S 8 RA 608/04

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Dresden (FSS)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 8 RA 608/04
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die durch das RV-Nachhaltigkeitsgesetz bewirkte "Klarstellung" des Regelungsgehalts von § 93 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe a SGB VI zum 01. Januar 1992 ist verfassungsrechlich unbedenklich, da sich dieser Regelungsgehalt bereits vor der Änderung durch Auslegung ergab.
I. Die Klage wird abgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Sprungrevision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, in welcher Höhe die Verletztenrente aus der Unfallversicherung des Klägers auf die von der Beklagten gewährte Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversiche-rung anzurechnen ist.

Der Kläger erhält seit 1962 eine Verletztenrente aus der Unfallversicherung. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit beträgt 65 vom Hundert (MdE von 65 %).

Mit Bescheid vom 21. Dezember 1999 gewährte die Beklagte dem Kläger eine Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung mit Beginn 01. Januar 2000. Seit Beginn der Altersrente errechnete die Beklagte die monatliche Rente, indem sie die Differenz zwischen der Altersrente aus der Rentenversicherung und der Verletztenrente aus der Unfallversicherung abzüglich einer Grundrente-Ost nach dem Gesetz über die Versorgung der Opfer des Krieges (BVG) – sogenann-ter Freibetrag-Ost – bei einer MdE von 65 % bildete. Daraus resultierten folgende monatliche Renten:

Zeitraum Monatliche Rente aus der Rentenversi-cherung (1) Monatliche Leis-tung aus der Un-fallversicherung (2) Grundrente nach BVG-Ost bei MdE 65 % (3) Monatliche Ren-te (BVG-Ost)(1-2+3)
01.01.2000-30.06.2000 2.371,54 DM 1.282,49 DM 610,00 DM 1.699,05 DM
01.07.2000-30.06.2001 2.385,65 DM 1.290,18 DM 613,00 DM 1.708,47 DM
01.07.2001-31.12.2001 2.435,89 DM 1.317,41 DM 628,00 DM 1.746,48 DM
01.01.2002-30.06.2002 1.245,45 Euro 673,58 Euro 321,00 Euro 892,87 Euro
01.07.2002-30.06.2003 1.281,44 Euro 693,05 Euro 331,00 Euro 919,39 Euro
01.07.2003-30.06.2004 1.296,69 Euro 701,29 Euro 335,00 Euro 930,40 Euro

Mit Bescheid vom 05. November 2004 berechnete die Beklagte die Altersrente unter Berücksich-tigung des Alterserhöhungsbetrages nach Vollendung des 65. Lebensjahres neu. Für die Zeit ab 01. Januar 2005 ermittelte sie die Summe der Rentenbeträge in Höhe von 1.636,99 Euro aus der Altersrente (1.296,70 Euro) zuzüglich der Leistung aus der Unfallversicherung (701,29 Euro) abzüglich der Grundrente-Ost nach dem BVG bei einer MdE von 65 % (361,00 Euro). Mit Schreiben vom 13. Mai 2003 (Eingang bei der Beklagten) bat der Kläger um Überprüfung seiner Altersrente. Nach dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 10. April 2003, B 4 RA 32/02 R, sei es nicht rechtens, nur einen Betrag in Höhe der abgesenkten Grundrente-Ost als Frei-betrag zu gewähren.

Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 23. Oktober 2003 ab. Eine Rücknahme des Altersrentenbescheides vom 21. Dezember 1999 komme nicht in Betracht, da für den Kläger, der sich am 18. Mai 1990 gewöhnlich im Beitrittsgebiet aufgehalten hat, die niedrigeren Grundren-tenbeträge-Ost nach dem BVG gelten würden.

Hiergegen legte der Kläger am 31. Oktober 2003 (Eingang bei der Beklagten) Widerspruch ein.

Mit der am 20. April 2004 (Eingang) vor dem Sozialgericht Dresden erhobenen Untätigkeitsklage begehrt der Kläger die Neubescheidung unter Berücksichtigung der Urteile des BSG unter dem Aktenzeichen B 4 RA 32/02 R vom 10. April 2003 und unter dem Aktenzeichen B 13 RJ 5/03 vom 20. November 2003. Er ist der Auffassung, dass die Regelung, wonach ein niedrigerer Frei-betrag-Ost für unfallverletzte Rentenberechtigte im Beitrittsgebiet festgesetzt wird (§ 84 a BVG), Artikel 3 Grundgesetz (GG) verletzt und verfassungswidrig ist. Daher sei die Berechnung der Rentenansprüche bei Zusammentreffen der Altersrente und der Rente aus der gesetzlichen Un-fallversicherung unter Ansetzung eines Freibetrags-Ost fehlerhaft. Es ergebe sich für ihn ein An-spruch auf Nachberechnung und Nachzahlung ab 01. Januar 2000 bis 31. März 2004 in Höhe von 2.401,34 Euro. In Abweichung der Rentenberechnung der Beklagten errechnet der Kläger die monatliche Rente und den aus dieser Berechnung resultierenden Nachzahlungsbetrag wie folgt:

Zeitraum (1) Grundrente nach BVG-Ost(MdE 65 %) (2) Grundrente nach BVG-West(MdE 65 %) Differenz(2-1) Monatliche Rente (BVG-West)
01.01.2000-30.06.2000 610,00 DM 703,00 DM 93,00 DM x 6= 558,00 DM = 285,30 Euro 1.792,05 DM (statt 1.699,05 DM)
01.07.2000-30.06.2001 613,00 DM 707,00 DM 94,00 DM x 12= 1.128,00 DM = 576,74 Euro 1.802,47 DM(statt 1.708,47 DM)
01.07.2001-31.12.2001 628,00 DM 721,00 DM 93,00 DM x 6= 558,00 DM = 285,30 Euro 1.839,48 DM(statt 1.746,48 DM)
01.01.2002-30.06.2002 321,00 Euro 369,00 Euro 48,00 Euro x 6= 288,00 Euro = 288,00 Euro 940,87 Euro(statt 892,87 Euro)
01.07.2002-30.06.2003 331,00 Euro 331,00 Euro 46,00 Euro x 12= 552,00 Euro = 552,00 Euro 965,39 Euro(statt 919,39 Euro)
01.07.2003-31.03.2004 335,00 Euro 381,00 Euro 46,00 Euro x 9= 414,00 Euro = 414,00 Euro 976,40 Euro(statt 930,40 Euro)

Die Beklagte wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 26. Mai 2004 zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass der Bescheid vom 21. Dezember 1999 nicht zurück-genommen werden könne, da weder das Recht unrichtig angewandt noch von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden sei. Die niedrigeren Grundrentenbeträge-Ost nach dem BVG seien zutreffend angewandt worden.

Darauf hin hat der Kläger die Klage mit Schriftsatz vom 14. Juni 2004, bei Gericht eingegangen am 15. Juni 2004, in der Weise "erweitert", dass sie sich auch gegen den Widerspruchsbescheid richtet. Er beantragt zuletzt wörtlich, den Bescheid vom 23. Oktober 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Mai 2004 aufzuheben und unter Zugrundelegung der Rechtsprechung aus den Urteilen des BSG unter den Aktenzeichen B 4 RA 32/02 R vom 10. April 2003 und B 13 RJ 5/03 vom 20. November 2003 neu zu verbescheiden.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Zur Begründung führt sie aus, dass der Gesetzgeber durch das Gesetz zur Sicherung der nachhal-tigen Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung vom 21. Juli 2004 – RV-Nachhaltigkeitsgesetz – (BGBl. I Nr. 38 vom 26. Juli 2004) die Problematik der Anrechnung der Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung auf die Versichertenrente aus der gesetz-lichen Rentenversicherung rückwirkend zum 01. Januar 1992 klargestellt hat und insoweit die Unfallrentenanrechnung zutreffend unter Anwendung des geringeren Freibetrages-Ost erfolgt sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der gerichtlichen Verfahrensakte mit den Schriftsätzen nebst Anlagen sowie den Inhalt der vom Gericht beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten hierzu ihr Ein-verständnis erklärt haben, § 124 Abs. 2 SGG.

Das klägerische Begehren ist nach dem erkennbaren Rechtsschutzziel dahingehend auszulegen, dass beantragt wird, den Bescheid der Beklagten vom 23. Oktober 2003 in Gestalt des Wider-spruchsbescheides vom 26. Mai 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Bescheid vom 21. Dezember 1999 zurückzunehmen und die Altersrente ab 01. Januar 2000 in der Weise neu zu berechnen, dass bei der Anrechnung der Verletztenrente anstelle des bislang zugrunde gelegten Freibetrags nach der Grundrente-Ost (gemäß § 84 a BVG) der Freibetrag nach der Grundrente-West (gemäß § 31 BVG) zur Anwendung gelangt, sowie den sich aus der Neuberech-nung ergebenden Differenzbetrag nachzuzahlen.

Die so verstandene Klage ist zulässig.

Es kann dahin stehen, ob die am 20. April 2004 erhobene Untätigkeitsklage (§ 88 SGG) im Hin-blick auf den Antrag, der sich nicht allein auf die Vornahme eines Verwaltungsaktes richtete, zu-lässig war. Jedenfalls hat der Kläger nach Erhalt des Widerspruchsbescheides der Beklagten vom 26. Mai 2004 zum Ausdruck gebracht, dass er nunmehr auch die Aufhebung des Widerspruchsbe-scheides begehrt. Der Schriftsatz des Klägers vom 15. Juni 2004 (Eingang bei Gericht) ist ent-sprechend dem klägerischen Begehren als Änderung der Klage in eine Anfechtungs- und Ver-pflichtungsklage auszulegen, die als solche gemäß § 54 SGG – auch in Kombination – zulässig ist.

Die so verstandene Klageänderung ist gemäß § 99 Abs. 1 SGG zulässig. Die Beklagte hat sich, ohne der Änderung zu widersprechen, inhaltlich auf die abgeänderte Klage eingelassen und damit im Sinne des § 99 Abs. 2 SGG in diese eingewilligt. Im Übrigen ist die Änderung auch sachdien-lich, da durch sie die endgültige Beilegung des Streits zwischen den Beteiligten gefördert und ein neuer Prozess vermieden wird.

Die Klage ist unbegründet.

Der Bescheid vom 23. Oktober 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Mai 2004 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (vgl. § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG).

Der Kläger hat keinen Anspruch gemäß § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) auf Rück-nahme des Bescheides vom 21. Dezember 1999 und Neuberechnung seiner Altersrente ab 01. Januar 2000 unter Berücksichtigung der Grundrentenbeträge-West nach dem BVG.

Nach § 44 Abs. 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt worden ist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Grundvoraussetzung für die Rücknahme eines bestandskräf-tigen Bescheides nach § 44 Abs. 1 SGB X ist, dass dieser Bescheid ursprünglich, d. h. bereits bei seinem Erlass rechtwidrig war.

Die Voraussetzungen für die Rücknahme sind nicht erfüllt. Der Bescheid der Beklagten vom 21. Dezember 1999 entsprach bei seinem Erlass der Rechtslage und war damit ursprünglich rechtmä-ßig.

Entgegen der Auffassung des Klägers hat die Beklagte die Verletztenrente zutreffend unter An-wendung des verminderten Freibetrags nach der Grundrente-Ost gemäß § 84 a BVG auf die Al-tersrente angerechnet.

1. Gemäß § 93 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) wird die Rente aus der Rentenversicherung insoweit nicht geleistet, als bei einem Zusammentreffen mit einer Verletzten-rente aus der Unfallversicherung die Summe der zusammentreffenden Rentenbeträge vor Ein-kommensanrechnung den jeweiligen Grenzbetrag übersteigt. Bei der Ermittlung der Summe der zusammentreffenden Rentenbeträge bleibt im Falle der Verletztenrente aus der Unfallversiche-rung gemäß § 93 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe a SGB VI der Betrag unberücksichtigt, der bei gleichem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit als Grundrente nach dem BVG geleistet würde.

Die Höhe der Grundrente nach dem BVG bemisst sich danach, ob der Versicherte – wie der Klä-ger – am 18. Mai 1990 seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Beitrittsgebiet hatte. Dies ergibt sich aus §§ 31, 84 a BVG. Gemäß § 31 BVG erhalten die Berechtigten eine monatli-che Grundrente, deren Höhe sich in Abhängigkeit der Minderung der Erwerbsfähigkeit ergibt. Berechtigte, die am 18. Mai 1990 ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in dem in Arti-kel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet (Beitrittsgebiet) hatten, erhalten gemäß § 84 a BVG vom Zeitpunkt der Verlegung des Wohnsitzes, frühestens vom 01. Januar 1991 an, Versor-gung nach dem BVG mit den für dieses Gebiet nach dem Einigungsvertrag geltenden Maßgaben.

Aus §§ 31, 84 a BVG ergeben sich folglich divergierende Grundrenten, die auch im Rahmen der Berechnung nach § 93 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe a SGB VI zu beachten sind.

2. Die Neuregelung des § 93 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe a SGB VI durch das RV-Nachhaltigkeitsgesetz begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Der Gesetzgeber hat durch das RV-Nachhaltigkeitsgesetz zum 01. Januar 1992 rückwirkend klargestellt, dass in § 93 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe a SGB VI auf "§ 31 in Verbindung mit § 84 a Satz 1 und 2 des Bundesversorgungsge-setzes" verwiesen wird. Die rückwirkende Klarstellung ist unbedenklich, weil sich dieser Regelungsgehalt des § 93 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe a SGB VI bereits vor der Änderung durch Auslegung ergab.

a. Der Wortlaut des § 93 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe a SGB VI a. F. ("Grundrente nach dem Bundes-versorgungsgesetz") unterscheidet nicht zwischen Grundrente Ost und West. Die Vorschrift ent-hielt vor der Änderung durch das RV-Nachhaltigkeitsgesetz weder eine Verweisung auf § 31 BVG noch auf § 84 a BVG.

Daraus kann nicht geschlossen werden, dass eine Differenzierung der Grundrente nicht erlaubt war (vgl. aber BSG im Urteil vom 10. April 2003, B 4 RA 32/02 R). § 93 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe a SGB VI a. F. beinhaltet eine Rechtsfolgenverweisung auf die Bestimmungen des BVG, in denen die Grundrente geregelt ist. Das BVG enthält zwei Bestimmungen über die Grundrente: Zum ei-nen die des § 31 BVG und zum anderen die für das Beitrittsgebiet geltende Übergangsvorschrift des § 84 a BVG. Daraus ergibt sich allein aus dem Wortlaut des § 93 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe a SGB VI a. F. keine Reduzierung der Rechtsfolgenverweisung auf § 31 BVG (so auch Sächsisches Landessozialgericht – LSG –, Urteil vom 22. Oktober 2002, L 5 RJ 23/02).

b. Die Auslegung, dass § 93 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe a SGB VI a. F. nur auf § 31 BVG verweist, entspricht nicht dem Willen des Gesetzgebers (vgl. insbesondere Bundestagsdrucksache 15/2678, S. 22 f.). Die entgegenstehende Rechtsprechung des BSG hat den Gesetzgeber daher zu einer "Klarstellung" des § 93 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe a SGB VI a. F. durch Ersetzung der Wörter "Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz" durch die Wörter "Grundrente nach § 31 in Verbindung mit § 84 a Satz 1 und Satz 2 des Bundesversorgungsgesetzes" im Rahmen des RV-Nachhaltigkeitsgesetzes bewogen.

c. Auch Sinn und Zweck der Regelung des § 93 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe a SGB VI a. F. sprechen dafür, dass die Norm nicht ausschließlich auf § 31 BVG, sondern auch auf § 84 a BVG verweist. Sinn und Zweck der Anrechnungsbestimmung in § 93 Abs. 1 Nr. 1 SGB ist, Doppelleistungen zu vermeiden und zu verhindern, dass Leistungen verschiedener Sozialversicherungssysteme mit Lohnersatzfunktion zu einer Überversorgung führen (LSG a. a. O.). Von diesem Grundsatz macht § 93 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe a SGB VI eine Ausnahme, indem er anordnet, dass bei Anrechnung der Verletztenrente ein bestimmter Betrag unberücksichtigt bleibt. Dieser Teil der Verletztenrente soll sich im Hinblick auf die Rente aus der Rentenversicherung nicht mindernd auswirken, weil er keine Lohnersatzfunktion hat, sondern auf Ausgleich der durch den Integritätsverlust verursachten seelischen Beeinträchtigungen und Schmerzen abzielt (Bundestagsdrucksache 11/4124, Seite 174 zu § 92). Durch die Freibetragsregelung des § 93 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe a SGB VI verbleibt dem Verletzten der Teil seiner Verletztenrente, der einen immateriellen Gehalt hat (zur Funktion des Freibetrags ausführlich BSG, Urteil vom 31. März 1998, B 4 RA 49/96 R).

Die Tatsache, dass die Grundrente diese immaterielle Komponente aufweist, steht einer unter-schiedlichen Berechnung, geknüpft an die Lebenshaltungskosten am Wohnort des Berechtigten, nicht entgegen (vgl. aber BSG, Urteile vom 10. April 2003, B 4 RA 32/02 R, und vom 20. No-vember 2003, B 13 RJ 5/03 R). Der Gesetzgeber hat bei der Übertragung des BVG auf das Bei-trittsgebiet die unterschiedlichen wirtschaftlichen Verhältnisse gerade zum Anlass genommen, die Leistungshöhe für diejenigen Berechtigten, die am 18. Mai 1990 ihren Wohnsitz oder gewöhnli-chen Aufenthaltsort in diesem Gebiet hatten, entsprechend anzupassen (Bundestagsdrucksache 11/7817, S. 154). Die Anpassung erfolgte durch die Vorschrift des § 84 a BVG. Im Anschluss an das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 14. März 2000, 1 BvR 284/96, 1 BvR 1659/96, hat der Gesetzgeber den Anwendungsbereich des § 84 a BVG verkürzt und bewusst an ihr für alle nicht in § 84 a Satz 3 BVG ausdrücklich aufgeführten Personenkreise festgehalten (LSG, Urteil vom 22. Oktober 2002, L 5 RJ 23/02). Nach § 84 a Satz 3 BVG sind nur Kriegsopfer nach § 1 BVG, Berechtigte nach dem Häftlingshilfegesetz, dem Strafrechtlichen Rehabilitie-rungsgesetz und nach dem Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz vom Anwendungsbe-reich der Sätze 1 und 2 ausgeschlossen. Da der Kläger nicht unter diesen Personenkreis fällt, ist § 84 a Satz 1 BVG weiter auf seinen Fall anwendbar.

d. Für diese Lösung sprechen auch systematische Argumente. Ein Ausschluss der Berechtigten nach § 93 SGB VI vom Anwendungsbereich des § 84 a BVG wäre nicht in § 93 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe a SGB VI a. F., sondern in § 84 a BVG selbst zu erwarten gewesen. In § 84 a Satz 3 BVG hat der Gesetzgeber bereits ausdrücklich geregelt, auf welchen Personenkreis die Sätze 1 und 2 nicht anzuwenden sind. Die Berechtigten nach § 93 SGB VI wurden nicht in diese Rege-lung aufgenommen. Im Umkehrschluss folgt daraus, dass § 93 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe a SGB VI a. F. auch auf § 84 a BVG verweist.

e. Die aus der Anwendung der §§ 31 und 84 a BVG resultierende Ungleichbehandlung ist nicht verfassungswidrig. Dieser Auffassung steht auch nicht das Urteil des BVerfG vom 14. März 2000, 1 BvR 284/96, 1 BvR 1659/96, entgegen. In dieser Entscheidung hat das BVerfG es für unvereinbar mit dem Gleichheitsgebot des Artikel 3 Abs. 1 GG erklärt, dass die den Kriegsopfern nach § 31 Abs. 1 Satz 1 BVG gewährte Beschädigtengrundrente in den alten und neuen Ländern über den 31. Dezember 1998 hinaus bei gleicher Beschädigung ungleich hoch ist. Das BVerfG hat § 84 a BVG a. F. daher seit dem 01. Januar 1999 für nichtig erklärt. Der Gesetzgeber hat dar-aufhin § 84 a BVG geändert und den in Satz 3 genannten Personenkreis vom Anwendungsbereich des § 84 a Satz 1 und 2 BVG ausgeschlossen. Das Urteil des BVerfG ist auf den hier vorliegenden Fall weder direkt noch entsprechend an-wendbar. In diesem Urteil hat das BVerfG lediglich die unterschiedliche Berechnung der Grund-rente für Kriegsbeschädigte in den alten und neuen Bundesländern verfassungsrechtlich bewertet. Auf Bezieher von Verletztenrenten ist dieses Urteil nicht anwendbar, weil die Sachverhalte nicht vergleichbar sind (so auch LSG, Urteil vom 22. Oktober 2002, L 5 RJ 23/02).

Das BVerfG hat seine Entscheidung maßgeblich auf die Erwägung gestützt, dass der Grundrente für Kriegsbeschädigte eine besondere immaterielle Komponente im Sinne einer Genugtuungs-funktion inne wohnt. Darüber hinaus hat das BVerfG die festgestellte Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG wesentlich damit begründet, dass eine Beendigung der durch § 84 a BVG bewirkten Un-gleichbehandlung für die betroffenen Kriegsopfer mit Rücksicht auf ihr Lebensalter nicht mehr in Sicht ist (BVerfG a. a. O., Rn. 60 ff.).

Selbst wenn auch dem Freibetrag nach § 93 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe a SGB VI ein überwiegend immaterieller Gehalt zukommt, erfüllt dieser doch nicht den Zweck der Genugtuung. Dies folgt aus dem sog. Haftungsersetzungsprinzip der Unfallversicherung. Nach diesem Prinzip wird mit Blick auf die gesetzliche Gewährung eines öffentlich-rechtlichen, gegen eine Körperschaft des öffentlichen Rechts gerichteten, von Verschulden und Mitverschulden unabhängigen Rechts auf eine Verletztenrente das Recht des Arbeitnehmers ausgeschlossen, von seinem Arbeitgeber hin-sichtlich der durch den Arbeitsunfall eingetretenen Schäden Schadensersatz, insbesondere Schmerzensgeld als Mittel der Genugtuung verlangen zu können (BSG, Urteil vom 31. März 1998, B 4 RA 49/96 R, mit weiteren Nachweisen auf die Rechtsprechung des Bundesgerichts-hofs). Damit weist die Verletztenrente keinen Schmerzensgeldgehalt im Sinne einer über den Ausgleich des Integritätsverlustes hinausgehenden Genugtuungsfunktion auf; ein solcher kann daher auch nicht im Freibetrag nach § 93 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe a SGB VI enthalten sein. Bereits insoweit unterscheidet sich der Fall des Klägers von dem Sachverhalt, der dem Urteil des BVerfG zugrunde lag. Schließlich besteht keine Vergleichbarkeit der Sachverhalte im Hinblick auf das durchgängig sehr hohe Alter der Kriegsbeschädigten.

Die Besonderheiten des vom BVerfG zu entscheidenden Falles, der durch die Genugtuungsfunk-tion der Beschädigtengrundrente und durch das hohe Lebensalter der Kriegsopfer als Berechtigte gekennzeichnet ist, unterscheidet diesen von anderen staatlichen Leistungen mit immateriellem Gehalt (BVerfG a. a. O, Rn. 62).

Die Kammer kann schließlich keine gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßende unverhältnismäßige Benachteiligung der Verletztenrentner durch die Anwendung eines niedrigeren Freibetrags fest-stellen. Hierbei handelt es sich nicht um eine "doppelte" Benachteiligung der Betroffenen (vgl. aber BSG, Urteil vom 10. April 2003, B 4 RA 32/02 R), sondern vielmehr um die Anwendung desselben Prinzips auf unterschiedliche Leistungsgehalte. Im niedrigeren Rentenwert spiegeln sich die geringere Wirtschaftskraft sowie die niedrigeren Löhne und Gehälter im Beitrittsgebiet wieder (§ 255 a SGB VI). Ebenso verhält es sich mit der Regelung in § 84 a BVG, die den unter-schiedlichen wirtschaftlichen Verhältnissen in den alten und neuen Bundesländern geschuldet ist (s. o. c.). Dabei fließt der niedrigere Rentenwert in die Rentenberechnung ein, die abgesenkte Grundrente jedoch in den Freibetrag. Während nur die Rentenleistung die Funktion hat, Lohner-satz zu gewähren, kommt dem Freibetrag die Funktion eines immateriellen Schadensausgleichs zu. Eine doppelte Benachteiligung durch die Absenkung des Rentenwertes und des Freibetrages kann daher nicht angenommen werden.

Dabei verkennt die Kammer nicht, dass die Minderung von Sozialleistungen im Beitrittsgebiet mit zunehmendem Zeitablauf immer bedenklicher wird. Im Hinblick auf die fortgesetzten Bemü-hungen, das dortige Lohnniveau an die Verhältnisse in den alten Bundesländern anzunähern, ist diese Regelung jedoch gegenwärtig von Verfassungs wegen noch hinnehmbar (vgl. Urteil des BSG vom 16. Dezember 2004, B 9 VG 1/03 R).

Aus diesen Gründen ist die Rentenberechnung durch die Beklagte nicht zu beanstanden. Der Be-scheid vom 21. Dezember 1999 war von Anfang an rechtmäßig. Daher hat der Kläger auch kei-nen Anspruch auf die geltend gemachte Nachzahlung.

Nach alledem war die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

Die Sprungrevision war gemäß §§ 161 Abs. 1 und 2, 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat und das Urteil von Entscheidungen des BSG abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Die Frage, ob § 93 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe a SGB VI n. F. verfassungsgemäß ist, wird in einer Vielzahl weiterer anhängiger Verfahren aufgeworfen und ist von grundsätzlicher Bedeutung. Sie war bislang – soweit ersichtlich – nicht Gegenstand einer Entscheidung des BSG. Vor der Änderung des § 93 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe a SGB VI hat das BSG im Urteil vom 10. April 2003, B 4 RA 32/02 R, die hiesige Auslegung, die der gesetzli-chen Neuregelung des § 93 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe a SGB VI entspricht, für verfassungswidrig gehalten. Die Kammer hat die hier streitentscheidende Norm § 93 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe a SGB VI anders als das BSG in den Urteilen vom 10. April 2003, B 4 RA 32/02 R, und vom 20. No-vember 2003, B 13 RJ 5/03 R ausgelegt. Die Entscheidung beruht auf dieser Abweichung.
Rechtskraft
Aus
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