L 18 KN 38/01

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 6 KN 184/99
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 18 KN 38/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 14.03.2001 geändert. Der Bescheid vom 21.08.2000 wird aufgehoben. Die Beklagte wird unter Änderung des Bescheides vom 12.04.1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27.07.1999 sowie der Bescheide vom 15.11.2001 und vom 22.11.2001 verurteilt, die Zeit vom 15.03.1972 bis zum 30.11.1977 der Qualifikationsgruppe 1 der Anlage 13 zum SGB VI zuzuordnen und die Knappschaftsausgleichsleistung unter Anrechnung dieser Zeit nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen neu zu berechnen. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die rentenrechtliche Bewertung polnischer Versicherungszeiten. Der Kläger strebt im Berufungsverfahren (noch) die Zuordnung der Beschäftigungszeit vom 15.03.1972 bis zum 30.11.1977 zur Qualifikationsgruppe 1 der Anlage 13 zum Sechsten Buch des Sozialgesetzbuches - SGB VI - an.

Der am 00.00.1947 in S, Oberschlesien geborene Kläger siedelte am 03.09.1986 in die Bundesrepublik Deutschland über. Er ist Inhaber eines Vertriebenenausweises "A". Nach erfolgreichem Schulbesuch wurde er am 31.07.1965 im polnischen Steinkohlenbergbau angelegt und war dort - mit einer Unterbrechung vom 01.09.1965 bis 21.09.1965 - bis zum 30.08.1966 als ungelernter Arbeiter beschäftigt. Am 01.09.1966 nahm er als Stipendiat der E ein Hochschulstudium an der Technischen Hochschule H auf und beendete dieses am 01.03.1972 mit dem Titel "Magister Ingenieur des Bergbauwesens". Am 15.03.1972 wurde er erneut im polnischen Steinkohlenbergbau auf der E angelegt und war dort bis zum 30.11.1972 im Rahmen einer Praxis- bzw. einführenden Arbeitsprobezeit als Oberhauer ("nadgórnik") beschäftigt. Auf den Antrag der E ist er nach erfolgreicher Prüfung vor dem Bezirksbergamt S am 27.11.1972 als Oberhauer der Bergbauabteilung bestätigt worden und war sodann vom 01.12.1972 bis zum 28.02.1974 als Oberhauer beschäftigt. Nachdem ihn das Bezirksbergamt S am 13.12.1973 als Schichtsteiger der Bergbauabteilung bestätigt hatte, war er in der Zeit vom 01.03.1974 bis zum 30.11.1977 in dieser Funktion tätig. Ab dem 01.12.1977 war der Kläger als Abteilungs-, Fahr- und Obersteiger beschäftigt. Nach seiner Übersiedlung in die Bundesrepublik war er von März 1988 bis zum 31.07.1997 als technischer Angestellter (Bergtechnik) bei der E1 GmbH beschäftigt und bezog seit dem 01.08.1997 Anpassungsgeld.

Im Rahmen eines Kontenklärungsverfahrens wertete die Beklagte unter anderem die Zeit vom 15.03.1972 bis zum 30.11.1972 als glaubhaft gemachte Zeiten der Berufsausbildung. Die Zeit vom 01.12.1972 bis zum 28.02.1974 ordnete sie der Qualifikationsgruppe 3 und die Zeit vom 01.03.1974 bis zum 30.11.1977 der Qualifikationsgruppe 2 zu. Ab dem 01.12.1977 bis zum 19.08.1986 nahm sie eine Zuordnung zur Qualifikationsgruppe 1 vor (Bescheid vom 12.04.1999).

Im Widerspruchsverfahren machte der Kläger hierzu geltend dass die Zeit vom 15.03.1972 bis zum 30.11.1977 der Qualifikationsgruppe 1 zuzuordnen sei.

Den Widerspruch wies die Beklagte zurück und führte im Wesentlichen aus, in der Zeit vom 15.03.1972 bis zum 30.11.1972 sei eine Beschäftigung als Praktikant ausgeübt worden. Dies ergebe sich aus den vom Kläger vorgelegten Arbeitsauskünften sowie aus Mitteilungen des polnischen Versicherungsträgers. Für Tätigkeiten als Oberbergmann bzw. Schichtsteiger sei auch in Polen der Abschluss einer Hochschule nicht erforderlich. Vielmehr reiche es für die Ausübung dieser Tätigkeiten aus, wenn eine Facharbeiterausbildung mit entsprechender Berufserfahrung oder eine Fachschulausbildung (Technikum) abgeschlossen worden sei. Bei dieser Sachlage komme eine Einstufung der Zeit vom 01.12.1972 bis zum 30.11.1977 in die Qualifikationsgruppe 1 nicht in Betracht (Widerspruchsbescheid vom 27.07.1999).

Im Klageverfahren hat der Kläger im Wesentlichen an seinem Begehren festgehalten und ergänzend vorgetragen, die während seiner Hochschulausbildung abgeleisteten Praktika seien nicht bzw. nicht gesetzeskonform von der Beklagten bewertet worden. Bereits in der Zeit vom 15.03.1972 bis zum 30.11.1972 sei er als Oberhauer tätig gewesen. Ein Praktikum bzw. eine einführende Arbeitsprobezeit habe er jedoch in dieser Zeit nicht absolviert. Der Arbeitsvertrag vom 15.03.1972 sei insoweit falsch. Er habe auch keine abschließende Prüfung im Betrieb abgelegt, sondern sich nur vor dem Bezirksbergamt einer Prüfung unterziehen müssen. Nach dem Beschluss Nr. 126 des Ministerrates vom 02.07.1971 über die einführende Arbeitsprobezeit seien Hochschulabsolventen der bergmännischen Fakultäten von der Pflicht zur Ableistung einer einführenden Arbeitsprobezeit befreit gewesen. Sie hätten vielmehr während ihres Studiums ein von der Studienordnung vorgeschriebenes Vor-, Zwischen- und Diplompraktikum von insgesamt 9 ½ Monaten Dauer abzuleisten gehabt. Bereits ab dem 15.03.1972 bis zum 28.02.1974 sei er auf der Planstelle eines Oberhauers beschäftigt gewesen. Als Bergakademiker habe er durch eine entsprechende Beschäftigung an die Oberaufsicht und Zechenleitung herangeführt werden sollen. Hierbei habe er in ständig wechselnder Reihenfolge an fast allen Betriebspunkten gearbeitet. Zu seinem Aufgabenbereich habe - abgesehen von der aufsichtsführenden Tätigkeit unter Tage - u.a. auch die Erstellung von Revierbetriebsplänen, die Übertragung von geologischen Daten auf die Betriebspläne, die Ergänzung der Wetternetzpläne, die Anfertigung von monatlichen Revierplänen, etc. gehört. Was die Zeit vom 01.03.1974 bis zum 30.11.1977 betreffe, sei er sowohl aufgrund seiner Qualifikation als auch wegen des qualitativen Wertes der von ihm verrichteten Tätigkeit in die Qualifikationsgruppe 1 einzustufen. Jeder, der eine aufsichtsführende Tätigkeit unter Tage anstrebe, müsse - unabhängig von seiner Ausbildung - mit dem Dienstgrad eines Oberhauers anfangen und sämtliche nachfolgenden Dienstgrade (Schicht-, Revier-, Fahr- und Obersteiger) durchlaufen. Vor der Verleihung eines neuen Dienstgrades müsse bei der Bergbehörde eine Prüfung abgelegt werden.

Das Sozialgericht hat eine Auskunft der E eingeholt. In dieser undatierten - am 26.05.2000 eingegangenen - Auskunft hat die E mitgeteilt, dass der Kläger zunächst für ein berufseinführendes Praktikum/eine einführende Arbeitsprobezeit eingestellt worden sei und ein Pauschaleinkommen in Höhe von 2.600 Zloty plus 25 Prozent Anerkennungsprämie erhalten habe. Hierbei sei zu betonen, dass jeder Absolvent nach Beendigung der Hochschulausbildung im Rahmen des polnischen Bergbauwesens verpflichtet gewesen sei, ein berufseinführendes Praktikum/eine einführende Arbeitsprobezeit zu durchlaufen und erst nach ihrer Beendigung und Bestätigung des Mitarbeiters durch das Bezirksbergamt eine Position im Aufsichtsbereich habe übernehmen können. Im Hinblick auf das Qualifikationsexamen, das nach Beendigung der einführenden Arbeitsprobezeit stattfinde, sei die E nicht in der Lage zu klären, wann es stattgefunden und wer es durchgeführt habe. Der Kläger sei auf der Grundlage der Bestätigung vom "27.12.1972" mit der Stellung eines Oberhauers Untertage betraut worden; dafür habe er eine Entlohnung von 3.100 Zloty erhalten.

Nach Anhörung des Klägers hat die Beklagte den Bescheid vom 12.04.1999 nach § 45 des Zehnten Buchs des Sozialgesetzbuches - SGB X - insoweit zurückgenommen, als dass die Zeit vom 01.12.1972 bis zum 28.02.1974 nunmehr der Qualifikationsgruppe 4 zugeordnet werde. Es sei unbestritten, dass der Kläger als Person der niedrigen Aufsicht geführt worden sei. Für die Einstufung in Qualifikationsgruppen komme es ausschließlich darauf an, welche Ausbildung/Qualifikation für die ausgeübte Tätigkeit erforderlich sei. Die Tätigkeit als Oberbergmann könne auch von einem Beschäftigten verrichtet werden, der die Ausbildung zum Bergmann absolviert habe und über langjährige Berufserfahrung verfüge. Das Vertrauen auf den Bestand des Bescheides sei unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme nicht schutzwürdig. Von einer Rücknahme könne auch im Rahmen des Ermessens nicht abgesehen werden (Bescheid vom 21.08.2000).

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 12.04.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.07.1999 unter Einbeziehung des Bescheides vom 21.08.2000 zu verurteilen, in seinem Versicherungsverlauf

1. ( ...);

2. die Zeit vom 15.03.1972 bis zum 29.11.1972 der Qualifikationsgruppe 1 nach Anlage 13 zum SGB VI zuzuordnen;

3. die Zeit vom 01.12.1972 bis zum 28.02.1974 sowie vom 01.03.1974 bis 30.11.1977 der Qualifikationsgruppe 1 nach Anlage 13 zum SGB VI zuzuordnen sowie

4. ( ...).

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat Bezug genommen auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden und daran festgehalten, dass für den Beruf des Oberhauers sowie des Schichtsteigers eine Hochschulausbildung nicht erforderlich sei. Daher habe der Kläger keine der Qualifikationsgruppe 1 entsprechende Tätigkeit ausgeübt. Im Hinblick auf die Zeit vom 15.03.1972 bis zum 30.11.1972 hat die Beklagte geltend gemacht, dass der Kläger selbst angegeben habe, dass es sich dem Grunde nach um eine Einarbeitungszeit von Hochschulabsolventen gehandelt habe. Genau dies aber zeichne ein Praktikum aus. Bei einem Praktikum handele es sich nämlich um eine vorübergehende praktische Tätigkeit von Studenten zur Vorbereitung auf ihren Beruf.

Mit Urteil vom 14.03.2001 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Eine Zuordnung der Zeit vom 15.03.1972 bis zum 29.11.1972 in die Qualifikationsgruppe 1 komme nicht in Betracht, da der Ausbildungszweck überwogen habe. Unerheblich sei insoweit, ob diese Zeit - entsprechend der zunächst vorgelegten Übersetzung der Arbeitgeberauskunft - als berufseinführendes Praktikum oder - unter Berücksichtigung der überarbeitenden Fassung der Übersetzung - als einführende Arbeitsprobezeit zu bezeichnen sei. Denn der Ausbildungszweck habe jedenfalls überwogen. Auch die Tätigkeit als Oberhauer vom 01.12.1972 bis zum 28.02.1974 könne nicht in die Qualifikationsgruppe 1 eingestuft werden. Der Kläger habe zwar ein Hochschulstudium absolviert, jedoch keine entsprechende Tätigkeit ausgeübt. In der Sache handele es sich um eine Facharbeitertätigkeit, so dass auch die mit Bescheid vom 21.08.2000 ausgesprochene teilweise Rücknahme des Bescheides vom 12.04.1999 zu Recht erfolgt sei. Da die Tätigkeit eines Schichtsteigers ebenso wie die des Oberhauers keinen Hochschulabschluss voraussetze, sei sie weder in Qualifikationsgruppe 1 noch in Qualifikationsgruppe 2 der Anlage 13 zum SGB VI einzustufen.

Im Berufungsverfahren hat der Kläger letztlich noch die Zuordnung der Zeit vom 15.03.1972 bis 30.11.1977 zur Qualifikationsgruppe 1 der Anlage 13 zum SGB VI beantragt und sich im Wesentlichen auf seinen Vortrag aus dem Klageverfahren bezogen.

Auf einen Antrag des Klägers nach § 44 SGB X hat die Beklagte unter dem 15.11.2001 einen weiteren Bescheid nach § 149 Abs. 5 SGB VI erteilt. Mit diesem Bescheid hat sie u.a. die Zeit vom 15.03.1972 bis 30.11.1972 als nachgewiesene Zeiten der Berufsausbildung bewertet, die Zeit vom 01.12.1972 bis 28.02.1974 wieder der Qualifikationsgruppe 3 und die Zeit vom 01.03.1974 bis zum 30.11.1977 der Qualifikationsgruppe 2 zugeordnet.

Mit Bescheid vom 22.11.2001 hat die Beklagte dem Kläger für die Zeit ab dem 01.02.2002 unter Übernahme der obengenannten Daten Knappschaftsausgleichsleistung gewährt. Gegen beide Bescheide hat der Kläger Widerspruch erhoben und beantragt, die Zeit vom 15.03.1972 bis 30.11.1977 in die Qualifikationsgruppe 1 einzustufen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 14.03.2001 zu ändern, den Bescheid vom 12.04.1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27.07.1999, die Bescheide vom 21.08.2000, 15.11.2001 und 22.11.2001 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, die Zeit vom 15.03.1972 bis zum 30.11.1977 der Qualifikationsgruppe 1 der Anlage 13 zum SGB VI zuzuordnen und die Knappschaftsausgleichsleistung unter Anrechnung dieser Zeit nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen neu zu berechnen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie stützt sich im Wesentlichen auf die Ausführungen in dem angefochtenen Urteil.

Der Senat hat ein Sachverständigengutachten des Dipl.-Ing. O vom 31.07.2001 nebst ergänzender Stellungnahme vom 09.11.2001, erstattet in dem Rechtsstreit SG Aachen - Az.: S 2 KN 55/00, beigezogen und den Beteiligten zur Kenntnisnahme übersandt.

Weiterer Einzelheiten wegen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Neben dem Bescheid vom 12.04.1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27.07.1999 sind nach §§ 153 Abs. 1, 96 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG - auch die Bescheide vom 21.08.2000 und vom 15.11.2001 zum Streitgegenstand geworden. Der Bescheid vom 22.11.2001 ist entsprechend §§ 153 Abs. 1, 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden. Denn ein Rentenbescheid, der während eines Vormerkungs-, Herstellungs- oder Wiederherstellungsstreits erlassen wird, wird in der Regel analog § 96 Abs. 1 Gegenstand des Verfahrens (vgl. Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 15.03.1979 - Az: 11 RA 48/78, BSGE 48, 100-103). Dementsprechend hat der Kläger seinen Antrag zulässig auf die Neuberechnung der Knappschaftsausgleichleistung erweitert.

Die Berufung ist begründet. Der Bescheid vom 12.04.1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27.07.1999 sowie die mitangefochtenen Bescheide vom 15.11.2001 und vom 22.11.2001 sind teilweise rechtswidrig und verletzen den Kläger insoweit in seinen Rechten nach § 54 Abs. 2 SGG. Der Bescheid vom 21.08.2000 ist (insgesamt) rechtswidrig und war aufzuheben.

Rechtsgrundlage der Bescheide vom 12.04.1999 und vom 15.11.2001 ist § 149 Abs. 5 SGB VI. Danach stellt der Versicherungsträger, nachdem er das Versicherungskonto geklärt hat, die im Versicherungsverlauf enthaltenen und nicht bereits festgestellten Daten, die länger als sechs Kalenderjahre zurückliegen, durch Bescheid fest. Mit den genannten Bescheiden hat die Beklagte u.a. die rentenrechtlich erheblichen Zeiten vom 15.03.1972 bis 30.11.1972 als nachgewiesene Zeiten der Berufsausbildung bewertet, die Zeit vom 01.12.1972 bis 28.02.1974 der Qualifikationsgruppe 3 und die Zeit vom 01.03.1974 bis 30.11.1977 der Qualifikationsgruppe 2 zugeordnet. Der Kläger erfüllt indes für sämtliche genannten Zeiträume die Voraussetzungen der Qualifikationsgruppe 1.

Der Kläger hat seinen Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland vor dem 01.01.1991 genommen, so dass sich seine Ansprüche hinsichtlich der in Polen zurückgelegten Versicherungszeiten noch nach dem Deutsch-Polnischen Sozialversicherungsabkommen 1975 - DPSVA 1975 - richten. Dieses ist auf den Kläger trotz des inzwischen in Kraft getretenen DPSVA vom 08.12.1990 nach dessen Art. 27 Abs. 2 weiterhin anzuwenden, weil er seinen Wohnsitz seit 1986 im Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland hat und die in Polen vor dem 01.01.1991 erworbenen Ansprüche und Anwartschaften durch das neue Abkommen nicht berührt werden. Nach Art. 4 Abs. 2 DPSVA 1975 berücksichtigt der Rentenversicherungsträger des Staates, in dem der Berechtigte wohnt, Versicherungszeiten, Beschäftigungszeiten und diesen gleichgestellte Zeiten im anderen Staat so, als ob sie in seinem Staatsgebiet zurückgelegt worden wären. Diese Zeiten sind gemäß Art. 2 Abs. 1 des Zustimmungsgesetzes zum DPSVA 1975 vom 12.03.1976 (BGBl. II Nr. 15 vom 16.03.1976, S. 393) in der Fassung durch Art. 20 Nr. 2 und 3 des Rentenreformgesetzes 1992 - RRG 1992 - vom 18.12.1989 (RRG 1992, BGBl. I, S. 2261) bei Feststellung einer Rente oder in einem Kontenklärungsverfahren nach dem 30.06.1990 in unmittelbarer Anwendung des Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetzes - FANG -, dessen Art. 1 das Fremdrentengesetz - FRG - bildet, zu berücksichtigen. Dass der Kläger auch als Vertriebener anerkannt ist, ist mit Blick auf die unmittelbare Anwendbarkeit des FRG damit nicht von Belang.

Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 FRG werden für Zeiten der in §§ 15, 16 genannten Art Entgeltspunkte in entsprechender Anwendung von § 256b Abs. 1 Satz 1, 1. Halbsatz SGB VI ermittelt, d.h. es werden die Durchschnittsverdienste berücksichtigt, die sich nach Einstufung der Beschäftigung zu einem der in Anlage 13 genannten Qualifikationsgruppen und nach Zuordnung der Beschäftigung zu einem der in Anlage 14 genannten Bereiche - die hier nicht streitig sind - für dieses Kalenderjahr ergeben. Nach dem der Anlage 13 vorangestellten Satz 1 sind Versicherte in eine der nachstehenden Qualifikationsgruppen einzustufen, wenn sie deren Qualifikationsmerkmale erfüllen und eine entsprechende Tätigkeit ausgeübt haben. Die Bestimmung der maßgeblichen Qualifikationsgruppe erfolgt ausgehend von der im Herkunftsgebiet erworbenen beruflichen Ausbildung und Qualifikation unter Beachtung des dort geltenden beruflichen, schulischen und universitären Bildungssystems. Sodann ist zu prüfen, welcher Qualifikationsgruppe - übertragen auf die Verhältnisse im Beitrittsgebiet - diese berufliche Ausbildung und Qualifikation inhaltlich entspricht (BSG, Urteil vom 12.11.2003 - Az.: B 8 KN 2/03 R, Kompass/BKn 2004, 24-25).

Unter Qualifikationsgruppe 1 fallen nach dem dort gebildeten Oberbegriff Hochschulabsolventen, wobei der Kläger nach den unter den Ziffern 1 bis 3 getroffenen Untergliederungen die Voraussetzungen der Ziff. 1 erfüllt. Danach muss er, um die Qualifikationsmerkmale dieser Gruppe zu erfüllen, in Form eines Direkt-, Fern-, Abend- oder externen Studiums an einer Universität, Hochschule, Ingenieurhochschule, Akademie oder an einem Institut mit Hochschulcharakter ein Diplom erworben oder ein Staatsexamen abgelegt haben. Es ist unstreitig, dass der Kläger, der am 01.03.1972 an der Technischen Hochschule H den Titel "Magister Ingenieur des Bergbauwesens" erworben hat, einen Hochschulabschluss im Sinne der Ziff. 1 erlangt hat. Übertragen auf die Verhältnisse im Beitrittsgebiet entspricht dieser Abschluss einem dort erlangten Hochschulabschluss (vgl. Vereinbarung zwischen der Regierung der DDR und der Regierung der VR Polen über die Äquivalenz der Dokumente der Bildung und der akademischen Grade und Titel, die in der DDR und in der VR Polen ausgestellt bzw. verliehen werden vom 24.02.1977), so dass der Kläger die formalen Voraussetzungen für eine Einstufung in die Gruppe 1 erfüllt.

Entgegen der Auffassung der Beklagten scheitert die Einstufung in die Qualifikationsgruppe 1 nicht daran, dass der Kläger in dem hier streitigen Zeitraum vom 15.03.1972 bis 30.11.1977 nicht eine entsprechende Tätigkeit ausgeübt hätte. Ob eine im Herkunftsgebiet verrichtete Tätigkeit den Merkmalen der in Betracht kommenden Qualifikationsgruppe entspricht, lässt sich bei der entsprechenden Anwendung des vorangestellten Satzes 1 der Anlage 13 zum SGB VI im Rahmen des § 22 Abs. 1 FRG nur anhand der in den Herkunftsländern herrschenden Verhältnisse feststellen. Ausreichend für die Feststellung einer "entsprechenden Tätigkeit" ist, dass die verrichtete Tätigkeit im Wesentlichen der erworbenen Qualifikation entspricht. Darauf, ob die erlangte Qualifikation für die ausgeübte Tätigkeit erforderlich ist, kommt es hingegen nicht an (BSG, a.a.O.). Die Frage, ob die vom Kläger ausgeübte Tätigkeit im Wesentlichen seiner Qualifikation entsprach, hatte der Senat im Rahmen der allein ihm obliegenden Würdigung der erhobenen Beweise zu beurteilen (vgl. BSG, a.a.O.).

Nach den im Kontenklärungs- und Klageverfahren eingereichten Arbeitsbescheinigungen, Zeugnissen und Auskünften ist der Kläger in der Zeit vom 15.03.1972 bis zum 30.11.1972 in die Betriebsabläufe auf der E eingewiesen worden. Nach seinem glaubhaften Vorbringen hierzu wurde er - was auch von der Beklagen nicht bestritten worden ist - auf dem Posten eines Oberhauers eingesetzt. Während dieser Zeit hatte der Kläger Arbeiten wie etwa die Erstellung von Revierbetriebsplänen, die Übertragung von geologischen Daten auf die Betriebspläne oder die Erstellung von monatlichen Betriebsplänen zu verrichten und ist in ständig wechselnder Reihenfolge an unterschiedlichen Betriebspunkten eingesetzt worden. Bereits diese Tätigkeit war nicht artfremd und entsprach als solche im Wesentlichen den Ausbildungsinhalten und dem Ausbildungsniveau des Klägers. Unschädlich ist, dass sich der Kläger während dieser Zeit zunächst einer Einweisung in die dortigen Betriebsabläufe - vergleichbar einem sog. "Traineeprogramm" in der deutschen gewerblichen Wirtschaft - unterzogen hat, wobei dahinstehen kann, ob diese als berufseinführendes Praktikum, als - wie der Kläger ausgeführt hat - Einführungszeit oder als einführende Arbeitsprobezeit im Sinne der polnischen Vorschriften bezeichnet wird. Dies ändert nichts daran, dass der Kläger im Wesentlichen entsprechend seiner Qualifikation, d.h. qualitativ hochwertig tätig geworden ist. Denn das von ihm absolvierte Studium hat ihm die Grundlagen vermittelt und ihn in die Lage versetzt, seine berufliche Laufbahn im Sinne eines Laufbahnkonzepts durchzuführen. Dieses Laufbahnkonzept hat darin bestanden, ihn als Bergakademiker unter Absolvierung verschiedener Stationen bei Erweiterung des Aufgaben- und Verantwortungsbereiche an die Leitung eines Bergwerks oder einer größeren Einheit bzw. Abteilung heranzuführen. So diente innerhalb dieser Laufbahn bereits die erste Stufe - die Einführungszeit - dazu, den Kläger auf diese Aufgaben vorzubereiten und entsprach damit seiner Vorbildung. Die Einstufung in die Qualifikationsgruppe 1 ergibt sich somit auch dann, wenn man die berufliche Tätigkeit des Klägers im polnischen Steinkohlenbergbau nach Abschluss seines Studiums - anders als von der Beklagten vorgenommen - nicht isoliert nach den einzelnen Abschnitten bewertet, sondern vielmehr in ihrer Gesamtheit. Unter diesem Gesichtspunkt hat die Tätigkeit während der Einführungszeit seiner Qualifikation nicht nur im Wesentlichen, sondern voll entsprochen. Es wäre im Übrigen nur schwer nachvollziehbar, wenn die E den Kläger zwar einerseits als Stipendiaten betreut, ihn andererseits nach Abschluss des Hochschulstudiums nicht bereits nach Aufnahme seines Dienstes entsprechend der an der Hochschule erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten eingesetzt hätte. Die von der Beklagten vertretene Betrachtungsweise führt demgegenüber nach wie vor dazu, das im Rahmen der - hier nicht einschlägigen - Leistungsgruppen- zuordnung herrschende Stufenverhältnis auf die Qualifikationsgruppenzuordnung zu übertragen.

Unter Berücksichtigung der obigen Ausführungen ist auch für die Zeit vom 01.12.1972 bis 28.02.1974 eine Zuordnung zur Qualifikationsgruppe 1 vorzunehmen. Nachdem der Kläger vom Bezirksbergamt S als Oberhauer der Bergbauabteilung bestätigt worden war, hatte er ab dem 01.12.1972 eine anerkannte Aufsichtsfunktion inne. Nach den Ausführungen des Sachverständigen O in seinem Gutachten vom 31.07.2001, das den Beteiligten zur Kenntnis gegeben worden ist, besteht die Tätigkeit eines Oberhauers darin, als unmittelbarer Vorgesetzter seiner ihm unterstellten Belegschaft diese vor allem in fachlicher Hinsicht zu beraten, selbst vorzuführen, die Ausführung der Arbeit in seinem Sinne anzuordnen und zu überwachen. Bereits als Oberhauer war der Kläger somit durchaus hoch qualifiziert eingesetzt. Auch wenn man darin lediglich eine Zwischenstation bis hin zu Tätigkeiten als Schicht-, Abteilungs-, Fahr- und Obersteiger oder als Betriebsleiter sieht, kann dies weder dem Wert der Tätigkeit abträglich sein noch an der Qualifikation etwas ändern, zumal diese Station dem für den Kläger als Hochschulabsolventen vorgesehenen Laufbahnkonzept entsprach. Ebenso wenig ändert der Umstand, dass im polnischen Steinkohlenbergbau langjährig tätige Facharbeiter zum Oberhauer befördert werden konnten bzw. können, etwas an dem qualitativen Wert der vom Kläger verrichteten Arbeiten. Denn einem bergmännischen Facharbeiter mit einer entsprechenden Berufsausbildung fehlt der entsprechende Hochschulabschluss mit der Folge, dass er grundsätzlich nicht der Qualifikationsgruppe 1 zugeordnet werden kann. Schließlich ist auch in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, dass die Tätigkeit als Oberhauer eine weitere Stufe des für den Kläger vorgesehenen Laufbahnkonzepts dargestellt hat und allein vor diesem Hintergrund der Qualifikationsgruppe 1 zuzuordnen ist. Es wäre demnach auch zu kurz gegriffen, aus der Bezeichnung "Oberhauer" die Schlussfolgerung zu ziehen, dass der Kläger in der Zeit vom 01.12.1972 bis 28.02.1974 "nur" Tätigkeiten eines Facharbeiters oder eines entsprechend qualifizierten Angestellten verrichtet hätte, für die für sich genommen die vom Kläger erworbene Qualifikation nicht erforderlich wäre.

Angesichts dessen ist erst recht die Zeit vom 01.03.1974 bis 30.11.1977 der Qualifikationsgruppe 1 zuzuordnen. Dies nicht etwa nur deshalb, weil der Kläger als Schichtsteiger erweiterte Aufsichtsbefugnisse und Verantwortlichkeiten inne hatte, sondern insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass diese Tätigkeit eine weitere Station im Rahmen der für ihn vorgesehenen Laufbahn dargestellt hat.

Entsprechend den oben aufgeführten Grundsätzen war der Bescheid vom 21.08.2000 aufzuheben. Dieser ist schon deshalb rechtswidrig, weil die Merkmale der Qualifikationsgruppe 4 weder mit der Ausbildung des Klägers noch mit der von ihm während der Zeit vom 01.12.1972 bis zum 28.02.1974 verrichteten Tätigkeit übereinstimmt. Allerdings ist der mit der Verpflichtungsklage angefochtene Bescheid vom 12.04.1999 bereits im Hinblick auf die dort vorgenommene Eingruppierung in die Qualifikationsstufe 3 statt in die 1 rechtswidrig, so dass diese Rechtswidrigkeit die der Einstufung in die Qualifikationsgruppe 4 impliziert. Insoweit wird Bezug auf die Ausführungen zur Einstufung des Klägers in die Qualifikationsgruppe 1 genommen. Dahinstehen kann, ob der Bescheid bereits deshalb aufzuheben gewesen wäre, weil es die Beklagte versäumt hat, diejenigen Gesichtspunkte mitzuteilen, von denen sie bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist (§ 35 Abs. 1 Satz 3 SGB X - vgl. BSG, Urteil vom 22.08.2000 - Az.: B 2 U 33/99 R, SozR 3-2200, § 712 Nr. 1, m.w.N.)

Nach alledem ist durch die Übernahme der Daten aus den Bescheiden vom 12.04.1999 und vom 15.11.2001 die Knappschaftsausgleichsleistung (§ 239 SGB VI) des Klägers durch die Beklagte fehlerhaft berechnet worden. Sie war daher - entsprechend dem zulässig erweiterten Klageantrag - unter Änderung des Bescheides vom 22.11.2001 zu verurteilen, die Knappschaftsausgleichsleistung unter Zuordnung der Zeit vom 15.03.1972 bis 30.11.1977 zur Qualifikationsgruppe 1 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen neu zu berechnen.

Bei der auf § 193 SGG beruhenden Kostenentscheidung hat der Senat berücksichtigt, dass der Kläger mit seinem Begehren letztlich nur in ganz geringem Umfang, mit dem von ihm nicht mehr verfolgten Begehren, die Zeit vom 01.12.1971 bis 28.02.1972 der Qualifikationsgruppe 5 zuzuordnen, nicht durchgedrungen ist.

Die Voraussetzungen der Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG) sind nicht erfüllt.
Rechtskraft
Aus
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