L 2 KA 4/01

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
2
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 3 KA 61/00
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 2 KA 4/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Auf die Berufung des Beklagten und der Beigeladenen zu 1) wird das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 1. November 2000 aufgehoben und die Klage abgewiesen. 2. Der Kläger hat die außergerichtlichen Kosten des Beklagten für beide Instanzen zu erstatten. 3. Im Übrigen sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten. 4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob der Kläger als Psychologischer Psychotherapeut zur vertragsärztlichen Versorgung ohne die Bedingung zuzulassen ist, dass er seine Beschäftigung beim Jugendpsychiatrischen Dienst (JPD) des Gesundheitsamtes beim Bezirksamt H. aufgibt. Der Kläger ist bereit, seine wöchentliche Stundenzahl beim JPD auf 13 Stunden zu reduzieren und eine entsprechende Zulassungsbedingung zu akzeptieren.

Der 1953 geborene Kläger, ein Diplom-Psychologe, hat das Studium der Psychologie 1979 abgeschlossen. Seit 1988 ist er freiberuflich in eigener Praxis psychotherapeutisch tätig. Seit 1993 arbeitet er zudem als Angestellter im JPD, derzeit im Umfang von 19,25 Wochenstunden. Seit Anfang 1999 ist er approbiert und seit 7. April 1999 in das Arztregister eingetragen. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass er die Voraussetzungen des § 95 Abs. 10 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) erfüllt, weil er im so genannten Zeitfenster in erheblichem Umfang im Wege der Kostenerstattung an der ambulanten Versorgung von Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung teilgenommen hat.

Unter dem 17. April 1999 erhielt der Kläger vom Berufungsausschuss für Ärzte Schleswig-Holstein die bedarfsunabhängige Zulassung als Psychologischer Psychotherapeut für I., wo er seine Praxistätigkeit ab 1. Mai 1999 aufnahm. Diese übt er auch heute noch aus. Er rechnete seit Beginn seiner vertragspsychotherapeutischen Tätigkeit in I. pro Quartal zwischen 24 und 35 Fälle mit einem Honorar zwischen 12.800 DM und 24.000 DM ab (Mitteilung der Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein vom 23. Juli 2002).

Am 20. November 1998 beantragte der Kläger beim Zulassungsausschuss für Ärzte Hamburg seine bedarfsunabhängige Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung als Psychologischer Psychotherapeut für tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie. Er könne seine Arbeit im JPD so frei gestalten, dass er kontinuierlich für die vertragsärztliche Versorgung zur Verfügung stehe und täglich Sprechstunden anbieten könne. Eine Interessenkollision zwischen der begehrten vertragspsychotherapeutischen Zulassung und seinem Beschäftigungsverhältnis bestehe nicht, weil er im JPD nur Kinder und Jugendliche behandle und seine freiberufliche Praxis in Hamburg-N. 30 Kilometer vom Gesundheitsamt entfernt liege. Als Psychologischer Psychotherapeut wolle er nur Erwachsene behandeln.

Nach der Nebenbeschäftigungsgenehmigung des Bezirksamts H. vom 16. November 1998 darf der Kläger eine psychotherapeutische Praxis im zeitlichen Umfang von 25 Stunden wöchentlich - einschließlich Vor- und Nachbereitung - führen.

Der Zulassungsausschuss ließ den Kläger durch Beschluss vom 7. April 1999 zur vertragspsychotherapeutischen Versorgung in Hamburg-N. unter der Bedingung zu, dass sein Beschäftigungsverhältnis beim JPD vor Praxisaufnahme ende. Bei Beibehaltung des Beschäftigungsverhältnisses sei er nicht geeignet iSd § 20 Abs. 2 der Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV), weil eine Interessen- und Pflichtenkollision möglich sei.

Nachdem die Beigeladene zu 1) von der Zulassung des Klägers in Schleswig-Holstein erfahren und dieser das Vorverfahren gegen den Beschluss vom 7. April 1999 angestrengt hatte, betrieb auch sie das Vorverfahren gegen diesen Beschluss mit der Begründung, dass eine gleichzeitige Zulassung in den Bereichen zweier Kassenärztlicher Vereinigungen ausgeschlossen und deshalb die für Hamburg erteilte Zulassung von Amts wegen zurückzunehmen sei. Der Zulassungsausschuss nahm daraufhin mit Beschluss vom 9. Juni 1999 die Zulassung des Klägers als Psychologischer Psychotherapeut für Hamburg-N. mit sofortiger Wirkung zurück. Auf diesen Beschluss erstreckte der Kläger seinen Widerspruch.

Der Beklagte hob mit Beschluss vom 8. Dezember 1999 den Beschluss des Zulassungsausschusses vom 9. Juni 1999 auf und änderte dessen Beschluss vom 7. April 1999 dahingehend ab, dass er den Kläger als Psychologischen Psychotherapeuten - bei Aufrechterhaltung der Bedingung der Aufgabe des Beschäftigungsverhältnisses beim Bezirksamt H. - unter der weiteren Bedingung für den Praxissitz Hamburg-N. zuließ, dass die Zulassung für I. binnen drei Monaten nach Unanfechtbarkeit des Beschlusses vom 8. Dezember 1999 und vor Praxisaufnahme geendet habe.

Gegen den Beschluss des Beklagten vom 8. Dezember 1999 hat die Beigeladene zu 1) am 2. Februar 2000 Klage erhoben (S 3 KA 37/00). Der Kläger hat hiergegen am 14. Februar 2000 Klage erhoben (S 3 KA 61/00).

Im Verfahren S 3 KA 37/00, zu dem der Kläger und die Beigeladenen zu 2) bis 6) beigeladen waren, hat die zu 1) beigeladene Kassenärztliche Vereinigung Hamburg die Feststellung beantragt, dass die Zulassung des Klägers mit Aufnahme seiner Praxistätigkeit in I. am 1. Mai 1999 geendet habe. Der Kläger und der Beklagte sind diesem Antrag entgegengetreten. Das Sozialgericht hat die Klage durch Urteil vom 1. November 2000 abgewiesen. Der Beschluss des Beklagten vom 8. Dezember 1999 sei insoweit rechtmäßig, als er den Kläger trotz der bereits bestehenden Zulassung und Niederlassung im Bereich der Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein eine – bedingte – Zulassung für Hamburg des bekannten Inhalts erteilt habe. Dieses Urteil ist rechtskräftig geworden.

Im Verfahren S 3 KA 61/00 hat der Kläger beantragt, die Bedingung im Beschluss vom 8. Dezember 1999 aufzuheben. Er betreue als Angestellter im JPD ausschließlich Kinder und Jugendliche im Rahmen des öffentlichen Gesundheitsdienstes. Eine Erziehungsberatung der Eltern dieser Kinder und Jugendlichen finde nicht statt. Seine Aufgabe bestehe hauptsächlich darin, behinderte Kinder zu begutachten, um eine für Maßnahmen nach dem Achten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) bzw. dem Bundessozialhilfegesetz erforderliche Einstufung und Zuordnung vornehmen zu können. Im Rahmen seiner übrigen Tätigkeit erbringe er Beratungsleistungen gegenüber Eltern, die mit ihren behinderten Kindern zu ihm kämen. Er berate sie hinsichtlich der Einschätzung dieser Behinderung sowie über mögliche Folgemaßnahmen. In seiner eigenen psychotherapeutischen Praxis behandle er ausschließlich Erwachsene. Er habe in seiner Praxis als Psychologischer Psychotherapeut niemals Personen behandelt, die ihm über seine Tätigkeit im JPD bekannt geworden seien. Auch in Zukunft werde er solche Personen nicht behandeln (eidesstattliche Versicherung vom 17. Februar 2000). Der zeitliche Umfang von 19,25 Wochenstunden beim JPD hindere ihn nicht daran, für die Versorgung der Versicherten im erforderlichen Maße zur Verfügung zu stehen.

Mit Urteil vom 1. November 2000 hat das Sozialgericht den Beschluss vom 8. Dezember 1999 geändert und den Beklagten verurteilt, den Kläger ohne die Bedingung, dass das Beschäftigungsverhältnis beim Bezirksamt H. beendet wird, als Psychologischen Psychotherapeuten in Hamburg zuzulassen. Es bestehe kein Zulassungshindernis gem. § 20 Ärzte-ZV. Überschneidungen des behandelten Klientels seien vorliegend ausgeschlossen. Es liege ein atypischer Ausnahmefall vor, der hier dazu berechtige, eine Interessenkollision nicht anzunehmen. Im Übrigen stehe der Kläger auch bei einem Beschäftigungsumfang von (nur) 19,25 Wochenstunden für die Versorgung der Versicherten persönlich im erforderlichen Maße zur Verfügung.

Gegen das ihnen am 9. März 2001 zugestellte Urteil des Sozialgerichts vom 1. November 2000 haben der Beklagte und die Beigeladene zu 1) am 4. März bzw. 6. April 2001 Berufung eingelegt.

Sie halten die Tätigkeit des Klägers beim JPD bereits ihrem Wesen nach für unvereinbar mit einer vertragspsychotherapeutischen Tätigkeit als Psychologischer Psychotherapeut. Allein die abstrakte Möglichkeit einer Interessenkollision stelle ein Zulassungshindernis iSd § 20 Abs. 2 Ärzte-ZV dar. Auch lasse die halbtags verrichtete Angestelltentätigkeit des Klägers nicht zu, dass er im erforderlichen Ausmaß persönlich für die vertragspsychotherapeutische Versorgung der Versicherten zur Verfügung stehe. Diese "Nebentätigkeit" stehe seiner Eignung als Leistungserbringer entgegen.

Der Beklagte und die Beigeladenen zu 1), 5) und 6) beantragen,

das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 1. November 2000 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Beigeladenen zu 2) bis 4) haben keinen Antrag gestellt.

Der Kläger beantragt, die Berufungen zurückzuweisen und den Beklagten unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Hamburg vom 1. November 2000 zu verurteilen, ihn als Psychologischer Psychotherapeut unter der Bedingung zuzulassen, dass das Beschäftigungsverhältnis beim Bezirksamt H. auf 13 Stunden pro Woche reduziert wird.

Er hält das erstinstanzliche Urteil grundsätzlich für zutreffend. Die von ihm beim JPD behandelten Kinder wiesen zumeist geistige, physische oder Mehrfachbehinderungen auf, hätten in aller Regel aber keine psychosozialen Probleme. Er entscheide über die Notwendigkeit weiter gehender Maßnahmen für diese Kinder. Im Rahmen dieser Entscheidung komme es vor, dass er mit einem behinderten Kind in einem Spielraum psychotherapieähnliche Übungen in geringem Umfang im Zeitraum von einer Stunde durchführe, um sich ein genaues Bild zu verschaffen. Die Kinder würden häufig von ihren Eltern in den JPD gebracht und ihm übergeben. Seine Aufgabe sei jedoch weder die Erziehungsberatung noch die familientherapeutische Begutachtung. Halte er eine psychische Störung bei einem Kind für gegeben, weise er es einem Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten zu, der dann möglicherweise auch eine Familientherapie für geboten halte. Er selbst sei nicht in der Lage, Kinder psychotherapeutisch zu behandeln. Dass er deren Eltern bei denkbaren Erziehungs- und familiären Konflikten in seiner eigenen Praxis psychotherapeutisch behandeln könnte, sei völlig ausgeschlossen. Dies hätte nur Sinn, wenn er auch das Kind behandeln würde. Das sei aber nicht der Fall. Im Übrigen verböten ihm berufsethische Gründe (Abstinenzverbot), neben der Begutachtung des Kindes gleichzeitig dessen Eltern psychotherapeutisch zu behandeln. Die von dem Beklagten und der Beigeladenen zu 1) angenommene Interessenkollision sei deshalb hypothetisch, weil er beim JPD nicht psychotherapeutisch, sondern psychologisch tätig sei. Kriseninterventionen, psychotherapeutische Behandlungen oder Ähnliches führe er im Rahmen seiner Nebentätigkeit nicht durch. Für die von ihm beim Bezirksamt Hamburg begutachteten Kinder mit geistigen, physischen oder Mehrfachbehinderungen spiele eine psychotherapeutische Behandlung allenfalls eine untergeordnete Rolle. Während seiner langjährigen Tätigkeit beim JPD sei noch kein einziges Mal von Eltern der Wunsch oder auch nur die Frage nach einer gegenüber ihnen zu erbringenden Psychotherapie an ihn herangetragen worden. Hilfsweise biete er eine Selbstverpflichtung an, keine Patienten zu behandeln, die im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit beim Bezirksamt in seiner vertragspsychotherapeutischen Praxis vorstellig werden könnten. Derzeit gehe er seiner Anstellung beim Bezirksamt H. mittwochs und donnerstags ganztags und freitags halbtags am Vormittag nach. Seine Praxis in I. betreibe er montags und dienstags ganztags und freitags am Nachmittag von 14:00 bis 19:00 Uhr. Auf seinem Praxisschild seien keine Sprechstundenzeiten aufgeführt. Seinen Wohnsitz habe er in Hamburg. Zurzeit behandle er 20 Patienten wöchentlich in seiner Praxis mit 20 Therapiestunden und den dazu erforderlichen Nebentätigkeiten. Drei der Patienten seien Privatpatienten. Ob eine Reduzierung seiner Tätigkeit beim Bezirksamt H. (JPD) möglich sei, habe er mit seiner Arbeitgeberin weder besprochen noch geklärt.

Das Berufungsgericht hat vom Gesundheitsamt des Bezirksamts H. die Aufgabenbeschreibung des Betätigungsfeldes des Klägers vom 30. Juli 2004 eingeholt, auf deren Inhalt verwiesen wird.

Wegen des weiteren Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf den Inhalt der Prozessakten, der Verwaltungsakten des Beklagten sowie der Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berufungen des Beklagten und der Beigeladenen zu 1) sind statthaft, frist- und formgerecht eingelegt und auch im Übrigen zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG)).

Die Rechtsmittel sind auch begründet. Das Sozialgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben. Der Bescheid des Beklagten vom 8. Dezember 1999, mit dem er den Kläger unter der Bedingung zur vertragspsychotherapeutischen Versorgung als Psychologischer Psychotherapeut zugelassen hat, dass er sein Beschäftigungsverhältnis beim Bezirksamt H. aufgibt, ist rechtmäßig. Die Zulassung durfte mit der hier nur streitigen Bedingung versehen werden (§§ 20 Abs. 3 Ärzte-ZV, 32 Abs. 2 Nr. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch). Der Kläger hat (auch) insoweit keinen Anspruch auf bedingungsfreie Zulassung. Er hat auch keinen Anspruch, unter der Bedingung zugelassen zu werden, dass er die wöchentliche Stundenzahl seines Beschäftigungsverhältnisses auf höchstens 13 reduziert. Denn jegliches Verbleiben im bisherigen Beschäftigungsverhältnis ist seinem Wesen nach mit der Tätigkeit als Vertragspsychotherapeut nicht zu vereinbaren.

Psychotherapeuten werden gem. § 95 Abs. 10 Satz 1 SGB V zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen, wenn sie die dort genannten Voraussetzungen erfüllen, was zwar beim Kläger unstreitig der Fall ist. Außerdem müssen jedoch die Bestimmungen der Ärzte-ZV, die für Psychotherapeuten entsprechend gelten (§§ 1 Abs. 3 Ärzte-ZV, 95 Abs. 2 Satz 4 SGB V), erfüllt sein. Nach § 20 Abs. 2 Ärzte-ZV ist für die Ausübung vertragsärztlichen Tätigkeit nicht geeignet ein Arzt, der eine ärztliche Tätigkeit ausübt, die ihrem Wesen nach mit der Tätigkeit des Vertragsarztes am Vertragsarztsitz nicht zu vereinbaren ist. Letzteres trifft entsprechend auf die vom Kläger beim JPD ausgeübte Tätigkeit zu. Diese Tätigkeit ist als Ausübung einer "psychotherapeutischen" Tätigkeit anzusehen, die ihrem Wesen nach der Ausübung einer vertragspsychotherapeutischen Tätigkeit in Hamburg-N. widerstreitet.

Das Bundessozialgericht (BSG) hat sich wiederholt mit der Frage auseinander gesetzt, wann eine ärztliche Tätigkeit ausgeübt wird, die ihrem Wesen nach mit der Tätigkeit des Vertragsarztes am Vertragsarztsitz nicht zu vereinbaren ist. Im Urteil vom 5. November 1997 (6 RKa 52/97BSGE 81, 143 = SozR 3-2500 § 95 Nr 16) hat es ausgeführt, dass die Tätigkeit als Krankenhausarzt die Zulassung i. d. R. dann hindert, wenn der Krankenhausarzt in die stationäre Patientenversorgung unmittelbar eingebunden ist und die Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung im Einzugsbereich des Krankenhauses - wie dies innerhalb des Kernbereichs von Großstädten typischerweise der Fall ist - begehrt. Im Beschluss vom 25. November 1998 (B 6 KA 18/98 B) hat das BSG darauf hingewiesen, dass gerade auch in den Bereichen der Psychotherapie und Psychoanalyse typischerweise ein besonders enger Bezug zwischen Arzt und Patient besteht. Im Urteil vom 30. Januar 2002 (B 6 KA 20/01 R, BSGE 89,134 = SozR 3-5520 § 20 Nr 3; Verfassungsbeschwerde nicht angenommen durch BVerfG 23. 9. 2002 – 1 BvR 1315/02) hat das BSG im Falle einer bei der Psychotherapeutischen Beratungsstelle für Studierende einer Universität angestellten Diplom-Psychologin ausgeführt, dass die dortige konkrete Ausgestaltung der arbeitsvertraglich obliegenden Pflichten ihrem Wesen nach mit der vertragspsychotherapeutischen Tätigkeit unvereinbar sei. Die Berufsgruppe der Psychotherapeuten gehöre nicht zu den Leistungserbringern, bei denen ausnahmsweise ein unmittelbarer Patientenbezug zu verneinen sei. Sie sei im Gegenteil wegen des typischerweise engen, gerade ein besonderes Vertrauensverhältnis voraussetzenden Dauerkontaktes zwischen Psychotherapeut und Patient, in welchem vielfach sensible, höchstpersönliche Umstände aus der Biografie des Patienten offenbart werden, als eine Gruppe mit besonders hohem Konfliktpotenzial einzuschätzen. In dem vom BSG entschiedenen Fall ist angenommen worden, dass die Aufgabenstellung im Beschäftigungsverhältnis inhaltlich in großem Umfang deckungsgleich mit der in der angestrebten niedergelassenen Tätigkeit ebenfalls erfolgenden Diagnostik und Therapie psychischer Erkrankungen sei und deshalb beide psychotherapeutischen Tätigkeiten nicht vereinbar seien, weil sich Überschneidungen hinsichtlich der zu behandelnden Patienten und hinsichtlich ihres personellen Umfeldes dabei nicht mit Gewissheit ausschließen ließen. Es komme nicht nur auf die personelle Identität der in beiden Arbeitszusammenhängen betreuten Patienten selbst an, auch darüber hinaus bestehe ein objektives Gefährdungspotenzial für Interessenkonflikte infolge einer fehlenden klaren Zuordnung von Patienten entweder im Zusammenhang mit den Aktivitäten an der Arbeitsstelle oder in der eigenen psychotherapeutischen Praxis. Nach der Rechtsprechung des BSG besteht im Bereich der Psychotherapie verstärkt die Möglichkeit von Interessen- und Pflichtenkollisionen auch dadurch, dass im besonderen Maße Beziehungspersonen aus dem engeren Umfeld des Patienten (Partner, Familie) in die Behandlung einzubeziehen sein können (vgl. A Nr 5 de Psychotherapie-Richtlinien). Unter Würdigung dieser höchstrichterlichen Ausführungen und ihrer Anwendung auf den Fall des Klägers ist hier von einer solchen Kollision, zumindest von einer Kollisionsgefährdung, auszugehen. Dies steht der Annahme einer Eignung des Klägers iSd § 20 Abs. 2 Ärzte-ZV entgegen.

Nach der Aufgabenbeschreibung des Medizinaldirektors und Arztes für Innere Medizin, Lungen- und Bronchialheilkunde, Öffentliches Gesundheitswesen und Psychotherapie Dr. D. vom Gesundheitsamt des Bezirksamts H. vom 30. Juli 2004 umfasst das Aufgabengebiet des Klägers die Diagnostik von Leistungsdefiziten, Intelligenzdiagnostik, die Diagnostik von Entwicklungsstörungen und Verhaltensauffälligkeiten sowie seelischen Behinderungen. Hierbei werden vom Kläger gutachterliche Aufgaben gemäß gesetzlichen Vorgaben des BSHG und SGB VIII durchgeführt sowie auf Antrag von Eltern bzw. Erziehungsberechtigten unter fachpsychologischer Sichtweise Empfehlungen zu geeigneten Hilfsmaßnahmen für Kinder/Jugendliche, die geistig, körperlich, seelisch oder mehrfach behindert sind, abgegeben. Dazu gehören häufig eine Beratung der Eltern und im Einzelfall diagnostische und therapeutische Sitzungen mit dem Kind/Jugendlichen. In diesem Zusammenhang arbeitet der Kläger mit anderen Behörden, wie Jugendamt, Sozialamt und Schulbehörde, eng zusammen. Der JPD erfüllt auch sozialkompensatorische Aufgaben, indem er Hilfen für einen Bevölkerungsanteil abdeckt, der zumeist nicht in der Lage ist, höherschwellige ambulante Hilfen (z. B. kinderpsychotherapeutische Hilfen) in Anspruch zu nehmen. Der u. a. mit einer Arztstelle als Abschnittsleitung, einer halben Psychologenstelle (Kläger) und einer Sozialpädagogenstelle besetzte JPD versorgt jährlich etwa 500 Kinder und Jugendliche bis zum Alter von 18 Jahren, die im Wesentlichen unter geistiger Behinderung, Lernbehinderung, multiplen Verhaltensstörungen und seelischen Behinderungen sowie sonstigen jugendpsychiatrischen Störungsbildern, vor allem selbst verletzendem Verhalten/Suizidversuchen, Störungen des Sozialverhaltens, hyperkinetischen Störungen, Mutismus (Stummheit) und Enuresis (Bettnässen), leiden. Hierbei entscheidet der Kläger mit über Eingliederungshilfen für Vorschulkinder in Form von heilpädagogischer Frühförderung und Sonderkindertagesheimplätzen, bei Schulkindern über die pädagogische Betreuung im eigenen Wohnraum, heilpädagogische Einzelförderung und Hilfen zum angemessenen Schulbesuch in Förderschulen.

Diese Tätigkeit des Klägers beinhaltet durchaus intensive Patientenkontakte. Solche sind bei der Diagnostik von u. a. Entwicklungsstörungen, Verhaltensauffälligkeiten und seelischen Behinderungen unvermeidlich, erst recht bei den im Einzelfall vom Kläger durchgeführten diagnostischen und therapeutischen Sitzungen. Die Abgabe von Empfehlungen für geeignete Hilfsmaßnahmen und die Entscheidung über Eingliederungshilfen setzt derlei Patientenkontakte notwendigerweise voraus, der Kläger ist mit den sich ihm stellenden Problemfällen nicht nur nach Aktenlage befasst. Er hat im JPD nicht nur administrative oder rein organisatorisch sachbezogene Aufgaben ohne inhaltlichen Bezug zu den in seiner vertragspsychotherapeutischen Praxis im weitesten Sinne verfolgten und verfolgbaren Therapiebemühungen wahrzunehmen. Er trägt vielmehr selbst vor, mitunter psychotherapieähnliche Übungen mit den behinderten Kindern durchzuführen, um sich ein genaues Bild zu verschaffen und hierdurch eine Entscheidungshilfe für seine Empfehlungen und Vorschläge zu gewinnen. Zwar mag sich seine Tätigkeit überwiegend auf den diagnostischen Bereich konzentrieren, jedoch sind auch vor der Diagnosestellung Patientenkontakte, z. B. durch Gespräche mit den Kindern und Jugendlichen, erforderlich und werden von ihm auch hergestellt, zumal u. a. eine psychische Störung ohne solche Gespräche oftmals kaum feststellbar sein dürfte. Dass der Kläger als (künftiger) Vertragspsychotherapeut keine Kinder und Jugendlichen zu behandeln gedenkt – eine Zulassung als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut ist nicht im Streit -, schließt eine mögliche Kollision iSd § 20 Abs. 2 Ärzte-ZV nicht mit Gewissheit aus. Denn es ist gut denkbar, dass jene Kinder und Jugendlichen, mit denen er gegenwärtig in Hamburg-H. psychologisch/psychotherapeutisch befasst ist, im nahen Erwachsenenalter sich in seine vertragspsychotherapeutische Behandlung begeben werden. Je stärker sein Kontakt zu diesen Jugendlichen im JPD ist und je mehr sich über die Jahre dort zu ihnen ein Vertrauensverhältnis entwickelt hat, desto eher werden sich diese aus eigener Entscheidung oder auf Rat und Hinweis ihrer Eltern bei Behandlungsbedürftigkeit in die psychotherapeutische Betreuung des Klägers begeben, zumal dieser in einem frühen Stadium ihres Lebens bereits Anlaufstelle für sie gewesen ist und es nahe liegt, diesen Kontakt fortzusetzen. Dass diese Situation ein großes Konfliktpotenzial in sich birgt, ist unabweisbar. Dies verkennt auch die Arbeitgeberin des Klägers nicht. Denn sie hat die "Nebenbeschäftigungsgenehmigung" vom 16. November 1998 ausdrücklich nur unter der Maßgabe erteilt, dass der Kläger in der eigenen Praxis keine Patienten betreuen darf, die ihm über das Bezirksamt H. dienstlich bekannt geworden sind. Die Eidesstattliche Versicherung des Klägers vom 17. Februar 2000 und dessen (hilfsweise) Ankündigung einer inhaltsgleichen "Selbstverpflichtung" sind nicht geeignet, die Gefahr einer Interessenkollision zu beseitigen. Damit werden keine objektiven Tatsachen dargetan, die eine Gefährdung als unrealistisch erscheinen lassen. Würde man in solchen Fällen die subjektive Absichtserklärung genügen lassen, liefe die Schutzfunktion des § 20 Abs. 2 Ärzte-ZV weit gehend leer (vgl. hierzu BSG 30. 01. 2002 – B 6 KA 20/01 R, a. a. O.).

Die Interessen- und Pflichtenkollision besteht im Übrigen auch im Verhältnis zu den Eltern oder Erziehungsberechtigten der im JPD betreuten Kinder und Jugendlichen. Der Kläger berät diese häufig im Zusammenhang mit den bei den Kindern und Jugendlichen bestehenden Verhaltensauffälligkeiten, Entwicklungsstörungen und fachspezifischen Behinderungen und Defiziten sowie auf Antrag der Eltern und Erziehungsberechtigten selbst. Zwar bezieht er im JPD die Eltern nicht speziell in eine (psychotherapeutische) Behandlung ein und betreibt dort keine Familientherapie, sondern verweist im gegebenen Fall an einen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, der u. U. dann auch familientherapeutisch tätig wird. Aber bereits die Beratung der Eltern über eine anderweitige psychotherapeutische Behandlung ihrer Kinder könnte, zumal wenn familientherapeutische Behandlung sich anbietet, den Kläger der Konfliktlage aussetzen, sich selber als Therapeuten anzubieten. Der bei seinem Beschluss vom 8. Dezember 1999 mit einem Psychologischen Psychotherapeuten und einem Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten fachkundig besetzte Beklagte hat es deshalb zu Recht für durchaus möglich gehalten, dass Eltern auf Grund positiver Erfahrungen aus der Beratung oder Begutachtung ihres Kindes durch den Kläger dessen psychotherapeutische Behandlung anstreben. Wenn der Kläger dann diese Behandlung ablehnt oder ablehnen muss, dann liegt darin durchaus eine faktische Beschränkung des Rechts auf freie Arzt- bzw. Therapeutenwahl, was durch die in der Nebenbeschäftigungsgenehmigung vom 16. November 1998 enthaltene Bedingung indirekt beispielhaft zum Ausdruck kommt.

Das Fortbestehen des Beschäftigungsverhältnisses würde bei einer Zulassung überdies die Gefahr eines Wettbewerbsvorteils des Klägers gegenüber niedergelassenen Vertragspsychotherapeuten in sich bergen. Dass der Kläger seine Vertragspraxis in Hamburg-N. betreiben würde, schließt diese Gefährdung und auch den vorstehend aufgezeigten Interessenkonflikt nicht aus. Unter den Verkehrsbedingungen einer heutigen Großstadt stellt es für einen Patienten keineswegs ein wesentliches Hindernis dar, sich zur psychotherapeutischen Behandlung von seinem Wohnstadtteil in einen anderen Stadtteil zu begeben. Es ist im Übrigen angesichts des im JPD behandelten Klientels davon auszugehen, dass dieses überwiegend in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert ist, so dass der Kläger mittels der erstrebten Zulassung gerade auch Patienten dieses Klientels, sobald sie volljährig geworden sind, behandeln könnte.

Nach alledem stehen Gründe des § 20 Abs. 2 Ärzte-ZV der bedingungslosen Zulassung des Klägers entgegen. Sie können nur durch die Aufgabe seiner derzeitigen Tätigkeit beim JPD oder durch eine völlige Änderung seines dortigen Arbeitsgebietes, für die nichts erkennbar ist, beseitigt werden. Die Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit von 19,25 auf 13 Stunden ist nicht geeignet, das Zulassungshindernis aus dem Wege zu räumen. Denn selbst wenn der Kläger dann wegen des zeitlichen Umfanges seines Beschäftigungsverhältnisses allein für die Versorgung der Versicherten persönlich in dem erforderlichen Maße zur Verfügung stände, bliebe das Beschäftigungsverhältnis seinem Wesen nach mit der Tätigkeit des Vertragspsychotherapeuten unvereinbar.

Nach alledem haben die Berufungen Erfolg. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 4 SGG in der bis einschließlich 1. Januar 2002 geltenden Fassung.

Der Senat hat die Revision gem. § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen hierfür fehlen.
Rechtskraft
Aus
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