L 14 RA 103/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 13 RA 910/01
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 14 RA 103/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 4 RA 257/04 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 15. November 2002 wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahren des Beklagten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Erstattung einer Rentenüberzahlung nach dem Tode des Versicherten.

Der am 30.09.1999 verstorbene Versicherte W. G. bezog von der Klägerin seit 1983 Altersrente. Der pfändbare Teil der Rente wurde ab 1995 in Ausführung eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses des Amtsgerichts M. an den Beklagten als dem Bevollmächtigten der Gläubigerin, Firma Gebrüder F. Hochbau GmbH, überwiesen; dieser leitete die gepfändeten Beträge anschließend an die Gläubigerin weiter.

Die Klägerin erfuhr vom Tode des Versicherten erst im November 2000, als die jährliche Lebensbescheinigung nicht mehr eintraf. Die bis dahin auf das Konto des verstorbenen Versicherten weiter gezahlten Rentenbeträge wurden von dem kontoführenden Geldinstitut zurückerstattet. Die ebenfalls an den Beklagten weiter überwiesenen gepfändeten Rentenanteile (14 Monate à 119,70 DM, insgesamt 1.675,80 DM) forderte die Klägerin unter Bezugnahme auf § 118 Abs.4 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) zurück. Der Beklagte habe als Anwalt der Pfändungsgläubigerin über das Konto, auf das die zu Unrecht gezahlten Rententeile überwiesen worden seien, verfügt und sei deshalb erstattungspflichtig.

Der Beklagte lehnte die Erstattung ab, da es sich um für die Mandantin bestimmte und von ihm bereits weitergeleitete Gelder gehandelt habe. Er teilte mit, dass über das Vermögen der Pfändungsgläubigerin mit Beschluss des Amtsgerichts W. vom 10.11.2000 die vorläufige Insolvenzverwaltung angeordnet worden sei.

Mit der am 13.08.2001 beim Sozialgericht (SG) erhobenen allgemeinen Leistungsklage begehrte die Klägerin von dem Beklagten die Erstattung des Betrages von DM 1.675,80. Er habe über die ab Oktober 1999 zu Unrecht an ihn gezahlten Rentenbeträge verfügt. Auf seine Veranlassung seien die Geldleistungen vom Bankkonto abgeflossen. Der Beklagte berief sich erneut auf die Weiterleitung der ihm als Mandantengelder überwiesenen Beträge. Lediglich einen Betrag von DM 200,00 habe er wegen seiner eigenen Kostenforderung an die Gläubigerin einbehalten. Er legte Nachweise in Form von Bankbelegen vor.

Das SG verpflichtete den Beklagten mit Urteil vom 15.11.2002, an die Klägerin einen Betrag von 102,26 Euro (entsprechend 200,00 DM) zu zahlen, und wies im Übrigen die Klage ab. Es bejahte die Zulässigkeit der allgemeinen Leistungsklage auch im Hinblick auf die während des Verfahrens mit Wirkung zum 29.06.2002 erfolgte Änderung des § 118 Abs.4 SGB VI, wonach die Rückforderung überzahlter Rentenbeträge nunmehr im Wege eines Verwaltungsaktes zu erfolgen habe. In der Sache wies das SG auf den Regelungsgehalt des 118 Abs.4 SGB VI und die vom Gesetzgeber beabsichtigte Risikoverteilung bei der ohne Rücksicht auf Entreicherungsvorschriften vorgesehenen Erstattung von nach dem Tode eines Versicherten unrechtmäßig weiter ausgezahlten Renten hin. Erstattungspflichtig sei danach nicht nur der Inhaber des Bankkontos, auf das die Rente geflossen sei, also regelmäßig der Versicherte bzw. sein Erbe, sondern jeder Empfänger, an den durch noch vom Rentner zu Lebzeiten getroffene Verfügungen wie Dauerauftrag, Lastschrifteneinzug oder sonstiges übliches Zahlungsgeschäft Rentenbeträge vom Konto des Versicherten geleistet worden seien. Auch dieser Personenkreis hafte für die Unrechtmäßigkeit der Beitragszahlungen. Bei der gepfändeten Rentenzahlung liege der Fall aber anders. Der Versicherte habe auf den vom Pfändungs- und Überweisungsbeschluss erfassten Teil der Rente keinen Einfluss mehr gehabt, der Versicherungsträger seinerseits habe mit befreiender Wirkung nur an den Gläubiger der zu Grunde liegenden Forderung zahlen können. Wenn, wie vorliegend, der Gläubiger die gepfändeten Beträge auch erhalten habe, könne nur er allein Adressat des Erstattungsbegehrens sein, ohne Rücksicht darauf, ob er leistungsfähig oder insolvent sei. Es bestehe kein Grund, Personen, die an der Übermittlung der gepfändeten Beträge beteiligt gewesen seien, ebenfalls mit dem Risiko der Unrechtmäßigkeit der Zahlung und der daraus folgenden Rückerstattung zu belasten. Im Falle der Zwischenschaltung eines Anwalts sei das auch daraus ersichtlich, dass es sich bei den gepfändeten Beträgen um Fremdgelder handle, die dem Zugriff der eigenen Gläubiger des Anwalts entzogen seien. Der Beklagte sei nach alledem nicht Empfänger der unrechtmäßigen Rentenzahlung gewesen, lediglich bezüglich eines Teilbetrages von 200,00 DM sei er durch den unmittelbaren Zugriff im Wege der Einbehaltung im Einvernehmen mit dem eigentlichen Empfänger wegen seiner eigenen Forderung an diesen selbst zum Empfänger geworden und gehöre damit zu dem Kreis, der das Risiko zu tragen habe, dass die Leistung durch den Tod des Versicherten unrechtmäßig geworden sei.

Mit der Berufung wendet sich die Klägerin gegen dieses Urteil. Sie verweist zunächst darauf, dass eine gemäß § 118 Abs.3 SGB VI vorrangige Rücküberweisungspflicht eines Geldinstituts vorliegend nicht in Betracht komme, da das Geldinstitut des verstorbenen Rentenempfängers nur die Beträge erstatten könne, die es selbst erhalten habe, und das Geldinstitut des Beklagten als Bevollmächtigtem der Gläubigerfirma von der Rücküberweisungspflicht nach Sinn und Zweck des § 118 Abs.3 SGB VI nicht erfasst werde; diese betreffe ausschließlich das Geldinstitut des Rentenempfängers bzw. einer von ihm bestimmten Vertrauensperson. Die Klägerin vertritt die Auffassung, der Beklagte sei nach § 118 Abs.4 Satz 1 SGB VI für den Gesamtbetrag von 1.675,80 DM erstattungspflichtig, da er die gepfändeten Rentenbeträge unmittelbar in Empfang genommen habe. Die Pfändungsgläubigerin habe die Geldleistung nur mittelbar von ihm erhalten. Nach dem Gesetzeswortlaut komme es nicht darauf an, in welcher Funktion der Empfänger gehandelt habe.

Zu ihrem Vorbringen verweist die Klägerin auf den Beschluss des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 18.08.1998 - L 18 B 7/98 RJ - sowie den Beschluss des BSG vom 20.08.2001 - B 4 RA 59/01 B -.

Die Klägerin beantragt, den Beklagten unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts München vom 15.11.2002 zu verurteilen, an die Klägerin 1.475,80 DM (= 754,56 Euro) zu zahlen.

Sie regt an, die Revision zuzulassen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er verweist auf das angefochtene Urteil und insbesondere auf seine anwaltliche Verpflichtung zur Weiterleitung der empfangenen Mandantengelder.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Rentenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 143 ff. Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig, sie erweist sich aber nicht als begründet.

Zu Recht hat das Erstgericht einen Erstattungsanspruch der Klägerin gegen den Beklagten in Höhe des in der Berufung noch streitigen Betrages von 1.475,80 DM verneint.

Zutreffend hat es zunächst die Zulässigkeit der Klage auch nach der Rechtsänderung durch die Neufassung des § 118 Abs.4 Satz 2 SGB VI, wonach der Träger der Rentenversicherung Erstattungsansprüche nach § 118 Abs.4 Satz 1 SGB VI durch Verwaltungsakt geltend zu machen hat, bejaht. Das Rechtsschutzbedürfnis für die Klage des Versicherungsträgers zur Durchsetzung seines Erstattungsanspruchs gegen den Empfänger einer zu Unrecht gezahlten Leistung entfällt nicht, wenn der Anspruch auf Grund einer späteren Rechtsänderung mit Verwaltungsakt geltend zu machen ist (BSG, Urteil vom 11.12.2002 in SozR 3-2600 § 118 Nr.11).

In der Sache selbst besteht auch nach Auffassung des Senats kein Erstattungsanspruch der Klägerin nach § 118 Abs.4 Satz 1 SGB VI gegen den Beklagten. Nach dieser Vorschrift in der hier gemäß § 300 Abs.2 Satz 1 SGB VI noch anzuwendenden bis zum 28.06.2002 geltenden Fassung sind Personen, die für die Zeit nach dem Tode des Berechtigten zu Unrecht erbrachte Geldleistungen in Empfang genommen oder über den entsprechenden Betrag verfügt haben, "sodass dieser nicht nach Abs.3 von dem Geldinstitut zurücküberwiesen wird", dem Träger der Rentenversicherung zur Erstattung des entsprechenden Betrages verpflichtet. Die mit Wirkung vom 29.06.2002 geltende Neuregelung enthält demgegenüber keine inhaltliche Änderung, sondern eine Konkretisierung des erstattungspflichtigen Personenkreises im Sinne einer Klarstellung; erstattungspflichtig sind danach sowohl Personen, die die Geldleistung unmittelbar in Empfang genommen haben oder an die der entsprechende Betrag durch Dauerauftrag, Lastschrifteneinzug oder sonstiges bankübliches Zahlungsgeschäft auf ein Konto weitergeleitet wurde (Empfänger), als auch die Personen, die als Verfügungsberechtigte über den entsprechenden Betrag ein bankübliches Zahlungsgeschäft zu Lasten des Kontos vorgenommen oder zugelassen haben (Verfügende).

Die Regelung ist im Zusammenhang mit der des § 118 Abs.3 SGB VI zu sehen, wonach Geldleistungen, die für die Zeit nach dem Tode des Berechtigten auf ein Konto bei einem Geldinstitut überwiesen wurden, als unter Vorbehalt erbracht gelten (Satz 1) und die Verpflichtung des Geldinstituts zur Zurücküberweisung besteht (Satz 2). Letztere besteht allerdings dann nicht, wenn über den entsprechenden Betrag bei Eingang der Rückforderung bereits anderweitig verfügt wurde, es sei denn, dass die Rücküberweisung aus einem Guthaben (des Überweisungskontos) erfolgen kann (Satz 3). Der Erstattungsanspruch des Versicherungsträgers nach Abs.3 ist gegenüber dem Rückzahlungsanspruch gegen Dritte nach § 118 Abs.4 Satz 1 SGB VI vorrangig und bezieht sich nach seinem Sinn und Zweck - auch nach Auffassung der Beklagten - auf Geldleistungen, die im unbaren Zahlungsverkehr auf ein Konto des verstorbenen Versicherten überwiesen worden sind. Die Vorschrift kommt nicht zur Anwendung, wenn nach dem Tode des Versicherten eine Leistung wegen einer Abtretung, Pfändung oder Abzweigung gemäß § 48 SGB I an Dritte überzahlt wurde (vgl. VerbKom. § 118 Anm.6.2; Faßold, MitLVAOfr/Mfr 2001, 453; Dörr, Kompass 1996, 460).

Der geltend gemachte Erstattungsanspruch der Klägerin kann sich daher nur auf § 118 Abs.4 Satz 1 SGB VI stützen, der einen eigenständigen öffentlich-rechtlichen Rückforderungsanspruch begründet, und zwar auf die erste Alternative dieser Vorschrift ("Personen, die eine Geldleistung in Empfang genommen haben"). Die zweite Alternative des Abs.4 Satz 1 ("Personen, die über einen entsprechenden Betrag verfügt haben, sodass dieser nicht nach Abs.3 von dem Geldinstitut zurücküberwiesen wird") bezieht sich ersichtlich auf Verfügungen über das Rentenkonto des Verstorbenen durch einen entsprechenden Berechtigten (Erbe, Inhaber einer Vollmacht, Konkursverwalter, Nachlasspfleger). Sie begründet eine verschärfte Haftung für denjenigen Personenkreis, auf dessen Handeln sich der Entreicherungseinwand des Geldinstituts nach § 118 Abs.3 Satz 3 SGB VI mittelbar stützt (BSG, Urteil vom 20.12.2001 in SozR 3-2600 § 118 Nr.9). Der Beklagte gehört nicht zu dem von dieser Regelung erfassten Personenkreis.

Zu den gemäß der ersten Alternative des § 118 Abs.4 Satz 1 SGB VI erstattungspflichtigen Empfängern der Geldleistung gehören sowohl Personen, die die Geldleistung unmittelbar in Empfang genommen haben, als auch Personen, an die der entsprechende Betrag durch Dauerauftrag, Lastschrifteneinzug oder sonstiges bankübliches Zahlungsgeschäft auf ein Konto weitergeleitet wurde (vgl. die klarstellende konkretisierende Neufassung ab 29.06.2002). Damit sind auch Personen, die die Rentenbeträge auf Grund eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses, einer Abtretung oder Abzweigung unmittelbar vom Rententräger erhalten haben, als Empfänger zur Rückzahlung verpflichtet. Empfänger in diesem Sinne ist nach dem Sinn und Zweck des § 118 Abs.4 Satz 1 SGB VI vorliegend der im Pfändungs- und Überweisungsbeschluss genannte Gläubiger, der den überzahlten Pfändungsbetrag auch erhalten hat, also der von Anfang an als alleiniger Berechtigter feststehende Adressat bzw. Endempfänger. Der Beklagte, der die streitigen Beträge lediglich zum Zwecke der Kontrolle der ordnungsgemäßen Durchführung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses vorübergehend entgegengenommen und anschließend an den eigentlichen Empfänger weitergeleitet hat, ist nicht als solcher anzusehen. Wie das Erstgericht ausführlich dargelegt hat, besteht bei diesem Sonderfall der Einschaltung eines mit der ersten Entgegennahme und Übermittlung des Pfändungsbetrages eingeschalteten Anwalts keinerlei Bedürfnis, den Wortlaut des § 118 Abs.4 Satz 1 SGB VI eng auszulegen und auch den für den Endempfänger treuhänderisch tätig gewordenen anwaltlichen Übermittler - der ja keinen eigenen wie auch immer gearteten Anspruch auf die Zahlung hat - als zusätzlichen Schuldner des Rückforderungsanspruchs heranzuziehen. Einen solchen das standesrechtliche Selbstverständnis der Anwälte berührenden Fall dürfte der Gesetzgeber bei der Regelung des § 118 Abs.4 Satz 1 SGB VI, mit der er das Ziel einer konsequenten Rückabwicklung der zu Unrecht erfolgten Rentenüberweisung nach dem Tode des Versicherten verfolgte, nicht im Auge gehabt haben. Rechtsgrund der Inanspruchnahme des von dieser Bestimmung betroffenen Personenkreises ist allein, dass ihnen das die privatrechtlichen Rechtsbeziehungen dieser Personen überlagernde Sonderrecht des Staates die zu ihren Gunsten erfolgte Vermögensverschiebung nicht zu Lasten der Beitragszahler endgültig belässt (VerbKom, SGB VI § 118 Anm.7.3). Im Falle des Beklagten ist gerade keine Vermögensverschiebung zu Lasten des Beitragszahlers erfolgt, es ist ihm nichts zugewandt und nichts endgültig belassen worden. Als Anwalt des Endempfängers ist er nicht selbst "Partei" und gehört als solcher nicht zu den vom Gesetzgeber gemeinten Empfängern der Rentenleistung, die für die Unrechtmäßigkeit der Zahlungen nach dem Tode des Versicherten haften.

Der Senat folgt daher nicht der - nur knapp begründeten - Entscheidung des LSG NRW vom 18.08.1998, auf die sich die Beklagte beruft. Der von ihr ebenfalls für ihre Auffassung zitierte Beschluss des BSG vom 20.08.2001 - B 4 RA 59/01 B - erscheint nicht einschlägig, da er die Erstattungspflicht eines Nachlasspflegers betrifft; es wird darin lediglich allgemein die in § 118 Abs.4 Satz 1 SGB VI normierte Erstattungspflicht des "Empfängers" angesprochen, wobei das Gesetz nicht auf dessen Eigenschaft oder Funktion abstelle.

Bei dieser Sachlage konnte die Berufung keinen Erfolg haben. Sie war mit der Kostenfolge aus § 193 zurückzuweisen. Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich. Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (Nr.1) ergab sich für den Senat nicht; zwar liegt keine Entscheidung des Bundessozialgerichts zu der aufgeworfenen Rechtsfrage vor, die Antwort ergibt sich jedoch klar und offensichtlich aus dem Gesetz selbst.
Rechtskraft
Aus
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