L 13 RA 199/02

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 2 RA 164/99
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 13 RA 199/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 7. August 2002 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.

Der 1945 geborene Kläger erhält mit Bescheid vom 28.10.1998 bereits Rente wegen Berufsunfähigkeit. Den gleichzeitig am 13.05.1998 gestellten Antrag auf Erwerbsunfähigkeit lehnte die Beklagte nach Einholung eines Gutachtens des Internisten Dr. R. (Diagnose: Erschöpfungssyndrom) und des Neurologen und Psychiaters Dr. H. mit Bescheid vom 28.10.1998 ab. Den unter Berufung auf Äußerungen seines behandelnden Internisten Dr. B. und seines Orthopäden Dr. L. eingelegten Widerspruch wies die Beklagte, gestützt auf das Gutachten des Orthopäden Dr. S. vom 22.02.1999, zurück (Widerspruchsbescheid vom 27.04.1999). Dieser stellte eine Restleistungsfähigkeit über eine volle Arbeitsschicht für leichte bis mittelschwere körperliche Tätigkeiten im Wechselrhythmus ohne häufiges Heben und Tragen von Lasten über zehn Kilogramm, ohne häufiges Bücken, ohne Körperzwangshaltungen und ohne Akkord fest.

Der Kläger hat dagegen Klage zum Sozialgerichts Würzburg (SG) erhoben. Sein gesundheitlicher Zustand habe sich verschlechtert, weshalb er nicht mehr in der Lage sei, zu den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes auch nur leichte Tätigkeiten vollschichtig verrichten zu können. Das SG hat beim Chefarzt der inneren Abteilung des Kreiskrankenhauses M. , Dr. W. , ein Gutachten nach mehrtägigem stationären Aufenthalt eingeholt. Dabei sind auch kardiologische Berichte aus der Herzklinik Bad N. verwertet worden. Im Ergebnis seien dem Kläger danach vollschichtig leichte körperliche Arbeiten im Sitzen, Stehen und in wechselnder Stellung zumutbar.

Durch Urteil 07.08.2002 hat das SG die Klage - gestützt auf die Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen - abgewiesen.

Hiergegen hat der Kläger Berufung zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) eingelegt. Am 24.05.2004 hat der Arzt für Neurologie und Psychiatrie T. K. im Auftrag des LSG ein Gutachten erstattet, wonach der Kläger unter Berücksichtigung der vom orthopädischen Fachgebiet vorgegebenen Einschränkungen täglich acht Stunden arbeiten könne.

Der Kläger stellt den Antrag, die Beklagte zu verurteilen, ihm auf Grund seines Antrags vom 13.05.1998 unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Würzburg vom 07.08.2002 sowie des Bescheides vom 28.10.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheid des vom 27.04.1999 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu leisten.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger vertritt unter Vorlage eines Attest des Orthopäden Dr. B. die Ansicht, das Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen T. K. überzeuge nicht, weil es einen chronischen, massiven Ruhe- und Belastungsschmerz wegen eines Verschleißes der Hüften übersehe. Deswegen sei er körperlich und psychisch nicht belastbar und könne auch leichteste Tätigkeiten nicht mehr verrichtet.

Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten beider Instanzen und der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die ohne Zulassung (§ 144 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt (§§ 143, 151, 153 Abs. 1, 87 Abs. 1 Satz 2 SGG), hat aber in der Sache keinen Erfolg.

Das Urteil des SG vom 07.08.2002 erging zu Recht. Denn der Kläger hat keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Ungeachtet des Vorliegens der allgemeinen Wartezeit und der besonderen persönlichen Voraussetzungen für Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit (besondere Belegungsdichte nach § 43 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI) - insoweit verweist der Senat auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung des SG und die Bescheide der Beklagten und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG in der Fassung der Vereinfachungsnovelle vom 11.01.1993, BGBl. I, 50)- ist der Kläger weder erwerbsunfähig noch (nach der ab 01.01.2001 geltenden Rechtslage) voll erwerbsgemindert.

Nach dem Wortlaut des Gesetzes ist nur erwerbsunfähig, wer außerstande ist, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben (§ 44 Abs. 1 i.d.F. des Rentenreformgesetzes 1992 - RRG 92) bzw. voll erwerbsgemindert, wer außerstande ist, mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI in der ab 01.01.2001 geltenden Fassung des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit - EMRefG). Eine derart ausgeprägte Erwerbsminderung liegt beim Kläger nach dem unten noch dargestellten Beweisergebnis zweifelsfrei nicht vor. Wegen des für den zumindest ab dem Bezug von Arbeitslosengeld als beschäftigungslos anzusehenden Kläger geltenden richterrechtlichen Gewohnheitsrechts zu Arbeitsmarktrenten (Beschluss des Großen Senats des BSG vom 19.12.1996, GS 2/95, SozR 3-2600 § 44 Nr. 8; zuvor SozR 2200 § 1246 Nr. 13) genügt allerdings schon ein Unvermögen zur vollschichtigen Berufsausübung (Herabsinken unter acht Stunden bzw. sechs Stunden gemäß §§ 43 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 i.d.F. des EMRefG). Daran ist der Kläger aber durch seinen Gesundheitszustand auch nicht gehindert. Mit dem festgestellten vollschichtigen Leistungsvermögen (siehe dazu unten) ist der Kläger vielmehr schon von der weiteren (negativen) Definition des Versicherungsfalles her nicht erwerbsunfähig. Denn berufs- oder erwerbsunfähig ist nach dem 2. SGB VI-Änderungsgesetz vom 02.05.1996 (BGBl.I S.659) nicht, wer eine Tätigkeit vollschichtig ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§§ 43 Abs. 2 Satz 4, § 44 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB VI). Diese Rechtslage ist nach § 43 Abs. 3 SGB VI i.d.F. des EMRefG beibehalten worden, allerdings mit einer Verschärfung der Anspruchsschwelle von acht auf sechs Stunden. Damit ist der Kläger auch nicht voll (unter drei Stunden) oder teilweise (unter sechs Stunden) erwerbsgemindert (§ 43 Abs. 1 Satz 1, Nr.1 und Satz 2, Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 und Satz 2 SGB VI i.d.F. des EMRefG).

Zur Beurteilung des zunächst festzustellenden beruflichen Leistungsvermögens stützt sich der Senat auf die Feststellungen aller Gutachter und Sachverständigen, der Dres. R. , H. , S. , W. und T. K ... Die Einholung weiter Gutachten von Amts wegen (§ 106 SGG) war nicht geboten; dem am 15.09.2004 (hilfsweise) gestellten Beweisantrag auf Einholung eines orthopädischen Gutachtens musste der Senat nicht folgen. Es bestehen vielmehr keine Zweifel, die durch die genannten Gutachten aufgeworfen sein könnten. Es handelt sich bei den Sachverständigen um Orthopäden, Internisten und Psychiater bzw. Neurologen, womit alle hier einschlägigen Fachgebiete abgedeckt sind. In seinem Attest vom 02.08.2004 hält zwar der Orthopäde Dr. B. , wie schon in zahlreichen früheren Bekundungen, eine weitere Erwerbsfähigkeit nicht mehr für möglich. Die Gutachten der gerichtlichen Sachverständigen haben diese ärztliche Meinung aber widerlegt. Die bisherige Beweiserhebung auf orthopädischen Fachgebiet hat ein zutreffendes Bild vom Leistungsvermögen des Klägers ergeben, das auch mit den beigezogenen Befundberichten, dem Inhalt der Akte des Amtes für Versorgung und Familienförderung sowie dem Gesamtbild übereinstimmt, das sich der letzte Sachverständige, der Psychiater T. K. , vom Leistungsvermögen des Klägers gemacht hat. Danach bestehen beim Kläger - wie schon von Dr. S. festgestellt - eine beidseitige leichte Hüftdysplasie mit initialer Coxarthrose ohne wesentliche Funktionsstörungen sowie ein fortgeschrittenes Wirbelsäulensyndrom an allen drei Abschnitten mit Bewegungseinschränkungen um ein Drittel. Anhaltspunkte für ein Fortschreiten diese Gesundheitsstörungen haben sich aus den Gutachten der Sachverständigen Dr. W. und T. K. nicht ergeben. Beide hielten eine weitere Begutachtung nicht für erforderlich. Nach dem Leistungsauszug der Krankenversicherungen bestand seit 1998 lediglich im Juli 2003 eine von Dr. B. festgestellte Arbeitsunfähigkeit, zu deren Begründung u.a. auch Rückenschmerzen aufgeführt sind. In den Attesten des genannten Orthopäden von 01.03.2004 und 02.08.2004 werden lediglich ausgeprägte degenerative Veränderungen an der Wirbelsäule bzw. persistierende Hüftbeschwerden genannt, ohne dass dazu genaue Befunde und Diagnosen angeführt werden.

Das Beweisergebnis zusammenfassend sind beim Kläger als Leistungseinschränkungen ein Unvermögen, Gewichte über zehn Kilogramm zu heben und zu bewegen, festzustellen. Besondere nervliche Belastungen sowie Arbeiten an laufenden Maschinen sind ebenfalls nicht zumutbar. Dagegen ist dem Kläger die Verrichtung leichter Arbeiten im Sitzen sowie im Stehen, ebenso in wechselnder Stellung möglich. Nach diesem Gesamtergebnis der Beweiserhebung steht es zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes noch weiterhin ausüben kann und sein Leistungsvermögen nicht unter die rentenrechtlich relevanten Zumutbarkeitsgrenzen eines Erwerbsverlustes von unter acht bzw. sechs Stunden (vgl. §§ 43 Abs. 2, 240 SGB VI i.d.F. des EMRefG) gesunken ist.

Bei diesem Leistungsprofil ist auch nicht im Einzelfall des Klägers zu prüfen, ob er gesundheitsbedingt den mit der Berufsausübung verbundenen sonstigen (Anreiseerfordernissen oder betrieblichen) Arbeitsbedingungen nicht genügen kann (sog. Katalogfälle, SozR 2200 § 1246 Nr 137, S. 436 ff. bzw. "Unüblichkeitsfälle") oder ob für ihn vorhandenen Arbeitsplätze nicht arbeitsmarktgängig ("zugänglich") sind ("Seltenheitsfälle"), weil sie betriebsintern besetzt oder aus anderen Gründen nur selten auf dem Arbeitsmarkt angeboten werden. Insbesondere liegt beim Kläger trotz seiner Wirbelsäulen- und Hüftbeschwerden keine erhebliche Gehbehinderung vor. Weder erfolgte eine solche Feststellung nach dem SGB IX noch haben die Sachverständigen entsprechende Einschränkungen gefunden. Seine Weigerung, nicht bei einem Sachverständigen in München zu erscheinen, hatte sich anlässlich der Begutachtung durch T. K. nicht als objektiv begründet erwiesen. Ebenso bestehen keine Erschwernisse, sich auf eine neue Tätigkeit umzustellen, da keine wesentlichen Erkrankungen auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet nachgewiesen werden konnten. Besonders die vom Psychiater T. K. erhobene Anamnese zeigt, dass der Kläger im Alltag keinen derartigen Einschränkungen unterliegt.

Vielmehr hat der Senat keine Zweifel, dass der Kläger mit seinem Restleistungsvermögen ("leichte Tätigkeiten") in gewissen körperlichen Verrichtungen, die in ungelernten Tätigkeiten gefordert zu werden pflegen, zwar behindert, damit aber noch nicht wegen einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung (vgl. BSG vom 30.10.1997 - 13 RJ 49/97 m.w.N.) - gemessen an den tatsächlichen Anforderungen der Arbeitswelt (konkrete Betrachtungsweise im Ausnahmefall) - gehindert ist, erwerbstätig zu sein. So könnte er noch Tätigkeiten der Art nach wie z.B. Zureichen, Abnehmen, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen usw. verrichten bzw. das Arbeitsfeld eines Sortierers oder Montierers ausfüllen. Denn außer der Verweisbarkeit auf leichte Tätigkeiten, die auch ständige Zwangshaltung verbieten, sind beim Kläger von Anzahl oder Qualität her keine weiteren besonderen Einschränkungen erforderlich. Die Unmöglichkeit, unter besonderer nervlicher Belastungen oder an laufenden Maschinen zu arbeiten, verengt den möglichen Arbeitsmarkt für den Kläger nicht in besonders erheblicher Weise.

Das Risiko, ob ein Versicherter auf eine dem verbliebenen Leistungsvermögen entsprechende Arbeitsstelle vermittelt werden kann, fällt in den Aufgabenbereich der Arbeitslosenversicherung (BSGE 56, 69; 44, 39). Das Zweite Gesetz zur Änderung des SGB VI (2. SGB VI-ÄndG) vom 02.05.1996 (BGBl I 659 vom 07.05. 1996) hat diese Rechtsprechung durch Einfügung von § 43 Abs. 2 Satz 3 (§ 44 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB VI) und von § 302b Abs. 3 SGB VI klarstellend verbindlich festgeschrieben und einer weiteren richterlichen "Rechtsfortbildung" entzogen. Bei dieser Rechtslage kommt dem Attest von Dr. B. , wonach eine weitere Erwerbsfähigkeit nicht mehr möglich sei, keine Bedeutung zu. So kann auch aus einer wiederholten oder lang andauernden Arbeitsunfähigkeit in dem zuletzt ausgeübten Beruf - in Entgegnung zum Attest des Internisten Dr. B. vom 10.06.2002 - nicht auf eine einen Rentenanspruch begründende Erwerbsminderung geschlossen werden (vgl. dazu auch BSGE 9, 142).

Die Berufung ist demnach zurückzuweisen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten (§ 193 SGG).

Gründe zur Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (§ 61 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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