S 3 (11) KR 107/03

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 3 (11) KR 107/03
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Kostenerstattung für eine Behandlung eines Prostatakarzinoms mittels sogenannter Brachytherapie.

Der 1946 geborene Kläger ist versicherungspflichtiges Mitglied bei der Beklagten und leidet unter einem Prostatakarzinom (cT2aNxM0, Gleason 6, PSA 6,1).

Mit Schreiben vom 22.07.2002 beantragten die Urologen Dres. O und E, Klinik S, L, bei der Beklagten für den Kläger die Kostenübernahme für die Brachytherapie (permanente Seedimplantation) des Prostatakarzinoms. Die Dres. O und E sind nicht zur vertragsärztlichen Behandlung zugelassen. Die Klinik S, L, besitzt keine Zulassung nach § 108 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V).

Am 22.07.2002 unterzeichnete der Kläger eine Honorarvereinbarung mit den Dres. O und E über die Durchführung der oben genannten Behandlung. Die ambulante Behandlung fand am 08.08.2002 statt. Hierfür wurden dem Kläger Operationskosten in Höhe von 8.539,70 EUR, Kosten der Anästhesie von 501,45 EUR sowie Nachsorgekosten in Höhe von 296,51 EUR in Rechnung gestellt.

Mit Bescheid vom 09.08.2002 lehnte die Beklagte den Antrag auf Kostenübernahme mit der Begründung ab, die Brachytherapie sei Bestandteil der vertragsärztlichen Versorgung und könne im ambulanten Bereich im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung entsprechend dem einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) abgerechnet werden. Gleiches gelte für die notwendige Anästhesie. Die Klinik S sei kein zugelassenes Krankenhaus im Sinne des § 108 SGB V. Die Beklagte bezog sich auf ein sozialmedizinisches Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenkasse (MDK) vom 31.07.2002, wonach für die beantragte Brachytherapie keine medizinische Notwendigkeit vorliegen würde.

Hiergegen hat der Kläger Widerspruch eingelegt. Dieser wurde durch Dr. T vom Zentrum für Brachytherapie der Klinik S für den Kläger begründet. Dr. T führte aus, dass die Brachytherapie im Bereich der ambulanten Versorgung über die EBM-Ziffern nicht möglich sei. Die Behandlungsmethode sei wirtschaftlicher und günstiger als die alternativ vorzunehmenden operativen Behandlungen mit stationärem Krankenhausaufenthalt.

Die Beklagte hörte nochmals den MDK zur Widerspruchsbegründung an. Dieser führte in seinem Gutachten vom 04.12.2002 aus, dass die Indikation für die Anwendung der Brachytherapie beim Kläger vorliegen würde. Es handele sich jedoch um eine vertragsärztliche Leistung, die grundsätzlich im vertragsärztlichen Bereich zu erbringen sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 30.04.2003 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Die Beklagte führte ergänzend aus, dass für die Wirksamkeit der begehrten Behandlung keine ausreichenden Nachweise vorliegen würden. Im Übrigen habe der Kläger den Beschaffungsweg nicht eingehalten.

Am 22.05.2003 hat der Kläger Klage erhoben. Er führt zur Begründung aus, dass eine Vielzahl anderer Krankenkassen die Kosten für die Brachytherapie übernommen hätten. Sein behandelnder Arzt habe ihn darüber aufgeklärt, dass die Behandlung dringend sei. Er habe die Beklagte rechtzeitig vor Durchführung der Operation informiert. Bereits am 31.07.2002 habe ein ablehnendes Gutachten des MDK vorgelegen. Auf die endgültige Ablehnung der beantragten Kostenübernahme habe er deshalb nicht warten können.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 09.08.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.04.2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an ihn 9.337,66 EUR nebst 5 % Zinsen über den Basiszinssatz seit dem 09.08.2002 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bezieht sich zur Begründung auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen. Die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten waren Gegenstand der Beratung.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da sich die Beteiligten damit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 09.08.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.04.2003 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Kostenerstattungsanspruch für die ambulante Behandlung seines Prostatakarzinoms mittels Brachytherapie.

Gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V hat der Kläger nur Anspruch auf Gewährung von Sach- und Dienstleistungen durch die Beklagte. Die zu gewährenden Sachleistungen werden von der Beklagten über durch Verträge gebundene Leistungserbringer erbracht (§ 2 Abs. 2 Satz 2 SGB V). Nach § 13 Abs. 1 SGB V darf die Beklagte anstelle der Sach- oder Dienstleistungen Kosten nur dann erstatten, soweit dies im SGB V oder im Sozialgesetzbuch Neuntes Buch vorgesehen ist. Anspruchsgrundlage für die Kostenerstattung könnte nur § 13 Abs. 3 SGB V sein. Danach hat die Krankenkasse einem Versicherten für selbstbeschaffte Leistungen Kosten in der entstandenen Höhe zu erstatten, sowie diese Leistungen notwendig waren und die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbracht oder die Leistung zu Unrecht abgelehnt hat. Diese Kostenerstattungsregelung ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) umfassend und abschließend (vgl. BSGE 73, 271 ff.).

Die Voraussetzung für eine Kostenerstattung liegen hier jedoch nicht vor.

Die Beklagte hat keine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbracht. Die Kostenerstattungspflicht bei Selbstbeschaffung von Leistungen ist auf Notfälle im Sinne des § 76 Abs. 1 SGB V beschränkt. Ein solcher Notfall kann jedoch nur dann angenommen werden, wenn es dem Versicherten unmöglich oder zumindestens unzumutbar ist, sich vor der Leistungsbeschaffung mit der Krankenkasse in Verbindung zu setzen (vgl. BSG SozR 3-2500 § 13 Nr. 22). Ein medizinischer Notfall in dem Sinne, dass unmittelbare Gefahr für Leib oder Leben des Versicherten bestand, liegt hier nicht vor. Zwar handelt es sich bei der beim Kläger diagnostizierten Prostatakrebserkrankung um eine ernsthafte Gesundheitsstörung, die zeitnah einer adäquaten Behandlung zuzuführen ist. Anhaltspunkte für die Unaufschiebbarkeit der Behandlung des Prostatakarzinoms durch die Dres. O und E konnte die Kammer nicht erkennen. Es liegt auch keine Versorgungslücke im System der gesetzlichen Krankenversicherung vor. Nach der Rechtsprechung des BSG liegen Systemstörungen bzw. Versorgungslücken dann vor, wenn die Behandlung durch einen Vertragsarzt nicht möglich oder nicht zumutbar und der Versicherte daher auf die Hilfe eines Nicht-Vertragsarztes angewiesen ist (BSGE 34, 172). Hierunter sind insbesondere Notfälle zu subsumieren, in denen es dem Versicherten alleine aus zeitlichen Gründen nicht möglich war, eine vertragsärztliche Behandlung in Anspruch zu nehmen und er daher auf die privatärztliche Versorgung angewiesen war. Eine Systemstörung kann auch vorliegen, wenn dem Versicherten keine Behandlungsalternative, die dem Leistungssystem der gesetzlichen Krankenversicherung entspricht, zur Verfügung steht (BSGE 53, 144). Im vorliegenden Fall hat die Beklagte zu Recht darauf hingewiesen, dass die Behandlung des Prostatakarzinoms mittels Brachytherapie auch durch Vertragsärzte hätte erfolgen können. Der Kläger war deshalb nicht zwingend darauf angewiesen, sich in die Behandlung der Dres. O und E zu begeben. Die Annahme einer Systemstörung im Sinne der oben angeführten Rechtsprechung ist deshalb nicht gerechtfertigt. Daran ändert auch nichts, dass die Therapie im ambulanten Bereich derzeit nicht kostendeckend abgerechnet werden kann (vgl. SG Köln, Urteil vom 29.12.2002, S 26 (9) KR 9/01).

Die Beklagte hat die Leistung auch nicht im Sinne des § 13 Abs. 3 Satz 1 2. Alternative SGB V zu Unrecht verweigert. Diese Fallgruppe setzt zunächst eine ablehnende Entscheidung der Krankenkasse voraus. Hat der Krankenversicherungsträger einem Antrag des Versicherten auf Gewährung einer Sachleistung zu Unrecht nicht entsprochen, so kann sich dieser die Leistung selbst beschaffen und Kostenerstattung verlangen (BSG SozR 2200 § 194 Nr. 5). Haftungsbegründendes Tatbestandsmerkmal ist somit der Kausalzusammenhang, d.h. es kommt auf den ursächlichen Zusammenhang zwischen Ablehnung und eingeschlagenem Beschaffungsweg an (BSG SozR 3-2500 § 13 Nr. 10). Die Kosten dürfen daher erst nach Ablehnung durch die Krankenkasse entstanden sein (BSG SozR 3-2500 § 31 Nr. 15). Der Versicherte muss sich deshalb vor jeder Therapieentscheidung in zumutbarem Umfang um die Gewährung der Behandlung als Sachleistung bemühen, d.h. muss vor Behandlungsbeginn mit der Krankenkasse Kontakt aufgenommen und deren Entscheidung abgewartet haben. An der Einhaltung des Beschaffungsweges fehlt es vorliegend. Der Kläger hat die Entscheidung der Beklagten über seinen Kostenübernahmeantrag nicht abgewartet, sondern hat sich bereits am 08.08.2002 in die Behandlung der Klinik S begeben. Zu diesem Zeitpunkt hatte er noch keine Kenntnis darüber, dass die Beklagte den Kostenübernahmeantrag ablehnen wird. Seine Behauptung, er habe sich bereits vor dem Operationstermin telefonisch mit der Beklagten in Verbindung gesetzt, hat er im laufenden Verfahren nicht mehr aufrecht erhalten. Die Nichteinhaltung des Beschaffungsweges führt dazu, dass ein Kostenerstattungsanspruch nicht besteht.

Unabhängig von den vorstehenden Überlegungen spricht gegen einen Anspruch des Klägers auf Kostenerstattung, dass die behandelnden Ärzte keine formelle Zulassung zur Abrechnung ambulanter Maßnahmen in der Strahlentherapie nach § 135 Abs. 2 SGB V beantragt haben. Die Klinik S besitzt keine Zulassung als Krankenhaus im Sinne des § 108 SGB V. Im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung dürfen die Krankenkassen nur die Kosten erstatten, die durch die Inanspruchnahme von Ärzten entstanden sind, die zur Erbringung der Sachleistung auch berechtigt gewesen sind (BSG SozR 3-2500 § 13 Nr. 2). Wie bereits ausgeführt, war eine vertragsärztliche Versorgung des Prostatakarzinoms mittels Brachytherapie grundsätzlich möglich.

Unerheblich ist schließlich der Hinweis des Klägers, andere gesetzliche Krankenkassen würden in gleichgelagerten Fällen die Kosten ihrer Versicherten übernehmen. Es gibt keine Gleichheit im Unrecht und damit keinen Anspruch auf fehlerhafte Wiederholung der Rechtsanwendung. Die Berufung auf rechtwidrige Parallelfälle ist irrelevant (BSG SozR 3-2500 § 30 Nr. 5 sowie SozR 3-2200 § 321 Nr. 1).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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