf unter 10 v.H. eingeschätzt. Auf das schriftliche Gutachten vom 11. September 1997 (Blatt 49 ff. der Gerichtsakte) wird ergänzend Bezug genommen. Ebenfalls im Verfahren vor dem Sozialgericht hat der Arzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. F. den Verletzten ambulant untersucht und schriftlich begutachtet. Er vertritt in seinem schriftlichen Gutachten vom 30. September 1997 die Auffassung, dass sich der Kläger bei dem Unfall eine Halsmarkschädigung vom Typ der so genannten hinteren Halsmarkcontusion zugezogen habe. Dies erkläre die im Beschwerde- und Behandlungsverlauf fortbestehende Sensibilitätsstörung an der Ellenseite beider Arme und angrenzender Handflächen ebenso wie die initial bestehenden Sensibilitätsstörungen im Versorgungsgebiet der Nervenwurzel C2 bis C6 rechts. Alle übrigen Störungen seien - soweit sie das nervenärztliche Fachgebiet beträfen - durch die Halsmarkläsion nicht erklärbar. Die genannte Sensibilitätsstörung bedinge eine MdE von 10 v.H. ab Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit. Die Zeit unfallbedingter Arbeitsunfähigkeit sei mit dem Ablauf der Heilbehandlung am 10. November 1993 als beendet anzusehen.

Der Kläger hat den Feststellungen der vom Sozialgericht beauftragten Sachverständigen unter Hinweis auf ein in dem Zivilprozess gegen den Unfallgegner erstattetes fachorthopädisches Gutachten von Dr. K. und eine ebenfalls im Zivilprozess abgegebene neuro-chirurgische gutachterliche Stellungnahme von Prof. Dr. T. widersprochen. Dr. K. gelange zu dem Ergebnis, dass er aufgrund des Unfalls bis zum 10. August 1994 arbeitsunfähig krank gewesen sei. Prof. Dr. T. halte ihn seit dem Unfallereignis für unfallbedingt erwerbsunfähig. Ebenfalls hat sich der Kläger auf eine im Zivilprozess abgegebene gutachtliche Stellungnahme von Dr. S1/Dr. S2 vom 16. August 2000 bezogen. Auf die genannten Stellungnahmen (Blatt 166 ff., 218 ff. und 314 ff. der Gerichtsakte) wird ergänzend Bezug genommen.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 13. Dezember 2000 abgewiesen und sich hierzu auf die Ausführungen der medizinischen Sachverständigen M. und Dr. F. bezogen. Der Kläger sei wegen der Folgen des Arbeitsunfalls nicht in rentenberechtigendem Grade in seiner Erwerbsfähigkeit gemindert. Zwar sei aufgrund der Verformungen an beiden PKWs von einer Gefährdungsrelevanz für Fahrzeuginsassen auszugehen, jedoch könnten die bei einem Heckanstoß einwirkenden Kräfte zu Zerrungen lediglich im Bereich der kleinen Nackenmuskulatur, der Bänder und Gelenkkapseln der mittleren Halswirbelsäulensegmente führen. Eine Gefährdung der Lendenwirbelsäule durch einen Heckanstoß sei nach medizinischer Erfahrung nahezu ausgeschlossen, da Scher- und Rotationskräfte im Bereich der Lendenwirbelsäule nicht ansetzten. Beweisend für einen unfallbedingten Erstkörperschaden sei allein die objektive verletzungsspezifische strukturelle Veränderung. Ein solcher Verletzungsbefund habe beim Kläger nicht festgestellt werden können. Im Ergebnis habe das Unfallereignis vom 10. August 1993 im Zusammenwirken mit degenerativen Veränderungen eine vorübergehende Beschwerdesymptomatik der Halswirbelsäule verursacht, die verzögert zur Ausheilung gekommen sei. Das Beschwerdebild psychogener Natur sei nicht ursächlich auf den Unfall zurückzuführen, es liege insbesondere keine posttraumatische Belastungsstörung vor. Insoweit fehle es an der besonderen Schwere des auslösenden Ereignisses.

Gegen das am 10. Mai 2001 zugestellte Urteil hat der Kläger am 7. Juni 2001 Berufung eingelegt und zur Begründung vorgetragen, etwa 20 Prozent aller Halsschleudertraumata heilten nicht innerhalb von Wochen, Monaten oder maximal zwei Jahren folgenlos aus. Diese Kranken, zu denen er gehöre, erlitten durch den Unfall Veränderungen, die sie bleibend gegenüber dem Zustand, den sie vor dem Unfall hatten, in ihrer Gesundheit, ihrer Leistungsfähigkeit und auch ihrer Lebensqualität in einen geschädigten Zustand versetzten. Das Sozialgericht sei insoweit von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen. Es habe insbesondere die Gutachten von Prof. Dr. T. und Dr. S1/Dr. S2 falsch bewertet und zudem Tatsachen verschwiegen, auf die es ankomme. So habe es vor dem Unfall kein degeneratives Verschleißleiden der Hals- oder der Lendenwirbelsäule gegeben. Sämtliche diagnostizierten Beschwerden des Klägers rührten vom Unfall her. Die behaupteten degenerativen Veränderungen insbesondere im Segment C3/C4 habe es nicht gegeben. Vielmehr liege eine auf dem Unfall beruhende Halsmarkschädigung vor. Der Behebung dieser Schädigung habe die Operation in H. gedient. Aus dieser erst Monate nach dem Unfall beseitigten Schädigung habe sich zunächst eine posttraumatische Belastungsstörung entwickelt. Er habe sich schon im Rollstuhl sitzen sehen und es sei dann eine neurasthenische Persönlichkeitsstörung verblieben, die ihn auf Dauer verletzt sein lasse.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 13. Dezember 2000 aufzuheben sowie den Bescheid der Beklagten vom 20. März 1995 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26. Januar 1996 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger eine Verletztenrente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 10. August 1993 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Sie tritt dem Vorbringen des Klägers entgegen. So ergäben sich aus dem Vorerkrankungsverzeichnis der Krankenkasse des Klägers mehrere erhebliche Vorerkrankungen. Auch der aktenkundig dokumentierte Hergang des Ereignisses spreche gegen das Vorbringen zur Schwere des Unfalls. Er selbst habe angegeben, dass die Kopfstützen in seinem PKW vorhanden und richtig eingestellt gewesen seien. Sein Fahrzeug habe zudem durch Zuladung ein erhebliches Zusatzgewicht getragen, sodass von einer geringeren Beschleunigung durch das auffahrende Fahrzeug ausgegangen werden müsse. Hierfür sprächen auch die von der Polizei gefertigten Fotos. Schließlich sei auch nur die Windschutzscheibe des auffahrenden Fahrzeugs beschädigt gewesen. Auch führten nach neuesten Erkenntnissen Beschleunigungstraumata der Halswirbelsäule regelmäßig dann zu keinen wesentlichen und bleibenden Gesundheitsschäden, wenn nicht Bild gebend diagnostizierte Körperschäden vorlägen. Die von dem Kläger bemühten Gutachter, die zu für ihn positiven Ergebnissen gelangt seien, seien sämtlich im zivilrechtlichen Schadensersatzverfahren tätig geworden und hätten ihre Gutachten auf dem Boden einer anderen Kausalitätslehre abgegeben. Von überragender Bedeutung sei auch, dass mit dem Kläger eine weitere Person im Fahrzeug gesessen habe und dem gleichen Unfallmechanismus ausgesetzt gewesen sei. Diese Person habe zwar ebenfalls Verletzungen davongetragen, ihre Arbeitstätigkeit aber bereits nach drei Wochen wieder aufnehmen können. Soweit der Kläger über erhebliche gesundheitliche Beeinträchtigungen klage, könnten diese nicht dem Unfall angelastet werden. Diesem könne nicht mehr als die Qualität eines auslösenden Moments zugesprochen werden. Der Unfall habe auch nicht ein bestehendes Leiden Richtung gebend verschlimmert.

Das Berufungsgericht hat zur Vorbereitung eines ersten Verhandlungstermins am 6. Februar 2002 ein nervenärztliches Gutachten von Dr. N. eingeholt. Dr. N. ist nach Untersuchung des Klägers zu der Einschätzung gelangt, dass aus neurologischer Sicht kein ausreichender Anhalt dafür besteht, dass der Unfall über eine leichte Sensibilitätsminderung im Armbereich hinaus zu Veränderungen geführt hat. Auch psychische Veränderungen habe der Unfall nicht hervorgerufen. Der Unfall habe namentlich nicht zu einer posttraumatischen Belastungsstörung geführt. Der Unfall sei wahrscheinlich als alleinige Ursache für die Halswirbelsäulendistorsion sowie die damit verbundene leichte Halsmarkschädigung anzusehen. Zu weiteren Gesundheitsstörungen habe das Unfallereignis nicht geführt. Es habe die vorbestehenden degenerativen Verschleißerscheinungen der Halswirbelsäule dahingehend verschlimmert, dass diese sich vorübergehend akzentuierten. In dem genannten Verhandlungstermin hat Dr. N. sein Gutachten dahingehend erläutert, dass bei dem Kläger eine elektrophysiologisch nachgewiesene Irritation des Halsmarks bestehe, für die sich allerdings Bild gebend kein Korrelat gefunden habe. Des Weiteren bestehe bei dem Kläger das Bild eines so genannten algogenen Psychosyndroms, einer anhaltenden Schmerzkrankheit auf Grund der nach der Halswirbelsäulenoperation einsetzenden anhaltenden Symptomatik. Diese Schmerzerkrankung habe sich bereits verselbstständigt. Sie bedeute eine erhebliche Beeinträchtigung der psychischen Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit des Klägers. Die Irritation des Halsmarks sei möglicherweise auf eine Prellung des Halsmarks im Rahmen des Unfallgeschehens zurückzuführen. Dies sei allerdings nicht überwiegend wahrscheinlich zu machen, weil durch die bei dem Kläger vorbestehenden erheblichen Verschleißerscheinungen ebenfalls eine chronische mechanische Schädigung (Mikrotraumatisierung) des Halsmarks auftrete, welche in gleicher Weise die wechselhaften elektrophysiologischen Befunde erklären könne.

Ebenfalls im Senatstermin am 6. Februar 2002 hat der Neurochirurg Dr. S2 als nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) geladener Sachverständiger eine Einschätzung der bei dem Kläger bestehenden Erkrankungen abgegeben. Er steht auf dem Standpunkt, dass durch das Unfallereignis eine dramatische Veränderung des Bandscheiben- und Bänderapparats im Segment C3/C4 entstanden sei, und zwar im Sinne einer Bänder- und Bandscheibenschädigung. Dies ließe sich auch dadurch erkennen, dass es zu einer Verschiebung der Halswirbelkörper 3 über 4 gekommen sei, und zwar eindeutig erst nach dem Unfall. Der innere ursächliche Zusammenhang zwischen Unfall und dem nachgewiesenen operierten cervikalen Bandscheibenvorfall sei durch den örtlichen und vor allem zeitlichen Zusammenhang mit dem Trauma gegeben. Sofort nach dem Unfallereignis seien gravierende Symptome nicht nur von Seiten der Halswirbelsäule, sondern auch von Seiten des Halsmarks und der Nervenwurzel aufgetreten. Insoweit sei für die Bejahung des Unfallzusammenhanges entscheidend, dass die Funktionsaufnahmen nach dem Unfall Hinweise für eine Segmentlockerung im Halswirbelkörper C3/C4 im Sinne eines Gleitvorganges böten. Das Trauma habe einen Autofahrer mit krankheitsgeneigter Konstitution getroffen. Die unfallbedingte MdE betrage 30 v.H ...

In demselben Senatstermin ist der Arzt für Anästhesie und Schmerztherapie Dr. K1 gehört worden, welcher den Kläger seit Oktober 1995 behandelt. Dieser schloss aus der Erfahrung der Behandlung vieler chronischer Schmerzpatienten mit und ohne Trauma sowie Versteifungsoperationen, dass die von ihm anamnestisch erfasste dramatische Befundverschlechterung nach dem Trauma mit großer Wahrscheinlichkeit dieses als Ursache erkennen lasse.

Ebenfalls im Berufungsverfahren hat der Kläger das schriftliche Sachverständigengutachten des Dr. S2 vom 11. März 2002 eingereicht, welches dieser im Zivilrechtsstreit erstattet hat. Dr. S2 gelangt dort zu der Einschätzung, dass der Unfall zu einer Richtung gebenden Verschlimmerung eines vorbestehenden Verschleiß bedingten Halswirbelsäulenschadens geführt hatte, da es anstatt zu einer natürlichen altersbedingten Einsteifung der degenerativ geschädigten Segmente zu einer traumatischen Gefügelockerung mit Bänder- und Bandscheibenläsionen in zwei Höhen gekommen sei. Dieses sei verbunden mit einem Wirbelgleiten nach hinten, welches wiederum für eine Prellung oder kurzfristige Quetschung des Halsmarks im Sinne eines Kneifzangenphänomens verantwortlich zu machen sei. Ein vorher symptomarmer fester, harter cervikaler Bandscheibenvorfall sei durch das Trauma gelockert worden.

Das Berufungsgericht hat ferner ein radiologisches Gutachten von Dr. S3 eingeholt. Dr. S3 vertritt nach Einsicht in die Röntgenbefunde die Auffassung, dass bei dem Kläger eine degenerative Veränderung und Fehlstellung in Teilen der Halswirbelsäule sowie eine umschriebene Schädigung im Abschnitt des Halsrückenmarks vorliege. Jedoch könne anhand keines der Bild gebenden Verfahren festgestellt werden, ob der Unfall wahrscheinlich als alleinige Ursache für die Gesundheitsstörung anzusehen sei. Es sei wahrscheinlich, dass die Rückenmarkschädigung Folge des Unfalls sei. Dies könne jedoch anhand der Bilder nicht bewiesen oder widerlegt werden. Dies könne nur durch moderne Schnittbildverfahren festgestellt werden, die erst nach dem Unfall eingesetzt worden seien. Das Unfallereignis habe wahrscheinlich unfallunabhängige Vorschäden wesentlich verschlimmert. Zu einer Schädigung des Rückenmarks wäre es ohne den Unfall allein auf Grund langsam zunehmender degenerativer Veränderungen wahrscheinlich nicht gekommen. Die MdE werde auf mindestens 30 v.H. eingeschätzt.

Dr. N. hat nach Einsichtnahme in dieses Gutachten seine bisherige Auffassung aufrechterhalten. Es spreche nach dem radiologischen Gutachten mehr für eine Rückenmarkschädigung durch die degenerativ bedingten, spangenbildenden und auf das Rückenmark drückenden Osteophyten als für eine unfallbedingte Rückenmarksprellung, wenngleich diese nicht ausgeschlossen sei. Dr. S3 wiederum verblieb nach Vorlage der Äußerung Dr. N. bei der bisher schon von ihm vertretenen Auffassung.

Im Berufungsverfahren hat der Kläger eine weitere Stellungnahme von Dr. S2 vorgelegt. Dieser bekräftigt hier seine Auffassung, dass es bei dem Unfall zu einem traumatischen Halsmarkschaden durch ein so genanntes Kneifzangenphänomen gekommen sei, sowie zusätzlich zu einer inkompletten Bänder- und Bandscheibenzerreißung, und zwar auf der Grundlage des Verschleiß bedingten aber bisher kaum symptomatischen Halswirbelsäulenschadens im Segment HWK 3/4. Der Fall des Klägers sei insoweit eine Seltenheit. In der Neurochirurgie seien derartige Fälle aber durchaus bekannt. Bild gebend sei dies durch die vorliegenden Aufnahmen belegt. Vor dem Unfall sei das degenerativ vorgeschädigte Segment HWK 3/4 im Sinne einer Verschleiß bedingten Gefügestörung höhengemindert und mehrbeweglich mit einem Wirbelkörperversatz nach hinten um 2 mm gewesen. Posttraumatisch finde sich ein Wirbelgleiten über 4 mm im Sinne einer disco-ligamentären Instabilität. Dies habe letztlich die Operation in diesem Segment indiziert.

Daraufhin hat das Berufungsgericht ein Gutachten nach Aktenlage des Facharztes für Orthopädie Dr. N1 eingeholt. Dieser gelangt in seinem schriftlichen Gutachten vom 14. Oktober 2002 (Blatt 679 ff. der Gerichtsakte) zu der Einschätzung, dass zumindest der Vergleich der im Jahre 1991 und 1993 (nach dem Unfall) gefertigten Nativ-Aufnahmen eine traumatisch bedingte Zunahme der Instabilität C3/C4 nicht erkennen lasse. Demgegenüber zeigten die Funktionsaufnahmen vom 10. August 1993, eine translatorische Instabilität. Hieraus seien aber keine Erkenntnisse über ihre Ursache abzuleiten. Derartige Instabilitäten könnten sowohl degenerativer oder auch traumatischer Natur sein. Vorliegend handele es sich um eine degenerative Instabilität, die bereits im Jahre 1991 nachgewiesen worden sei und die durch den Unfall auch keine Verschlimmerung erfahren habe. Eine strukturelle Verletzung an knöchernen und/oder diskoligamentären Strukturen der Halswirbelsäule durch das Unfallgeschehen könne ausgeschlossen werden. Es habe sich aus orthopädischer Sicht um eine Distorsion der Halswirbelsäule vom Schweregrad II nach Erdmann gehandelt. Die MdE habe auf die Dauer von 1 Jahr maximal 10 v.H. betragen. Danach sei sie nicht mehr messbar.

Der Kläger hat daraufhin eine weitere Stellungnahme von Dr. S2 vom 29. Oktober 2002 eingereicht. Hierin vertritt dieser die Auffassung, dass sowohl Neurologe als auch Orthopäde einem Denkfehler unterlägen. Nicht der unbestrittene degenerative Vorschaden habe zu gravierenden Symptomen geführt, sondern der Umstand, dass das im Grunde nur mittelschwere Trauma auf ein degenerativ versetztes, also vorgeschädigtes Bandscheibensegment getroffen sei. Durch den traumatisch verursachten, krankhaften Bewegungsablauf sei es zu einer Überbelastung der vorgeschädigten disco-ligamentären Strukturen gekommen. Im Augenblick des Traumas sei der 3. Halswirbel gegenüber dem 4. noch mehr, d.h. deutlich über den vorbestehenden Versatz hinaus, nach hinten versetzt worden, so dass die krankhaften Randwülste an den Wirbelhinterkanten gegen die Vorderfläche des Halsmarks anschlagen und hier einen substantiellen Rückenmarkschaden verursachen konnten. Dieser Rückenmarkschaden sei letztlich wiederum ursächlich für das chronische Schmerzsyndrom. Insgesamt sei die MdE nicht unter 30 v.H. einzuschätzen.

Schließlich ist im Berufungsverfahren ein Gutachten nach ambulanter Untersuchung des Facharztes für Neurochirurgie Prof. Dr. F1 eingeholt worden. Prof. Dr. F1 gelangt in seinem schriftlichen Gutachten vom 5. September 2003 und der Ergänzung hierzu vom 31. Oktober 2003 (Blatt 895 der Gerichtsakte) zu der Einschätzung, eine über die degenerativen Vorschäden hinausgehende zusätzliche erhebliche Bandschädigung oder gar Bandzerreißung könne nicht bestätigt werden. Folge des Unfalls seien lediglich Sensibilitätsstörungen im Handbereich, die feinmotorische Arbeiten und Aktivitäten erschwerten. Die übrigen zurzeit geklagten Beschwerden seien nicht durch den Unfall verursacht worden. Die chronischen Schmerzen ließen sich durch keinerlei Veränderungen des Rückenmarks erklären. Der Zusammenhang werde nur von Dr. S2 behauptet, konkret gesichert sei er nicht.

Im Senatstermin am 22. Juni 2004 hat der medizinische Sachverständige Prof. Dr. F1 sein schriftliches Sachverständigengutachten ergänzt und dahingehend erläutert, dass die Schädigung mit Schmerzen und nachfolgender psychiatrischer Behandlung durch die degenerativen Veränderungen im Bereich der Halswirbelsäule und nicht durch den Unfall bedingt sind. Er habe den Kläger bereits im Jahre 1994 untersucht und die Störungen seinerzeit bereits auf die degenerativen Veränderungen zurückgeführt. Allein die Sensibilitätsstörungen im Handbereich mit Einschränkungen der Feinmotorik und ohne Auswirkungen auf die Greiffunktionen der Hand seien mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit auf den Unfall zurückzuführen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme im Übrigen wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der ausweislich der Niederschrift über die öffentliche Senatssitzung vom 22. Juni 2004 zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung des Senats gemachten Akten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts ist nach §§ 143, 144 SGG statthaft und im Übrigen zulässig, namentlich fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt worden.

Die Berufung ist aber nicht begründet. Die Beklagte hat zu Recht die Gewährung einer Verletztenrente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls am 10. August 1993 abgelehnt.

Auf den Rechtsstreit finden noch die Vorschriften der Reichsversicherungsordnung - RVO - Anwendung, weil ein Versicherungsfall vor dem Inkrafttreten des Siebten Sozialgesetzbuchs, Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) am 1. Januar 1997 geltend gemacht wird (vgl. Art. 36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz vom 7. August 1996, BGBl. I, S. 1254, 1317, § 212 SGB VII).

Nach §§ 547, 548 Abs. 1 RVO i.V.m. §§ 580, 581 Abs. 1 Nr. 2 RVO gewährt der Träger der Unfallversicherung nach einem Arbeitsunfall Verletztenrente, wenn die unfallbedingte MdE mindestens 20 v.H. beträgt. Auch zur Überzeugung des erkennenden Senats ist der Kläger wegen der Folgen des von der Beklagten anerkannten Arbeitsunfalls in seiner Erwerbsfähigkeit aber nicht in dem genannten Grade gemindert. Dies hat die Beweisaufnahme ergeben. Der Senat folgt den Ausführungen der medizinischen Sachverständigen Dr. N., Dr. N1 und Prof. Dr. F1. Jeder der genannten Sachverständigen hat für sein Fachgebiet schlüssig und überzeugend dargelegt, dass – mit Ausnahme der Sensibilitätsstörungen im Handbereich – die von dem Verletzten geklagten Beschwerden – ein chronisches Schmerzsyndrom und eine neurasthenische Persönlichkeitsstörung – nicht mit der erforderlichen hinreichenden Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis zurückzuführen sind.

Mit den Ausführungen von Dr. N1 und Prof. Dr. F1 steht im Gegensatz zu der vom Kläger im Berufungsverfahren aufgestellten Behauptung zunächst fest, dass das Unfallgeschehen auf eine im Segment C3/C4 degenerativ vorgeschädigte Halswirbelsäule getroffen ist. Mit diesen Ausführungen steht ferner fest, dass strukturelle Verletzungen der Halswirbelsäule durch das Unfallgeschehen ausgeschlossen werden können. Auch die Instabilität in diesem Segment ist nach den Ausführungen beider Gutachter – denen das Gericht auch insoweit folgt – nicht Unfall, sondern degenerativ bedingt und lag auch bereits vor dem angeschuldigten Ereignis vor. Beide Gutachter haben dies nachvollziehbar aus dem Vergleich der Bild gebend vor und nach dem Ereignis erhobenen Befunde abgeleitet. Sie befinden sich mit dieser Einschätzung in Übereinstimmung mit den im Verwaltungsverfahren tätig gewesenen Gutachtern Dr. H1 und Dr. H2 sowie mit den Ärzten, die den Kläger im UKE unmittelbar nach dem Unfallereignis behandelt haben. Es besteht insoweit auch Übereinstimmung zu dem vom Kläger vorgelegten Gutachten des Prof. Dr. K. aus dem Prozess gegen den Haftpflichtversicherer des Unfallgegners. Der gegenteiligen Auffassung des Prof. Dr. T. vermag der Senat nicht zu folgen, weil diese nicht nachvollziehbar auf erhobene Befunde gestützt, sondern auf Vermutungen – "ist unbestreitbar ersichtlich kann geschlossen werden darf es nicht wundernehmen" – gegründet ist. Ebensowenig vermag der Senat den Ausführungen von Dr. S1/Dr. S2 in dem im Zivilprozess gegen den privaten Unfallversicherer des Klägers vorgelegten Gutachten vom 16. August 2000 sowie den Ausführungen von Dr. S2 im Senatstermin am 6. Februar 2002 und dessen weiteren schriftlichen Ausführungen zu folgen. Soweit diese einen Zustand nach traumatischer, innerer Bandscheibenzerreißung und fortschreitender disco-ligamentärer Instabilität in Höhe HWK 3/4 (schriftliches Gutachten) bzw. eine durch den Unfall hervorgerufene "dramatische Veränderung des Bandscheiben- und Bänderapparats im Segment C3/C4 (Protokoll des Senatstermins am 6. Februar 2002) behaupten, lassen die Ausführungen jeden Vergleich mit dem Bild gebend dokumentierten Zustand vor dem Unfallereignis vermissen und können schon deshalb zur Beurteilung eventueller Unfallfolgen nicht herangezogen werden.

Hiervon ausgehend ist nicht hinreichend wahrscheinlich, dass der gegenwärtige Schmerzzustand des Klägers, welcher nach Dr. N. auf die Fusionsoperation im Segment C3/C4 zurückzuführen ist, und die hierdurch wiederum hervorgerufenen psychischen Störungen letztlich auf dem Unfallereignis beruhen. Der gegenteiligen Auffassung des Klägers, die dieser durch die Ausführungen des Dr. S2 gestützt sieht, vermag der Senat nicht zu folgen. Insoweit hat Prof. Dr. F1 in seinem schriftlichen Gutachten vom 5. September 2003 unter Hinweis auf die von ihm selbst bei dem Kläger bereits am 27. September 1994 in Vorbereitung der Fusions-Operation durchgeführte Untersuchung nämlich nachvollziehbar ausgeführt, dass es für "okkulte Pathologie der Schmerzsymtomatik" bereits seinerzeit kein Korrelat in den durchgeführten Röntgenaufnahmen und Kernspintomogrammen gegeben habe und die zunehmenden Schmerzen degenerativ bedingt seien. Dieser Einschätzung folgt der Senat, weil sie im Gegensatz zu den vom Kläger beigebrachten gutachtlichen Stellungnahmen zeitnah zum Unfallgeschehen und ohne Zusammenhang mit dem vorliegenden Rechtsstreit abgegeben wurde und im Übrigen in Übereinstimmung steht mit derjenigen aller gerichtlich bestellten und von der Beklagten beauftragten Gutachter. Der Kläger ist hiernach zur Überzeugung des Senats insoweit von einer schicksalhaften gesundheitlichen Beeinträchtigung betroffen. Ein Zusammenhang mit dem Unfallereignis lässt sich nicht wahrscheinlich machen.

Schließlich vermögen auch die bei dem Kläger nach der übereinstimmenden Auffassung aller medizinischen Sachverständigen durch das Unfallereignis hervorgerufenen Sensibilitätsstörungen der Hände einen Anspruch auf Verletztenrente nicht zu begründen. Insoweit hat zwar Prof. Dr. F1 eine MdE von 10 – 20 v.H. und auf Nachfrage zunächst eine solche von 20 v.H. angegeben, diese indessen nicht nachvollziehbar begründet. Soweit er sich hierzu nämlich zunächst in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 31. Oktober 2003 auf die zusätzlich zu berücksichtigenden seelischen Begleiterscheinungen und die Schmerzen beruft, sind diese nach seiner in dem schriftlichen Gutachten geäußerten und in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bekräftigten Auffassung gerade keine Unfallfolgen. Dies hat der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung auch eingeräumt und seine Stellungnahme insoweit korrigiert. Isoliert betrachtet aber sind die festgestellten geringfügigen Sensibilitätsstörungen mit einer MdE von allenfalls 10 v.H. zu bemessen. Dies hat schon der vom Sozialgericht bestellte Gutachter Dr. F. nachvollziehbar ausgeführt. Dieser Einschätzung folgt das Gericht, zumal sie nicht in Widerspruch zu irgendeiner der zahlreichen in dem vorliegenden Verfahren abgegebenen gutachtlichen Äußerungen steht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache.

Der Senat hat die Revision gegen diese Entscheidung nicht zugelassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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