L 6 RJ 664/00

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 12 RJ 703/99
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 6 RJ 664/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 13 RJ 259/04 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 13. September 2000 sowie der Bescheid der Beklagten vom 30. April 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. August 1999 abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt der Klägerin ab 1. August 1996 die gesetzlichen Leistungen wegen Berufsun- fähigkeit zu zahlen.
II. Die Beklagte trägt zwei Drittel der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist noch der Anspruch der Klägerin auf eine Rente wegen Berufsunfähigkeit.

Die 1951 geborene Klägerin hat nach ihren Angaben vom 01.09.1968 bis 30.08.1971 den Beruf einer Floristin erlernt und diesen anschließend (mit mehreren Unterbrechungen aus verschiedenen Gründen) im Geschäft ihrer Mutter, der Firma E. B. Blumen - Floristen- und Dekorationsbedarf Großhandel (Fa. B.), bis 05.03.1995 ausgeübt (vgl. hierzu die Sitzungsniederschrift vom 26.08.2003). Anschließend hat sie bis 19.10.1996 wegen Krankheit und - ab 23.07.1996 - wegen Arbeitslosigkeit Sozialleistungen bezogen.

Den Antrag der Klägerin auf Zahlung von Rente wegen Erwerbs- bzw. Berufsunfähigkeit vom 30.07.1996 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 30.04.1997 und Widerspruchsbescheid vom 10.08.1999 ab. Die Versicherte habe keinen Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit, weil sie nicht berufsunfähig im Sinn des § 43 Abs.2 SGB VI (in der bis 31.12.2000 geltenden alten Fassung - a.F. -) sei; sie sei nämlich vollschichtig leistungsfähig und nach ihrem beruflichen Werdegang als angelernte Arbeiterin des unteren Bereichs im Sinn des Mehrstufenschemas des BSG auf Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts verweisbar. Damit sei sie auch nicht erwerbsunfähig im Sinn des (bis 31.12.2000 in Kraft befindlichen) § 44 Abs.2 SGB VI.

Gesundheitszustand und berufliches Leistungsvermögen entnahm die Beklagte u.a. zahlreichen Befundberichten und medizinischen Unterlagen der behandelnden Ärzte der Klägerin, einem arbeitsamtsärztlichen Gutachten Dr. S. vom 20.08.1996 (vollschichtiges Leistungsvermögen für bis mittelschwere Arbeiten), einem Gutachten des Arztes M. B. vom 15.01.1998 (bei Beachtung qualitativer Einschränkungen vollschichtiges Leistungsvermögen für leichte bis zeitweilig mittelschwere Arbeiten), dem Entlassungsbericht vom 22.10.1998 betreffende ein stationäres Heilverfahren vom 13.08. bis 24.09.1998 in Bad G. (bei Beachtung qualitativer Einschränkungen vollschichtiges Leistungsvermögen für bis mittelschwere Arbeiten) und dem Gutachten der Fachärztin für Psychiatrie Dr. med. Dipl.-Psych. W. vom 17.12.1998 (vollschichtiges Leistungsvermögen ohne besondere Anforderungen an die nervliche Belastbarkeit).

Bezüglich des beruflichen Werdegangs der Klägerin stützte sich die Beklagte auf eine Auskunft der Fa. B. vom 03.02.1998, in der es sinngemäß heißt, die Klägerin sei als Floristin in ihrem Berufsbild eingesetzt gewesen, und auf eigene Angaben der Klägerin in einem Schreiben vom (Eingang bei der Beklagten) 12.08. 1997, anläßlich der Anamneseerhebung durch Dr. W. am 17.12.1998 sowie im Zusammenhang mit der Anamneseerhebung bei Frau Dr. P. am 26.11.2001. Die Klägerin trug hier vor, ihren erlernten Beruf bereits seit 17 Jahren nicht mehr ausgeübt zu haben, sondern im Blumengroßhandel ihrer Mutter andere Arbeiten verrichtet zu haben wie Bestellungen aufnehmen, Ladungen für den Fahrer zusammenzustellen; dies habe, außer dass sie Blumen gekannt habe, mit ihrem erlernten Beruf nichts mehr zu tun gehabt.

Mit ihrer Klage zum Sozialgericht Augsburg (SG), die am 15.09. 1999 bei der Beklagten eingegangen war, verfolgte die Klägerin ihren Rentenanspruch weiter. Das SG wies die Klage mit Gerichtsbescheid vom 13.09.2000 ab, nachdem es ihm nicht gelungen war, mit der Klägerin in Verbindung zu treten.

Am 13.11.2000 ging die Berufung der Klägerin gegen diesen ihr am 13.10.2000 zugestellten Gerichtsbescheid beim Bayer. Landessozialgericht ein.

Nach Beiziehung der Rentenakten der Beklagten sowie der Klageakte des SG Augsburg führte der Senat Ermittlungen zur weiteren Abklärung des Berufsbildes der Klägerin sowie zu ihrem Gesundheitszustand und beruflichem Leistungsvermögen durch.

Die Fa. B. teilte dem Senat auf eine entsprechende Anfrage vom 28.12.2000 im Februar 2001 mit, die Inhaberin der Fa. B. (die Mutter der Klägerin) sei am 26.11.2000 verstorben. Die Klägerin sei bis August 1980 bei der Fa. B. als Floristin beschäftigt gewesen. Dann sei sie im Zusammenhang mit ihrer Heirat in den Großhandel übergegangen. Hier sei die Ware eingekauft, umgepackt, für den Fahrverkauf hergerichtet und an den Einzelhandel weiterverkauft worden; ein großer Teil der Arbeiten sei im Kühlraum zu verrichten gewesen. Die Klägerin beantwortete eine weitere Anfrage des Senats vom 02.03.2001 als Erbin der Fa. B. unter dem 07.05.2001 dahingehend, dass nach dem Tod ihrer Mutter niemand mehr in der Lage sei, Anfragen über den Inhalt ihres Beschäftigungsverhältnisses zu beantworten.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 26.08.2003 gab die Klägerin eine Darstellung ihrer letzten Berufstätigkeit (auf diese wird verwiesen), die den Senat veranlasste, die Beteiligten darauf hinzuweisen, dass aus seiner Sicht bei der Klägerin Berufsschutz als Floristin vorliege.

Zur Feststellung des Gesundheitszustands und des beruflichen Leistungsvermögens der Klägerin holte der Senat von den behandelnden Ärzten der Klägerin Befundberichte und medizinische Unterlagen ein (Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. A. , Befundbericht vom 12.03.2001; Arzt für Orthopädie Dr. T. , Befundbericht vom 20.03.2001; HNO-Gemeinschaftspraxis Priv. Doz. Dr. R. R. - Dr. B. H. - Dr. K. R. , Befundbericht vom 14.03.2001; Orthopäde, Sportmediziner, Chirotherapeut Dr. M. , Befundbericht vom 28.03.2001; Facharzt für Neurologie, Psychotherapie Dr. E. , Befundbericht vom 19.04.2001; Gemeinschaftspraxis Nervenärzte/ Neurologen - Psychotherapie Dres. von L. , H. , B. , V. , S. , Befundbericht vom 08.05.2001; praktischer Arzt Dr. N. , Befundbericht vom 15.05.2001).

Außerdem erholte der Senat medizinische Sachverständigengutachten von der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie - Sozialmedizin Frau Dr. P. (Gutachten vom 26.11.2001), von dem Arzt für Orthopädie Dr. F. (Gutachten vom 10.10.2002) und von dem Internisten Dr. E. (Gutachten vom 20.11.2002 einschließlich eines darin verwerteten HNO-ärztlichen Zusatzgutachtens des Hals-Nasen-Ohrenarztes Dr. S. vom 07.11.2002).

Hierauf legte die Klägerin mit Schreiben vom 01.03.2003 weitere medizinische Unterlagen vor (Orthopädische Gemeinschaftspraxis Dres. P. und M. , Arztbrief vom 06.02.2003; Radiologische Gemeinschaftspraxis Dres. S. , K. und T. , Arztbrief zum Untersuchungsdatum 24.01.2003; Stellungnahme der HNO-Gemeinschaftspraxis Priv.-Doz. Dr. R. R. , Dr. B. H. und Dr. K. R. vom 24.01.2003 zum Gutachten Dr. S. ; ärztliches Attest des Praktischen Arztes Dr. N. vom 19.02.2003), zu denen die Dres. F. und E. Stellung nahmen (unter dem 04.04.2003 bzw. dem 06.05.2003).

Frau Dr. P. erhob bei der Klägerin folgende für die Leistungsbeurteilung wesentliche Diagnosen:

- Ängstlich depressive Anpassungsstörung bei überwiegend depressiv strukturierter Primärpersönlichkeit.

- Chronischer Tinnitus III und Innenohrschwerhörigkeit links.

- LWS-Syndrom, Fehlstellung und degenerative Veränderungen.

- Hypertonie und Tachycardie-Neigung bei Adipositas.

Dr. F. stellte auf orthopädischem Fachgebiet folgende Gesundheitsstörungen fest:

- Beginnende Spondylochondrose C6 bis C7.

- Knapp mittelschwere Thoraco-Lumbalskoliose, osteochondrotische Veränderungen der mittleren und unteren Brustwirbelsäule mit spondylotischen Reaktionen.

- Spondylochondrose L2 bis Sl, Drehgleiten L3, Iliosakralgelenkarthrose.

- Geringe Coxarthrose beidseits bei Beckenverwringung.

- Initiale Gonarthrose rechts.

- Nebendiagnosen: Lockere Spreizfüße mit Halluces valgi und Hammerzehen, Übergewichtigkeit, derzeit im Gips fixierte Verletzung des linken Handgelenks. Beginnende Heberden- Arthrose.

Aus internistischer Sicht diagnostizierte Dr. E.:

- Arterieller Hypertonus mit Verdacht auf beginnende hypertensive Herzerkrankung.

- Gefäßrisikofaktoren: Adipositas Grad I, Hyperlipidämie, Verdacht auf beginnenden Diabetes mellitus Typ II b.

- Rechtsbetonte Beinvarikosis.

- Verdacht auf paroxysmale Tachykardien.

- Nebenbefundlich: Multiple Leberzysten, Verdacht auf Sigmadivertikulose (Vorbefunde), Struma diffusa et nodosa Grad I (Vorbefunde).

Auf HNO-ärztlichem Fachgebiet (Dr. S.) liegt bei der Klägerin eine cochleovestibuläre Funktionsstörung links vor.

Die Ergebnisse der durchgeführten Begutachtungen zusammenfassend führte Dr. E. aus, die Klägerin sei bei Berücksichtigung aller Gesundheitsstörungen seit dem Zeitpunkt des Rentenantrags vom Juli 1996 imstande, unter den üblichen Bedingungen eines Arbeitsverhältnisses einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit (d.h. acht Stunden täglich) nachzugehen. Sie könne nur noch leichte körperliche Arbeiten verrichten mit der Möglichkeit eines Positionswechsels zwischen Sitzen und Stehen in beliebiger Einteilung. Zu vermeiden seien Heben oder Tragen von Lasten ebenso wie Tätigkeiten mit häufigem Bücken oder in Zwangshaltungen, Tätigkeiten im Akkord, auf Leitern oder Gerüsten oder an gefährdenden Maschinen sowie an lärmintensiven Arbeitsplätzen. Die Klägerin könne viermal am Tag Wegstrecken von deutlich mehr als 500 Metern in angemessener Geschwindigkeit zu Fuß zurücklegen.

Zusätzlich hatte Frau Dr. P. bereits festgestellt, der Klägerin sei die Umstellung auf eine neue Berufstätigkeit grundsätzlich möglich, da sie flexibel, schwingungsfähig und geistig gut beweglich sei.

Nunmehr erholte der Senat von der Bundesagentur für Arbeit, Regionaldirektion Bayern (BA) eine berufskundliche Auskunft, ob die Klägerin unter den üblichen Bedingungen eines Arbeitsverhältnisses noch als Floristin vollschichtig berufstätig sein könne. Dies wurde von der BA bejaht.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 13.09. 2000 sowie den Bescheid der Beklagten vom 30.04.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.08.1999 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab 01.08.1996 Rente wegen Berufsunfähigkeit zu zahlen.

Die in der mündlichen Verhandlung nicht anwesende und auch nicht vertretene Beklagte beantragt sinngemäß,

die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 13.09.2000 zurückzuweisen.

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen und zur Ergänzung des Tatbestands wird im Übrigen auf den Inhalt der beigezogenen Akten und der Akte des Bayer. Landessozialgerichts sowie auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des SG Augsburg vom 13.09.2000 ist zulässig und im Sinn des zuletzt gestellten Antrags auch begründet, weil die Klägerin gegen die Beklagte ab 01.08.1996 Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit hat.

Der Anspruch der Klägerin auf Versichertenrente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit ist im Hinblick auf den Zeitpunkt des Rentenbeginns 01.08.1996, somit vor dem 01.01.2001, an den Vorschriften des SGB VI in der bis 31.12.2000 geltenden Fassung (a.F.) zu messen, vgl. § 300 Abs.2 SGB VI.

Die Klägerin hat ab 01.08.1996 Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit gemäß § 43 Abs.1 SGB VI a.F., weil sie ab dem Zeitpunkt des Rentenantrags vom 30.07.1996 bis jetzt im Sinne des zweiten Absatzes dieser Vorschrift berufsunfähig ist und die erforderlichen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Nach § 43 Abs.2 SGB VI a.F. sind Versicherte berufsunfähig, deren Erwerbsfähigkeit aus gesundheitlichen Gründen auf weniger als die Hälfte derjenigen von gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist (Satz 1). Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst hierbei alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können (Satz 2). Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit vollschichtig ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (Satz 4). Die hier genannten Tatbestandsmerkmale der Berufsunfähigkeit liegen bei der Klägerin seit 30.07.1996 vor.

Das nach Satz 1 dieser Vorschrift zunächst festzustellende berufliche Leistungsvermögen der Klägerin ist eingeschränkt. Sie ist nämlich bei Berücksichtigung aller Gesundheitsstörungen seit dem Zeitpunkt des Rentenantrags vom Juli 1996 zwar noch imstande, unter den üblichen Bedingungen eines Arbeitsverhältnisses einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit (d.h. acht Stunden täglich) nachzugehen. Sie kann hierbei aber nur noch leichte körperliche Arbeiten verrichten mit der Möglichkeit eines Positionswechsels zwischen Sitzen und Stehen in beliebiger Einteilung. Zu vermeiden sind Heben oder Tragen von Lasten ebenso wie Tätigkeiten mit häufigem Bücken oder in Zwangshaltungen, Tätigkeiten im Akkord, auf Leitern oder Gerüsten oder an gefährdenden Maschinen sowie an lärmintensiven Arbeitsplätzen. Beschränkungen des Anmarschweges zur Arbeitsstätte liegen nicht vor, da die Klägerin die durchschnittlich erforderlichen Fuß- wege zurücklegen kann (vgl. hierzu BSG SozR 3-2200 § 1247 RVO Nr.10).

Dieses berufliche Leistungsvermögen der Klägerin ergibt sich vor allem aus den im Berufungsverfahren eingeholten Gutachten der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie - Sozialmedizin Dr. P. , des Arztes für Orthopädie Dr. F. und des Internisten Dr. E. , denen sich der Senat anschließt.

Nach der vom Senat eingeholten berufskundlichen Auskunft der BA soll das bei der Klägerin noch vorhandene berufliche Leistungsvermögen für die Ausübung ihres erlernten Berufs einer Floristin zwar ausreichen; dieser Aussage kann sich der Senat aber nicht anschließen, weil sie nicht schlüssig begründet ist. Das Anforderungsprofil, das von der BA in ihrer Auskunft vom 14.07.2004 dargestellt wird, stimmt nämlich mit dem noch vorhandenen Leistungsprofil der Klägerin nicht überein. So fallen im Beruf der Floristin gelegentlich auch mittelschwere Arbeiten an, die Klägerin kann jedoch nur noch leichte Arbeiten verrichten. Die Arbeitshaltung - überwiegendes Stehen im Wechsel mit Gehen, bei Bindearbeiten ständiges Stehen - ist der Klägerin nicht mehr zumutbar, weil sie die Möglichkeit des Sitzens haben muss mit der Möglichkeit eines Positionswechsels zum Stehen in beliebiger Einteilung. Auch der saisonal auftretende Zeitdruck erscheint unter Berücksichtigung der Tatsache, dass Frau Dr. P. Arbeiten unter ständigem hohen Zeitdruck ausschließt, zumindest problematisch. Damit kann die Klägerin den Beruf einer Floristin nicht mehr ausüben.

Für diesen Beruf, der eine dreijährige Ausbildung erfordert, genießt die Klägerin Berufsschutz, weil sie ihn erlernt und zuletzt auch ausgeübt hat; dies ergibt sich aus ihren glaubhaften und plausiblen Angaben und aus dem von der BA dargestellten Berufsbild. Die Klägerin hat nämlich im elterlichen Großhandel weiter im Berufsbereich der Floristin gearbeitet; insbesondere sind ihre diesbezüglichen Kenntnisse und Fertigkeiten für die Tätigkeit im Großhandel erforderlich gewesen. Ihre Tätigkeit ist als Spezialisierung im Beruf der Floristin zu bewerten, wie sie in vielen anderen Berufen verbreitet und für das Berufsbild unschädlich ist. Die Beklagte hat auch keine Einwendungen erhoben, nachdem sie vom Senat darauf hingewiesen worden ist, dass vom Berufsschutz als Floristin ausgegangen werden müsse.

Obwohl die Klägerin ihren maßgeblichen Beruf nicht mehr ausüben kann, kann dennoch nicht ohne weiteres von Berufsunfähigkeit ausgegangen werden. Für die Annahme von Berufsunfähigkeit reicht es nämlich nicht aus, wenn Versicherte ihren bisherigen Beruf nicht mehr ausüben können; vielmehr sind - wie sich aus § 43 Abs.2 Satz 2 SGB VI a.F. ergibt - Versicherte nur dann berufsunfähig, wenn ihnen auch die Verweisung auf andere Berufstätigkeiten aus gesundheitlichen Gründen oder sozial nicht mehr zumutbar ist (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. u.a. SozR 2200 1246 RVO Nr.138).

Die soziale Zumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit beurteilt sich nach der sozialen Wertigkeit des bisherigen Berufs. Um diese zu beurteilen, hat das BSG die Berufe der Versicherten in Gruppen eingeteilt. Diese Berufsgruppen sind ausgehend von der Bedeutung, die Dauer und Umfang der Ausbildung für die Qualität eines Berufes haben, gebildet worden. Dementsprechend werden die Gruppen durch den Leitberuf des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion bzw. des besonders hoch qualifizierten Facharbeiters, des Facharbeiters (anerkannter Ausbi1dungsberuf mit einer Ausbildungszeit von mehr als 2 Jahren), des angelernten Arbeiters (sonstiger Ausbildungsberuf mit einer Regelausbildungszeit von bis zu 2 Jahren) und des ungelernten Arbeiters charakterisiert (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 Nr.138 und 140). Die Einordnung eines bestimmten Berufs in dieses Mehrstufenschema erfolgt aber nicht auschließlich nach der Dauer der absolvierten förmlichen Berufsausbildung. Ausschlaggebend hierfür ist vielmehr allein die Qualität der verrichteten Arbeit, d.h. der aus einer Mehrzahl von Faktoren zu ermittelnde Wert der Arbeit für den Betrieb. Es kommt auf das Gesamtbild an, wie es durch die in § 43 Abs.2 Satz 2 SGB VI am Ende genannten Merkmale (Dauer und Umfang der Ausbildung sowie des bisherigen Berufs, besondere Anforderungen der bisherigen Berufstätigkeit) umschrieben wird (vgl. z.B. BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr.27 und 33). Grundsätzlich darf der Versicherte im Vergleich zu seinem bisherigen Beruf auf die nächstniedrigere Gruppe verwiesen werden (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 Nr.143 m.w.N.; SozR 3-2200 § 1246 Nr.5).

Als Facharbeiterin ist die Klägerin nur auf Berufstätigkeiten ihrer Gruppe und auf solche Arbeiten verweisbar, die qualitativ den Berufstätigkeiten der Gruppe der Angelernten entsprechen (vgl. KassKomm-Niesel, Stand: März 2004, § 240 SGB VI Rdnr.97 ff. mit weiteren Nachweisen). Eine solche der Klägerin sozial zumutbare Verweisungstätigkeit ist dem Senat nicht bekannt; hierauf sind die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vom 28.09.2004 hingewiesen worden. Die Beklagte hat ihrerseits keine Verweisungstätigkeit benannt; sie hätte im Termin vom 28.09. 2004 dazu Gelegenheit gehabt, die sie aber nicht wahrgenommen hat. Die Berufe, die die BA als Alternativen zum Beruf einer Floristin aufgeführt hat - Tätigkeiten im Gartenbau, im Verkauf, im Vertrieb, in der Beratung sowie im Bereich Dekoration und Raumgestaltung - scheiden aus, weil sie den gesundheitlichen Möglichkeiten der Klägerin nicht entsprechen. Die Eignung der Klägerin wird von der BA bezüglich der Tätigkeiten im Gartenbau sowie im Hinblick auf Tätigkeiten im Bereich Dekoration/Raumgestaltung ausdrücklich verneint. Aber auch Tätig- keiten im Verkauf, im Vertrieb, in der Beratung erweisen sich schon deshalb als offensichtlich unzumutbar, weil die Möglichkeit eines Positionswechsels zwischn Sitzen und Stehen in beliebiger Einteilung - dies ist allgemeinkundig - nicht gegeben ist.

Da die Klägerin ihren erlernten und ausgeübten geschützten Facharbeiterberuf seit dem Zeitpunkt des Rentenantrags nicht mehr ausüben kann und da ein sozial zumutbarer Verweisungsberuf nicht ersichtlich ist, waren der Klägerin ab 01.08.1996 die gesetzlichen Leistungen wegen Berufsunfähigkeit zuzusprechen. Der Gerichtsbescheid des SG Augsburg vom 13.09.2000 sowie der Bescheid der Beklagten vom 30.04.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.08.1999 waren entsprechend abzuändern.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs.2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved