S 17 KA 220/03

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
17
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 17 KA 220/03
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 16.07.2003 verurteilt, über den Widerspruch der Klägerin erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über Regresse wegen der Verordnung des Medikaments Locabiosol in den Quartalen I/01 und II/01.

Der Beigeladene zu 9) ist als HNO-Arzt in F zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Im Mai 2002 stellte die Klägerin den Antrag auf Festsetzung von Regressen wegen der Verordnung des Medikaments Locabiosol im Quartal I/01 in 11 Fällen. Für das Quartal II/01 stellte sie den Antrag im November 2002 zur Regressierung von 6 Fällen unzulässiger Verordnungen von Locabiosol. Der Beigeladene zu 9) nahm zu den Anträgen dahingehend Stellung, dass es sich nicht um sogenannte Bagatellfälle gehandelt habe. Er teilte zu allen Fällen die Diagnosen mit.

Der Prüfungsausschuss wies durch Bescheid vom 13.11.2002 die Anträge der Klägerin zurück mit der Begründung, dass es sich nicht um Bagatellfälle gehandelt habe und die Negativ-Liste im Verordnungszeitraum nicht verbindlich gewesen sei.

Mit ihrem Widerspruch legte die Klägerin dar, dass Bagatell-Arzneimittel nach § 34 Abs. 1 des Sozialgesetzbuches, 5. Buch (SGB V) in Verbindung mit Abschnitt E.16.1 der Arzneimittelrichtlinien (AMR) nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) verordnungsfähig seien, sofern es sich um geringfügige Gesundheitsstörungen handele.

Der Beklagte wies mit Bescheid vom 16.07.2003 den Widerspruch der Klägerin zurück. Der Beklagte legte dar, dass Locabiosol gemäß der Roten Liste zugelassen sei zur Behandlung der Sinusitis, Laryngitis und Tracheitis. Es handele sich um ein Oberflächenantibiotikum. Locabiosol enthalte Fusafungin, das in der Negativ-Liste, die zum Antragszeitpunkt nur als Wirkstoff-Liste vorgelegen habe, aufgeführt sei. Da die Negativ-Liste aber nicht wie jetzt als Präparate-Liste vorlag, könne sie nicht zur Begründung eines Regresses herangezogen werden. Der § 34 SGB V spreche im Zusammenhang mit der Negativ-Liste von Arzneimitteln und nicht von Wirkstoffen. Sie vertrete ferner die Auffassung, dass es sich bei den vom Arzt genannten Indikationen Laryngitis, Pharyngolaryngitis, Seitenstrangangina und granulierende Pharyngitis nicht um Bagatellerkrankungen handele, so dass die Verordnung von Locabiosol entsprechend der Arzneimittelrichtlinien angezeigt gewesen sei.

Hiergegen richtet sich die am 00.00.0000 eingegangene Klage. Die Klägerin legte im Wesentlichen dar, dass Locabiosol ein Mund- und Rachentherapeutikum sei. Diese Präparate seien nach Abschnitt E. 16.1 der AMR in Verbindung mit § 34 Abs. 1 SGB V von der Verordnung zu Lasten der GKV ausgeschlossen. Sie gehe von Bagatellerkrankungen aus, da in keinem der regressierten Fälle eine medikamentöse Begleittherapie feststellbar gewesen sei. Ferner sei der Wirkstoff Fusafungin nach der Negativ-Liste ebenfalls von der Verordnung zu Lasten der GKV ausgeschlossen. Es sei dem Arzt durchaus zuzumuten, zu überprüfen, ob ein Medikament, das er zu verordnen beabsichtigt, unzulässige Bestandteile enthalte, die eine Verordnung ausschlössen.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 16.07.2003 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, über ihren Widerspruch erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden,

hilfsweise die Berufung zuzulassen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

hilfsweise die Berufung zuzulassen.

Der Beklagte hat im Wesentlichen dargelegt, dass er die Auffassung vertrete, dass bei den genannten Diagnosen nicht von Bagatellerkrankungen ausgegangen werden könne. Der Ausschuss habe hier Ermessen und das Ermessen nicht fehler-haft ausgeübt. Nach seiner Auffassung sei die Verordnung von Locabiosol entsprechend der AMR in den konkreten Fällen angezeigt gewesen. Ein grob schuldhaftes Verhalten des Arztes könne nicht festgesetellt werden, so dass eine Regressierung wegen eines sonstigen Schadens zu Lasten des Arztes aus-scheide. Der Beklagte vertritt ferner weiterhin die Auffassung, dass die Negativ-Liste als Wirkstoffliste nicht verbindlich gewesen sei.

Die Beigeladenen haben sich nicht geäußert.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer konnte auch in Abwesenheit von Vertretern der Beigeladenen verhandeln und entscheiden, da diese vom Termin ordnungsgemäß benachrichtigt und auf die Möglichkeit einer Entscheidung ohne sie hingewiesen wurden.

Die Klage ist zulässig und begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 16.07.2003 ist rechtswidrig und beschwert die Klägerin im Sinne des § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Zu Unrecht hat der Beklagte die Regressierung des Medikaments Locabiosol in den hier streitigen Fällen ohne weitere Ermittlungen abgelehnt.

Zunächst ist der Ausgangspunkt des Beklagten entsprechend des Tenors seiner Entscheidung vom 16.07.2003, wonach es sich um die Festsetzung eines Regresses wegen eines sonstigen Schadens handelt, unzutreffend. Bei der Festsetzung von Regressen wegen der Verordnung von Arzneimitteln, für die keine Leistungspflicht der Krankenkasse besteht, handelt es sich nicht um einen Regress wegen sonstigen Schadens, sondern um einen Arzneimittelregress (BSG Urteil vom 14.03.2001 - B 6 KA 19/00 R -). Dies ist insofern von Bedeutung, als es beim Arzneiregress nicht auf ein Verschulden des Arztes ankommt.

Bei seiner erneuten Entscheidung hat der Beklagte zu prüfen, ob das Arzneimittel Locabiosol von der Verordnung zu Lasten der GKV ausgeschlossen ist nach § 34 Abs. 3 SGB V in Verbindung mit der Verordnung über unwirtschaftliche Arzneimittel in der GKV, der sogenannten Negativ-Liste. Der Wirkstoff Fusafungin, einziger Wirkstoff des Medikaments Locabiosol, ist in der Verordnung zur Änderung der Verordnung über unwirtschaftliche Arzneimittel in der GKV vom 16.11.2000 (Bundesgesetzblatt 2000, Teil I, S. 1593 f) in Anlage 2 unter Ziffer 1 - chemisch definierte Stoffe - aufgeführt. Locabiosol ist damit im Sinne des § 3 der o. g. Verordnung ein Arzneimittel, das einen oder mehrere der in der Anlage 2 genannten arzneilich wirksame Bestandteile enthält. Damit ist Locabiosol von der Verordnung zu Lasten der GKV ausgeschlossen, sofern nicht die Ausnahme nach § 4 der Verordnung eingreift. Die Voraussetzungen der Ausnahmeregelung sind vom Beklagten in einer erneuten Entscheidung noch zu überprüfen. Danach finden die § 1 bis 3 keine Anwendung auf Arzneimittel, die seit dem 01. Februar 1987 von der Zulassungsbehörde zugelassen worden sind oder zugelassen werden und für die ein Beitrag jedes arzneilich wirksamen Bestandteils zur positiven Beurteilung des Arzneimittels ausreichend begründet ist.

Die Negativ-Liste ist auch im hier maßgeblichen Verordnungszeitraum der Quartale I und II/01 verbindlich gewesen. Dies ergibt sich aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 25.02.1999 (1 BvR 1472/91 -,1 BvR 1510/91 -), das sich mit der Präparateübersicht befasst hat. Das Bundesverfassungsgericht stellt aaO. fest, dass der Ausschluss der entsprechenden Arzneimittel rechtlich konstitutiv nicht erst mit der Präparateübersicht, sondern bereits mit dem Inkrafttreten der Verordnung bewirkt war. Ferner hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass der Gesetzgeber in § 34 Abs. 3 SGB V eine verfassungskonforme gesetzliche Grundlage für den Ausschluss unwirtschaftlicher Arzneimittel aus der Versorgung durch die GKV geschaffen hat (BVerfG aaO.). Die Kammer hat daher keine verfassungsrecht- lichen Bedenken an der Gültigkeit der Negativ-Liste (ebenso Bayerisches LSG Urteil vom 22.01.2004 - L 4 KR 217/02 zum Medikament Wobe-Mugos E). Rechtsunsicherheit bestand nicht, da die Ärzte sich durch die Rote Liste von den Wirkstoffen des zu verschreibenden Medikaments informieren könnten, bei Monopräparaten wie Locabiosol ist der einzige Wirkstoff den Ärzten in der Regel bekannt. Der Beklagte hat in seiner erneuten Entscheidung von der Verbindlichkeit der Negativ-Liste im hier maßgeblichen Verordnungszeitraum auszugehen und nur noch die oben genannte Ausnahmeregelung nach § 4 der Verordnung zu überprüfen. Sofern eine Ausnahme nach § 4 der o. g. Verordnung nicht eingreift, ist der Arzneiregress zwingend festzusetzen, ein Ermessen des Beklagten besteht hier nicht. Falls die Ausnahmevorschrift des § 4 der Verordnung einschlägig ist, hat der Beklagte weiter zu überprüfen, ob sich ein Arzneiregress aus der Regelung des § 34 Abs. 1 SGB V in der bis zum 01.01.2004 geltenden Fassung in Verbindung mit den AMR ergibt.

Nach Abschnitt E, Ziffer 16.1 AMR in der 2001 geltenden Fassung waren Arzneimittel zur Anwendung bei Erkältungskrankheiten und grippalen Infekten einschließlich der bei diesen Krankheiten anzuwendenden Schnupfenmittel, Schmerzmittel, hustendämpfenden und hustenlösenden Mittel ausgeschlossen, sofern es sich um geringfügige Gesundheitsstörungen gehandelt hat. Hierbei hat der Beklagte zu beachten, das Locabiosol als Oberflächenantibiotikum ein Medikament ist, das typischerweise bei geringfügigen Gesundheitsstörungen eingesetzt wird. Die alleinige Verordnung von Locabiosol ist daher ein Indiz für das Vorliegen einer geringfügigen Gesundheitsstörung. Aus den vom Beigeladenen zu 9) genannten Diagnosen kann der Beklagte nicht alleine ableiten, dass es sich nicht um geringfügige Gesundheitsstörungen gehandelt hat, da diese Erkrankungen auch weniger ausgeprägt sein können. Er hat daher vom Beigeladenen zu 9) weitere Informationen zu den einzelnen Behandlungsfällen einzuholen. Sofern sich daraus keine weiteren Erkenntnisse ergeben, zum Beispiel aufgrund einer länger dauernden Arbeitsunfähigkeit oder weiterer Behandlungen, hat der Beklagte davon auszugehen, dass es sich um geringfügige Gesundheitsstörung gehandelt hat und den Regress entsprechend zumindest in den Fällen festzusetzen, in denen alleine Locabiosol verordnet wurde. In den Fällen, in denen weitere Arzneimittel verordnet wurden, hat er zu beurteilen, ob es sich um Arzneimittel handelt, die typischerweise bei nicht geringfügigen Gesundheitsstörungen eingesetzt werden. Die entsprechende Begründung ist für jeden einzelnen Fall vom Beklagten im neuen Bescheid aufzuführen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung. Die Berufung wurde wegen der grundsätzlichen Bedeutung des Rechtsstreits zugelassen, da nach Angabe der anwesenden Beteiligten in der mündlichen Verhandlung zahlreiche weitere Verfahren bezüglich der Regressierung des Medikaments Locabiosol im Verwaltungsverfahren anhängig sind.
Rechtskraft
Aus
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