L 8 RJ 68/03

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 15 RJ 209/02
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 8 RJ 68/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 13 RJ 2/05 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 27.03.2003 geändert. Die Beklagte wird unter Änderung des Bescheides vom 29.05.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.08.2002 verurteilt, die Bescheide vom 09.09.1998 und 18.03.1999 teilweise zurückzunehmen und der Klägerin unbegrenzte Hinterbliebenenrente gem. § 22 b Abs. 1 FRG a.F. bis maximal insgesamt 40 Entgeltpunkte nach § 22 b Abs. 3 FRG für beide Rentenleistungen vom 01.01.1997 bis 31.07.2004 zu ge- währen und aufgrund Bescheid vom 18.03.1999 vorgenommene Verrech- nungen unter Berücksichtigung etwaiger Erstattungsansprüche Dritter auszuzahlen. Die weitergehende Klage wird abgewiesen. Die Beklagte trägt die Hälfte der außergerichtlichen Kosten der Klägerin. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt eine ungekürzte Auszahlung ihrer Witwenrente neben ihrer Rente aus eigener Versicherung.

Die am 00.00.1936 geborene Klägerin ist die Ehefrau des am 08.04.1981 in der ehemaligen Sowjetunion verstorbenen Versicherten G N. Am 11.08.1996 siedelte die Klägerin aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland über. Sie ist als Spätaussiedlerin gemäß § 4 des Bundesvertriebenengesetzes (BVG) anerkannt und bezieht aus eigener Versicherung eine Rente nach dem Fremdrentengesetz (FRG), bei deren Berechnung 25 Entgeltpunkte zu Grunde gelegt wurden.

Auf Antrag der Klägerin vom 27.09.1996 bewilligte die Beklagte zunächst mit Vorschussrentenbescheid vom 07.01.1998 eine Hinterbliebenenrente rückwirkend ab dem Tag des Zuzugs in die Bundesrepublik Deutschland. In dem Bescheid ermittelte die Beklagte auf Grund der von dem Versicherten nach dem FRG zu berücksichtigenden Beitragszeiten, beitragsfreien Zeiten und beitragsgeminderte Zeiten insgesamt 28,8606 Entgeltpunkte (EP). Die Auszahlung der Leistung begrenzte die Beklagte auf 12,5 EP je Ehepartner. Die Klägerin erhob Widerspruch.

Mit Bescheid vom 09.08.1998 hob die Beklagte sodann den Bescheid vom 07.01.1998 auf. Zur Begründung führte die Beklagte aus, es habe keine Verteilung der als Höchstbetrag anzunehmenden Entgeltpunkte zu erfolgen, sondern es sei die Rente mit dem höheren Rentenartfaktor vorrangig zu berücksichtigen. Die Hinterbliebenenrente käme nicht mehr zur Auszahlung, da diese einen geringeren Rentenartfaktor habe und bereits die Altersrente der Klägerin 25 Entgeltpunkten übersteige. Aus diesem Grund werde die Zahlung der Witwenrente zum 30.09.1009 eingestellt. Gleichzeitig machte die Beklagte eine Überzahlung von 8.063,39 DM geltend.

Mit weiterem Bescheid vom 18.03.1999 änderte die Beklagte den Bescheid vom 09.09.1998. Zur Begründung führte sie aus, die Versichertenrente treffe nicht schon am 11.08.1996 mit der Hinterbliebenenrente zusammen, sondern erst am 01.11.1996. Aus diesem Grund verringere sich die Überzahlung auf 7.425,62 DM.

Die Bescheide wurden bindend und die Beklagte verrechnete die Überzahlung mit der laufenden Rentenzahlung.

Am 19.12.2001 stellte die Klägerin unter Hinweis auf ein am 30.08.2001 ergangenes Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) - Az. B 4 RA 118/00 R - einen Antrag auf Neufeststellung ihrer Witwenrente. Sie machte geltend, nach dieser Entscheidung sei die Rechtspraxis der Beklagten, wonach neben einer Rente aus eigener Versicherung auf der Basis von 25 Entgeltpunkten kein Anspruch auf eine Hinterbliebenenrente bestehe, nicht rechtmäßig.

Mit Bescheid vom 29.05.2002 lehnte die Beklagte den Neufeststellungsantrag der Klägerin nach § 44 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) ab. Das BSG habe in dem von der Klägerin angeführten Urteil zwar entschieden, dass § 22 b Abs. 1 a.F. FRG nach seinem Wortlaut und seiner Regelungsabsicht auf eine neben einer Versichertenrente aus eigenem Recht zustehende Hinterbliebenenrente nicht anwendbar und eine Begrenzung beider Renten auf zusammen 25 Entgeltpunkte nicht zulässig sei. Sie halte jedoch die Rechtsprechung des BSG für nicht zutreffend. Die in der Vorschrift genannten Begriffe wie "Berechtigte", "anrechenbare Zeiten" und "Entgeltpunkte" würden im Rentenrecht sowohl bei Versicherten wie auch bei Hinterbliebenenrenten verwandt, so dass die Anwendung des § 22 b Abs. 1 FRG a.F. auf Hinterbliebenenrente nach seinem Wortlaut keineswegs ausgeschlossen sei.

Der gegen diesen Bescheid eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 22.08.2002 zurückgewiesen.

Mit ihrer am 06.09.2002 beim Sozialgericht Düsseldorf erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt und zur Begründung ausgeführt, das BSG habe in seiner Entscheidung vom 30.08.2001 unmissverständlich festgestellt, dass § 22 b Abs. 1 FRG a.F. auf Grund der besonderen Funktion der Hinterbliebenenrente nicht anzuwenden sei, wenn eine Hinterbliebenenrente mit einer Rente aus eigener Versicherung zusammentreffe. Die Beklagte sei als Teil der vollziehenden Gewalt gemäß Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG) an Gesetz und Recht gebunden, und zwar in der Form, wie es von den verfassungsrechtlich dazu angerufenen Institution ausgelegt werde. Diese Institutionen seien nach Art. 92 GG die Gerichte.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 29.05.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheide vom 22.08.2002 zu verurteilen, die Bescheide vom 18.03.1999 und vom 07.01.1998 und den Bescheid vom 09.09.1998 zurückzunehmen und ihr ab 19.12.1997 Hinterbliebenenrente ohne Anwendung der Vorschrift des § 22 b FRG zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat zur Begründung vorgetragen, sie vermöge sich nicht der Auffassung des BSG anzuschließen. Es sei nach ihrer Ansicht nicht ersichtlich, weshalb der Wortlaut des § 22 b Abs. 1 Satz 1 FRG a.F. eine Anwendung auf Hinterbliebenenrente ausschließen solle. Ferner sei die Aussage des BSG, dass Entgeltpunkte (die im Übrigen nicht nur ein verwaltungstechnischer Ausdruck seien, sondern einen gesetzlich normierter Begriff darstellten) allein bei einer Rente aus eigenem Recht von Belang seien, für die Beklagte nicht überzeugend. Selbst das sozialpolitische Ziel der Unterhaltsersatzfunktion der Witwenrente und die Tatsache, dass sie auf der Grundlage der von dem Verstorbenen zurückgelegten rentenrechtlichen Zeiten festgelegt werde, habe nicht dazu geführt, dass der Gesetzgeber den Betrag der Witwenrente im Rentenrecht als Anteil der versicherten Rente definiert habe. Dafür, dass es sich bei § 22 b Abs. 1 Satz 1 FRG a.F., wie es das BSG meine, um eine Verteilungsregelung handele, die sich allein auf mehrere Versichertenrenten beziehe, gebe es keine Anhaltspunkte. Im Gegenteil, für eine solche Konstellation wäre die Verteilungsregelung überflüssig, denn für mehrere Versichertenrenten werde eine Kumulierung bereits durch § 89 Abs. 1 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI) ausgeschlossen. Ein sinnvoller Regelungsinhalt des § 22 b Abs. 1 Satz 3 FRG ergebe sich überdies allein beim Zusammentreffen von Versichertenrenten und Hinterbliebenenrenten.

Mit Urteil vom 08.08.2003 hat das Sozialgericht Düsseldorf die Klage abgewiesen. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt worden, entgegen der Entscheidung des BSG vom 30.08.2001 habe die Beklagte zu Recht die Auszahlung der Hinterbliebenenrente begrenzt. Der Wortlaut des § 22 b Abs. 1 FRG a.F. rechtfertige die Vorgehensweise der Beklagte ebenso wie der mutmaßliche Wille des Gesetzgebers.

Gegen das am 14.04.2003 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 08.05.2003 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat sie vorgetragen, nachdem von unterschiedlichen Senaten des BSG übereinstimmende, sich der Auffassung des 4. Senats anschließende Rechtsprechungen vorlägen, sei auch dem Anspruch der Klägerin stattzugeben.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 27.03.2003 zu ändern und den Bescheid vom 29.05.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.08.2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr unter entsprechender Rücknahme des Bescheides vom 09.09.1998 und vom 18.03.1999 ab dem 19.12.1997 Hinterbliebenenrente ohne Kürzungen nach § 22 b FRG zu gewähren und aufgrund der Kürzung vorgenommene Verrechnungen wieder auszuzahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung hat die Beklagte darauf hingewiesen, dass der Verband Deutscher Rentenversicherungsträger der Rechtsauffassung des BSG nicht folge.

Mit Wirkung vom 01.08.2004 (verkündet am 21.07.2004) ist das Gesetz zur Sicherung der nachhaltigen Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Nachhaltigkeitsgesetz) in Kraft getreten (Bundesgesetzblatt I S. 1791). Nach Art. 9 dieses Gesetzes wird § 22 b Abs. 1 Satz 1 FRG a.F. wie folgt neu gefasst: " ...für anrechenbare Zeiten nach diesem Gesetz werden für Renten aus eigener Versicherung und wegen Todes eines Berechtigten insgesamt höchstens 25 Entgeltpunkte der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten zugrunde gelegt." Nach Art. 15 Abs. 3 RV-Nachhaltigkeitsgesetz ist § 22 b Abs. 1 Satz 1 FRG n.F. mit Wirkung vom 07.05.1996 in Kraft getreten. Nach der Gesetzesbegründung soll mit der rückwirkenden Inkraftsetzung sichergestellt werden, dass alleinstehende Berechtigte mit mehreren Renten weiterhin eine Rentensumme höchstens in einer Höhe erhalten, die sich an der Höhe der Eingliederungshilfe orientiert. Im Ergebnis soll Spätaussiedlern damit nur noch eine Art Grundsicherung gewährt werden (so die Gesetzesbegründung BT-Drucks. 13/4610 S. 28).

Die Beklagte hat nach Neufassung des § 22 b Abs. 1 Satz 1 FRG n.F. ausgeführt, mit der Neufassung solle verdeutlicht werden, dass der FRG-Anteil aller Renten eines Berechtigten auf insgesamt 25 Entgeltpunkte begrenzt sei. Dies entspreche der von Beginn an gewollten und von den Rentenversicherungsträgern bisher praktizierten Regelungsabsicht. Die gegenteilige Interpretation durch den 4. und nachfolgend 8. und 13. Senat des BSG sei nach der Neufassung überholt. Die Neufassung sei vom Gesetzgeber als Klarstellung zu sehen und trete daher rückwirkend in Kraft.

Die Klägerin hat demgegenüber eingewandt, nach Inkrafttreten des RV-Nachhaltigkeitsgesetz könne nicht von einer zulässigen Rückwirkung des § 22 b Abs. 1 Satz 1 FRG n.F. ausgegangen werden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Klägerin ist teilweise begründet. Das angefochtene Urteil erweist sich auch nach Inkrafttreten der Neuregelung durch das RV-Nachhaltigkeitsgesetz als teilweise unrichtig.

Im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ist die Klägerin durch den angefochtenen Bescheid vom 29.05.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.08.2002 teilweise im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Rücknahme des Bescheides vom 09.09.1998 und vom 18.03.1999 für den Zeitraum vom 19.12.1997 bis 31.07.2004 zu. Die Beklagte ist zudem verpflichtet die aufgrund der Kürzung vorgenommene Verrechnung wieder auszuzahlen.

Rechtsgrundlage für die Überprüfung der bindend gewordenen Ablehnung einer ungekürzten Auszahlung nach 22 b Abs. 1 Satz 1 FRG a.F. ist § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist.

I. Im Bescheid vom 09.09.1998 sowie im Bescheid vom 18.03.1999 ist ab dem Zeitpunkt 01.08.2004, dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des RV-Nachhaltigkeitsgesetzes, das Recht richtig angewandt worden. Erst ab diesem Zeitpunkt hat die Beklagte die Hinterbliebenenrente der Klägerin gemäß § 22 b Abs. 1 Satz 1 n.F. FRG zu Recht nicht ausgezahlt.

Zunächst ist § 22 b FRG sowohl in seiner alten als auch seiner neuen Fassung für die Klägerin zeitlich und persönlich anwendbar. § 22 Abs. 1 Satz 1 b FRG gilt für die nach dem 06.05.1996 nach Deutschland zugezogenen Personen. Er wurde durch Art. 3 Nr. 5 des Gesetzes zur Umsetzung des Programms für mehr Wachstum und Beschäftigung in den Bereichen der Rechtenversicherung und Arbeitsförderung (Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz - WFG) eingefügt. Die Vorschrift gilt gemäß Art. 6 § 4 b des Fremdrenten- und Auslandslandsrenten-Neuregelungsgesetzes (FANG) in der Fassung des Art. 4 Nr. 4 WFG für Berechtigte, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland genommen haben. Bei diesem persönlichen Anwendungsbereich ist es durch nachfolgende Gesetzesänderungen verblieben.

Erst im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt des Senats ist durch das RV-Nachhaltigkeitsgesetz, welches am 21.07.2004 in Kraft getreten ist, die Vorschrift des § 22 b Abs. 1 Satz 1 FRG n.F. auch sachlich anwendbar. Im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung musste der Senat gemäß § 300 Abs. 1 SGB VI die Neufassung beachten.

Der Senat ist der Auffassung, dass diese gesetzliche Änderung wirksam in Kraft getreten ist, und diese Gesetzesänderung auch mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Denn es liegt keine Verletzung von Grundrechten durch die Kürzung von Entgeltpunkten vor. Hierbei ist zu beachten, dass es sich beim FRG zwar um Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung handelt. Im Unterschied und kennzeichnend für das ansonsten in der Sozialversicherung grundsätzlich vorliegende Prinzip beruhen Leistungen nach dem FRG aber nicht auf dem Äquivalenz-Prinzip (vgl. Hans F. Zacher, Grundtypen des Sozialrechts, in Festschrift für Wolfgang Zeidler, 1987 S. 571, 576). Bei Leistungen des FRG wird dieses grundsätzliche Prinzip, dass zu beanspruchende Leistungen einer Erwirtschaftung gegenüberstehen, durchbrochen. Vielmehr handelt es sich bei Leistungen nach dem FRG um eine aus dem Fürsorgegedanken resultierende spezielle Rente für Spätaussiedler. Bei einer solchen Sozialrente, die nur scheinbar dem sozialversicherungsrechtlichen System unterliegt, kann der Gesetzgeber auch Kürzungen beschließen. Der Gesetzgeber hat bereits seit längerem derartige Kürzungen vorgenommen und dadurch die Leistungen nach dem FRG auf das Maß einer Grundsicherung heruntergesetzt. An diesem grundlegenden Systemwechsel in der bundesrechtlichen Sicherung von Spätaussiedlern ist der Gesetzgeber von Verfassungs wegen innerhalb dieses speziellen rentenrechtlichen Vorsorgesystem nicht gehindert (vgl. insofern BSG Urteil vom 30.08.2001 -B 4 RA 118/00 R-; Urteil vom 30.08.2001 -B 4 RA 87/00 R- und Urteil vom 11.03.2004 -B 13 RJ 44/03 R- sowie Urteile des erkennenden Senats vom 30.07.2003 L 8 RJ 64/03 und 17.12.2003 L 8 RJ 19/03).

Auch kann für den Anwendungsbereich der erst ab Mai 1996 eingereisten Spätaussiedlern nicht von einer gefestigten Anwartschaft auf unbegrenzte Leistungen gesprochen werden, sodass der Senat auch keine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung im Verhältnis zu früher zugezogenen Spätaussiedlern erkennen kann.

Der fortlaufende Prozess des zuvor dem Eingliederungsprinzip unterliegenden Gedankens des FRG hin zu einer Grundsicherung, die nur noch der Eingliederungshilfe für Spätaussiedler entsprechen soll (vgl. Gesetzbegrünung in BT-Drs. 13/4610), ist durch die vorgenommene rückwirkende Neufassung von § 22 b Abs. 1 Satz 1 FRG n.F. nunmehr eindeutig zum Ausdruck gekommen. Diese unterliegt aber der Gesetzgebungsbefugnis des Gesetzgebers und widerspricht nicht Verfassungsrecht, denn dem Eingliederungsprinzip kommt kein Verfassungsrang zu (vgl. BSG Urteil vom 03.07.2002 -B 5 RJ 22/01 R-). Die Aufgabe des Eingliederungsprinzips durch den Gesetzgeber stellt auch keinen Verstoß gegen Art. 116 GG dar, denn hieraus ergibt sich lediglich, unter welchen Voraussetzungen Flüchtlinge oder Vertriebene den Status eines Deutschen haben. Zwar war das Eingliederungsprinzip Ausdruck der politischen Verantwortung für diesen Personenkreis. Jedoch genügen für Vertriebene und Flüchtlinge Leistungen, unabhängig von dem zugrundliegenden Prinzip und Rechtsgedanken, die dem Erfordernis des Sozialstaatsgebots Rechnung tragen. Das Sozialstaatsgebot ist aber auch bei einer nunmehr gesetzlich normierten Kürzung für den Fall des Bezugs einer eigenen Rente in Kumulation mit einer abgeleiteten Rente auf 25 Entgeltpunkte insgesamt nicht verletzt. Dies wäre erst verletzt, wenn es nicht mehr zur Gewährung eines Existenzminimums käme. Diese Grenze resultiert aus dem dem FRG nunmehr zugrundliegenden Gedanken der Grundsicherung, der sich wie auch bei allen anderen Leistungen aus einem Hilfe- und Fürsorgeprinzip in Abgrenzung zu Leistungen im Äquivalenzprinzip rechtfertigen lässt.

Diese Ergebnis steht auch nicht im Widerspruch zur Rechtsprechung des Großen Senats des BSG vom 06.12.1979 (BSG vom 06.12.1979 -GS 1/79-). Denn der noch im Beschluss des Großen Senats verdeutlichte Eingliederungsgedanke in Abgrenzung zum Entschädigungsgedanken des alten Fremd- und Auslandsrentengesetzes liegt nunmehr, wie bereits ausgeführt, den Leistungen des FRG nicht mehr zugrunde. Zumindest seit der Einführung des § 14 a FRG mit Wirkung vom 01.01.2002 ist der Gesetzgeber von diesem Prinzip abgerückt.

Mithin ist im Rahmen des laufenden Verfahrens die Änderung der Rechtslage für die Beteiligten maßgeblich mit der Rechtsfolge, dass ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des RV-Nachhaltigkeitsgesetzes die Beklagte die (dem Grunde nach bewilligte) Witwenrente neben der Rente aus eigener Versicherung der Klägerin zu Recht gemäß § 22 b Abs. 1 Satz 1 FRG n.F. auf 25 Entgeltpunkte begrenzen kann.

II. Für die Zeit vor Inkrafttreten des RV-Nachhaltigkeitsgesetzes steht der Beklagten dagegen keine wirksame Rechtsgrundlage für eine Auszahlungsbegrenzung zur Verfügung.

Die Beklagte hat den Anspruch der Klägerin auf Gewährung großer Witwenrente dem Grunde nach bindend festgestellt. Aus dem Rentenanspruch dem Grunde nach folgt grundsätzlich auch der Anspruch auf Auszahlung der Leistung. Für ihre Entscheidung, in diese Rechtsposition der Klägerin einzugreifen und damit die den Wert von 25 Entgeltpunkte aus eigener Versicherung überschreitende Witwenrente nicht auszuzahlen, kann sie sich nicht auf § 22 b Abs. 1 Satz 1 FRG a.F. stützen. Die dort geregelte Begrenzung der Rentenhöhe, wonach für anrechenbare Zeiten höchstens 25 Entgeltpunkte der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellte zugrundegelegt werden, rechtfertigt ein derartiges Vorgehen allein beim Zusammentreffen mehrerer Renten des Berechtigten aus eigener Versicherung. Nach inzwischen gefestigter höchstrichterlicher Auffassung ist dem § 22 b Abs. 1 S. 1 FRG a.F. nicht zu entnehmen, dass ein Berechtigter bei mehreren Ansprüchen auf Rente nur insgesamt eine Berücksichtigung von höchstens 25 Entgeltpunkten nach dem FRG begehren kann. (vgl. dazu BSG Urteil vom 30.08.2001 -B 4 RA 118/00 R- und Urteil vom 07.07.2004 -B 8 KN 10/03 R- sowie Urteil vom 11.03.2004 -B 13 RJ 44/03 R- unter ausdrücklicher Abkehr von der Auffassung des erkennenden Senats im Urteil vom 30.07.2003 -L 8 RJ 64/03-)

Zu einem anderen Ergebnis gelangt man auch nicht über die rückwirkende Inkraftsetzung des § 22 b Abs. 1 S. 1 FRG n.F. nach Art. 15 Abs. 3 RV-Nachhaltigkeitsgesetz. Zwar soll nach der Begründung des Entwurfs zum RV-Nachhaltigkeitsgesetz lediglich klargestellt werden, dass auch für einen einzelnen Berechtigten mit Anspruch auf eine eigene Versichertenrente und auf eine Hinterbliebenenrente der Höchstwert für alle seine Renten insgesamt 25 Entgeltpunkte betragen soll. Der Gesetzgeber geht insoweit bezüglich der rückwirkenden Inkraftsetzung von einer authentischen Interpretation seiner bisherigen Regelung aus (BT-Druck S. 15/2149 S. 32). Gerade aus diesem Grunde solle das Gesetz rückwirkend zum 07. Mai 1996, dem Tag des Inkrafttretens des ursprünglichen § 22 b Abs. 1 S. 1 FRG, in Kraft treten.

Nach Auffassung des Senats handelt es sich bei dieser Formulierung aber nicht um eine zulässige rückwirkende Klarstellung, sondern um eine inhaltliche Änderung der Vorschrift. Diese Änderung der Formulierung geht über eine Klarstellung im Sinne einer authentischen Interpretation hinaus. Der Senat schließt sich diesbezüglich den schon im Vorfeld zur Einführung der Norm ergangenen Ausführungen des 13. Senats des BSG an (vgl. Urteil vom 11.03.2004 -B 13 RJ 44/03 R-). Eine authentische Interpretation meint, dass der Gesetzgeber durch eine eigene, nachträgliche Interpretation seiner Ausführungen selbst anordnet, wie die schon vorher bestehende gesetzliche Regelung von Anfang an zu verstehen sein sollte. Eine solche Klarstellung wäre dann von den Gerichten zu beachten, auch bei einer zusätzlichen Belastung des Bürgers, wenn das Vertrauen auf die zuvor bestehende Rechtslage sachlich nicht gerechtfertigt und daher nicht schutzwürdig war (vgl. BSG Urteil vom 27.09.1989 - 11 RAr 53/88 - unter Hinweis auf BVerfGE 50, 177, 193 f). Darum handelt es sich bei § 22 b FRG n.F. nicht. Denn die bisherige, stark umstrittene und damit für den Empfängerhorizont nicht eindeutige Formulierung - für anrechenbare Zeiten" ... für einen Berechtigten" - ist ersetzt worden durch den eindeutigen Wortlaut - für anrechenbare Zeiten" ... für Renten aus eigener Versicherung und wegen Todes eines Berechtigten". Dabei muss berücksichtigt werden, dass nicht der Gesetzgeber bestimmt, wie eine Gesetzesformulierung subjektiv zu verstehen ist, sondern der Empfängerhorizont, der sich wiederum im objektivem Normverständnis ausdrückt. Dieses Normverständnis wird letztlich von der Rechtsprechung festgelegt. Dieses Normverständnis war nach der übereinstimmenden Rechtssprechung aller mit der Auslegung von § 22 b FRG a.F. befassten Senate des BSG (vgl. Ausführungen des 4., 8. und 13. Senats) gerade nicht dergestalt, wie der Gesetzgeber nun erklären möchte. Im Übrigen mag die Begründung eines Gesetzes den subjektiven Willen des Gesetzgebers zum Ausdruck bringen, sie steht aber nicht zwingend dem Inhalt des Gesetzes gleich. Weder die Begründung eines Gesetzes noch ein Beschluss des Verbandes der Deutschen Rentenversicherungsträger sind für die Inhaltsbestimmung einer Norm maßgeblich, sondern allein die Rechtsauslegung der Judikative. Es liegt damit keine ergänzungsbedürftige Unvollständigkeit vor. Mangels bloßer gesetzlicher Klarstellungen dessen, was schon immer geltendes Recht war, handelt es sich bei der Rechtsänderung des § 22 b Abs. 1 S. 1 FRG n.F. um eine sog. echte Rückwirkung.

Eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 1 GG kommt aber mangels Entscheidungserheblichkeit eines Verstoßes gegen das Rechtsstaatsprinzip nicht in Betracht. Denn die vom Gesetzgeber an die Beklagte gerichtete Aufgabenzuweisung der rückwirkenden Begrenzung der Entgeltpunkte von Versichertenrenten und Hinterbliebenenrenten auf insgesamt 25 Entgeltpunkte vollzieht sich nicht von selbst, sondern bedarf einer verwaltungsverfahrensrechtlichen Umsetzung der Beklagten. Dies bedeutet im Einzelnen: Die Beklagte kann auf Grund ihrer Befugnisse die neue Anrechnungsregelung gegenüber den Betroffenen für Bezugszeiten von Renten aus eigener Versicherung wie auch Hinterbliebenenrenten nur nach dem Gültigwerden des § 22 b Abs. 1 S. 1 FRG n.F. rechtmäßig durchsetzen. Sie kann das nunmehr geltende Gesetz entweder in einem Erstbewilligungsverfahren anwenden oder aber im Rahmen von §§ 45 - 49 SGB X, insbesondere § 48 Abs. 1 SGB X. Dies bedeutet, hätte die Beklagte sich vor dem Gültigwerden des § 22 b Abs. 1 S. 1 FRG n.F. rechtmäßig verhalten und deshalb entsprechend der übereinstimmenden Rechtsprechung des BSG die Rentenbewilligung nicht auf 25 Entgeltpunkte für beide Renten begrenzt, wäre diese Entscheidung bindend geworden (§ 77 SGG). Erst nach der Rechtsänderung hätte sie die Klägerin mit einem Verwaltungsverfahren im Hinblick auf eine Abänderung des Bescheides für die Zukunft überziehen dürfen (§ 48 Abs. 1 S. 1 SGB X).

Vorliegend hat die Beklagte bereits vor Inkrafttreten des § 22 b Abs. 1 S. 1 FRG n. F. eine Begrenzung der Entgeltpunkte für beide Renten insgesamt auf 25 Entgeltpunkte vorgenommen. Dieses entspricht zwar im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung der aktuellen Fassung des Gesetzes, so dass es, wie oben ausgeführt, ab dem Zeitpunkt seiner Verkündung zu beachten ist (§ 300 SGB VI). Jedoch war die Anwendung vor Inkrafttreten durch die Rentenversicherungsträger rechtswidrig, wie sich aus der übereinstimmenden Rechtsprechung aller damit befassten BSG-Senate ergibt (vgl. oben). Diese Rechtswidrigkeit hat die Klägerin mit ihrem eigenen Antrag auf Überprüfung nach § 44 SGB X geltend gemacht. Diesem Korrekturanspruch der Klägerin mit dem Prüfungsmaßstab für die Vergangenheit wird durch die Entscheidung des Senats zum Recht verholfen. Für die Verwirklichung eines Anspruchs nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist es allein maßgeblich, ob der zumindest zum Teil belastende Verwaltungsakt, hier die Bewilligung dem Grunde nach und die gleichzeitig beschiedene Auszahlungsverweigerung, im Zeitpunkt seines Erlasses dem damals objektiv gültigen Recht entsprach. Gerade dies war nach den entsprechenden Rechtsprechungen des BSG nicht der Fall. (vgl. diesbezüglich die entsprechenden Ausführungen des 4. Senats zur rückwirkenden Inkraftsetzung des § 93 Abs. 5 Satz 3 SGB VI durch Art. 1 Nr. 17 WFG i.V.m. Art. 12 Abs. 8 WFG vom 27.09.1996 - Urteil vom 31.03.1998 Az. B 4 RA 59/96 R-).

Mithin verbleibt es für den Zeitraum vor Inkraftsetzung des § 22 b Abs. 1 S. 1 FRG n.F. bei der Anwendung und Auslegung des § 22 b Abs. 1 S. 1 FRG a.F. Dies führt bei der Klägerin zu einer Zahlung einer Hinterbliebenenrente, die aber ebenfalls auf 25 Entgeltpunkte begrenzt ist. Der Rentenartfaktor von 0,6 führt des weiteren dazu, dass die Entgeltpunkte aus der Hinterbliebenenrente praktisch auf 15 Entgeltpunkte begrenzt werden, so dass der Klägerin, wie es § 22 b Abs. 3 FRG bei Ehegatten vorsieht, insgesamt ein Anspruch auf eine Rente aus eigener Versicherung und einer Rente aus Hinterbliebenenrecht mit einer Begrenzung auf höchstens insgesamt 40 Entgeltpunkte zusteht. Unter diesem Gesichtpunkt hat die Beklagte auch die vorgenommene Verrechnung wieder rückgängig zu machen.

Die Auszahlung der Rente, ggfs. verzinst, kann die Klägerin im Rahmen von § 44 Abs. 4 SGB X vier Jahre rückwirkend begehren.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und trägt dem teilweisen Erfolg der Berufung Rechnung.

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache hat der Senat die Revision gegen dieses Urteil zugelassen, § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved