L 11 KA 36/03

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
11
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 2 KA 162/02
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 11 KA 36/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 26.02.2003 wird zurückgewiesen. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über Honorarkürzungen im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung für das Quartal II/1999.

Der Kläger zu 1) ist als Zahnarzt in E zur vertragszahnärztlichen Versorgung zugelassen. Er verfügt über die Gebietsbezeichnung "Oralchirurgie" nach der Weiterbildungsordnung. Die Klägerin zu 2) ist als Vertragszahnärztin vom 01.04.1999 bis Anfang Oktober 1999 in Gemeinschaftspraxis mit dem Kläger zu 1) tätig gewesen.

Der Gesamtfallwert der Gemeinschaftspraxis überschritt denjenigen der günstigsten Vergleichsgruppe C 1 in dem streitigen Quartal um 86,09 %.

Auf Prüfanträge der Beigeladenen zu 1), 2), 3) und 6) nahm der Prüfungs- ausschuss Düsseldorf I mit Bescheid vom 16.10.2001 eine Honorarkürzung in Höhe von insgesamt 2.032 Punkten vor.

Den Widerspruch des Klägers zu 1) wies der Beklagte mit Bescheid vom 16.09.2002 zurück. Bei den Positionen 25, 26, 40 und 49 Bema-Z setzte er den der klägerischen Praxis belassenen Mehraufwand in Höhe von puls 100 % fest. Da über 65 % des Umsatzes der klägerischen Praxis im klassisch zahnärztlichen Bereich liege, sei sie in zutreffender Weise in die Vergleichsgruppe der Zahnärzte eingeordnet worden. Bei den abgerechneten Einzelpositionen sei bei einer weit über dem Durchschnitt liegenden Narkosebehandlung die erhebliche Überschreitung der Lokalanästhesie nicht nachvollziehbar; vielmehr müßte der Anteil der lokalen Schmerzausschaltungen auf Grund des erhöhten Anteils an Narkosen niedriger ausfallen. Die vom Kläger zu 1) angeführte oralchirurgische Situation drücke sich lediglich in drei Behandlungsarten aus, die zudem oft miteinander verknüpft seien. Die Kläger seien auch nicht überwiegend chirurgisch tätig, da sie im klassischen konservierenden Bereich die durchschnittlichen Abrechnungswerte im Füllungs- und im Endodontiebereich erreichen; teilweise übertreffen die Abrechnungswerte der Kläger bei einzelnen Positionen dieses Bereiches (z.B. Positionen 25 und 26) den Durchschnitt der nordrheinischen Zahnärzte erheblich.

Mit ihrer Klage haben die Kläger geltend gemacht, es sei zu Unrecht ein Vergleich mit der heterogenen und völlig inhomogenen Vergleichsgruppe der Gesamtzahnärzte erfolgt. Da der Kläger zu 1) berechtigt sei, die Bezeichnung Oralchirurgie zu führen und auf diesem besonderen Fachgebiet tätig zu werden, sei die Bildung einer engeren bzw. verfeinerten Vergleichsgruppe zu fordern. Die Kläger betrieben keinesfalls eine allgemeinzahnärztliche Praxis, sondern eine zahnärztlich- chirurgische Kassenpraxis. Deshalb sei von den Prüfgremien festzustellen, welche der Leistungen mit einer oralchirurgischen Tätigkeit notwendig verbunden seien. Es sei darauf abzustellen, dass im Verhältnis zu allgemein tätigen Zahnärzten die Schwerpunkte ihrer Tätigkeit anders verteilt seien. Demgemäß seien die chirurgischen Fälle auch wesentlich höher, als dies in dem angefochtenen Bescheid wiedergegeben werde. Dies sei wohl darin begründet, dass lediglich vereinzelte chirurgische Positionen als Prüfungsmaßstab gewählt worden seien, jedoch der Beklagte die im Zusammenhang mit chirurgischen Eingriffen grundsätzlich auch einhergehenden anderen Abrechnungspositionen nicht berücksichtigt habe. Es sei unerheblich, dass der Kläger zu 1) als Oralchirurg auch jede andere zahnärztliche Tätigkeit ausüben könne, denn auch jeder allgemeintätige Zahnarzt sei berechtigt, oralchirurgisch oder kieferorthopädisch tätig zu werden. Soweit der Beklagte sachlich-rechnerische Berichtigungen vorgenommen habe, stelle dies im Ergebnis eine Überschreitung seiner Randkompetenz dar.

Die Kläger haben beantragt,

unter Aufhebung des Bescheides vom 16.09.2002 den Beklagten zu verurteilen, über seinen Widerspruch gegen den Bescheid des Prüfungsausschusses vom 16.10.2001 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.

Der Beklagte und die Beigeladene zu 8) haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte und die Beigeladene zu 8) haben auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid verwiesen. Sie haben die Auffassung vertreten, dass der Kläger auf Grund seines Leistungsspektrums in die Vergleichsgruppe der Zahnärzte einzuordnen sei.

Mit Urteil vom 26.02.2003 hat das Sozialgericht (SG) Düsseldorf den Bescheid des Beklagten aufgehoben und den Beklagten zur Neubescheidung verpflichtet. Zur Begründung hat das SG im Wesentlichen ausgeführt, da der Kläger zu 1) berechtigt sei, nach der Weiterbildungsordnung der Zahnärztekammer Nordrhein die Gebietsbezeichnung "Oralchirurgie" zu führen, habe der Beklagte eine verfeinerte Vergleichsgruppe bilden müssen, was bei etwa 40 Oralchirurgen, wie sie bei der Beigeladenen zu 8) vertreten seien, auch grundsätzlich möglich sei. Die besondere Ausrichtung einer oralchirurgischen Praxis lasse sich nicht hinreichend deutlich aus prozentualen Abweichungen des Anteils chirurgischer Fälle gemessen an allgemeinzahnärztlich tätigen Praxen gewinnen. Die unterschiedliche Verteilung der Behandlungsschwerpunkte einer oralchirurgischen Praxis im Verhältnis zu Allgemeinzahnärzten in den abgerechneten Gebührenpositionen finde keinen hinreichenden Ausdruck, denn mit einer oralchirurgischen Tätigkeit könnten z. B. röntgenologische, anästhesiologische und "nur" allgemeinzahnärztliche Leistungen notwendig verbunden sein. Insofern komme dem vom Beklagten geäußerten gedanklichen Ansatz, bei einer Abrechnung mit chirurgischem Schwerpunkt müsse davon ausgegangen werden, dass - neben einigen Ä-Positionen - die Häufigkeit der Abrechnungspositionen 47 - 62 mit Ausnahme der Positionen 49 und 50 erhöht zu Tage trete, allein indizielle Wirkung zu. Die Abrechnungshäufigkeiten der von den Klägern erbrachten Leistungen zeigten indiziell durchaus eine chirurgische Ausrichtung an. Dies ergebe sich u.a. auch aus der von der Beigeladenen zu 8) zur Verfügung gestellten Negativstatistiken, aus der ergäben sich, dass die Nullabrechner-Quoten bei den streitigen Positionen zwischen 41 % und fast 100 % lägen. Die spezifische Situation einer oralchirurgischen Praxis, die hinreichend Aufschlüsse über die Wirtschaftlichkeit der Behandlungsweise gebe, lasse sich allein durch Bildung einer entsprechend verfeinerten Vergleichsgruppe erfassen, in der ausschließlich Zahnärzte mit der Gebietsbezeichnung Oralchirurgie enthalten seien. Die Kammer sehe sich in dieser Forderung auch dadurch bestätigt, dass der besonderen Abrechnungssituation der Oralchirurgen auch im Rahmen der Honorarverteilung durch die Beigeladene zu 8) Rechnung getragen werde.

Mit seiner Berufung trägt der Beklagte vor: Der Bildung einer verfeinerten Vergleichsgruppe "Oralchirurgie" bedürfe es nicht, um in den vorliegenden Fällen hinreichende Aufschlüsse über die Wirtschaftlichkeit der Behandlung zu erhalten. Ein Behandlungsschwerpunkt in der vertragszahnärztlichen Tätigkeit finde in der Wirtschaftlichkeitsprüfung im Rahmen der statistischen Vergleichsprüfung als Praxisbesonderheit Berücksichtigung. Die Bildung engerer Vergleichsgruppen sei nach der Rechtsprechung des BSG nur dann erforderlich, wenn sich die Behandlungsausrichtung und Behandlungsmethoden einer bestimmten Gruppe von Ärzten so nachhaltig von derjenigen anderer Ärzte unterscheiden, dass die Vergleichbarkeit der ersten Gruppe mit Praxen der anderen Gruppe sowohl hinsichtlich der überwiegend behandelten Gesundheitsstörungen als auch hinsichtlich der Zusammensetzung der Patientenklientel nur noch sehr eingeschränkt gegeben sei. Eine besondere Behandlungsmethode, die nach ärztlichen/zahnärztlichem Berufsrecht zum Führen einer Zusatzbezeichnung/ Gebietsbezeichnung berechtige, begründe keine Verpflichtung zur Bildung einer verfeinerten Vergleichsgruppe. Erfolge eine Zulassung unter der Gebietsbezeichnung "Oralchirurgie" bedeute der Bezug jedoch keine zwingende Begrenzung des Tätigkeitsgebiets. Die Weiterbildungsordnung kenne keine Verpflichtung dahingehend, dass der Oralchirurg grundsätzlich nur in seinem Fachgebiet tätig werden dürfe; dies sei etwa bei den Fachärzten für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie nach der Weiterbildungsordnung der Ärztekammer Nordrhein anders.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 26.02.2003 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie halten das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.

Die Verwaltungsakten des Beklagten sowie die Akten des Sozialgerichts Düsseldorf - S 2 KA 20/01 - haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen. Auf den Inhalt dieser Akten und den der Streitakten wird - insbesondere hinsichtlich des Vorbringens der Beteiligten - ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Beklagten ist unbegründet.

Zu Recht hat das SG Düsseldorf den Beklagten zur Neubescheidung verpflichtet, denn durch den angefochtenen Bescheid des Beklagten sind die Kläger beschwert im Sinne von § 54 Abs. 2 SGG. Der Bescheid des Beklagten ist nicht rechtmäßig.

Rechtsgrundlage für Honorarkürzungen wegen unwirtschaftlicher Behandlungs- oder Verordnungsweise ist die Regelung des § 106 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB V, die gemäß § 72 Abs. 1 Satz 2 SGG V für den vertragszahnärztlichen Bereich entsprechend gilt. Danach wird die Wirtschaftlichkeit der Versorgung durch arztbezogene Prüfung zahnärztlicher und zahnärztlich verordneter Leistungen nach Durchschnittswerten beurteilt. Nach den hierzu von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen ist die statistische Vergleichsprüfung die Regelprüfmethode (BSGE 84, 85, 86). Die Abrechnungswerte des Zahnarztes werden mit denjenigen der Fachgruppe oder einer nach verfeinerten Kriterien gebildeten engeren Vergleichsgruppe im selben Quartal verglichen. Ergänzt durch die sogenannte intellektuelle Betrachtung, bei der medizinisch-ärztliche Gesichtspunkte berücksichtigt werden, ist dies die Methode, die typischerweise die umfassensten Erkenntnisse bringen. Ergibt die Prüfung, dass der Behandlungsaufwand des Zahnarztes je Fall bei dem Gesamtfallwert, bei Sparten- oder Einzelleistungswerten in offensichtlichem Missverhältnis zum durchschnittlichen Aufwand der Vergleichsgruppe steht, ihn nämlich in einem Ausmaß überschreitet, der sich im Regelfall nicht mehr durch Unterschiede in der Praxisstruktur oder in dem Behandlungsnotwendigkeiten erklären lässt, hat das die Wirkung eines Anscheinsbeweises der Unwirtschaftlichkeit (BSG SozR 3-2500 § 106 Nr. 57 m.w.N.). Dieser wird allerdings entkräftet, wenn der betroffene Zahnarzt darlegt, dass bei ihm besondere, einen höheren Behandlungsaufwand rechtfertigende Umstände vorliegen, die für die zum Vergleich herangezogenen Zahnärzte untypische sind (BSG a.a.O. Nr. 54).

Diesen durch die ständige Rechtsprechung des BSG aufgestellten Erfordernissen entspricht der angefochtene Bescheid des Beklagten nicht. Der Beklagte hätte zuerst einmal bei der Festlegung der Vergleichsgruppe berücksichtigen müssen, dass im streitigen Quartal eine Gemeinschaftspraxis bestand, in der ein Vertragszahnarzt berechtigt war, die Gebietsbezeichnung "Oralchirurgie" zu führen. Denn nur unter Berücksichtigung dieser unterschiedlichen Qualifikationen der beiden Mitglieder der Gemeinschaftspraxis, der damit verbundenen (möglicherweise) unterschiedlichen Leistungserbringung und dem daraus resultierenden Leistungssprektrum der Gemeinschaftspraxis lässt sich die für eine Wirtschaftlichkeitsprüfung nach Durchschnittswerten rechtlich geeignete Vergleichsgruppe finden. Diese Erwägungen fehlen im Bescheid des Beklagten vollständig.

Der Beklagte hat weiter unter Berücksichtigung des festgestellten Leistungsspektrums der "fachübergreifenden" Gemeinschaftspraxis zu prüfen, ob wegen dieses Leistungsspektrums, der der Prüfung unterfallenden Berichte sowie der besonderen Praxisausrichtung als (verfeinerte) Vergleichsgruppe die im Bereich der Beigeladenen zu 8) zugelassenen Vertragsärzte mit der Gebietsbezeichnung "Oralchirurgie" zugrundezulegen ist. Insoweit wird auf die Ausführungen in den Senatsurteilen in den Verfahren L 11 KA 34/03, L 11 KA 35/03 und L 11 KA 37/03 verwiesen.

Die Kostenentscheidung erfolgt gemäß § 197 a Abs. 1 SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 1 VwGO.

Die Revision war wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG), da hinsichtlich der Vertragszahnärzte mit der Gebietsbezeichnung "Oralchirurgen" eine Entscheidung des BSG zur Bildung einer verfeinerten Vergleichsgruppe nicht vorliegt. Im Übrigen abweichend vom vertragsärztlichen Bereich die Besonderheit hinsichtlich der Pflicht zum Tätigwerden im Fachgebiet nicht besteht.
Rechtskraft
Aus
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