L 2 U 366/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 9 U 438/02
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 366/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 06.11.2003 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht zurückverwiesen.
II. Die Kostenentscheidung bleibt der den Rechtsstreit abschließenden Entscheidung vorbehalten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Berufungsführer hat im Klageverfahren einen Anspruch auf Verletztenrente wegen der Folgen eines Arbeitsunfalls geltend gemacht.

Zur Beweiserhebung hat das Sozialgericht ein Gutachten von dem Orthopäden Dr.L. vom 04.06.2003 eingeholt. Die von dem Sachverständigen als unfallbedingt festgestellte MdE, die das Begehren des Klägers nicht gestützt hat, weicht von dem Gesamt-GdB auf orthopädischem Gebiet, den derselbe Sachverständige in einem Schwerbehindertenstreitverfahren des Klägers festgestellt hat, ab. Der Kläger hat deshalb am 14.07.2003 den Sachverständigen "als im höchsten Maße befangen" abgelehnt. Diese Besorgnis der Befangenheit hat er anschließend in weiteren vier Schriftsätzen ausdrücklich wiederholt.

Das Sozialgericht hat dem Kläger mit Schreiben vom 25.09.2003 mitgeteilt, es sei unerheblich, dass Dr.L. in einem anderen Verfahren als Gutachter tätig gewesen sei. Entsprechend müsse ein Beschluss aussehen, gegen den der Kläger dann Beschwerde zum Bayerischen Landessozialgericht einlegen könne. Auf die zeitliche Verzögerung werde rein vorsorglich hingewiesen.

Dieser Argumentation zur Befangenheit des Dr.L. hat der Kläger mit Schriftsatz vom 01.10.2003 widersprochen und auf seine früheren Schreiben hingewiesen.

In dem klageabweisenden Urteil vom 6. November 2003 hat sich das Sozialgericht in den Entscheidungsgründen unter anderem auf das Gutachten des Sachverständigen Dr.L. gestützt. Im Tatbestand des Urteils ist der Befangenheitsantrag erwähnt, in den Entscheidungsgründen nicht mehr.

Dagegen hat der Kläger Berufung eingelegt, mit der er sein Klagebegehren weiter verfolgt. Unter anderem macht er in der Berufungsbegründung geltend, Dr.L. sei als befangen abzulehnen.

Der Kläger beantragt, das Urteil des SG Augsburg vom 06.11.2003 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 10.09.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.11.2002 ihm wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 31.07.2001 Verletztenrente in Höhe von 20 v.H. zu gewähren.

Er ist der Meinung, dass das Urteil des SG Augsburg vom 06.11. 2003 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen ist.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Zum Verfahren beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren die Akten der Beklagten und die Akten des Sozialgerichts Augsburg in dem vorangegangenen Klageverfahren und dem Klageverfahren in der Schwerbehindertenangelegenheit.

Entscheidungsgründe:

Die vom Kläger form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig; eine Beschränkung der Berufung nach § 144 SGG besteht nicht.

Die Berufung ist in dem Sinne begründet, dass das angefochtene Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht zurückverwiesen wird. Das sozialgerichtliche Verfahren leidet an einem wesentlichen Mangel nach § 159 Abs.1 Nr.2 SGG, weil über den Befangenheitsantrag gegen den Sachverständigen Dr.L. nicht entschieden worden ist.

Gemäß § 118 Abs.1 Satz 1 SGG in Verbindung mit §§ 406, 42 ZPO kann ein gerichtlich bestellter Sachverständiger wegen Besorgnis der Befangenheit auf Antrag eines Prozessbeteiligten abgelehnt werden. Einen derartigen Antrag hat der Kläger während des Klageverfahrens gestellt. Hierüber musste das Sozialgericht vor dem Urteil entscheiden. Diese Entscheidung hätte das Sozialgericht gemäß § 406 Abs.5 ZPO, auf den § 118 Abs.1 SGG für das sozialgerichtliche Verfahren ebenfalls Bezug nimmt, unmittelbar nach Anbringung des Ablehnungsgesuchs in einem von der Endentscheidung getrennten vorherigen Beschluss treffen müssen. Der Gesetzgeber hat die Frage, ob ein Ablehnungsgrund gegen einen Sachverständigen vorliegt, rasch und endgültig bereinigt sehen wollen und zu diesem Zweck ein besonderes Verfahren mit einer selbständigen Anfechtbarkeit der Entscheidung eingerichtet. Unterlässt das Gericht, welches das Gutachten verwertet hat, eine solche gesonderte, der Sachentscheidung vorausgehende Beschlussfassung, so ist dies rechtsfehlerhaft (BSG SozR 3-1500 § 170 Nr.5 m.w.N.).

Das angefochtene Urteil beruht auf dem bezeichneten Verfahrensmangel. Da das Sozialgericht sich in seiner Entscheidung ausdrücklich (auch) dem Gutachten des Sachverständigen Dr.L. angeschlossen hat und dieser befangen sein kann, besteht die Möglichkeit, dass die Entscheidung des Sozialgerichts anders ausgefallen wäre, wenn das Sozialgericht ordnungsgemäß verfahren wäre.

Die Entscheidung, ob der Rechtsstreit zurückverwiesen wird, lag im Ermessen des Senats. Hierbei ist der Ermessensspielraum grundsätzlich als eng anzusehen und zwischen den Interessen der Beteiligten an einer ohne Zurückverweisung möglichen Sachentscheidung und Grundsätzen der Prozessökonomie einerseits und dem Verlust einer Instanz andererseits abzuwägen (vgl. Meyer- Ladewig, Kommentar zum SGG, 7. Auflage, Rdnr.5 ff.). Im vorliegenden Fall war entscheidend, dass das Sozialgericht ausweislich seines Schreibens vom 25.09.2003 das Erfordernis einer Beschlussfassung vor der Hauptsacheentscheidung sehenden Auges übergangen hat.

Die Kostenentscheidung bleibt der den Rechtsstreit abschließenden Entscheidung vorbehalten.

Gründe für die Zulassung der Revision nach §§ 160 Abs.2 Nr.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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