L 6 RJ 627/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 2 RJ 5020/03 It
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 6 RJ 627/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 RJ 6/05 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 14. Oktober 2003 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist der Anspruch des Klägers auf Altersrente wegen Arbeitslosigkeit.

Der 1940 geborene Kläger ist italienischer Staatsangehöriger. Er ist im Zeitraum 28.11.1960 bis 02.02.1968 in der Bundesrepublik Deutschland 86 Monate versicherungspflichtig beschäftigt gewesen. Anschließend ist er nach Italien zurückgekehrt, wo er sich seither ständig aufhält. Dort hat er bis zum 30.11.1998 eine Versicherungszeit von 332 Monaten zurückgelegt. Seit 01.12.1998 erhält er nach italienischem Recht Altersrente im Anschluss an Arbeitslosigkeit.

Am 07.05.2001 beantragte der Kläger bei der Beklagten Altersrente wegen Arbeitslosigkeit.

Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 17.01.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.07.2003 ab, weil der Kläger nicht in der Bundesrepublik Deutschland arbeitslos gewesen sei; die Arbeitslosigkeit in Italien stehe derjenigen in Deutschland nicht gleich.

Mit der am 28.07.2003 zum Sozialgericht Augsburg (SG) erhobenen Klage verfolgte der Kläger seinen Anspruch weiter. Nach europäischem Gemeinschaftsrecht müsse er so behandelt werden, als sei er in Deutschland arbeitslos gewesen. Dies ergebe sich aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 15.12.1995 in der Sache Bosman, Az.: C-415/93.

Das SG wies die Klage mit Urteil vom 14.10.2003 ab. Der Kläger sei in Deutschland nicht arbeitslos gewesen, was aber nach § 237 SGB VI in Verbindung mit den §§ 118, 119 SGB III erforderlich sei. Die Tatbestandsvoraussetzung, dass der Versicherte dem deutschen Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen müsse, verstoße nicht gegen das Gemeinschaftsrecht, wie bereits vom Europäischen Gerichtshof in dessen Urteil vom 09.07.1975 in der Sache d Amico, Az.: C-20/75, zu der entsprechenden Vorschrift des § 1248 Abs.2 RVO entschieden worden sei.

Am 20.11.2003 ging die Berufung des Klägers gegen dieses ihm am 23.10.2003 zugestellte Urteil beim Bayer. Landessozialgericht ein. Zur Begründung wiederholte er im Wesentlichen sein Vorbringen im Klageverfahren und wies darauf hin, dass er, wenn er zunächst in Italien und dann erst in Deutschland mit anschließender Arbeitslosigkeit gearbeitet hätte, den Anspruch auf die fragliche Rente ohne weiteres hätte. Es dürfe nicht zu seinen Lasten gehen, wenn die Reihenfolge umgekehrt sei, da dies eine Diskriminierung der Wanderarbeitnehmer bedeuten würde.

Der in der mündlichen Verhandlung nicht anwesende und auch nicht vertretene Kläger beantragt sinngemäß, das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 14.10.2003 sowie den Bescheid der Beklagten vom 17.01.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.07.2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm aufgrund seines Antrags vom 07.05.2001 Altersrente wegen Arbeitslosigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen und zur Ergänzung des Tatbestands wird im Übrigen auf den Inhalt der beigezogenen Akten - Klageakte des SG Augsburg; Rentenakten der Beklagten - und der Akte des Bayer. Landessozialgerichts sowie auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Wie das SG zutreffend entschieden hat, ist der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 17.01.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.07.2003 rechtmäßig. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Zahlung einer Altersrente wegen Arbeitslosigkeit nach § 237 SGB VI nicht zu.

Nach Satz 1 dieser Vorschrift haben Versicherte Anspruch auf Altersrente, wenn sie

1. vor dem 01.01.1952 geboren sind,

2. das 60. Lebensjahr vollendet haben,

3. entweder a) bei Beginn der Rente arbeitslos sind und nach Vollendung eines Lebensalters von 58 Jahren und 6 Monaten insgesamt 52 Wochen arbeitslos waren oder Anpassungsgeld für entlassene Arbeitnehmer des Bergbaues bezogen haben oder

b) die Arbeitszeit auf Grund von Altersteilzeitarbeit im Sinne der §§ 2 und 3 Abs.1 Nr.1 des Altersteilzeitgesetzes für mindestens 24 Kalendermonate vermindert haben,

4. in den letzten zehn Jahren vor Beginn der Rente acht Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben, wobei sich der Zeitraum von zehn Jahren um Anrechnungszeiten und Zeiten des Bezugs einer Rente aus eigener Versicherung, die nicht auch Pflichtbeitragszeiten auf Grund einer versicherten Beschäftigung oder Tätigkeit sind, verlängert, und

5. die Wartezeit von 15 Jahren erfüllt haben.

Zwar hat der Kläger im Januar 2000 sein 60. Lebensjahr vollendet und die Wartezeit von 15 Jahren erfüllt. Die weiteren Tatbestandsvoraussetzungen des § 237 Abs.1 SGB VI liegen jedoch nicht vor. So war der Kläger insbesondere weder zum Zeitpunkt des - im Hinblick auf den Zeitpunkt des Rentenantrags frühestmöglichen - Rentenbeginns, dem 11.05.2001 (§ 99 Abs.1 Satz 2 SGB VI), noch während 52 Wochen nach Vollendung eines Lebensalters von 58 Jahren und 6 Monaten arbeitslos (vgl. zum folgenden insbesondere die Urteile des LSG Berlin vom 15.12.2003 - L 6 RA 47/03 und vom 13.03.2003 - L 8 RA 41/02, das Urteil des BSG vom 28.07.1992 - 5 RJ 62/91 = SozR 3-2200 § 1248 Nr.6 und des EuGH vom 09.07.1975 - Rs 20/75 = SozR 6050 Art.45 Nr.1).

Der Begriff der Arbeitslosigkeit wird im Recht der Rentenversicherung nicht näher definiert. Er ist jedoch nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (vgl. BSG in SozR 3-2200 § 1248 RVO Nr.6; SozR 2200 § 1259 Nr.43; SozR 3-2600 § 58 Nr.5; jeweils m.w.N.) unter Berücksichtigung der besonderen Erfordernisse der Rentenversicherung dem Arbeitsförderungsrecht (Arbeitsförderungsgesetz - AFG - bzw. SGB III) zu entnehmen. Hierbei ist auf das zur Zeit der Arbeitslosigkeit jeweils geltende Recht abzustellen. Nach den bis zum 31.12.1997 geltenden §§ 101 und 103 AFG ist ein Arbeitnehmer arbeitslos, der vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht oder nur eine kurzzeitige Beschäftigung ausübt. Ferner muss er der Arbeitsverwaltung zur Verfügung stehen. Diese Voraussetzung erfüllt nur derjenige, der eine zumutbare, nach § 168 AFG die Beitragspflicht begründende Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes ausüben kann und darf, weiter das Arbeitsamt täglich aufsuchen kann und für das Arbeitsamt erreichbar ist. Nach der ab 01.01.1998 geltenden Begriffsbestimmung des § 16 Abs.1 SGB III, die durch die §§ 118, 119 SGB III näher konkretisiert wird, ist arbeitslos, wer vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht, eine im Sinne des SGB III versicherungspflichtige Beschäftigung sucht und dabei den Vermittlungsbemühungen des Arbeitsamtes zur Verfügung steht und sich beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet hat. Den Vermittlungsbemühungen des Arbeitsamts steht nur zur Verfügung, wer - vgl. § 119 Abs.2 und 3 Nr.3 SGB III -, Vorschlägen des Arbeitsamts zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge leisten kann. Diese Voraussetzungen liegen beim Kläger, der sich seit dem Ende der sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts ständig in Italien aufhält, nicht vor; insbesondere konnte der Kläger das Arbeitsamt nicht täglich aufsuchen (§ 103 Abs.1 Satz 1 Nr.3 AFG) und er stand und steht den Vermittlungsbemühungen des Arbeitsamts/ der Bundesagentur für Arbeit nicht zur Verfügung, weil er Eingliederungsvorschlägen des Arbeitsamts nicht zeit- und ortsnah Folge leisten kann (§ 119 Abs.2 und 3 Nr.3 SGB III). Die Ausnahme, die bei Grenzgängern besteht, liegt bei dem in Süditalien lebenden Kläger ersichtlich nicht vor (vgl. dazu KassKomm-Niesel, Stand März 2004, § 58 SGB VI Rdnr.26o und 26p).

Es verstößt - anders als der Kläger meint - nicht gegen supranationales Recht der Europäischen Union, dass bei § 237 Abs.1 SGB VI - wie bei den Vorgängervorschriften des § 38 Satz 1 SGB VI bzw. des § 1248 Abs.2 RVO und des § 25 Abs.2 AVG - auf die Verfügbarkeit am deutschen Arbeitsmarkt abgestellt wird. Dies hat der EuGH bereits mit Urteil vom 09.07.1975 - Rs 20/75 (= SozR 6050 Art.45 Nr.1) entschieden. Eine Änderung des europäischen Rechts insoweit ist nicht eingetreten, insbesondere nicht durch die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 vom 29.04.2004, und die damals als tragend angesehenen Gesichtspunkte sind heute noch von gleicher Bedeutung (vgl. hierzu BSG-Urteil vom 28.07.1992 - 5 RJ 62/91 = SozR 3-2200 § 1248 Nr.6; Urteil vom 12. Dezember 1995 - 5 RJ 26/95 - unveröffentlicht; jeweils zu § 1248 Abs.2 RVO). Die Ungleichbehandlung von inländischer und ausländischer Arbeitslosigkeit ist sachlich gerechtfertigt, so dass darin auch kein Verstoß gegen den in Art.3 Abs.1 des Grundgesetzes enthaltenen Gleichbehandlungsgrundsatz zu erkennen ist. Da das Angebot an offenen Stellen in der Gemeinschaft regional schwankt, sind die Leistungen bei Arbeitslosigkeit an den geografischen Raum gebunden, in dem der Betroffene arbeitslos geworden ist. § 237 Abs.1 SGB VI ist - wie die oben genannten Vorgängerbestimmungen - eine Vorschrift, die Leistungen letztlich deshalb gewährt, weil der Versicherte schon längere Zeit auf dem deutschen Arbeitsmarkt arbeitslos ist und nicht mehr zu erwarten ist, dass er noch vor Erreichen der "normalen" Altersgrenze in das Arbeitsleben im Inland wieder eingegliedert werden kann. Die Altersrente wird daher vorgezogen und der Bedürfnisfall der Arbeitslosigkeit unter Berücksichtigung der inländischen Verhältnisse damit abgedeckt. Für Leistungen wegen Arbeitslosigkeit sieht aber das europäische Recht eine Regionalisierung vor. Dem Arbeitsmarkt als innerem und maßgebendem Grund für die Leistung nach § 237 Abs.1 SGB VI lässt sich am besten durch Anknüpfung an die regionalen Gegebenheiten Rechnung tragen. Unter diesen Umständen ist nicht erkennbar, welche Bedeutung des Urteil des EuGH vom 15.12.1995 in der Sache Bosman, Az.: C-415/93, für den vorliegenden Fall haben könnte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs.2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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