S 8 KR 60/03

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Leipzig (FSS)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 8 KR 60/03
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Leitsätze
In Vorverfahren unterdurchschnittlicher Art entspricht es der Billigkeit, den Gebührenanspruch auf 1/3 von 2/3 der Mittelgebühr zu begrenzen. Eine Unterschreitung der bei der Rahmengebühr vorgesehenen Mindestgebühr ist ebenso wenig sachangemessen wie eine Quotelung von Auslagenanspruch und
Mehrwertsteuer.
I. Der Bescheid vom 04.12.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.03.2003 wird abgeändert. II. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger 105,24 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 06.11.2002 zu zahlen. III. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. IV. Die Beklagte hat dem Kläger 1/3 der außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Höhe der Kostenerstattung im Vorverfahren.

Der am ...45 geborene Kläger beantragte am 02. und 05.09.2002 unter Vorlage von Ver-ordnungen des behandelnden Allgemeinmediziners, MR Dr. L ..., vom 30.08.2002 und 04.09.2002 die Kostenübernahme für häusliche Krankenpflege ab diesem Zeitpunkt bis insgesamt 17.09.2002 wegen Zustand nach Crossektomie und Thrombektomie vom 28.08.2002.

Dies lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 02.09.2002, dem keine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt gewesen war, ab. Ein Anspruch auf häusliche Krankenpflege bestehe nur, wenn die verordnete Maßnahme nicht durch eine im Haushalt lebende Person erbracht werden könne.

Nach Angaben des Pflegedienstes sollten für den Zeitraum 04. – 17.09.2002 die Kosten für das tägliche Anlegen eines Kompressionsverbandes und Verabreichung von zwei Subcu-taninjektionen übernommen werden.

Am 19.09.2002 legte der Kläger, vertreten durch die Prozessbevollmächtigten, Wider-spruch ein. Nach den Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Verordnung häuslicher Krankenpflege sei unter Ziffer 23 festgelegt: "Die Kran-kenkasse übernimmt bis zur Entscheidung über die Genehmigung die Kosten für die vom Vertragsarzt verordneten und vom Pflegedienst erbrachten Leistungen entsprechend der vereinbarten Vergütung nach § 132 a Abs. 2 SGB V, wenn die Verordnung spätestens am 2., der Ausstellung folgenden Arbeitstag der Krankenkasse vorgelegt wird." Vorbehaltlich einer späteren Genehmigung der verordneten Leistungen habe die Beklagte die Kosten (vorläufig) zu übernehmen.

Durch Bescheid vom 29.10.2002 half die Beklagte dem Bescheid vom 02.09.2002 insoweit ab, als sie die Kosten der häuslichen Krankenpflege vom 30.08.2002 bis 03.09.2002 über-nahm. Ab 04.09.2002 liege bereits eine Bewilligung vor.

Daraufhin übersandte der Prozessbevollmächtigte des Klägers seine Kostennote vom 01.11.2002. Diese weist aus: Abrechnung nach Abhilfe im Widerspruchsverfahren Analog § 116 Abs. 1 BRAGO (2/3 der Mittelgebühr) 236,67 EUR Entgelt für Post- und Telekommunikationsdienstleistung gem. § 26 BRAGO (pauschal) 20,00 EUR Zwischensumme: 256,67 EUR 16 % Umsatzsteuer gem. § 25 Abs. 2 BRAGO 41,07 EUR Endsumme: 297,74 EUR

Mit Bescheid vom 04.12.2002, dem keine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt gewesen war, erklärte sich die Beklagte lediglich bereit, insgesamt 20,46 EUR zu erstatten. Hierfür setzte sie an: Mindestgebühr gem. § 116 Abs. 1 Nr. 46,02 EUR Auslagen gem. § 26 BRAGO 6,90 EUR Zwischensumme 52,92 EUR Mehrwertsteuer gem. § 25 BRAGO 8,47 EUR Endsumme 61,39 EUR 1/3 der Gebühren 20,46 EUR Sie sei nur bereit, 1/3 der Anwaltsgebühren zu übernehmen. Der Widerspruch beziehe sich lediglich auf den Zeitraum 30.08. bis 12.09.2002. Da sie ab 04.09.2002 die beantragten Leistungen bereits genehmigt habe, sei lediglich der Zeitraum 30.08. bis 03.09.2002 strei-tig gewesen. Dem Widerspruch sei somit nur teilweise abzuhelfen. Die anwaltliche Tätig-keit habe sich lediglich auf die Einlegung des Widerspruchs bezogen. Eine spezielle Einar-beitung in die Angelegenheit und die Materie sei nicht erforderlich gewesen, weil die An-waltskanzlei zahlreiche sozialrechtliche Verfahren im Rahmen der häuslichen Kranken-pflege betreut habe.

Hiergegen legte der Kläger am 27.12.2002 erneut Widerspruch ein. Der vorliegende Fall sei von Umfang und Schwierigkeitsgrad her zumindest als durchschnittlich einzustufen, weshalb die beantragte 2/3 Mittelgebühr keinesfalls unbillig sei. Der Widerspruch sei aus-führlich begründet worden. Es könne keine Rolle spielen, ob sich die Sozietät auf eine Vielzahl ähnlich gelagerter sozialrechtlicher Fälle spezialisiert habe.

Durch Widerspruchsbescheid vom 13.03.2003 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Es sei die Mindestgebühr in Ansatz zu bringen, die wegen Teilabhilfe um 2/3 zu kürzen sei. Der Rechtsanwalt habe lediglich einen Widerspruchsschriftsatz fertigen müssen, der keine rechtlich schwierigen oder tiefgründigen Probleme beinhaltet habe.

Der Kläger hat deswegen unter Wiederholung seines Vorbringens aus dem Widerspruch am 10.04.2003 Klage zum Sozialgericht Leipzig erhoben.

Er beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin in Abänderung des Kostenbescheids der Beklagten vom 04.12.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.03.2003 weitere 277,28 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 02.11.2002 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Aktenin-halt, eine Gerichtsakte sowie ein Verwaltungsvorgang der Beklagten, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht entscheidet durch Gerichtsbescheid, denn die Sache weist keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art auf, und der Sachverhalt ist geklärt; die Beteiligten sind hierzu vorher angehört worden (§ 105 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)). Dieser Gerichtsbescheid wirkt gem. § 105 Abs. 3 SGG als Urteil.

Die zulässige Klage ist im tenorierten Umfang begründet. Der Bescheid vom 04.12.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.03.2003 ist rechtlich teilweise zu beanstan-den. Der Kläger wird hierdurch in eigenen Rechten verletzt, weil sich der Ansatz der Min-destgebühr für den Kostenerstattungsanspruch seiner Prozessbevollmächtigten als rechts-widrig erweist.

Maßgebend für das streitgegenständliche Verfahren ist noch die Bundesrechtsanwaltsge-bührenordnung (BRAGO), da die Prozessbevollmächtigten vor Inkrafttreten des Rechts-anwaltsvergütungsgesetzes (RVG) beauftragt worden sind (vgl. §§ 60 f). Nach der Ent-scheidung des Bundessozialgerichts mit Urteil vom 07.12.1983 (Az: 9 a RVs 5/82) ist im Vorverfahren in der Regel von 2/3 der im gerichtlichen Verfahren vor dem Sozialgericht anfallenden Rahmengebühr auszugehen. Die Rahmengebühr nach § 116 Abs. 1 BRAGO gilt immer dann, wenn Besonderheiten, die zur Anwendung des § 116 Abs. 2 BRAGO führen, nicht vorliegen.

Besonderheiten bestehen hier nicht. Für die Anwendung der Rahmengebühr nach § 116 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BRAGO wird somit nicht auf die vollen Werte zurückgegriffen, son-dern es kommt lediglich eine Gebühr in Höhe von 2/3 zur Anwendung, d.h. der Gebühren-rahmen bestimmt sich aus dem Wert von 2/3 des Mindestwertes und des Höchstwertes. Gem. § 12 Abs. 1 BRAGO ist die Bestimmung der im Einzelfall angemessenen Gebühr grundsätzlich dem billigen Ermessen des Rechtsanwalts überlassen, wobei grundsätzlich von der Mittelgebühr auszugehen ist. Für ein Durchschnittsverfahren darf über die Mittel-gebühr nicht hinausgegangen werden.

Von einem durchschnittlichen Verfahren war weder von der Bedeutung noch vom Umfang der Sache her auszugehen, so dass sich die Kostennote i.H.v. 2/3 der Mittelgebühr als un-zutreffend erweist. Nach der Rechtsprechung des BSG, der die erkennende Kammer folgt, ist die Bestimmung der Gebühr durch den Rechtsanwalt nicht verbindlich, soweit sie unbillig ist. Die Beklagte ist vorliegend zu Recht von einer Unbilligkeit ausgegangen, weil die Gebührenbestimmung nicht angemessen ist. Die Beklagte hat aus dem vorgegebenen Rahmen unter Berücksichti-gung aller maßgebenden Umstände eine Gebühr zu errechnen, die angemessen, insbeson-dere ihrerseits nicht unbillig, ist. Unter Abwägung der Umstände des Falles erscheint ei-nerseits die Unterschreitung der anwaltlichen Gebührenbestimmung sachgerecht; anderer-seits ist der von der Beklagten festgesetzte Gebührenausgleich unbillig, weil die Festset-zung von lediglich 20,46 EUR der Bedeutung der Sache und dem anwaltlichen Ar-beitsaufwand nicht gerecht wird.

Der Billigkeit entspricht es, wenn der Gebührenanspruch des Rechtsanwalts auf 1/3 von 2/3 der Mittelgebühr begrenzt wird. Der Gebührenrahmen im sozialgerichtlichen Verfah-ren erster Instanz betrug 50 bis 660 EUR (§ 116 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BRAGO). 2/3 der Mittelgebühr von 355,00 EUR betragen – wie von den Prozessbevollmächtigten des Klä-gers zu Recht geltend gemacht – 236,67 EUR. Unter Abwägung der vorgenannten Um-stände erscheint es sachgerecht, den Prozessbevollmächtigten des Klägers hiervon 1/3 als Gebührenanspruch zuzuerkennen, d.h. 78,89 EUR.

Der Billigkeit entspricht es indes nicht, von vornherein nur ein Drittel der Mindestgebühr des § 116 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO in Ansatz zu bringen; denn – unabhängig vom Ausgang des Verwaltungsverfahrens soll die Mindestgebühr zumindest den Aufwand des Rechts-anwaltes abdecken. Dem würde aber eine Gebührenbemessung nicht entsprechen, die im Einzelfall noch unter der Ratsgebühr des § 20 BRAGO liegen könnte. Nicht sachgerecht erscheint es ferner, wie von der Beklagten vorgesehen, die Auslagenpauschale und die Mehrwertsteuer nochmals um 1/3 zu kürzen, da die Auslagen für jedes Verfahren entste-hen und von der Quotelung nicht mit umfasst werden. Gem. § 26 Satz 2 BRAGO kann der Rechtsanwalt nach seiner Wahl anstelle der tatsächlich entstandenen Kosten einen Pausch-satz fordern, der 15 v.H. der gesetzlichen Gebühren beträgt, in derselben Angelegenheit und im gerichtlichen Verfahren in demselben Rechtszug jedoch höchstens 20 EUR. Da hier 15 % des Gebührenanspruchs von 78,89 EUR 11,83 EUR betragen, wird der Höchst-Pauschsatz von 20 EUR nicht erreicht. Zuzüglich der Summe der Gebühr und des Pausch-satzes von insgesamt 90,72 EUR waren 16 % Mehrwertsteuer, d.h. 14,52 EUR zu berech-nen, so dass sich der Gebührenanspruch insgesamt auf 105,24 EUR beläuft.

Bei Abwägung der Gesamtumstände war zur Bestimmung der Billigkeit zu berücksichti-gen, dass keine erheblichen Schwierigkeiten rechtlicher Art auftraten. Es war lediglich zu prüfen, ob und in welchem Umfang die Beklagte angemessenen Hilfebedarf zu leisten hat-te. Auf tatsächlicher Seite war zu prüfen, ob eine häusliche Krankenpflege genehmigt werden kann.

Entgegen der Rechtsansicht der Beklagten kann es nicht darauf ankommen, dass die Be-klagte tatsächlich bereits eine häusliche Krankenpflege ab 04.09.2002 genehmigt hat, so dass lediglich der Zeitraum 30.08. – 03.09.20002, d.h. lediglich 5 Kalendertage, streitge-genständlich geworden seien; denn der Hausbesuch beim Kläger fand erst am 13.09.2002 statt, so dass lediglich von einer Genehmigung im Nachhinein auszugehen war. Zudem war der Rechtsanwalt bereits zuvor, d.h. am 05.09.2002, vom Kläger mit der Wahrnehmung seiner rechtlichen Interessen bevollmächtigt worden. Dass diesem die Bewilligung häusli-cher Krankenpflege bereits ab 04.09.2002 bekannt gegeben worden sein dürfte (vgl. § 37 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X)), steht nicht zur Überzeugung des Gerichtes fest. Eine Bekanntgabe dürfte vielmehr erst durch Abhilfebescheid vom 29.10.2002, d.h. ge-raume Zeit nach anwaltlicher Beauftragung und Hausbesuch, erfolgt sein. Hierfür spricht auch, dass das Widerspruchsschreiben vom 18.09.2002 eine Begrenzung auf den zunächst verordneten Zeitraum 30.08.2002 bis 12.09.2002 beinhaltet (vgl. Bl. 13 der Verwaltungs-akte). Mithin kann die Beklagte nicht damit argumentieren, dass sich wegen Teil-Abhilfe für einen Zeitraum vor Widerspruchseinlegung die Sache bereits größtenteils erledigt habe und deswegen eine Kürzung um 2/3 rechtfertige.

Zu Recht betont indes die Beklagte, dass sich der vom Prozessbevollmächtigten des Klä-gers aufgewandte Arbeitsumfang in begrenztem Rahmen hielt. Zwar weist der Prozessbe-vollmächtigte zutreffend darauf hin, dass die Zahl der anwaltlichen Schriftsätze kein Indiz für den Schwierigkeitsgrad eines Rechtsstreites sein muss; andererseits hält sich der Ar-beitsumfang um so mehr in Grenzen, je weniger Schriftsätze zu fertigen sind. Hier reichte zur tatsächlichen und rechtlichen Überprüfung lediglich eine einzige Widerspruchsbegrün-dung ohne tiefergehende rechtliche Überlegungen aus, so dass eine Kürzung der Rahmen-gebühr von 2/3 auf 1/3 hiervon sachangemessen und nicht unbillig ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechts-streits. Da dem Kläger statt der ursprünglich beantragten 297,74 EUR lediglich 105,24 EUR zugesprochen wurden, entsprach es der Billigkeit, den Erstattungsanspruch für die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens auf ein Drittel zu begrenzen. Der Zinsanspruch beruht auf §§ 288, 291 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Die Kostennote des Prozessbevollmächtigten des Klägers ist erst am 06.11.2002 bei der Beklagten eingegangen, so dass der Zinsanspruch erst von diesem Zeitpunkt an ab Fällig-keit entstehen konnte (§§ 284, 288 BGB).
Rechtskraft
Aus
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