L 2 U 162/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 9 U 336/97
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 162/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Die lange Dauer des Verfahens 1. Instanz ändert nicht daran, dass durch die Zulassung des Antrags nach § 109 SGG nach Ablauf der verlängerten Frist die Erledigung des Berufungsverfahrens verzögert worden wäre. Sie rechtfertigt nicht die Erwägung, dass es auf die Länge der Verfahrensdauer nun nicht mehr ankomme.
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 25. März 2003 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

I.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Feststellung von Erkrankungen durch Quecksilber als Berufskrankheit.

Die 1940 geborene Klägerin war nach einer entsprechenden Lehre nach 1959 als Chemielaborantin tätig. 1969 wurde an ihrem Arbeitsplatz ein Polarograph mit einer sogenannten Quecksilbertropfelektrode aufgestellt. Ab Dezember 1969 machte die Klägerin gegenüber ihren Ärzten eine Vielzahl von Krankheitssymptomen geltend und wies unter anderem auf eine mögliche Quecksilberbelastung hin. Die damals ambulant und stationär behandelnden Ärzte konnten in ihren Untersuchungen keine Hinweise auf eine Quecksilberintoxikation finden.

Am 07.10.1970 erstattete das Unternehmen eine Anzeige über eine Berufskrankheit. Dort ist von eventuellen Quecksilberdämpfen im Raum (Polarograph) die Rede, fraglich auch durch Verschütten. Quecksilber sei in MAK-Konzentration nicht nachweisbar gewesen. Vom 13.04. bis 25.09.1970 sei die Klägerin nicht im Betrieb anwesend gewesen und es sei vorgesehen, sie nach Rückkehr an einen anderen Arbeitsplatz zu versetzen.

Mit Bescheid vom 14.12.1971 entschied die Beklagte, dass bei der Klägerin keine Berufskrankheit vorliege. Dieser Bescheid wurde nicht angefochten.

Im März 1995 wandte sich die Klägerin, nachdem sie zuvor eine medikamentöse Therapie zur Ausschwemmung von Quecksilber im Körper durchgeführt hatte, an die Beklagte und machte geltend, in ihrem Körper sei ein erhöhter Quecksilbergehalt festgestellt worden. Sie machte insoweit Vergiftungen in den Jahren 1969 bis 1971 geltend. Ihr Vorgesetzter, Dr.S. , habe im Oktober 1970 in der Wanne des Polarographen Quecksilberkügelchen entdeckt und den Verdacht auf eine Quecksilbervergiftung bei ihr geäußert. Die MAK-Werte seien gemessen, aber ihr nicht mitgeteilt worden, der Boden des Labors sei entfernt worden und sie habe in ein anderes Labor umziehen müssen. Auf Befragung durch das Sozialgericht hat Dr.S. - unter anderem nach Befragen von früheren Mitarbeitern - angegeben, dem Vorgesetzten der Klägerin sei eines Tages beim Umgang mit der Elektrode die mit mehreren Millilitern Quecksilber gefüllte Birne auf den Fußboden gefallen und zerbrochen. Das ausgeflossene Quecksilber sei sofort aufgesammelt worden, der aus verfugten Kunststoffplatten bestehende Boden entfernt und durch einen geschlossenen Kunststoffboden ersetzt worden. Quecksilberreste seien nicht mehr gefunden worden. Die Arbeitsplatzsituation allgemein habe der damals in physikalisch-klinischen Laboratorien üblichen entsprochen und sei im Vergleich mit anderen Laboratorien angemessen und gut gewesen.

Die Beklagte holte ein Gutachten des Neurologen Prof.Dr. A. vom 17.07.1996 ein. Dieser stellte auf seinem Fachgebiet einen feinschlägigen, bei Bewegungen zunehmenden Tremor im Bereich der Hände fest. Ein derartiger Tremor sei in der Literatur als mögliche Folge einer Intoxikation mit Quecksilberdämpfen beschrieben, beweise aber nicht für sich alleine eine solche Intoxikation. Einen möglichen Zusammenhang müsse das arbeitsmedizinische Hauptgutachten prüfen.

Hierzu führte der Sachverständige Prof.Dr.F. in seinem Gutachten vom 08.05.1996 aus, der stationär behandelnde Arzt habe in seinem Entlassungsbericht vom 26.08.1971 den Tremor der Klägerin als vegetativ und emotional zunehmend beschrieben und sei aufgrund einer fehlenden neurologischen Symptomatik nicht von einer Quecksilberintoxikation ausgegangen. Nach dem Gutachten des Prof.Dr.A. bestünden im Bereich der Hände keine Hinweise auf darüber hinausgehende neurologische Störungen. Die von der Klägerin angegebenen chronischen Reiz- und Entzündungserscheinungen der Augenlider würden nur bei schweren Quecksilberintoxikationen gefunden. Sie hätten sowohl in der aktuellen Untersuchung als auch aufgrund vorliegender ärztlicher Berichte, wie dem Entlassungsbericht von 1971 und einem Klinikbericht von 1977 sowie einem weiteren Klinikbericht von 1994, nicht bestätigt werden können. Eine Schädigung der Nieren als sogenanntem kritischem Organ für Quecksilber habe ausgeschlossen werden können. Die 1996 gemessenen Werte von Quecksilber im Blut bzw. im Urin hätten im Normbereich gelegen. Die bei der Ausschwemmung gemessenen Quecksilberwerte widerspiegelten nicht die Größe des Quecksilberpools im Körper, sondern korrelierten mit einer kürzlich stattgehabten Exposition. Ein Zusammenhang mit einer beruflichen Intoxikation, insbesondere mit einem Ereignis 1969/70, könne nicht als wahrscheinlich angesehen werden. Eine quecksilberbedingte Berufskrankheit sei insgesamt nicht wahrscheinlich.

Mit Bescheid vom 25.11.1996 verweigerte die Beklagte die Feststellung einer Berufskrankheit Nr.1102 der Anlage zur BKVO. Den Widerspruch der Klägerin, bei dem sie unter anderem darauf hinwies, sie habe seit 1970 keinen Kontakt mit Quecksilber mehr gehabt, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 08.04.1997 als unbegründet zurück.

Im anschließenden Klageverfahren hat das Sozialgericht ein Gutachten des Arbeitsmediziners Prof.Dr.H. vom 22.09.2000 eingeholt. Der Sachverständige kommt zu dem Ergebnis, die Annahme einer berufsbedingten Erkrankung lasse sich bei der Klägerin nicht überzeugend begründen. Unter Zugrundelegung der von Dr.S. beschriebenen Arbeitsbedingungen erscheine es fraglich, ob überhaupt eine Exposition bestanden habe, die geeignet gewesen sein könnte, eine Quecksilberintoxikation zu verursachen. Hierbei bezieht sich der Sachverständige auch auf den von Dr.S. geschilderten Fall des Auslaufens von Quecksilber.

Das charakteristische Krankheitsbild einer Quecksilbervergiftung habe bei keiner Untersuchung festgestellt, der objektive Nachweis einer erhöhten Quecksilberbelastung als Folge der beruflichen Tätigkeit zu keinem Zeitpunkt geführt werden können. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass im November 1977 keinerlei Quecksilber im Urin nachweisbar gewesen sei und danach keine weitere berufliche Exposition bestanden habe, sei die im Februar 1995 nach Ausschwemmung festgestellte Intoxikation zumindest zum größten Teil durch die Amalgamfüllungen zu erklären.

Das Sozialgericht hat eine Frist zur Stellungnahme zu dem Gutachten bis 30.10.2000 gesetzt und darauf hingewiesen, dass ein etwaiger Antrag nach § 109 SGG ebenfalls innerhalb der Frist zu stellen wäre. Einem Antrag zur Verlängerung dieser Frist bis 30.11.2000 hat das Sozialgericht zugestimmt. Am 30.11.2000 hat die Klägerin um Verlängerung bis 12.12.2000 gebeten. Nach der Anberaumung des Termins zur mündlichen Verhandlung am 25.03.2003 hat die Klägerin die Absetzung des Termins am 13.03.2003 beantragt und gleichzeitig die Anhörung eines von ihr benannten Arztes nach § 106, hilfsweise nach § 109 SGG beantragt. Das Gericht hat hierzu der Klägerin mitgeteilt, die Frist zur Stellung eines Antrags nach § 109 SGG sei spätestens am 12.12.2000 abgelaufen. Ihren Antrag hat die Klägerin am 24.03.2003 wiederholt, am 25.03.2003 ist niemand von ihrer Seite zur mündlichen Verhandlung erschienen.

Mit Urteil vom 25.03.2003 hat das Sozialgericht die Klage als unbegründet abgewiesen. Bei der Klägerin sei der Nachweis einer erhöhten Exposition nicht gelungen, ebensowenig der Nachweis einer Quecksilberintoxikation, darüberhinaus liege kein für eine Quecksilberintoxikation charakteristisches Krankheitsbild vor. Insoweit stützt sich das Gericht in seiner Begründung auf den Sachverständigen Prof.Dr.H ...

Hiergegen hat die Klägerin Berufung eingelegt und weder Sachanträge gestellt noch eine Berufungsbegründung vorgelegt.

Mit Schreiben vom 06.10.2003 hat der Senat der Klägerin mitgeteilt, dass eine weitere Beweiserhebung nicht beabsichtigt sei und Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb vier Wochen gegeben. Am 05.11.2003 hat die Klägerin gebeten, die Frist zur Stellungnahme im Hinblick auf einen Antrag nach § 109 SGG wegen noch erforderlicher Rücksprachen bis zum 17.12.2003 zu verlängern. Der Senat hat die Antragsfrist bis 01.12.2003 verlängert. Mit Schreiben vom 04.12.2003 hat der Senat darauf hingewiesen, dass er von der Möglichkeit des § 153 Abs.4 Satz 1 SGG Gebrauch zu machen erwäge und Gelegenheit zur Stellungnahme bis 15.01.2004 gegeben. Am 04.12.2003 hat die Klägerin einen Arzt nach § 109 SGG benannt.

In einem weiteren Schriftsatz hat der Senat auf die Verspätung des Antrages hingewiesen und zuletzt darauf, dass weiter nicht beabsichtigt sei, dem Antrag nach § 109 SGG stattzugeben. Die Klägerin hat demgegenüber wiederholt geltend gemacht, die Verweigerung der Fristverlängerung bis 17.12.2003 sei sachlich nicht begründet gewesen. Sie habe weder aus grober Nachlässigkeit noch in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, sondern wegen der Schwierigkeiten, einen geeigneten Sachverständigen zu finden, den Antrag später gestellt, und die mittlerweile überlange Verfahrensdauer sei nicht von ihr, sondern vom Gericht zu verantworten.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Zum Verfahren beigezogen und Gegenstand der Entscheidung sind die Akten der Beklagten und die Akte des Sozialgerichts München in dem vorangegangenen Klageverfahren. Auf ihren Inhalt und das Ergebnis der Beweisaufnahme wird ergänzend Bezug genommen.

II.

Entscheidungsgründe:

Die von der Klägerin form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig; eine Beschränkung der Berufung nach § 144 SGG besteht nicht. Nachdem die Klägerin ihre Berufung ohne Beschränkung eingelegt hat, geht der Senat davon aus, dass ihr Begehren dem im Klageverfahren entspricht.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet, denn bei der Klägerin besteht nicht nachweislich eine durch ihre versicherte Tätigkeit verursachte Erkrankung durch Quecksilber oder seine Verbindungen (§ 551 Abs.1 RVO i.V.m. Nr.1102 der Anlage zur BKVO).

Der Senat weist die Berufung aus den Gründen des angefochtenen Urteils des Sozialgerichts München als unbegründet zurück und sieht nach § 153 Abs.2 SGG von einer weiter Darstellung der Entscheidungsgründe ab. Einwendungen hiergegen sind von der Klägerin nicht vorgetragen worden. Die im Verwaltungs- und Klageverfahren eingeholten Sachverständigengutachten kommen übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass die von der Klägerin geltend gemachten Gesundheitsstörungen nicht mit Wahrscheinlichkeit wesentlich durch eine berufliche Quecksilberexposition wenigstens mitverursacht worden sind. Eine anders lautende gutachterliche Einschätzung, auf die das Gericht eine der Klägerin günstige Entscheidung stützen könnte, liegt nicht vor.

Den Antrag der Klägerin nach § 109 SGG konnte das Gericht nach Abs.2 der Vorschrift ablehnen, weil durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert worden wäre und der Antrag nach freier Überzeugung des Gerichts aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist. Der Antrag ist erst nach Ablauf der vom Gericht gesetzten und verlängerten Frist gestellt worden, die auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass das Ausfindigmachen eines Sachverständigen Zeit beanspruchen kann, ausreichend bemessen war (vgl. Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, 7. Auflage, § 109 RdNr.8 a). Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass die Klägerin auf die Stellung eines solchen Antrages vorbereitet sein musste, denn nach dem bis dahin bestehenden Beweisergebnis konnte sie nicht mit einer Entscheidung zu ihren Gunsten rechnen und Einwendungen gegen dieses Beweisergebnis hat sie nicht vorgebracht. Darüber hinaus war sie in erster Instanz bereits mit dem Problem der Versäumung der Frist für einen Antrag nach § 109 SGG konfrontiert gewesen. Dass der Antrag nicht innerhalb der vom Senat gesetzten Frist gestellt wurde, ist deshalb als grobe Nachlässigkeit zu werten. Die lange Dauer des Verfahrens in erster Instanz ändert weder etwas daran, dass durch die Zulassung des Antrags die Erledigung des Berufungsverfahrens verzögert worden wäre noch rechtfertigt sie die Erwägung, dass es auf die Länge der Verfahrensdauer nun nicht mehr ankomme.

Die Entscheidung über die Kosten stützt sich auf § 193 SGG und folgt der Erwägung, dass die Klägerin in beiden Rechtszügen nicht obsiegt hat.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs.2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.

Der Senat konnte durch Beschluss entscheiden, da er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hielt (§ 153 Abs.4 SGG).
Rechtskraft
Aus
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