L 1 KR 5/02

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 22 KR 739/98
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 KR 5/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 9. Oktober 2001 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Erstattung der Kosten für eine im März 1998 durchgeführte Magenbandoperation in Höhe von 2.641,05 Euro streitig.

Die am 1960 geborene Klägerin, die bis zum 31. August 1999 Mitglied der Beklagten war, beantragte Ende 1996 die Übernahme der Kosten einer stationären Behandlung zur operativen Anlage eines Magenbandes zum Zwecke der Gewichtsreduktion.

In den von der Beklagten im Antrags- bzw. Widerspruchsverfahren eingeholten Stellungnahmen des Chirurgen und Sozialmediziners P. vom 9. Mai und 15. Juli 1997 wird unter Einbeziehung des nach Untersuchung der Klägerin erstellten Konsiliarberichts des Chirurgen Prof. Dr. K. vom 12. Juni 1997 ausgeführt, die Klägerin habe keine konkreten Vorstellungen über mögliche Ursachen ihres Übergewichts und mache keine Angaben zu ihrem Essverhalten. Bisher habe sie diverse Diäten kurzfristig begonnen, aber nie konsequent durchgeführt. Bei einem Gewicht von 135 kg und einer Körpergröße von 167 cm betrage der Body-Mass-Index (BMI) 48,4. Da bisher die Möglichkeiten der qualifizierten Ernährungsberatung und diätetischen Führung nicht ausgeschöpft seien, liege trotz Folgeerkrankung der Wirbelsäule eine Operationsindikation nicht vor.

Mit Bescheid vom 23. Juni 1997 lehnte die Beklagte den Antrag ab und bot der Klägerin eine Ernährungsberatung an. Die Klägerin ließ im März 1998 ein Magenband operativ anlegen. Den Widerspruch gegen den Bescheid vom 23. Juni 1997 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30. Juni 1998 zurück. Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 9. Oktober 2001 abgewiesen.

Gegen diese Entscheidung hat die Klägerin Berufung eingelegt. Das Sozialgericht verneine zu Unrecht den geltend gemachten Anspruch. Die Operation sei die einzige Möglichkeit für sie gewesen, ihr Gewicht zu reduzieren. In ihrer Lebenssituation sei es ihr nicht möglich gewesen, weitere ernährungsberatende Programme durchzustehen. Die Stellungnahme von Prof. Dr. K. beruhe vermutlich auf sachfremden Erwägungen. Sie habe bei der von der Beklagten angebotenen Ernährungsberatung angerufen. Dort habe man ihr gesagt, eine Diät ohne jegliche sportliche Betätigung bringe nicht viel. Sie habe sich aber aufgrund ihres Rückenleidens nicht sportlich betätigen können. Das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 19. Februar 2003 stütze ihre Rechtsposition. Eine im Sommer 2004 durchgeführte Magenspiegelung habe ergeben, dass das Magenband weiter funktionsfähig sei.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 9. Oktober 2001 sowie den Bescheid der Beklagten vom 23. Juni 1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30. Juni 1998 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr die Kosten der stationären Behandlung zur operativen Anlage eines Magenbandes in Höhe von 2.641,05 Euro nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit der Klage zu erstatten.

Die Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, dass der Vortrag der Klägerin nicht überzeuge. Die erstinstanzliche Entscheidung sei zutreffend. Die Möglichkeiten ambulanter Beratung und Therapie seien nicht ausgeschöpft worden. Auch das Urteil des BSG führe nicht zur Bejahung des von der Klägerin geltend gemachten Kostenerstattungsanspruchs.

Der Facharzt für Innere Medizin Dr. W. hat nach Untersuchung der Klägerin im Gutachten vom 12. Mai 2004 u.a. ausgeführt, die Klägerin habe keine Waage zu Hause und kontrolliere ihr Körpergewicht nicht. Bei der körperlichen Untersuchung habe er ein Gewicht von 111 kg (BMI 41,1, entsprechend einer Adipositas im Schweregrad III nach WHO) festgestellt. Das Magenband sei einen Monat nach der Operation enger gestellt, in der Folgezeit nicht weiter kontrolliert worden. Die Klägerin habe angegeben, die Wirkungen des Bandes nur manchmal wahrzunehmen. Gelegentliche Beschwerden in Form von Erbrechen und Sodbrennen deuteten aber auf eine noch vorliegende Funktionsfähigkeit hin. Es sei aufgrund der Essgewohnheitenschilderung und wegen des Fehlens der gesamten Zähne, die nur im Oberkiefer durch eine Prothese ersetzt seien, von einer überwiegend hochkalorischen Flüssigernährung auszugehen. Vor der Operation habe die Klägerin mehrere unstrukturierte und nicht ärztlich überwachte Versuche zur Gewichtsreduktion unternommen, die nur einen kurzzeitigen Erfolg gebracht hätten. Trotz des vor der Operation vorliegenden BMI von 51,9 und des erhöhten Risikos für das Auftreten von Begleit- und Folgeerkrankungen sei die Operation seinerzeit nicht notwendig gewesen, weil noch konservative Behandlungsalternativen zur Verfügung gestanden hätten.

In ihrer Stellungnahme zu dem Gutachten hat die Klägerin ausgeführt, dass der Gutachter zu Unrecht annehme, aus dem Fehlen der Zähne im Unterkiefer sei auf Eßgewohnheiten mit einer Bevorzugung von Süßigkeiten zu schließen. Es bestünden darüber hinaus Zweifel am Erinnerungsvermögen des Gutachters, weil er die Anzahl der im Haushalt lebenden Kinder falsch wiedergegeben habe –die beiden größeren Kinder seien nämlich bereits ausgezogen - und sich nicht mehr, ohne Rücksprache mit ihr zu nehmen, an den Zweck der Aufzeichnung ihrer Telefonnummer habe erinnern können. Hieraus ergäben sich erhebliche Zweifel an der Kompetenz des Gutachters, sodass das Gutachten nicht verwertbar sei.

In der mündlichen Verhandlung vom 20. Oktober 2004 ist der medizinische Sachverständige Dr. W. ergänzend zu seinem Gutachten gehört worden. Er hat ausgeführt, dass die angeborene Missbildung im Bereich der Brustwirbelsäule und die Rückenbeschwerden der Klägerin nicht zum Ausschluss sportlicher Betätigung geführt hätten. Eine Bewegungstherapie würde vielmehr schmerzhafte Verspannungen lockern bzw. vermeiden.

Wegen des Sachverhalts im Einzelnen wird auf die in der Sitzungsniederschrift vom 20. Oktober 2004 aufgeführten Akten und Unterlagen verwiesen. Sie sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung des Senats gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin (vgl. §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) ist nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten für die durchgeführte Magenbandoperation.

Als Anspruchsgrundlage kommt hier lediglich § 13 Abs. 3 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) in Betracht. Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese nach dieser Vorschrift von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.

Eine unaufschiebbare Leistung lag nicht vor, insbesondere war kein Notfall im Sinne des § 76 Abs. 1 Satz 2 SGB V gegeben. Der von der Klägerin geschilderte Leidensdruck stellte keinen solchen Notfall dar.

Die Beklagte hat eine Leistung auch nicht zu Unrecht abgelehnt.

Der Umstand, dass für eine Magenbandoperation noch keine Bewertung durch den seit dem 1. Januar 2004 zuständigen Gemeinsamen Bundesausschuss – vormals Ausschuss Krankenhaus - vorliegt, schließt einen Anspruch der Klägerin allerdings noch nicht aus. Das Fehlen eines Erlaubnisvorbehaltes in § 137c SGB V – als Grundlage für die Bewertung der Qualität von Untersuchungs- und Behandlungsmethoden im Krankenhaus - hat zur Folge, dass neuartige Verfahren im Krankenhaus keiner vorherigen Zulassung bedürfen, sondern zu Lasten der Krankenversicherung bereits angewendet werden können, wenn der Ausschuss sie noch nicht explizit ausgeschlossen hat (vgl. BSG 19. Februar 2003 - B 1 KR 1/02 R, NZS 2004, 140).

Eine Leistungspflicht der Beklagten kann auch nicht mit der Begründung verneint werden, dass für das Übergewicht das krankhafte Essverhalten der Patientin und nicht eine Funktionsstörung des Magens verantwortlich sei und die Operation damit nicht an der eigentlichen Krankheit ansetze. Eine behandlungsbedürftige Adipositas stellt eine anerkannte Krankheit im Sinne des SGB V dar. Soweit durch einen operativen Eingriff in ein funktionell intaktes Organ – hier den Magen – eingegriffen und dieses regelwidrig verändert werden soll, wie es beim Legen eines Magenbandes geschieht, bedarf diese lediglich mittelbare Behandlung aber einer speziellen Rechtfertigung. Auch bei Vorliegen der übrigen medizinischen Voraussetzungen entsprechend den aktuellen Leitlinien der Fachgesellschaften (BMI größer als 40, Alter zwischen 18 und 60 Jahren, länger als 5 Jahre bestehende Fettsucht, physischer und psychischer Leidensdruck, Ausscheiden einer hormonellen Stoffwechselkrankheit als Ursache der Adipositas, keine primär psychische Erkrankung) kommt eine Operation immer nur als Ultima Ratio in Betracht (vgl. BSG, ebenda), d.h. konservative Behandlungsmethoden müssen zuvor nachweislich gescheitert sein.

Die Klägerin hat nach ihrem Vortrag – welchem die operierenden Ärzte offenbar gefolgt sind - zwar eine Vielzahl von Diätversuchen hinter sich. Es liegen aber keine Nachweise vor, dass sie vor der Ablehnung ihres Antrags durch die Beklagte und Operationsentscheidung Behandlungsalternativen systematisch mit ärztlicher Begleitung versucht hat. Die behandelnde Allgemeinmedizinerin E. hat lediglich die Durchführung von Gewichtskontrollen bestätigt. Nach der aktuellen Leitlinie zur Prävention und Therapie der Adipositas der Deutschen Adipositas Gesellschaft, Stand: Juni 2003, ist selbst bei einem BMI von mehr als 40, wie er bei der Klägerin vor der Operation vorgelegen hat, grundsätzlich ein Basisprogramm, welches sich zusammensetzt aus Ernährungstherapie, Bewegungstherapie und Verhaltensmodifikation, vorzuschalten. Bleibt dieses Programm ohne Erfolg, gilt es eine medikamentöse Therapie zu erwägen, erst danach ist ein chirurgischer Eingriff in Betracht zu ziehen. Weder für ein Basisprogramm noch für eine jedenfalls erwogene medikamentöse Therapie liegen hier Nachweise vor.

Das Vorhandensein konventioneller Behandlungsalternativen wird im Gutachten des Internisten Dr. W. ebenfalls beschrieben. Dieses Gutachten ist entgegen der Auffassung der Klägerin verwertbar. Weder die behauptete unzutreffende Darstellung eines für die medizinische Beurteilung unerheblichen Einzelpunktes in der Schilderung der Lebenssituation der Klägerin noch das vorgetragene Vergessen einer Absprache am Rande der Begutachtung sind geeignet, die überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen in Frage zu stellen. Der Senat folgt den Ausführungen von Dr. W. auch im Hinblick auf die Zumutbarkeit einer (leidensgerechten) sportlichen Betätigung zur Unterstützung einer Gewichtsabnahme. Die Behauptung der Klägerin, dass sie als Mutter von drei Kindern konservative Maßnahmen nicht habe durchführen können, führt ebenfalls zu keinem anderen Ergebnis. Es war der Klägerin zumutbar, jedenfalls den Versuch einer systematischen Behandlung zu unternehmen.

Da im Rahmen der Prüfung der Notwendigkeit eines operativen Eingriffs als Ultima Ratio auf die objektiv vorliegende Situation abzustellen ist, kann ein Leistungsanspruch nicht aus einer nach Vortrag der Klägerin unbefriedigenden Hilfestellung hinsichtlich der Möglichkeiten einer Gewichtsreduktion durch die Beklagte erwachsen. Selbst wenn die Beklagte die Klägerin gar nicht auf die Ernährungsberatungsstelle hingewiesen hätte, würde das fehlende Ausschöpfen konservativer Behandlungsalternativen der Erstattung der Kosten für den operativen Eingriff entgegenstehen. Abgesehen davon vermag der Senat jedoch auch kein Fehlverhalten der Beklagten oder eine falsche Auskunftserteilung durch die Ernährungsberatungsstelle festzustellen.

Im Übrigen zieht der Sachverständige aus dem Fehlen eines zum Kauen befähigenden Gebisses zu Recht den Schluss, dass die Klägerin im Wesentlichen auch keine Nahrung zu sich nehmen dürfte, die gekaut werden muss. Damit wird zwangsläufig jede mögliche Wirkung eines Magenbandes umgangen. Dieser Gesichtspunkt würde der Geeignetheit eines Magenbandes zur Gewichtsreduktion bei der Klägerin zusätzlich entgegenstehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits.

Ein Grund für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG ist nicht gegeben.
Rechtskraft
Aus
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