L 17 U 201/03

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 26 (17) U 89/02 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 17 U 201/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 27. Juni 2003 wird zurückgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Klage- und Berufungsverfahrens. Der Streitwert wird auf 95,- EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Beklagte die Kosten einer vorangegangenen erfolglosen Zwangsvollstreckung nunmehr gegen die Klägerin vollstrecken kann.

Die Klägerin und ihr Ehemann erhielten im April 2000 die Baugenehmigung zur Errichtung einer PKW-Doppelgarage. Nachdem die Klägerin trotz Aufforderung durch die Beklagte keine Angaben zur geplanten Durchführung der Baumaßnahme gemacht hatte, setzte die Beklagte durch Beitragsbescheid vom 12.01.2001 für die Zeit vom 01.07. bis 31.12.2000 Beiträge für nicht gewerbsmäßige Bauarbeiten im Rahmen der Schätzung nach § 165 Abs. 3 Sozialgesetzbuch 7. Buch - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII) auf der Grundlage von 100 Helferstunden in Höhe von 316,29 DM fest. Gegen diesen Bescheid legte der Ehemann der Klägerin Widerspruch ein, da die Forderung unbegründet sei. Mit Schreiben vom 31.01. und 22.03.2001 wies die Beklagte die Klägerin auf ihre Auskunftspflichten als Bauherrin sowie darauf hin, dass eine Überprüfung des Beitragsbescheides nur bei Nachweis der konkreten Erstellung des Bauvorhabens möglich sei und die festgesetzten Beiträge nach § 86 Abs. 2 Sozialgesetz (SGG) vorläufig zu zahlen seien.

Nachdem hierauf keine Reaktion seitens der Klägerin erfolgt war, leitete die Beklagte die Zwangsvollstreckung der Beitragsforderung über das Amtsgericht H ein. Am 15.06.2001 wurde der Klägerin eine vollstreckbare Ausfertigung des Beitragsbescheides zugestellt, am 03.07.2001 verweigerte sie dem Obergerichtsvollzieher L den Zutritt zu ihrer Wohnung, so dass auf Antrag der Beklagten durch das Amtsgericht H am 11.07.2001 die Haft angeordnet wurde, um die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung zu erzwingen und gleichzeitig der Antrag der Klägerin auf Einstellung der Zwangsvollstreckung zurückgewiesen wurde. Nachdem der Ehemann der Klägerin der Beklagten mit Schreiben vom 17.08.2001 mitgeteilt hatte, die Bauarbeiten seien noch nicht begonnen worden und würden im Übrigen von ihm selbst in Eigenleistung durchgeführt, hob die Beklagte den Beitragsbescheid vom 12.01.2001 auf und nahm den Verhaftungsauftrag zurück, so dass die Zwangsvollstreckung eingestellt wurde.

In dem Kontoauszug für das Jahr 2001 wurden der Klägerin unter dem 21.01.2002 Vollstreckungskosten in Höhe von 95,02 Euro in Rechnung gestellt. Nachdem dieser Betrag trotz einer am 28.08.2002 erfolgten Mahnung nicht gezahlt worden war, wurde erneut die Zwangsvollstreckung gegen die Klägerin veranlasst. Am 22.10.2002 wurde der Klägerin eine vollstreckbare Ausfertigung hinsichtlich der Kostenforderung zugestellt und am 12.11.2002 traf der Obergerichtsvollzieher L die Klägerin nicht in ihrer Wohnung an.

Am 16.11.2002 hat die Klägerin "Zwangsvollstreckungsgegenklage" bei dem Amtsgericht H erhoben, die von dort an das Sozialgericht (SG) Duisburg weitergeleitet worden ist. Sie hat vorgetragen, die Zwangsvollstreckung sei willkürlich und ungerechtfertigt, denn die im Jahre 2001 durchgeführten Zwangsvollstreckungsmaßnahmen seien ungerechtfertigter Weise eingeleitet worden. Sie sei ihren Auskunftsverpflichtungen stets unverzüglich nachgekommen.

Die Entscheidung, ob das Bauvorhaben in Eigenleistung oder durch Beauftragung eines Bauunternehmers durchgeführt werden sollte, sei erst während des gemeinsamen Sommerurlaubs 2001 gefallen und der Beklagten sodann unverzüglich unter dem 17.08.2001 mitgeteilt worden. Die Baumaßnahme sei erst am 27.08.2001 begonnen worden. Nach Erhalt des Aufhebungsbescheides vom 24.08.2001 sei sie davon ausgegangen, die Angelegenheit sei insgesamt erledigt. Der Mahnung vom 28.08.2002 habe sie keine Bedeutung beigemessen, sie sei vielmehr davon ausgegangen, es handele sich - insbesondere da die angemahnten Kosten in Höhe von 95,03 Euro auch nicht weiter spezifiziert worden seien - um einen Irrtum der kontoführenden Stelle, der sich intern aufklären werde.

Demgegenüber hat die Beklagte die Auffassung vertreten, die im Jahre 2001 veranlasste Zwangsvollstreckung sei ausschließlich auf die fehlende Mitwirkung der Klägerin zurückzuführen. Die deshalb notwendigen Kosten der Zwangsvollstreckung seien von der Klägerin zu tragen. Im Übrigen sei das Vollstreckungsersuchen vom 26.09.2002 mit Schreiben an den zuständigen Gerichtsvollzieher vom 12.12.2002 vorläufig ruhend gestellt worden.

Durch Urteil vom 27.06.2003, auf dessen Entscheidungsgründe verwiesen wird, hat das SG die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen.

Gegen dieses Urteil hat die Klägerin am 22.07.2003 Berufung eingelegt und ihr Begehren weiter verfolgt. Sie trägt vor, die Beklagte habe die Zwangsvollstreckungskosten schuldhaft selbst verursacht. Der verfrühte Beitragsbescheid habe jeglicher Grundlage entbehrt und sei deshalb auch von der Beklagten aufgehoben worden.

In dem Termin zur mündlichen Verhandlung ist für die Klägerin unter Vorlage einer Vollmacht ihr Ehemann erschienen, der während der Erörterung der Sach- und Rechtslage den Sitzungssaal mit dem Bemerken verlassen hat, es solle durch Urteil entschieden werden.

Ihrem Vorbringen zufolge beantragt die Klägerin,

das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 27.06.2003 zu ändern und die Zwangsvollstreckung aus dem Bescheid vom 26.09.2002 für unzulässig zu erklären.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend und weist darauf hin, auf Zwangsvollstreckungsmaßnahmen bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens zu verzichten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der beigezogenen Akte des Verfahrens S 6 U 180/01 (SG Duisburg) und der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen, denn die Vollstreckung aus dem Bescheid vom 26.06.2002 ist zulässig.

Gemäß § 98 SGG i. V. m. § 17 a Abs. 5 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) ist der Senat sachlich zuständig. Letztlich ist die Frage, ob der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit gegeben ist, vom Senat als Rechtsmittelgericht der Hauptsache nicht zu prüfen, nachdem die Beteiligten die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtsweges vor dem SG nicht bezweifelt haben und das SG in der Sache entschieden hat (vgl. BSG SozR 3-1750 § 945 Nr. 1).

Gemäß § 66 Sozialgesetzbuch 10. Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) stehen der Behörde zwei Vollstreckungsarten zur Verfügung. Die Vollstreckung nach den jeweils einschlägigen Verwaltungsvollstreckungsgesetzen gemäß § 66 Abs. 1 SGB X einerseits und die Zwangsvollstreckung in entsprechender Anwendung der Zivilprozessordnung (ZPO) gemäß § 66 Abs. 4 SGB X andererseits. Hier hat die Beklagte die Vollstreckung in entsprechender Anwendung der ZPO von dem Gerichtsvollzieher durchführen lassen, nachdem sie zuvor die Kosten der vorangegangenen erfolglosen Zwangsvollstreckung wegen des Beitragsbescheides durch Verwaltungsakt festgesetzt hat. Dabei kann offen bleiben, ob es sich bei den Kosten des vorangegangenen Vollstreckungsverfahrens um eine privatrechtliche Forderung handelt (so LSG Rheinland-Pfalz, SGb 1995, 74; Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung [Handkommentar] § 66 SGB X RdNr. 3), denn ein Verwaltungsakt liegt auch dann vor, wenn eine Behörde - wie hier - privatrechtliche Beziehungen einseitig in Form eines Verwaltungsaktes regelt (vgl. BSGE 15, 17; v. Wulffen, Engelmann, Sozialgesetzbuch [Kommentar], 4. Aufl. 2001 § 31 SGB X RdNr. 23).

Entscheidet sich die Behörde - wie hier die Beklagte - einen Verwaltungsakt in entsprechender Anwendung der ZPO zu vollstrecken, so sind Einwendungen des Schuldners, die den durch Leistungsbescheid festgestellten Anspruch selbst betreffen, gemäß § 202 SGG i.V.m. § 767 ZPO im Wege der Vollstreckungsabwehrklage geltend zu machen (vgl. LSG Niedersachsen Breithaupt 1983, S. 839 f.; Kasseler Kommentar - Krasney § 66 SGB X RdNr. 30; Mehrtens a. a. O. RdNr. 4). Die Regelungen des SGG enthalten keine speziellen Vorschriften über den Rechtsschutz des Schuldners gegen Vollstreckungsmaßnahmen der Behörden im Rahmen von § 66 Abs. 4 SGB X. Die §§ 198 - 201 SGG gelten nur für die Vollstreckung aus den in § 199 Abs. 1 SGG genannten Vollstreckungstiteln und gerade nicht für die Vollstreckung von Verwaltungsakten (vgl. Meyer-Ladewig, SGG [Kommentar] 7. Auflage 2002 § 198 SGG RdNr. 3 m.w.N.). Deshalb ist es - jedenfalls soweit die Behörde gemäß § 66 Abs. 4 SGB X vollstreckt - gerechtfertigt auf die Klagearten der ZPO zurückzugreifen. Dass diese den Regelungen des SGG nicht wegen grundsätzlicher Unterschiede der beiden Verfahrensarten entgegenstehen, macht schon § 198 SGG deutlich, der für die Vollziehung aus den dort erfassten Titeln ausdrücklich auf die Vorschriften der ZPO verweist.

Entsprechend § 767 Abs. 2 ZPO sind Einwendungen nur insoweit zulässig, als die Gründe, auf denen sie beruhen, erst nach Erlass des Leistungsbescheides entstanden sind (vgl. Kasseler Kommentar - Krasney a.a.O. RdNr. 30). Denn bei § 767 ZPO handelt es sich um eine prozessuale Gestaltungsklage, die nicht den Vollstreckungstitel sondern dessen Vollstreckbarkeit beseitigt (BGHZE 118, 229 m.w.N.; Thomas/Putzo ZPO [Kommentar] 26. Aufl. 2004§ 767 ZPO RdNr. 1). Solche Einwendungen macht die Klägerin jedoch gerade nicht geltend. Sie wendet sich gegen den Kostenbescheid vielmehr mit Gründen, die bereits zur Zeit der Erteilung dieses Bescheides vorlagen und mit den gegenüber diesem Bescheid zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfen hätten geltend gemacht werden können.

Gemäß § 788 Abs. 1 Satz 1 ZPO fallen die Kosten der Zwangsvollstreckung, soweit sie notwendig waren, dem Schuldner zur Last. Die Kosten der im Juni 2001 eingeleiteten Zwangsvollstreckung hat, wie das Sozialgericht in seinem Urteil zutreffend dargelegt hat, grundsätzlich die Klägerin zu tragen. Soweit sie vorträgt, der zugrunde liegende Beitragsbescheid sei von der Beklagten wegen Rechtswidrigkeit aufgehoben worden, so dass sie deshalb auch keine Kosten zu tragen habe und mithin der entsprechende Kostenbescheid rechtswidrig sei, handelt es sich um Einwendungen, die gemäß § 767 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen sind, weil sie schon lange vor Erlass des hier streitigen Verwaltungsaktes zur Festsetzung der Kosten entstanden sind.

Die Klägerin kann ihrem Anspruch auch nicht auf § 788 Abs. 3 ZPO stützen. Nach dieser Regelung sind die Kosten der Zwangsvollstreckung dem Schuldner zu erstatten, wenn das Urteil, aus dem die Zwangsvollstreckung erfolgt ist, aufgehoben wird. Der Erstattungsanspruch entsteht, wenn ein Urteil oder nach § 795 ZPO ein anderer nach der ZPO zu vollstreckender Titel aufgehoben wird. Da die Beklagte hier den ursprünglichen Beitragsbescheid vom 12.01.2001, dessen Vollstreckungskosten hier streitig sind, mit Wirkung für die Vergangenheit aufgehoben hat, stünde der Klägerin - sofern sie sich auf § 788 Abs. 3 ZPO stützen könnte -, grundsätzlich ein Erstattungsanspruch gegenüber der Beklagten zu. § 788 Abs. 3 ZPO ist jedoch zu Lasten des nach § 66 Abs. 4 SGB X vollstreckenden Sozialversicherungsträgers nicht entsprechend anwendbar (ebenso LSG Rheinland-Pfalz, SGb 1995, 74). Gegen die Anwendung des § 788 Abs. 3 ZPO, der eine eng gefasste Sonderregelung zu § 717 ZPO ist (Stein-Jonas, ZPO [Kommentar], 20. Aufl. 1994, § 788 ZPO Rdnr. 35 m.w.N.), spricht vor allem der Umstand, dass diese Vorschrift auf dem Gesichtspunkt der (zivilrechtlichen) Veranlasserhaftung beruht und diese Grundsätze auf die Vollziehung von noch nicht bestandskräftigen Bescheiden durch Sozialversicherungsträger nicht übertragbar sind. Denn die Vollziehbarkeit derartiger Verwaltungsakte erfolgt nicht aufgrund einer (privaten) Risikoabwägung im Einzelfall, sondern die öffentliche Hand vollzieht auf dem Boden des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung. Insbesondere in den Fällen, in denen das Gesetz - wie hier - als Regel von der sofortigen Vollziehbarkeit des Verwaltungsaktes ausgeht, Widerspruch und/oder Klage dehalb grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung haben, hat die Behörde keine Abwägung zu treffen, sondern kann grundsätzlich aus dem Verwaltungsakt vollstrecken (vgl. BSG SozR 3-1750 § 945 Nr. 1). Für eine entsprechende Anwendung des § 788 Abs. 3 ZPO ist deshalb hier kein Raum. Im Übrigen wären die diesbezüglichen Einwendungen, die letztlich ebenfalls vor Erlass des hier streitigen Leistungsbescheides entstanden sind, ebenfalls gem. § 767 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a SGG, denn die Klägerin gehört entgegen der Beurteilung des SG - auch im Falle ihres Obsiegens - nicht zum Personenkreis der Versicherten. Das Rechtsmittelgericht kann die Kostenentscheidung der Vorinstanz ändern (Meyer-Ladewig, a.a.O. § 197 a Rdnr. 12). Gemäß § 197 a Abs. 1 SGG i.V.m. § 154 Verwaltungsgerichtsordnung hat die Klägerin die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Anlass zur Revisionszulassung besteht nicht, da die Voraussetzungen gemäß § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.

Der Streitwert war auf 95,00 Euro festzusetzen, da dies dem von der Klägerin angestrebten materiellen Vorteil entspricht.
Rechtskraft
Aus
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