S 24 SB 149/03

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Duisburg (NRW)
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
24
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 24 SB 149/03
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen.Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger außergewöhnlich Gehbehindert ist.

Das beklagte Land hat bei dem 1974 geborenen Kläger seit November 1975 wegen eines Down-Syndroms eine Behinderung mit einem GdB von 100 festgestellt, außerdem das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Nachteilsausgleiche "G", "B" und "H", sowie seit Mai 1983 darüber hinaus auch "RF". Seither ist im Behinderungskatalog auch "Luxation der Kniescheiben beiderseits" aufgeführt und ausweislich einer gutachterlichen Stellungnahme vom 22.08.1983 mit einem Einzel-GdB von 30 bewertet.

Einen Antrag auf Feststellung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs "aG" vom 24.09.1990 lehnte das beklagte Land mit Bescheid vom 24.01.1991 ab. Am 29.07.2002 beantragte der Kläger erneut, die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleich "aG" festzustellen. Die Versorgungsverwaltung holte Befundberichte von dem Orthopäden Dr. G vom 08.08.2002 und dem Internisten Dr. X vom 17.08.2002 ein, auf die verwiesen wird. Ausweislich eines Befundberichtes von Prof. Dr. L, Klinik für Orthopädie und orthopädische Chirurgie mit Sportmedizin, B Krankenhaus, F, vom 19.08.2002, liegt bei dem Kläger eine Patella Luxation des rechten Knies bei dysplastischem Kniegelenk und Zustand nach Tuberositas-Versetzung nach Elmslie und Kapselraffung bei operativer Therapie vom 08.03.2002 vor, dem ein Operationsbericht vom 08.03.2002 beigefügt ist. In einer gutachterlichen Stellungnahme für die Versorgungsverwaltung vom 27.08.2002 hielt Dr. E die bisherige Beurteilung der Behinderungen des Klägers für weiterhin zutreffend. Mit Bescheid vom 05.09.2002 lehnte das beklagte Land den Antrag auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" ab. Den Widerspruch des Klägers, in dem dieser unter Beifügung von Arztberichten aus den Jahren 1981 bis 1983 und einer Bescheinigung des Orthopäden Dr. G vom 29.10.2002 darauf hinwies, dass er wegen ständiger Luxation der Kniescheiben zwischen den Jahren 1981 und 2002 insgesamt fünfmal habe an den Knien operiert werden müssen, die Muskelschwäche der Beine habe zugenommen und das Gehen und Stehen falle ihm immer schwerer, wies das beklagte Land nach Einholung einer gutachterlichen Stellungnahme vom 06.12.2002 durch den Allgemeinmediziner M mit Widerspruchsbescheid vom 28.03.2003 als unbegründet zurück. Der Kläger gehöre nach Auswertung der ärztlichen Unterlagen trotz der bei ihm bestehenden erheblichen Gehbehinderung noch nicht zum Personenkreis der außergewöhnlich Gehbehinderten.

Zur Begründung seiner am 24.04.2003 erhobenen Klage machte der Kläger geltend, er könne sich aufgrund seiner geistigen und körperlichen Behinderungen nur mit fremder Hilfe bewegen. Er leide unter lockeren Bändern in den Knien als Folge seines Down-Syndroms, was immer wieder zu Luxationen führe. Den Operateuren sei es bisher nicht gelungen, die Bänder zu straffen. Außer den fünf großen Operationen, nach denen er jedes Mal für sechs bis acht Wochen in Gips gelegt werde und nur mit dem Rollstuhl mobil sei, komme es ca. viermal jährlich zu Luxationen, nach denen bei ambulanten Krankenhausbehandlungen die Kniescheibe hereingedrückt werde. Dies sei stets mit großen Schmerzen verbunden. Er benötige nach den jeweiligen Heil- und Erholungsphasen, bei denen er überhaupt nicht gehen könne, dauerhaft einer Unterstützung beim Gehen. Er sei gezwungen, sich bei einer Begleitperson am Arm einzuhängen. Dieser Begleitperson sei es nicht möglich, ihn auch nur für einen Augenblick unbeobachtet zu lassen. Z.B. könne er nicht aus einem Pkw abgesetzt und allein gelassen werden. Er könne nicht sprechen und gerate, wenn er allein gelassen werde, leicht in Panik und würde anschließend herumirren. Seit Januar 2004 habe ihm sein behandelnder Orthopäde einen Rollator zur Benutzung im Heim verordnet, den er dort auch ständig benutze.

Der Kläger beantragt,

das beklagte Land unter Änderung des Bescheides vom 05.09.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.03.2003 zu verurteilen, bei ihm ab Juli 2002 das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs "aG" festzustellen.

Das beklagte Land beantragt,

die Klage abzuweisen.

Es hält die angefochtenen Bescheide unter Berücksichtigung der weiteren Ermittlungen für rechtmäßig. Die Verordnung eines Gehwagens sei nicht geeignet, die Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich "aG" zu belegen.

Das Gericht hat Befundberichte eingeholt von dem Chirurgen Dr. L2 und dem Orthopäden Dr. G. Der Chirurg Dr. L2 berichtete unter dem 18.12.2003 über Behandlungen des Klägers zwischen dem 16.06.1997 und 06.02.2001 wegen Funktionseinschränkungen beider Kniegelenke. Die Einschätzung der Behinderung durch die Versorgungsverwaltung sei zutreffend. Mit dem Personenkreis der Definition "außergewöhnlich Gehbehinderter" sei der Kläger nicht zu vergleichen. Dr. G berichtete unter dem 20.01.2004 über Behandlung des Klägers seit 24.08.2001. Die von der Versorgungsverwaltung festgestellten Behinderungen auf seinem Fachgebiet seien vollständig und zutreffend. Im Rahmen seines Down-Syndroms sei der Kläger wegen seiner Beininstabilität annähernd einem Unterschenkelamputierten gleichzustellen. Außer Haus sei er praktisch auf einen Rollstuhl angewiesen. Mit dem Rollator sei er in der Lage, etwa 20 Meter in Begleitung zurückzulegen.

In einem Termin zur Erörterung des Sachverhalts am 14.04.2004 hat der Vater des Klägers u.a. erklärt, mit dem Kläger zum Termin nach Duisburg gefahren zu sein. Der Pkw stehe in einer Haltebucht vor dem Klöcknerhaus. Von dort aus sei er mit dem Kläger zum Gericht gegangen. Den Rollator habe man im Heim gelassen. Vom Parkplatz aus sei er mit dem Kläger in der Weise hergegangen, dass dieser bei ihm untergehakt habe. Das sei auch deshalb erforderlich, weil der Kläger vor Bordsteinen stehen bleibe, weil er Angst habe. Er sei schon mehrfach gefallen und habe an den Knien operiert werden müssen. Diese Erfahrung habe er verinnerlicht und bringe es deshalb nicht alleine fertig, über einen Bordstein hinweg zu kommen. Der Weg vom Parkplatz zum Gericht habe schätzungsweise zehn Minuten gedauert. Sodann hat das Gericht mit dem Kläger einen Gehversuch unternommen. Dazu hat der Vorsitzende mit den Beteiligten den Sitzungssaal verlassen und ist zum großen Aufzug gegangen. Diese Strecke ist der Kläger alleine gegangen. Während der Fahrt im Aufzug zur 1.Etage hat sich der Kläger bei seinem Bevollmächtigten eingehakt und ist anschließend auf der 1. Etage eingehakt bei diesem aus dem Aufzug herausgetreten und sodann die ganze Zeit eingehakt bis zum Ende des Flures des Arbeitsgerichts und zurück gegangen. Die Strecke vom Aufzug bis zum Ende des Flures des Arbeitsgerichts beträgt 38 Meter. Bei der Zurücklegung des Weges hin und zurück hat er keine Pause eingelegt und auch kein Zeichen gegeben, dass er Knieschmerzen habe. Für den Weg sind ca. zwei Minuten benötigt worden. Sodann sind etwa zwei Minuten Pause gemacht worden. Dabei haben die Eltern des Klägers erklärt, dass dieser zwar nicht sprechen könne, sich jedoch teilweise mit Zeichen verständigen könne. Wenn er Schmerzen an den Knien habe, dann zeige er dies dadurch, dass er sich etwas nach vorne beuge und auf seine Knie zeige. Solche Zeichen habe er bei dem Gehversuch nicht gemacht. Sodann ist der Kläger ohne Einhaken bei einer Begleitperson erneut in den Flur des Arbeitsgerichts gegangen. Dabei ging er langsamen Schrittes, aber in vergleichbarem Tempo wie zuvor bis auf Höhe von Zi. 180, hat sich dort umgedreht und ist zurückgegangen. Auf dem Rückweg waren deutliche Atemgeräusche als Zeichen von Anstrengung zu hören. Der Weg vom Aufzug bis Zi. 180 beträgt 29,5 Meter. Sodann sind die Beteiligten mit dem Aufzug wieder in die dritte Etage gefahren und in den Sitzungssaal zurückgekehrt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Prozessakten und der den Kläger betreffenden Verwaltungsakten des Beklagten. Diese Akten haben vorgelegen und sind ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der Beratung und Entscheidung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Zurecht hat das beklagte Land die Feststellung der gesundheitlichen Merkmale für eine außergewöhnliche Gehbehinderung abgelehnt. Der Kläger gehört (noch) nicht zu dem Personenkreis außergewöhnlich Gehbehinderter.

Nach § 69 Abs. 4 SGB IX stellen die Versorgungsämter neben einer Behinderung auch gesundheitliche Merkmale fest, die Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen für schwerbehinderte Menschen sind. Zu diesen Merkmalen gehört die außergewöhnliche Gehbehinderung, für die in dem Schwerbehindertenausweis das Merkzeichen "aG" einzutragen ist. Eine derartige Feststellung öffnet u.a. straßenverkehrsrechtlich Parkerleichterungen für Autofahrer. Nach § 31 der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz (AHP) i.V.m. mit Nr. 11 der zu § 46 StVO erlassenen allgemeinen Verwaltungsvorschrift sind als Schwerbehinderte mit außergewöhnlicher Gehbehinderung solche Personen anzusehen, die sich wegen der Schwere ihres Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können. Hierzu zählen Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüfthexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außerstande sind, ein Kunstbein zu tragen, oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind sowie andere Schwerbehinderte, die nach versorgungsärztlicher Feststellungen, auch aufgrund von Erkrankungen, dem vorstehend aufgeführten Personenkreis gleichzustellen sind.

Zu dem in AHP Ziff. 31 Abs. 3 beispielhaft aufgezählten Gruppen von schwer-behinderten Menschen gehört der Kläger nicht. Er gehört auch nicht zu denjenigen, die diesem Personenkreis gleichzustellen sind. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, SozR 3-3870 § 4 Nr. 23) ist ein Betroffener gleichzustellen, wenn seine Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und er sich nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die beispielhaft aufgeführten Schwerbehinderten oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann. Eine in Metern ausgedrückte zurücklegbare Wegstrecke taugt als Kriterium der Vergleichbarkeit dazu grundsätzlich nicht (BSG, Urteil vom 10.12.2002, B 9 SB 7/01 R, SozR 3-3250 § 69 Nr. 1). Die maßgebenden straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften stellen nicht darauf ab, über welche Wegstrecke ein schwerbehinderter Mensch sich außerhalb seines Kraftfahrzeuges noch zumutbar bewegen kann, sondern darauf, unter welchen Bedingungen ihm dies nur noch möglich ist: Nämlich nur mit fremder Hilfe oder nur mit großen Anstrengungen. Wer diese Voraussetzungen – praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges an – erfüllt, qualifiziert sich für den entsprechenden Nachteilsausgleich dann, wenn er gezwungener Maßen auf diese Weise längere Wegstrecken zurücklegt (BSG aaO). Dabei wird man davon ausgehen können, dass schwerbehinderte Menschen in ihrer Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohen Maße eingeschränkt sind und sich beim Gehen regelmäßig körperlich besonders anstrengen müssen, wenn sie eine nach 30 Metern eingelegte Pause deshalb machen, weil sie bereits nach dieser kurzen Wegstrecke erschöpft sind und neue Kräfte sammeln müssen, bevor sie weitergehen können (BSG aaO).

Unter Berücksichtigung dieser Voraussetzungen gehört der Kläger nicht zum vergleichbaren Personenkreis. Die vorliegenden, die Gehfähigkeit des Klägers einschränkenden Behinderungen, nämlich die Neigung zu Luxationen beider Kniescheiben bei Zustand nach fünffacher Operation und das Vorliegen eines Down-Syndroms sind unstreitig, weshalb es insoweit einer Sachaufklärung durch Einholung von Sachverständigengutachten nicht bedurfte. Sowohl der den Kläger bis Februar 2001, also vor der letzten Operation, behandelnde Chirurg Dr. L2 als auch der den Kläger seit August 2001 behandelnde Dr. G haben in ihren Befundberichten die diesbezügliche Feststellung der Versorgungsverwaltung für zutreffend und vollständig erklärt. Während Dr. L2 meint, der Kläger gehöre nicht zu dem beispielhaft aufgeführten Gruppen vergleichbaren Personenkreis meint Dr. G, im Rahmen seines Down-Syndroms sei der Kläger wegen seiner Beininstabilität annähernd einem Unterschenkelamputierten gleichzustellen. Außer Haus sei der Kläger praktisch auf einen Rollstuhl angewiesen. Mit dem Rollator sei er in der Lage, etwa 20 Meter in Begleitung zurückzulegen.

Dem kann nicht gefolgt werden. Es ist für das Gericht nicht nachvollziehbar, dass der Kläger einem Unterschenkelamputierten gleichzustellen sein soll. Korrekte Vergleichsgruppe wäre insoweit die der Doppelunterschenkelamputierten. Nach dem Befundbericht von Dr. G haben die Operationen am rechten Knie vier und am linken Knie eine Operation erforderlich gemacht. Ein annähernd gleiches Betroffensein beider Knie liegt damit nicht nahe. Nach der Darstellung seines Vaters waren die operationsauslösenden Luxationen Folgen von Stürzen des Klägers, mithin Folge besonderer Belastung der Knie durch den Aufprall. Nach der letzten Operation im März 2002 haben sich ausweislich eines Berichtes des B Krankenhauses vom 19.08.2002 an das Versorgungsamt bei Nachuntersuchung gute Operationsergebnisse gezeigt. Bei wiederholten Vorstellungen bis 28.06.2002 fand sich ein rechtes Kniegelenk mit reizlosen Narben. Es ließ sich kein Druckschmerz provozieren. Es ließ sich noch eine diskrete Lateralisationstendenz der Patella bei Bewegung ohne Tendenz zur Luxation oder Subluxation feststellen. Das Bewegungsausmaß betrug Extension/Flexion 0-5-130. Es zeigte sich ein stabiles Kniegelenk bezüglich des Innen- und Außenbandes sowie bezüglich der Kreuzbänder.

In seinem Befundbericht vom 20.01.2004 beschreibt Dr. G die Bandführung beider Knie bei einer Untersuchung am 13.05.2003 als äußerst instabil. Über Untersuchungsergebnisse in den folgenden 8 Monaten berichtet Dr. G nicht. Seine Beobachtung, die ersten Schritte würden nur taumelnd und unter Festhalten an einer Begleitperson durchgeführt, konnte das Gericht nicht wiederholen.

Dass der Kläger außer Haus praktisch auf einen Rollstuhl angewiesen ist, behaupten weder er noch sein Vater. Ihm ist bisher auch kein Rollstuhl verschrieben worden. Insoweit kann der entsprechenden Ansicht von Dr. G nicht gefolgt werden, der dem Kläger auch bisher keinen Rollstuhl verschrieben hat. Erst im Januar 2004 hat er ihm Rollator verschrieben, was ausreichendes Gehvermögen ohne Angewiesensein auf einen Rollstuhl voraussetzt. Die Ansicht von Dr. G, mit dem Rollator sei der Kläger in der Lage, etwa 20 Meter in Begleitung zurückzulegen, trifft jedoch nicht zu. Dies folgt schon daraus, dass der Kläger ohne Rollator zum Termin erschienen ist und sich vom mehrere 100 Meter vom Gerichtsgebäude entfernten Parkplatz nach Angaben seines Vaters bei diesem eingehakt in etwa zehn Minuten zum Gericht begeben hat. Auch bei dem Gehversuch im Gericht konnte der Kläger ohne Weiteres ohne Benutzung eines Rollators gehen. Dabei hat er zunächst eine Strecke von ca. 75 Metern ohne Pause in ca. zwei Minuten zurückgelegt, ohne Anzeichen von Schmerzen von sich zu geben. Es waren dabei auch sonst keine Anzeichen erkennbar, dass die Zurücklegung dieses Weges nur mit großer Anstrengung möglich war. Das Gericht ist auch nicht der Meinung, dass sich der Kläger nur mit fremder Hilfe praktisch von den ersten Schritten außerhalb eines Kraftfahrzeuges an bewegen kann. Zwar hat sich der Kläger bei der Zurücklegung der ca. 75 Meter langen Gehstrecke bei seinem Bevollmächtigten eingehakt, dies geschah aber nicht, um sich zu stützen. Denn beim anschließenden zweiten Gehversuch über eine Strecke von 60 Metern konnte der Kläger ohne bei einer Begleitperson eingehakt zu sein, gehen. Auch bei dem zweiten Gehversuch gab es keine Anzeichen von besonderer Schmerzhaftigkeit durch Belastung der Knie. Dass der Kläger auf dem Rückweg beim zweiten Gehversuch deutliche Atemgeräusche von sich gegeben hat, führt zu keiner anderen Beurteilung. Beim ersten Gehversuch über eine Strecke von ca. 75 Metern waren diese Geräusche nicht zu vernehmen, beim zweiten Gehversuch erst auf dem Rückweg, also als der Kläger schon mindestens 30 Meter zurückgelegt hatte. Von einer großen Anstrengung praktisch von den ersten Schritten an kann angesichts dessen keine Rede sein.

Zwar handelt es sich bei dem Gehversuch um einen Versuch im geschützten Umfeld. Die Bedingungen des allgemeinen Straßenverkehrs sind mit dem hindernisfreien, ebenen Boden auf der zurückgelegten Wegstrecke mit der Situation des Gehens im Alltag nur eingeschränkt vergleichbar. Soweit der Vater des Kläger schildert, dass das Unterhaken auch deshalb erforderlich sei, weil der Kläger vor Bordsteinen stehen bleibe, weil er ein Stolpern befürchtet und Angst vor den Folgen von Knieverletzungen hat, handelt es sich hierbei nicht um Gesichtspunkte, die bei der Zuerkennung des Nachteilsausgleichs "aG" beachtlich sind, sondern um solche, die die Notwendigkeit einer ständigen Begleitung (Nachteilsausgleich "B") begründen. Ständige Begleitung ist bei schwerbehinderten Menschen, bei denen die Voraussetzungen für die Merkzeichen "G" oder "H" vorliegen notwendig, die infolge ihrer Behinderung zur Vermeidung von Gefahren für sich oder andere für die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel regelmäßig auf fremde Hilfe angewiesen sind. Dazu gehören diejenigen, die u.a. wegen Störung der Orientierungsfähigkeit nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermögen, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden. Bei geistig Behinderten, zu denen der Kläger wegen seines Down-Syndroms zählt, sind entsprechende Störungen der Orientierungsfähigkeit vorauszusetzen, wenn sie sich im Straßenverkehr auf Wegen, die sie nicht täglich benutzen, nur schwer zurechtfinden können. So ist der Vortrag, er könne nicht aus einem Pkw abgesetzt und allein gelassen werden, weil er in solcher Situation leicht in Panik gerate und anschließend umherirren würde, lediglich im Zusammenhang mit dem bereits zuerkannten Nachteilsausgleich "B" relevant. Ein Umherirren wäre darüber hinaus auch nur bei einem Gehvermögen möglich, bei dem noch nicht von den ersten Schritten an außerhalb des Kraftfahrzeuges fremde Hilfe (zum Gehen) benötigt oder besondere Anstrengungen erforderlich sind. Eine in solchem Sinne außergewöhnlich gehbehinderte Person könnte nicht umherirren, weil sie ohne fremde Hilfe nicht gehen kann oder würde sich wegen der besonderen Anstrengungen beim Gehen nicht oder nur wenige Schritte von der Stelle entfernen, an der sie abgesetzt worden ist. Der Kläger benötigt die Hilfe beim Überwinden von Bordsteinen nicht, weil er körperlich dazu nicht in der Lage wäre, sondern weil er aufgrund seiner geistigen Behinderung nicht in der Lage ist, die Hemmschwelle aus eigenem Antrieb zu überwinden. Die Begleitperson vermittelt dem Kläger offensichtlich das Gefühl von Sicherheit, das er benötigt, um die Angst vor Stolpern und möglichen Stürzen zu überwinden und solches auch zu vermeiden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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