L 7 P 7/04

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 9 P 58/02
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 P 7/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 20. Oktober 2003 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Bewilligung von Leistungen aus der Pflegeversicherung ab Mai 2001 streitig.

Für die 1990 geborene Klägerin wurden am 15.05.2001 Leistungen aus der Pflegeversicherung beantragt. Es wurde ein Attest des Kinderarztes Dr.G. vorgelegt, wonach die Klägerin seit September 1999 wegen einer Aufmerksamkeitsstörung (Hyperkinetisches Syndrom) in Behandlung sei. Im April 2001 sei Diabetes aufgetreten.

Am 24.09.2001 wurde die Klägerin von einer Pflegefachkraft des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen in Bayern (MDK) zu Hause aufgesucht. In dem Gutachten vom 18.10.2001 wurde in der Grundpflege ein Hilfebedarf von 26 und in der hauswirtschaftlichen Versorgung von 45 Minuten angegeben; nach Abzug des Aufwandes für gesunde altersgerecht entwickelte Kinder verblieb ein Mehrbedarf von 62 Minuten.

Mit Bescheid vom 25.10.2001 lehnte die Beklagte die Leistungsgewährung ab.

Mit dem Widerspruch wurde allein für die Körperpflege ein Hilfebedarf von 60 Minuten täglich angeführt. Es sei eine Überwachung der Ernährung erforderlich, täglich müsse Insulin gespritzt werden.

In dem sodann nach Untersuchung eingeholten Gutachten einer anderen Pflegefachkraft des MDK vom 22.02.2002 wurden die gleichen Pflegezeiten wie in dem vorgegangenen Gutachten festgehalten, wobei lediglich anstelle der Hilfe beim Waschen Hilfe beim Duschen und Baden von jeweils neun Minuten angenommen wurde. Mit Widerspruchsbescheid vom 11.04.2002 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.

Zur Begründung der zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhobenen Klage ist der Hilfebedarf bei der Körperpflege mit 60 Minuten, bei der Ernährung ebenfalls mit 60 und bei der Mobilität mit 45 Minuten angegeben worden. Auch die Behandlung des Diabetes sei Teil der Grundpflege, bei den Stoffwechselkontrollen und den Insulininjektionen handle es sich um unverzichtbare Bestandteile der Ernährung des Kindes. Zur Begründung des angeführten Pflegebedarfes ist der Pflegebericht für den Juni 2002 vorgelegt worden.

Das SG hat einen Befundbericht des Allgemeinarztes Dr.W. beigezogen und im Erörterungstermin vom 17.02.2003 die Eltern angehört. Es hat den Arzt für öffentliches Gesundheitswesen Dr.O. zum Sachverständigen bestellt; dieser hat die Klägerin am 05.08.2003 zu Hause aufgesucht und das Gutachten vom 09.08.2003 erstellt, in dem er bezüglich der Grundpflege einen Mehrbedarf von 16 Minuten täglich und in der hauswirtschaftlichen Versorgung lediglich wegen der Einhaltung der strengen Diät einen Mehraufwand beim Kochen für erforderlich hält.

Mit Urteil vom 20.10.2003 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege betrage im Tagesbedarf nicht mehr als 45 Minuten. Der Hilfebedarf, der durch das Spritzen von Insulin, das Messen des Blutzuckers, das Führen des Spritz-Tagebuches anfalle, gehöre nicht in den Bereich der durch die Pflegeversicherung versicherten Grundpflege, wie das BSG mehrfach (vgl. Urteil vom 19.02.1998, B 3 P 11/97 R) entschieden habe. Gleiches gelte für das zeitaufwendige diätische Kochen; dieses sei der hauswirtschaftlichen Verrichtung "Kochen" zuzuordnen. Ein allgemeiner Aufsichtsbedarf und Zeitaufwand, der anfalle, um die Klägerin vor Selbstgefährdungen zu bewahren, sei im Rahmen der Grundpflege ebenfalls nicht berücksichtigungsfähig (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2001, B 3 P 7/00 R). Da bei der Klägerin keine gesundheitlichen Einschränkungen der Motorik und keine intellektuellen Beeinträchtigungen vorlägen, könne sie alle Verrichtungen der Grundpflege selbst ausführen. Im Tagesablauf sei nur bei ganz wenigen Verrichtungen ein Hilfebedarf in Form der Anleitung bei der Ausführung von Verrichtungen notwendig, der nach den Feststellungen des ärztlichen Sachverständigen auch teilweise psychologisch begründet sei. Der Sachverständige habe in seinem Gutachten sogar Zeiten des Hilfebedarfs berücksichtigt, die unter Beachtung strenger rechtlicher Gesichtspunkte keine Berücksichtigung finden dürften; so habe er einen Hilfebedarf von vier Minuten beim An- und Auskleiden für begründet erachtet im Hinblick auf eine Überwachung der "Wahl der geeigneten Kleidung"; ein solcher Hilfebedarf habe mit den Gesundheitsstörungen der Klägerin nichts zu tun und sei darüber hinaus altersbedingt auch bei gleichaltrigen Kindern bzw. Jugendlichen ohne Gesundheitsstörungen vorstellbar. Gleiches gelte für das Reinigen der Toilette, das mit zwei Minuten berücksichtigt worden sei. Insgesamt habe der Sachverständige jedoch nachvollziehbar und überzeugend herausgearbeitet, dass der Hilfebedarf der Klägerin im Bereich der Grundpflege nicht mehr als 45 Minuten täglich betrage. Dieses Ergebnis werde letztlich auch durch die Angaben der Klägerin bzw. ihrer Eltern gestützt. Aus dem eingereichten Pflegetagebuch für Juni 2002 ergebe sich ein Hilfebedarf nachts wegen der Asthmaanfälle; dieser Bedarf liege jedoch auch hier - wie bei den Injektionen, den Blutzuckermessungen usw. - im Bereich der sog. Behandlungspflege, sei somit nicht der Grundpflege zuzuordnen. Auch gehe aus dem Widerspruchsschreiben der Mutter der Klägerin deutlich hervor, dass im Tagesablauf im Zeitraum von 7.15 Uhr bis 17.00 Uhr keine Hilfe in der Grundpflege geleistet werde und dass die Hilfe, die von der Mutter der Klägerin in ihrer Arbeitspause bei der Insulin-Injektion geleistet werde, ebenfalls der Behandlungspflege und nicht der Grundpflege zuzuordnen sei.

Mit der Berufung wird geltend gemacht, die Klägerin leide mittlerweile an einer sog. atypischen Anorexia nervosa. Dadurch dürfte nunmehr Pflegebedürftigkeit gegeben sein. Vorgelegt wird ein Bericht der Klinik B. Z. , Rehabilitationszentrum für Kinder und Jugendliche K. , über einen stationären Aufenthalt vom 17. bis 04.11.2003.

Die Klägerin beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Nürnberg vom 20.10.2003 und des Bescheides vom 25.10.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.04.2002 zu verurteilen, ihr Leistungen nach der Pflegestufe I ab Mai 2001 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Diagnose einer atypischen Anorexia nervosa sage nichts da- rüber aus, ob die Voraussetzungen der Pflegebedürftigkeit gegeben seien. Die Notwendigkeit einer stationären Therapie, wie sie in dem vorgelegten Bericht erwähnt sei, ergebe sich aus der geringen Kooperationsbereitschaft der Klägerin hinsichtlich ihrer Essstörung und den damit im Zusammenhang stehenden psychosozialen Problemen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Verwaltungsunterlagen der Beklagten und der Verfahrensakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -), ein Ausschließungsgrund (§ 144 Abs.1 SGG) liegt nicht vor.

In der Sache erweist sich das Rechtsmittel als unbegründet.

Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen, da die Voraussetzungen für Leistungen nach Pflegestufe I nicht vorliegen. Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, beträgt wöchentlich im Tagesdurchschnitt nicht mindestens 90 Minuten, wobei auf die Grundpflege nicht mehr als 45 Minuten entfallen, weshalb die Voraussetzungen der Pflegestufe I gemäß § 15 Abs.3 Ziffer 1 SGB XI nicht erfüllt sind.

Bezüglich des von Dr.O. festgestellten Hilfebedarfes können allenfalls die Begleitung bei den einmal die Woche stattfindenden Besuchen der Diabetes-Ambulanz, des Allgemeinen- und Augenarztes im Umfang von täglich neun Minuten anerkannt werden. Bezüglich der übrigen Verrichtungen weist das SG zu Recht darauf hin, dass die Klägerin, die körperlich und geistig altersentsprechend entwickelt ist, keinen Mehrbedarf hinsichtlich der Verrichtungen der Pflege im Sinne des § 14 Abs.4 Nr.1 bis 3 SGB XI hat. Der Senat folgt insoweit den Ausführungen in den Entscheidungsgründen des Urteils des SG und sieht gemäß § 153 Abs.2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.

Aus dem im Berufungsverfahren vorgelegten Bericht der Klinik B. Z. vom 03.11.2003 kann ein zusätzlicher Hilfebedarf nicht abgeleitet werden. Aus dem Bericht ergibt sich gerade, dass die Klägerin ihr Essverhalten selbst bestimmt. Ein allgemeines Aufklären über die Notwendigkeit der Einnahme einer bestimmten Ernährung kann nicht als Pflegebedarf bei der Nahrungsaufnahme selbst angesehen werden.

Somit war die Berufung gegen das Urteil des SG Nürnberg vom 20.10.2003 zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nr.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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