L 13 RA 127/04

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 17 RA 490/03
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 13 RA 127/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 6. Mai 2004 wird als unzulässig verworfen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um den Anspruch der Klägerin auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Die 1953 geborene Klägerin beantragte am 28.04.2003 bei der Beklagten Leistung von Versichertenrente wegen Erwerbsminderung. Sie leide seit September 2000 an einem Kreuzbandriss sowie an den Folgen einer 1996 stattgefundenen Darminfektion.

Nach ihrem von der Beklagten geführten Versicherungsverlauf hat sie ab 01.08.1967 Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung der Angestellten. Beiträge fehlen jedoch für die Monate April bis Juni 1984, November 1987 und Juli und August 1988, wohingegen andere Lücken zumindest durch rentenrechtlich bedeutsame Zeiten ausgefüllt sind. Ab Juni 1984 war die Klägerin im Telefonmarketing selbstständig tätig, ohne einer Versicherungspflicht unterlegen zu haben.

Mit Bescheid vom 10.06.2003 lehnte die Beklagte - ohne medizinische Ermittlungen durchzuführen - den Rentenantrag ab, weil die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente wegen Erwerbsminderung nicht gegeben seien. Die Klägerin habe weder die geforderte Pflichtbeitragszeit von 36 Monaten innerhalb der letzten fünf Jahre vor dem behaupteten Eintritt des Versicherungsfalles der Erwerbsminderung (Tag der Rentenantragstellung am 28.04.2003) zurückgelegt (Zeitraum März 1998 bis April 2003), noch habe sie jeden Kalendermonat in der Zeit vom 01.01.1984 bis zum Ende des Kalendermonats vor dem eventuellen Eintritt der Erwerbsminderung mit anwartschaftserhaltenden Zeiten belegt (Lücken bis September 1992 und ab Juli 1994).

Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 22.08.2003 zurück.

Mit ihrer dagegen zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin vorgetragen, aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage gewesen zu sein, eine Tätigkeit auszuüben. Im Übrigen habe ihre Leidensgeschichte bereits 1994 begonnen. Seit 1996 sehe sie sich nicht mehr in der Lage, einer Beschäftigung außerhalb ihres Wohnbereiches nachzugehen.

Durch Urteil vom 06.05.2004 hat das SG die Klage abgewiesen. Es fehle an den versicherungsrechtlichen Voraussetzungen. Der letzte Pflichtbeitrag zur Rentenversicherung sei im Mai 1994 entrichtet worden. Auch für die Zeit davor weise der Versicherungsverlauf Lücken auf. So seien die Monate April bis Juni 1984, November 1987 und der Zeitraum Juli 1988 bis August 1992 nicht belegt. Die Lücken ließen sich größtenteils durch die Ausübung einer selbständigen Tätigkeit durch die Klägerin erklären. Eine Anwartschaftserhaltung durch die Zahlung freiwilliger Beiträge an die Beklagte sei für die genannten Zeiträume nicht erfolgt. Selbst unter der Annahme, dass die Klägerin bereits seit 1994 erwerbsunfähig gewesen sei, würde das zu keinem Rentenanspruch führen. Auch von diesem Zeitpunkt ausgehend hätte die Klägerin die in § 44 Abs. 1 Nr. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) in der bis 31.12.2000 geltenden Fassung (a.F.) geforderte Pflichtbeitragszeit von 36 Monaten in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit nicht zurückgelegt. Auch wären die Voraussetzungen des § 241 Abs. 2 SGB VI a.F. nicht erfüllt. Danach sind Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit vor Eintritt der verminderten Erwerbsfähigkeit bei Versicherten, die wie die Klägerin vor dem 01.01.1984 die allgemeine Wartezeit von 60 Kalendermonaten zurückgelegt haben, nicht erforderlich, wenn jeder Kalendermonat in der Zeit vom 01.01.1984 bis zum Kalendermonat vor Eintritt der verminderten Erwerbsfähigkeit mit Beiträgen oder sonstigen Anwartschaftserhaltungszeiten im Sinne dieser Vorschrift belegt ist. Dies sei jedoch bei der Klägerin aufgrund des lückenhaften Versicherungsverlaufes nicht der Fall.

Hiergegen hat die Klägerin mit Schreiben vom 30.06.2004, eingegangen beim SG am 02.07.2004 und beim Bayer. Landessozialgericht am 06.07.2004, Berufung eingelegt. Durch die Schwere ihrer Krankheiten sei sie erst jetzt zu einer Antwort gekommen.

Auf den Vorhalt der Verfristung unter Darlegung des Beweismaßstabes der Glaubhaftmachung hat die Klägerin mit per Faxgerät übermittelten Schreiben vom 19.07.2004 vorgetragenen, sie habe aus gesundheitlichen Gründen nicht rechtzeitig handeln können. Sie sei sehr krank und könne sich kaum noch bewegen. Auch hätte sie sonst niemanden mit der Wahrnehmung ihre Interessen beauftragen können.

Die Klägerin beantragt , die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Nürnberg vom 06.05.2004 sowie des Bescheides vom 10.06.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.08.2003 zu verurteilen, ihr auf Grund ihres Antrags vom 28.04.2003 Rente wegen Erwerbsminderung zu erbringen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie hat als - technisch - letztmöglichen Versicherungsfall den 01.03.1990 bezeichnet, an dem keinerlei Anhaltspunkte für eine verminderte Erwerbsfähigkeit vorhanden gewesen seien.

Die Klägerin behauptet sinngemäß einen Wiedereinsetzungsgrund und hält sich nach wie vor für rentenberechtigt. Das hat sie in einem als Aktennotiz der Beklagten zugänglich gemachten Telefonat mit dem Berichterstatter am 23.09.2004 bekräftigt und gleichzeitig mitgeteilt, aus gesundheitlichen Gründen nicht zum Termin am 20.10.2004 erscheinen zu können. Sie verlasse praktisch das Haus nicht mehr, weil sie an einem Bandscheibenleiden und an einem Kreuzbandriss im Kniegelenk erkrankt sei. Sie lebe allein und werde nur gelegentlich von ihrer weiter entfernt wohnenden Schwester besucht. Sie besitze allerdings schon seit über zehn Jahren ein Faxgerät und lebe von ihrem selbstständigen Einkommen im Telefonmarketing.

Mit einem per Faxgerät übermittelten Schreiben vom 06.10.2004 wiederholt die Klägerin, aus gesundheitlichen Gründen nicht erscheinen zu können. Sie habe aber am 04.11.2004 vom Versorgungsamt einen Untersuchungstermin.

Wegen der Einzelheiten wird auf die Akten beider Instanzen und der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nicht fristgerecht erhobene Berufung der Klägerin ist unzulässig. Gründe für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand der offenen Berufungsfrist bestehen nicht.

Nach § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist die Berufung beim Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Diese Frist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht eingelegt wird, das das Urteil erlassen hat (§ 151 Abs. 2 SGG, sog. judex-a-quo). Die Einhaltung der Berufungsfrist ist unabhängig von einer Rüge der Beteiligten von Amts wegen zu prüfen. Sie ist Zulässigkeitsvoraussetzung für die Berufung (vgl. Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, Rdnr. zu § 151).

Nach § 64 Abs. 1 SGG beginnt der Lauf der Berufungsfrist mit dem Tag nach der Zustellung des Urteils - hier am 27.05.2004 - und endet mit Ablauf des 28.6.2004, einem Montag. Eine Ausfertigung des vollständigen Urteils des Sozialgerichts vom 06.05. 2004 ist der Klägerin mit einer zutreffenden Rechtsmittelbelehrung am 26.05. 2004 übergeben worden. Die Berufungsschrift vom 30.6.2004 ist am 06.07.2004 (neun Tage später) beim Bayer. LSG eingegangen. Aber auch der Eingang vom 02.07.2004 beim SG Nürnberg (fünf Tage später) genügt nicht der Frist, wenn er auch dem Grunde nach beim judex-a-quo möglich ist (vgl. § 151 Abs. 2 SGG).

Die Berufungsfrist von einem Monat kann nicht verlängert oder verkürzt werden, denn sie ist eine gesetzliche Fristenregelung, die aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit zu den Rechtsmaterien gehört, die eine Auslegung gegen den Wortlaut des Gesetzes nicht zulassen.

Die bei mangelndem Verschulden zum ordnungsgemäßen Rechtsschutz nötige, zulässige Ausnahme einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 67 Abs. 1 SGG) kommt nach dem gegebenen Sachverhalt nicht in Betracht. So ist nach dieser Vorschrift Wiedereinsetzung nur zu gewähren, wenn ein Beteiligter ohne Verschulden gehindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, oder wenn zwar Verschulden vorliegt, dem Berufungsführer aber nicht zugerechnet werden kann. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind zudem glaubhaft zu machen (§ 67 Abs. 2 SGG).

Die Klägerin hat hierzu nur vorgebracht, dass sie durch die Schwere ihrer Krankheiten erst verspätet dazugekommen sei, zu antworten. Damit hat sie trotz Hinweises des LSG nicht glaubhaft vorgetragen, auf Grund ihrer Erkrankung handlungsunfähig gewesen zu sein. Selbst wenn sie, wie behauptet, ihre Wohnung zur fraglichen Zeit nicht verlassen hat, wäre sie dennoch gerade in ihrem Beruf (Telefonmarketing) im Stande gewesen, unmittelbar mit dem SG oder mit Dritten, zum Beispiel ihrer Schwester, Kontakt aufzunehmen, und das Rechtsmittel fristgerecht einzulegen oder ein solches zu veranlassen. Zudem besitzt sie ein Faxgerät, das sie - wie mehrfach im Rechtsverkehr mit dem LSG unter Beweis gestellt - erfolgreich benützt. Damit hätte sie ebenfalls fristgerecht Berufung einlegen können. Erkrankungen von der Art, dass sie auch hinsichtlich der Bedienung eines Telefons oder Faxgeräts handlungsunfähig gewesen wäre, hat die Klägerin mit ihrem Vorbringen, an den Folgen einer Darminfektion aus dem Jahre 1996, einer Bandscheibendegeneration und an einem früheren Kreuzbandriss im Kniegelenk zu leiden, nicht behauptet und damit nicht glaubhaft gemacht. Im Übrigen hat die Erkrankung die Klägerin nicht dazu veranlasst, einen Arzt aufzusuchen oder sich in stationäre Behandlung zu begeben. Daraus kann geschlossen werden, dass die vorgebrachten Krankheiten nicht von einer derartigen Intensität gewesen waren, dass die Klägerin handlungsunfähig war. Daher braucht auch das Ergebnis der Untersuchung durch das Versorgungsamt nicht abgewartet zu werden. Die zum Ausschluss eines Verschuldens - des Fehlens von Vorsatz und Fahrlässigkeit im Sinne des § 276 BGB - notwendige Intensität der Erkrankung sieht der Senat nicht für gegeben. Denn sofern keine Krankheit vorliegt, die Schuldunfähigkeit bewirkt, muss die Gesundheitsstörung so schwer sein, dass sie die zur Fristwahrung notwendigen Handlungen, insbesondere die Information des Rechtsanwalts unmöglich oder unzumutbar macht (Thomas-Putzo, ZPO, 24. Aufl., Randnummer 40 zu § 233 ZPO). Zwar sind bei der notwendigen Glaubhaftmachung keine strengen Anforderungen zu stellen (BVerfGE 26, 320; 38, 39), hier handelt es sich aber nicht um einen naheliegenden, der Lebenserfahrung entsprechenden Grund der Verhinderung. Der Senat hält es zusammenfassend nicht für glaubwürdig, dass die Klägerin derart handlungsunfähig gewesen war, um nicht mittels Fax oder telefonisch einen Auftrag an einen Prozessbevollmächtigten zu erteilen oder ihre Schwester zu benachrichtigen.

Die Klägerin hat bei diesem Sachvortrag die Folgen ihres eigenen Verhaltens selbst zu tragen.

Damit ist die Berufung verfristet und unzulässig. Sie ist gemäß § 158 Abs. 1 Satz 1 SGG als unzulässig zu verwerfen.

Das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg ist damit rechtskräftig, die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind bindend geworden. Eine materiell-rechtliche Überprüfung hinsichtlich der Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit kann der Senat nicht vornehmen.

Dennoch kann zusätzlich ausgeführt werden, dass die Klägerin auch unter keinem Gesichtspunkt einen materiell-rechtlichen Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit hat, da es ihr an den versicherungsrechtlichen Voraussetzungen fehlt. Der, versicherungsrechtlich gesehen, letztmögliche Versicherungsfall (vgl. §§ 43,44 SGB VI) war am 01.03.1990. Zu diesem Zeitpunkt liegen keinerlei Anhaltspunkte für ein vermindertes Erwerbsvermögen der Klägerin vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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