S 5 U 44/02

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Dresden (FSS)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 5 U 44/02
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Leitsätze
Die Beteiligten streiten über die Berechnung des Verletztengeldes bei negativem Jahreseinkünften eines Selbständigen.
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist, ob der Kläger einen Anspruch auf Verletztengeld hat oder ob er der Beklagten einen Vorschuss in Höhe von 1.278,23 EUR zurückzahlen muss.

Der Kläger betreibt seit dem Jahre 1995 einen Chauffeurservice ohne eigenes Fahrzeug und war bei der C. Krankenversicherung ohne Anspruch auf Krankengeld versichert. Eine Unternehmerversicherung bei einem Unfallversicherungsträger bestand nicht. Da er nach eigenen Angaben als ehrenamtlicher Helfer in einem Ferienreitlager für Kinder der K. Dresden e.V. helfen wollte, nahm er am 09.06.2001 eine Reitstunde. Hierbei glitt er aus den Steigbügeln, stürzte vom Pferd und zog sich dabei ein Schädel-Hirn-Trauma 1. Grades sowie eine dislozierte Oberarmschaftfraktur rechts zu. Arbeitsunfähigkeit bestand – soweit ersichtlich – mit Unterbrechung durch einen Urlaub bis zum 15.10.2001.

Auf Nachfrage der Beklagten hin teilte der Kläger mit, dass er die Einkommensteuerbe-scheide für die Jahre 2000 und 2001 noch nicht vorlegen könne und fügte diesem Schrei-ben den Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 1999 bei. Dieser wies ein Einkommen aus Gewerbebetrieb in Höhe von 17.982,00 DM aus.

Mit Bescheid vom 01.10.2001 gewährte die Beklagte dem Kläger daraufhin einen Vor-schuss nach § 42 Abs. 1 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I) auf Verletztengeld für den Zeitraum vom 10.06.2001 bis 25.08.2001 in Höhe von 1.022,58 EUR. Der Bescheid enthielt den Hinweis, dass der Vorschuss zurückzuzahlen sei, sofern der spätere Leistungs-anspruch überstiegen werde. Mit Bescheid vom 22.10.2001 erhielt der Kläger einen weite-ren Vorschuss in Höhe von 265,65 EUR.

Nachdem der Kläger zwischenzeitlich den Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2000 vorgelegt und dieser negative Einkünfte aus Gewerbebetrieb ausgewiesen hatte, hob die Beklagte mit Bescheid vom 14.12.2001 die vorläufige Bewilligung von Verletztengeld auf und forderte den Kläger auf, die gewährten Vorschüsse in Höhe von 1.278,23 EUR zurückzu-erstatten.

Dem widersprach der Kläger mit Schreiben vom 14.01.2002. Als Minderkaufmann sei er gegenüber dem Finanzamt nur zu einer normalen Einnahme-Überschussrechnung ver-pflichtet. Aus dieser gingen Privatentnahmen in Höhe von 10.000,00 DM hervor. Weiter seien Abschreibungen für Computer, Auto und Faxgerät in Höhe von 7.833,78 DM sowie die Verpflegungspauschale in Höhe von 8.138,00 DM als Einkommen zu berücksichtigen. Beigefügt war eine Auskunft des Finanzamtes D. III sowie das Journal 2000.

Mit Widerspruchsbescheid vom 12.02.2002 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Dass der Berechnung des Verletztengeldes zugrunde zu legende Arbeitseinkommen ent-spräche gem. § 47 Abs. 1 SGB VII in Verbindung mit § 15 Sozialgesetzbuch IV (SGB IV) dem steuerlichen Gewinn, welcher unverändert aus dem Steuerbescheid des Selbständigen zu übernehmen sei. Privatentnahmen, Abschreibungen sowie Reisekostenpauschalen könn-ten nicht berücksichtigt werden.

Mit der am 13.03.2002 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Wenn schon nicht das Einkommen für das Jahr 1999 in Höhe von 17.982,00 DM berücksichtigt würde, müsste zumindest ein hypothetisches Einkommen für das Jahr 2000 angesetzt wer-den. Es sei nämlich nicht ausgeschlossen, dass im Zeitraum der Krankschreibung positives Einkommen zu erwarten gewesen wäre. Zumindest müssten die Privatentnahmen als Ein-kommen in Ansatz gebracht werden, da sie ihm ja tatsächlich zur Verfügung gestanden hätten.

Der Kläger beantragt daher sinngemäß,

den Bescheid der Beklagten vom 14.12.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbe-scheides vom 12.02.2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Verletz-tengeld unter Anrechnung der aufgezeigten Abschreibungen und Privatentnahmen im Jahr 2000 als Einkommen zu gewähren,

hilfsweise, den Rückerstattungsbetrag um die ihm theoretisch zustehenden Sozial-hilfeansprüche zu kürzen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält daran fest, dass das Arbeitseinkommen, welches der Berechnung des Verletzten-geldes zugrunde zu legen sei, dem steuerlichen Gewinn entspräche, welcher unverändert aus dem Steuerbescheid des Selbständigen zu übernehmen sei. Einer Anhörung des Klä-gers vor Erlass des Rückforderungsbescheides habe es nicht bedurft. Zudem sei aus der Einnahme-Überschussrechnung für das Jahr 2000 ersichtlich, dass sämtliche Betriebsein-nahmen wieder als Betriebsausgaben ausgegeben worden seien, so dass letztendlich auch kein Gewinn zu verzeichnen gewesen sei.

Das Gericht hat eine Auskunft des Finanzamtes Dresden III beigezogen. Insoweit und we-gen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten, die vorgelegen hat, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte durch Gerichtsbescheid gemäß § 105 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden, da der Sachverhalt geklärt war und die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufwies. Die Beteiligten wurden hierzu angehört.

Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet. Die Beklagte hat zutreffend einen Anspruch des Klägers auf Verletztengeld verneint. Der insoweit gewährte Vorschuss ist von diesem zurückzuerstatten.

Anspruchsgrundlage für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Verletztengeld sind die §§ 45, 46 SGB VII. Danach wird Verletztengeld erbracht, wenn Versicherte infol-ge des Versicherungsfalls arbeitsunfähig sind oder wegen einer Maßnahme der Heilbe-handlung eine ganztätige Erwerbstätigkeit nicht ausüben können und unmittelbar vor Be-ginn der Arbeitsunfähigkeit oder der Heilbehandlung Anspruch auf Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen oder auf sonstige aufgeführte Lohnersatzleistungen hatten. Dabei wird Verletztengeld von dem Tag an gezahlt, ab dem die Arbeitsunfähigkeit ärztlich festgestellt wird oder mit dem Tag des Beginns einer Heilbehandlungsmaßnahme, die den Versicher-ten an der Ausübung einer ganztägigen Erwerbstätigkeit hindert. Dass diese Voraussetzun-gen dem Grunde nach erfüllt sind, ist zwischen den Beteiligten nicht umstritten.

Nach § 47 Abs. 1 SGB VII erhalten Versicherte, die Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkom-men erzielt haben, Verletztengeld entsprechend § 47 Abs. 1 und 2 des Fünften Buches So-zialgesetzbuch mit der Maßgabe, dass das Regelentgelt aus dem Gesamtbetrag des regel-mäßigen Arbeitsentgelts und des Arbeitseinkommens zu berechnen und bis zu einem Be-trag in Höhe des 360. Teils des Höchstjahresarbeitsverdienstes zu berücksichtigen ist. Ar-beitseinkommen ist bei der Ermittlung des Regelentgelts mit dem 360. Teil des im Kalen-derjahr vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder der Maßnahme der Heilbehandlung erziel-ten Arbeitseinkommens zugrunde zu legen (§ 47 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Da die Arbeits-unfähigkeit im Jahre 2001 eingetreten ist, ist bei der Ermittlung des Regelentgelts auf das Kalenderjahr 2000 abzustellen.

Arbeitseinkommen ist nach § 15 SGB IV der nach den allgemeinen Gewinnermittlungs-vorschriften des Einkommenssteuerrechtes ermittelte Gewinn aus der selbständigen Tätig-keit. Einkommen ist als Arbeitseinkommen zu werten, wenn es als solches nach dem Ein-kommenssteuerrecht zu bewerten ist. Diese Vorschrift betont den Vorrang der steuerrecht-lichen Gewinnermittlung und schließt eigene sozialversicherungsrechtliche Vorschriften über die Gewinnermittlung aus, nicht zuletzt aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung (vgl. BSG in BSGE 58, 277, 279 f.). Das Arbeitseinkommen entspricht dem steuerlichen Gewinn; dieser wird unverändert aus dem Steuerbescheid des Selbständigen übernommen (Bundesratsdrucksache 508/93 S. 92).

In dem vom Kläger vorgelegten Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2000 sind negati-ve Einkünfte in Höhe von 122,00 DM ausgewiesen. Im Hinblick auf die Entgeltersatzfunk-tion des Verletztengeldes hat der Kläger daher im maßgeblichen Zeitraum kein Einkom-men erzielt, dass der Berechnung des Verletztengeldes zugrunde gelegt werden könnte.

Ein fiktives Einkommen, wie vom Kläger begehrt, ist nicht zu berücksichtigen (vgl. BSG, Urteil vom 30.03.2004 – B 1 KR 32/02 R – zur Beschränkung des Krankengeldanspruchs durch die Einkommenshöhe eines selbständig Erwerbstätigen).

Ebenso wenig können die Privatentnahmen und die Abschreibungen im Kalenderjahr 2000 als Einkommen in Ansatz gebracht werden. Diesbezüglich hat das Finanzamt D.III im Schriftsatz vom 04.02.2004 gegenüber dem Gericht mitgeteilt, dass unter der Vorausset-zung, dass alle Betriebseinnahmen vollständig erklärt worden seien, die Entnahme des Wirtschaftsgutes Geld in das Privatvermögen keine Gewinnauswirkung habe, da bereits der Zufluss als Betriebseinnahme erfasst worden sei. Ebenso wenig sind ein Verlustabzug oder sonstige Abzüge von der Summe der Einkünfte, die das zu versteuernde Einkommen mindern, bei der Feststellung des Gewinns aus einer selbständigen Tätigkeit berücksichti-gungsfähig (vgl. BSG, Urteil vom 16.05.2001 – B 5 RJ 46/00 R –).

Das Abstellen bei der Einkommensermittlung auf die nach den allgemeinen Gewinnermitt-lungsvorschriften des Einkommenssteuergesetzes ermittelten positiven Einkünfte des der Arbeitsunfähigkeit vorangehenden Kalenderjahres aus selbständiger Erwerbstätigkeit ver-letzt auch kein Verfassungsrecht. Insbesondere liegt kein Verstoß gegen den Gleichheits-satz vor. In Betracht kommt Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) als Prüfungsmaßstab auch deshalb, weil eine Ungleichbehandlung mit der Gruppe derjenigen Selbständigen vorliegt, die mehr oder weniger zufällig von starken jährlichen Einkommensschwankungen mit "negativen" Einkünften verschont blieben oder bei Anknüpfung an die Vergleichsgruppe der abhängig Beschäftigten. Da ab dem Kalenderjahr 1994 steuerliche Vergünstigungen, die in den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommenssteuerrechts man-nigfach enthalten sind, sich nicht mehr einkommenserhöhend auswirken, toleriert es der Gesetzgeber, dass Steuervergünstigungen auf Einkommensersatzleistungen durchschlagen. Bei der Ausgestaltung der Regelung des § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB IV konnte der Gesetzge-ber der Verwaltungspraktikabilität das entscheidende Gewicht beimessen und die mögliche Ungerechtigkeit im Einzelfall an dem Verwaltungsaufwand messen, der dadurch entstehen würde, dass die Unfallversicherungsträger wirtschaftliche und steuerliche Ermittlungen und Wertungen vornehmen müssten, für die sie erst sachlich und personell ausgestattet werden müssten. Der dadurch verursachte Verwaltungsaufwand würde den mit der An-rechnungsregelung verfolgten Einsparungseffekt zum erheblichen Teil wieder zunichte machen. Die in § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB IV normierte Einkommens- bzw. Gewinnberech-nung ist daher nicht zu beanstanden (vgl. hierzu auch BSG, Urteil vom 16.05.2001 – B 5 RJ 46/00 R –).

Der Kläger hat somit mangels ansetzbarem Einkommen im Jahr vor Eintritt der Arbeitsun-fähigkeit keinen Anspruch auf die Gewährung von Verletztengeld.

Die Beklagte kann § 42 Abs. 2 SGB I vom Kläger die Rückzahlung der vorläufig gezahlten Vorschüsse verlangen. Für die Rückforderung der gezahlten Vorschüsse bedurfte es weder einer Aufhebung der Bewilligungsbescheide vom 01.10. und 22.10.2001 noch einer vor-hergehenden Anhörung des Klägers. Bei Gewährung vorläufiger Leistungen begründet ein Rückforderungsvorbehalt für den Fall einer negativen endgültigen Entscheidung zugleich das Recht des Sozialleistungsträgers, die vorläufig und zu Unrecht gewährte Leistung zu-rückzufordern (BSG, Urteil vom 08.12.1994 – 2 RU 12/94 –). Dass keine Anhörung vo-rausgehen musste, folgt aus § 24 Abs. 2 Nr. 3 SGB X, denn die Beklagte hat ihren Be-scheiden jeweils die Angaben des Klägers über das tatsächliche Einkommen im vorange-gangenen Jahr zugrunde gelegt. Ferner ergibt sich die Pflicht zur Erstattung überzahlter Beitragsvorschüsse schon aus dem Gesetz. Anders als die Rückforderungen nach Aufhe-bung bestandskräftiger Leistungsbescheide greift die hier streitige Rückforderung nicht in Rechtspositionen des Klägers ein, auf deren Bestand er vertrauen konnte.

Für die hilfsweise beantragte Kürzung des Erstattungsanspruchs um "theoretisch" zuste-hende Leistungen (Hilfe zum Lebensunterhalt, Mietkostenzuschuss) fehlt es an einer ge-setzlichen Grundlage.

Der angefochtene Rückforderungsbescheid ist nach alldem rechtmäßig. Mithin war die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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