L 6 AL 259/00

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 11 AL 506/98
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 AL 259/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Höhe einer (titulierten) Unterhaltsverpflichtung ist zwar Ausgangspunkt, aber nicht Maßstab der Angemessenheit einer Abzweigung.
Dem Leistungsträger steht ein Beurteilungsermessen zu, nach welchem pauschalierten Verfahren er die angemessene Höhe bestimmt. Ähnlich der Vollstreckung eines Unterhaltstitels ist bei der Abzweigung nach § 48 SGB 1 in einem zweiten Schritt zu prüfen, wie hoch der dem Leistungsbezieher zu belassende Anteil der Leistung ist. Der dem Leistungsempfänger nach Abzweigung verbleibende Anteil kann nach der Düsseldorfer Tabelle (Selbstbehalt), den entsprechenden Richtlinien des zuständigen Oberlandesgerichts, dem doppelten Eckregelsatz der Sozialhilfe oder der Anlage zu § 850c ZPO pauschaliert errechnet werden. Dabei kann der Leistungsträger noch einen Sicherheitszuschlag (ca. 10%) hinzurechnen. Bei Glaubhaftmachung eines besonderen Bedarfs (etwa wegen hoher Miete) ist dieser vom Leistungsträger zu berücksichtigen (vergleichbar § 850f ZPO)
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 20. Januar 2000 geändert. Die Bescheide der Beklagten vom 22. Januar 1998, 28. April 1998, 28. Juli 1998, 30. September 1998, 13. Januar 1999, 15. Februar 1999, 23. Februar 1999, 13. September 1999, 8. Oktober 1999, 15. November 1999 und vom 12. Januar 2000 werden ebenfalls geändert. Die Beklagte wird verurteilt, über die Abzweigung hinsichtlich der Zeit ab 1. Januar 1998 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden. Im übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

II. Die Beklagte hat die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Klägers für die erste Instanz sowie die außergerichtlichen Kosten des Klägers für die zweite Instanz zu erstatten. Im übrigen haben die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Es geht in dem Rechtsstreit um die Abzweigung zugunsten des Beigeladenen aus dem Anspruch des Klägers auf Arbeitslosenhilfe ab 1. Januar 1998 bzw. aus dem Anspruch des Klägers auf Unterhaltsgeld vom 15. Februar bis 14. Oktober 1999. Der 1944 geborene Kläger bezieht seit mehreren Jahren Leistungen der Beklagten. Er ist Vater des nichtehelichen Kindes D. A. (geboren 10.10.1984). Durch den Beschluss des Amtsgerichts Eschwege vom 1. September 1992 (2 H 196/92 - vollstreckbare Ausfertigung vom 10.9.1992) wurde der vom Kläger monatlich im voraus zu entrichtende Regelunterhalt u.a. für die Zeit vom 10. Oktober 1996 bis zum 9. Oktober 2002 auf DM 383.- festgesetzt. Der Kläger ist ferner Vater des ehelichen Kindes J. A. (geboren 1.1.1989). Bereits im März 1996 beantragte der Beigeladene als Pfleger des Kindes D. die Auszahlung eines angemessenen Teils der von der Beklagten zu erbringenden Leistung, da der Kläger seiner Unterhaltspflicht nicht nachkomme. Mit Bescheid vom 15. April 1996 (nicht streitbefangen) zweigte die Beklagte zugunsten des Beigeladenen DM 73,38 wöchentlich ab. Im Widerspruch wies der Kläger darauf hin, dass die Abzweigung für ihn und seine Familie finanziell nicht zu verkraften sei und sie die Miete nicht mehr bezahlen könnten. Die Räumung drohe. Mit Widerspruchsbescheid vom 3. Juni 1996 wies die Beklagte den Widerspruch zurück im wesentlichen mit der Begründung, durch den rechtskräftigen Beschluss des Amtsgerichts Eschwege vom 1. September 1992 stehe fest, dass eine Unterhaltspflicht des Klägers bestehe. Da der Kläger auch zum Zeitpunkt des Titels (September 1992) Arbeitslosenhilfe bezogen habe (DM 284,40 wöchentlich) und sich seine Einkommensverhältnisse (derzeit wöchentlich DM 331,20) nicht verschlechtert hätten, läge keine Härte vor. Die Orientierung an dem genannten Beschluss lasse keinen Ermessensfehler erkennen. Der Widerspruchsbescheid wurde durch Niederlegung am 4. Juni 1996 zugestellt. Eine rechtsanwaltliche Intervention vom 20. August 1996 wurde nach Hinweis der Beklagten auf die eingetretene Bestandskraft nicht weiterverfolgt. Mit Schreiben vom 4. April 1997 beantragte der Werra-Meissner-Kreis die Abzweigung eines angemessenen Teils zugunsten des Kindes J., der monatliche Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz (UVG) in Höhe von DM 314.- erhalte. Der Anspruch war nicht tituliert. Die Beklagte lehnte dies mit Bescheid vom 15. April 1997 ab, da die dem Leistungsempfänger zustehende wöchentliche Leistung nur zur Deckung des eigenen Unterhaltes ausreiche. (Bei der Berechnung legte die Beklagte eine monatliche Leistung in Höhe von DM 1.388,40 zugrunde, setzte davon einen Freibetrag in Höhe von DM 1.300.- ab, errechnete als Teilungsmasse DM 88,40 und zog davon den titulierten Anspruch ab.) Mit Pfändungs- und Überweisungsverfügung vom 21. November 1997 pfändete der Werra-Meissner-Kreis den Anspruch des Klägers auf Arbeitslosenhilfe gegen den Beklagten wegen eines nicht näher bezeichneten Rückstandes in Höhe von DM 1.200.- zuzüglich DM 74,70 Kosten. Die Beklagte teilte mit, dass sie zwar die Forderung anerkenne, jedoch zur Zahlung nicht bereit sei, da die Höhe der Geldleistung den unpfändbaren Betrag nicht übersteige.

Mit Bescheid vom 14. Januar 1998 bewilligte die Beklagte dem Kläger Arbeitslosenhilfe ab 1. Januar 1998 in Höhe von DM 318,64 wöchentlich (Bemessungsentgelt DM 730.-, Leistungsgruppe C, Kindermerkmal 1) unter Berücksichtigung der bisherigen Lohnsteuerklasse 3 und eines Abzweigungsbetrages in Höhe von DM 73,36. Mit Schreiben vom 19. Januar 1998 forderte die Beklagte den Kläger auf, wegen der erfolgten Trennung die geänderte Lohnsteuerkarte 1998 vorzulegen. Die Lohnsteuerkarte 1998 des Klägers enthielt die Lohnsteuerklasse 1. Mit Bescheid vom 22. Januar 1998 setzte die Beklagte den wöchentlichen Leistungsbetrag für die Zeit ab 1. Januar 1998 auf DM 261,52 herab unter Berücksichtigung der Leistungsgruppe A und einer wöchentlichen Abzweigung in Höhe von DM 73,36. Mit Schreiben vom 28. Januar 1998 (Zugang bei der Beklagten 30. Januar 1998) legte der Kläger Widerspruch gegen den Bescheid vom 22. Januar 1998 ein, mit dem er beanstandete, dass trotz einer 10%-igen Reduzierung des Einkommens wegen der geänderten Steuerklasse immer noch ein wöchentlicher Betrag in Höhe von DM 73,36 abgezweigt werde. Ihm verbleibe ein monatlicher Betrag in Höhe von DM 815,36, von dem er u.a. die Miete in Höhe von DM 450.- zuzüglich Strom und Heizung bezahlen müsse. Es sei ein Verfahren zur Abänderung des Unterhaltstitels eingeleitet. Mit Widerspruchsbescheid vom 4. März 1998 wies die Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 14. Januar 1998 mit der Begründung zurück, die Abzweigung greife nicht unbillig in die Anspruchsberechtigung des Klägers ein, denn sie orientiere sich an dem rechtskräftigen Beschluss des Amtsgerichts Eschwege vom 1. September 1992. In einem solchen Fall habe das Arbeitsamt nicht mehr zu prüfen, ob eine Unterhaltsverpflichtung des Klägers bestehe, sondern die im Titel getroffene Feststellung zu Grund und Höhe des Unterhaltsanspruchs zugrunde zu legen. Im Zeitpunkt des Zustandekommens des Unterhaltstitels im September 1992 habe der Kläger wöchentlich DM 284,40 Arbeitslosenhilfe bezogen, so dass sich seine Einkommensverhältnisse (derzeit DM 261,52) nicht gravierend (um wenigstens 10%) verschlechtert hätten. Das eheliche Kind J.-F. A. sei 1989 geboren, so dass der Beschluss des Amtsgerichts aus 1992 diesem Umstand bereits Rechnung trage. Mit Schreiben vom 27. April 1998 teilte die Beklagte dem Beigeladenen mit, dass die Abzweigungsbeträge ab 1. Mai 1998 wegen des eingelegten Widerspruchs vorerst nicht mehr an den Beigeladenen ausgezahlt sondern nur noch einbehalten würden. Folgende weitere Daten und Bescheide, die eine vom Kläger bekämpfte Abzweigungsentscheidung enthalten, sind aus den Akten bzw. den Zahlungsnachweisen zu entnehmen und mit den Beteiligten als streitgegenständlich abgestimmt: 28.4.1998 - ab 1.5.1998 - bisheriger Zahlbetrag, 28.7.1998 - ab 1.7.1998 - DM 259,21 (niedrigeres Bemessungsentgelt DM 720.-), 30.9.1998- ab 1.10.1998 - Weiterbewilligung für 1 Jahr, 13.1.1999- ab 1.1.1999 - DM 262,01 - Leistungs-VO 1999, 15.2.1999 - Aufhebung Arbeitslosenhilfe ab 15.2.1999 wegen Abmeldung aus dem Leistungsbezug, 23.2.1999- ab 15.2.1999 - DM 308.- Unterhaltsgeld, 13.9.1999- ab 9.7.1999 - DM 310,66 - Bemessungsentgelt DM 730.- - AUHG - Anspruch erschöpft ab 7. Oktober 1999, 8.10.1999 - Arbeitslosenhilfe ab 7.10.1999 15.11.1999 - Arbeitslosenhilfe ab 15.10.1999 - Bemessungsentgelt DM 710.- - DM 259,70 , Widerspruch 30. November 1999 12.1.2000 - Arbeitslosenhilfe ab 1.1.2000 DM 266,07 - Bemessungsentgelt 710.- - Leistungs-VO 2000. Bescheide, die sich mit der sporadischen Anrechnung von Nebeneinkommen beschäftigten, werden hier (da nicht einschlägig) nicht aufgeführt und nicht berücksichtigt.

Am 7. Dezember 1999 beantragte der Beigeladene erneut die Abzweigung unter Hinweis auf den Beschluss des Amtsgerichts Eschwege vom 1. September 1992. Am 21. Januar 2000 beantragte der Werra-Meissner-Kreis (Sozialamt) eine Abzweigung zugunsten der getrenntlebenden Ehefrau und des Kindes J. des Klägers, die vom Sozialamt unterstützt würden. Mit Bescheid vom 25. Januar 2000 lehnte die Beklagte den Antrag ab, da der Kläger die laufende Geldleistung zur Bestreitung des eigenen Lebensunterhaltes benötige. Am 6. April 1998 hat der Kläger gegen den Bescheid vom 22. Januar 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. März 1998 Klage erhoben. Der Kläger hat vorgetragen, 1995 habe die Beklagte eine Abzweigung in Höhe von DM 11,94 wöchentlich vorgenommen. Ausgehend von dem damaligen monatlichen Leistungsbezug von DM 1.318,20 seien ihm damit DM 1.266,46 verblieben gegenüber jetzt nur noch DM 825.- Die seit 1996 veranlasste Abzweigung in voller Höhe sei nicht gerechtfertigt. Auch habe sich das laut Beschluss des Amtsgerichts Eschwege anzurechnende Kindergeld um 110.- DM erhöht. Soweit die Beklagte mit Bescheid vom 28. April 1998 ab 1. Mai 1998 keinen Abzweigungsbetrag mehr ausweise, habe sie die Klageforderung wohl anerkannt. Die Angemessenheit der Abzweigung müsse im Lichte der Pfändung von Arbeitseinkommen erörtert werden. Dort werde ein pfändungsfreier Betrag in Höhe von DM 1.500.- monatlich berücksichtigt. Es möge noch angehen, entsprechend der Rechtsprechung des OLG Düsseldorf bei arbeitslosen Unterhaltsverpflichteten einen geringeren Selbstbehalt in Höhe von nur DM 1.350.- zu berücksichtigen. Eine weitergehende Abzweigung sei jedenfalls unzulässig.

Mit Urteil vom 20. Januar 2000 hat das Sozialgericht Kassel antragsgemäß den Bescheid vom 14. Januar 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. März 1998 "und alle nachfolgenden Bewilligungsbescheide" abgeändert und die Beklagte verurteilt, bei der Höhe der Abzweigung einen monatlichen Selbstbehalt in Höhe von DM 1.300.- zu berücksichtigen. Die Beklagte habe für die Zeit ab 1. Januar 1998 die Abzweigung nicht in angemessener Höhe vorgenommen, § 48 Abs. 1 Sozialgesetzbuch erstes Buch (SGB 1). An der grundsätzlichen Unterhaltspflicht des Klägers gegenüber seinem Sohn D. gebe es ausweislich des Beschlusses des Amtsgerichts Eschwege vom 1. September 1992 keine Zweifel. Nach Angaben des Klägers sei dieser Beschluss bisher auch nicht abgeändert worden. Die Beklagte habe sich an dem festgesetzten Betrag orientiert und keine eigene Überprüfung hinsichtlich der Angemessenheit dieses Betrages vorgenommen. Soweit sich die Beklagte auf eine Weisung des Bundesarbeitsministeriums berufe, entspreche diese nicht den gesetzlichen Vorgaben. Es liege eine fehlerhafte Ermessenentscheidung vor, wenn die Beklagte sich grundsätzlich bei der Festsetzung der Abzweigungsbeträge an den unterhaltsrechtlichen Richtlinien der Düsseldorfer Tabelle orientiere, bei gerichtlichen Unterhaltsentscheidungen jedoch nur diese zugrundelege. Nach der Düsseldorfer Tabelle betrage der monatliche Selbstbehalt für nicht erwerbstätige Unterhaltspflichtige bis dato DM 1.300.-. Dieser Betrag müsse auch bei dem Kläger berücksichtigt werden, so dass lediglich für die Zeit vom 15. Februar bis 14. Oktober 1999 eine Abzweigung für den darüber hinausgehenden Betrag möglich sei. (wird ausgeführt) Gegen das am 3. Februar 2000 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 25. Februar 2000 Berufung eingelegt. Die Beklagte trägt vor, im Rahmen der Ermessensausübung nach § 48 SGB 1 komme allen vollstreckungsfähigen, rechtskräftigen Unterhaltstiteln eine Indizwirkung insofern zu, als das Arbeitsamt den Betrag abzuzweigen habe, der im Titel als Unterhaltsbetrag festgelegt sei. Dies gelte nicht, wenn bekannt werde, dass sich die wirtschaftlichen Verhältnisse signifikant geändert hätten. Als Maßstab gelte nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung eine Einkommensabweichung von 10%. Dies sei im vorliegenden Fall jedoch nicht gegeben.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichtes Kassel vom 20. Januar 2000 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen mit der Maßgabe, dass die Beklagte verurteilt wird, über die Abzweigung hinsichtlich der Zeit ab 1. Januar 1998 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

Der Kläger hat in der Berufungsinstanz das Klageziel dahin eingeschränkt, dass er neben der Änderung der angefochtenen Bescheide nur noch eine Verurteilung der Beklagten zur Neubescheidung begehrt. Der Kläger trägt vor, die Auffassung der Beklagten werde deren Verpflichtung nicht gerecht, im Einzelfall eine Prüfung der Angemessenheit der Höhe des abzuzweigenden Betrages auszuüben. Dies ergebe sich auch aus der Bescheidung des Abzweigungsantrages des Beigeladenen aus den Jahren 1992 bis 1995. Dort habe die Beklagte, obwohl keine 10%-ige Einkommensabweichung vorgelegen habe, eine Angemessenheitsprüfung durchgeführt und nur Beträge zwischen DM 7,02 und DM 10.- abgezweigt. Der Begriff der Angemessenheit erfordere aber eine Berücksichtigung und Ausgleichung der Interessen des Unterhaltsverpflichteten und des Unterhaltsberechtigten. Dazu zähle auch eine Prüfung der wirtschaftlichen Situation und Lebensverhältnisse des Klägers. Es sei offensichtlich, dass er von dem Auszahlungsbetrag nur in Höhe von DM 800.- seinen Lebensunterhalt nicht bestreiten könne. Die Beklagte verstoße gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung, wenn sie anders als bei ihm in Fällen ohne Unterhaltstitel den Selbstbehalt der Düsseldorfer Tabelle berücksichtige. Auch die Gerichte trügen im Fall des Erlasses eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses hinsichtlich der zu berücksichtigenden Pfändungsfreigrenze einen dem Selbstbehalt entsprechenden Betrag ein.

Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung, § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG), ist zulässig. Sie ist auch teilweise begründet dergestalt, dass die Verurteilung der Beklagten zur Berücksichtigung eines festen Selbstbehaltes des Klägers in Höhe von DM 1.300.- abzuändern war und die Beklagte lediglich zur Neubescheidung unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts zu verurteilen war. Streitgegenstand waren dabei nicht nur der Bescheid vom 14. Januar 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. März 1998, sondern auch die Bescheide vom 22. Januar 1998, vom 28. April 1998, vom 28. Juli 1998, vom 30. September 1998, vom 13. Januar 1999, vom 15. Februar 1999, vom 23. Februar 1999, vom 13. September 1999, vom 8. Oktober 1999, vom 15. November 1999 und vom 12. Januar 2000, da sie jeweils einen Verfügungssatz hinsichtlich der streitbefangenen Höhe der Abzweigung enthielten bzw. sich zusammen mit dem späteren Einbehalt (ohne Abführung an den Beigeladenen) der streitbefangenen Abzweigung die Beschwer des Klägers aus der fehlenden vollständigen Auszahlung des festgestellten Anspruchs auf Arbeitslosenhilfe bzw. Unterhaltsgeld ergibt. Soweit das Sozialgericht im Tenor die Bezeichnung "und alle nachfolgenden Bewilligungsbescheide" verwendet hatte, reichte dies zur Konkretisierung des Streitgegenstandes nicht aus. Es ist nicht zu beanstanden, dass die Beklagte die Abzweigung zugunsten des Beigeladenen durchgeführt hat, da diese für den Unterhalt des Sohnes D. des Klägers eingetreten ist, § 48 Abs. 1 Satz 4 SGB 1.

Die jeweiligen Abzweigungsentscheidungen bzw. Einbehaltungen der Beklagten in den genannten Bescheiden sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten, § 48 Abs. 1 SGB 1. Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB 1 können laufende Geldleistungen, die der Sicherung des Lebensunterhaltes zu dienen bestimmt sind - wie in vorliegendem Fall die Arbeitslosenhilfe und das Unterhaltsgeld - in angemessener Höhe an den Ehegatten oder die Kinder des Leistungsberechtigten ausgezahlt werden, wenn er ihnen gegenüber seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht nachkommt. Der Kläger ist seiner Unterhaltsverpflichtung gegenüber seinem Kind D. nicht nachgekommen. Für die Feststellung dieser Voraussetzung hat die Beklagte zu Recht auf den von dem Beigeladenen vorgelegten Unterhaltstitel (Beschluss des Amtsgerichts Eschwege vom 1. September 1992 - 2 H 196/92) verwiesen, sowie auf die eigene Erklärung des Klägers, dass er die entsprechenden Unterhaltsleistungen nicht erbracht habe. Der Kläger ist aber auch seiner Unterhaltsverpflichtung gegenüber seinem anderen Kind J. und der getrennt-ebenden Ehefrau nicht nachgekommen, wie sich aus den Schreiben des Werra-Meissner-Kreises vom 4. April 1997 und vom 21. Januar 2000 und aus den erbrachten Sozialhilfeleistungen ergibt. Entgegen der Handhabung der Beklagten stehen minderjährige unverheiratete Kinder sowie die Ehefrau in gleicher Rangfolge hinsichtlich der Unterhaltsberechtigung, § 1609 BGB. Die Bevorzugung des Beigeladenen (mit dem titulierten Anspruch des einen Kindes) gegenüber dem anderen Kind und der Ehefrau ist damit rechtswidrig (vgl. Urteil des BSG vom 18.8.1983 - 7 RAr 101/81 = BSGE 55, 245). Bei der Neubescheidung wird die Beklagte die geltend gemachten Ansprüche der beiden Kinder gleichrangig zu berücksichtigen haben, ferner die Ansprüche der Ehefrau, jedenfalls für die Zeiten, zu denen die Ehe noch bestanden hat, soweit ein abzuzweigender Betrag verbleibt. Zugunsten einer geschiedenen Ehefrau findet eine Abzweigung nach § 48 Abs. 1 SGB 1 nicht statt. Bei Feststellung der "angemessenen Höhe" hat die Beklagte den ihr zustehenden Beurteilungsspielraum (vgl. Urteil des BSG vom 18. August 1983, s.o.) nicht ausgeschöpft. Sie hält sich vielmehr bei Vorliegen eines Unterhaltstitels dem Grunde nach für verpflichtet, den dort festgesetzten Betrag ohne weitere Prüfung der Angemessenheit an den Unterhaltsgläubiger abzuzweigen. Dabei übersieht die Beklagte, dass selbst ein zeitnaher und streitig aus geurteilter Unterhaltstitel hinsichtlich der tatsächlichen Leistungsfähigkeit des Unterhaltsverpflichteten (im Sinne einer erfolgreichen Vollstreckbarkeit) nur von beschränkter Aussagekraft ist. Dies hat seine Grundlage in Besonderheiten des Unterhaltsrechts. Dort können bei bestimmten Voraussetzungen auch fiktive Einkünfte des Unterhaltsverpflichteten berücksichtigt werden, wenn dieser z.B. zumutbare Arbeitsleistungen unterlässt, den Arbeitsplatzverlust leichtfertig verursacht, den Beruf wechselt, sich selbständig macht, eine Ausbildung aufnimmt oder auch einen zumutbaren Ortswechsel unterlässt (vgl. Palandt, BGB, 54. Auflage § 1603 RdNr. 10). Dies gilt auch in Fällen der vorliegenden Art bei Erlangung eines Titels über den Regelunterhalt nach § 1615f BGB. In diesen Fällen kann ein höherer Unterhaltsbetrag ausgeurteilt werden als es den gegenwärtigen Einkommensverhältnissen des Unterhaltspflichtigen entspricht. Eine Berücksichtigung der tatsächlichen Einkommensverhältnisse erfolgt dann jedoch bei der Vollstreckung aus dem Unterhaltstitel, insbesondere bei Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses nach §§ 850, 835 ZPO. Trotz Vorliegens eines (evtl. auch ganz aktuellen) Unterhaltstitels, der den Unterhaltsanspruch betragsmäßig genau festlegt auch unter Berücksichtigung des Selbstbehaltes des Unterhaltsverpflichteten, hat im Vollstreckungsverfahren eine davon unabhängige Prüfung der Höhe der Pfändungsfreigrenzen nach §§ 850c, 850d, 850f ZPO zu erfolgen. Nach § 850d ZPO ist dem Schuldner so viel zu belassen, als er für seinen notwendigen Unterhalt und ... zur gleichmäßigen Befriedigung der dem Gläubiger gleichstehenden Berechtigten bedarf. Nach § 850f ZPO kann dem Schuldner im Wege der Härteprüfung unter besonderen Voraussetzungen ein weiterer pfändungsfreier Betrag verbleiben. In Ausfüllung des ihr zustehenden Beurteilungsermessens hinsichtlich der Angemessenheit der Höhe der Abzweigung, kann sich die Beklagte eines pauschalierenden und damit vereinfachten Verfahrens bedienen. Dieses Verfahren und die dabei anzuwendenden Pauschalsätze müssen jedoch dergestalt sein, dass sie tendenziell geeignet sind, den notwendigen Selbstbehalt für den Leistungsempfänger sicherzustellen. Es kann nicht Sinn des § 48 SGB 1 sein, dass der im förmlichen Vollstreckungsverfahren bestehende Schuldnerschutz bei der Abzweigung umgangen werden kann (wie im vorliegenden Fall) und sich ein Unterhaltsberechtigter oder die Sozial- oder Jugendämter der Abzweigung bedienen, weil dort höhere Leistungen "herauszuholen" sind als im normalen Vollstreckungsverfahren. Dies spricht dafür, dass es der Beklagten erlaubt sein muss, bei der erforderlichen Berechnung eine gewisse Sicherheit zugunsten des Schutzes des Leistungsempfängers einzubeziehen, also nicht ganz bis an die Grenze der Vollstreckbarkeit heranzugehen, etwa durch einen prozentualen Zuschlag (von ca. 10%) auf die unten angegebenen Pauschalsätze. Auf der anderen Seite sollte das Verfahren nach § 48 SGB 1 nicht mit Förmlichkeiten und komplizierten Berechnungen überfrachtet werden, damit die vom Gesetzgeber gewollte vereinfachte und beschleunigte Zugriffsmöglichkeit des Unterhaltsberechtigten (oder eines Dritten) erhalten bleibt (vgl. Urteil des BSG vom 18.8.1983, s.o.).

Ohne Verstoß gegen ihr Beurteilungsermessen könnte die Beklagte dem Leistungsempfänger etwa den Selbstbehalt der Düsseldorfer Tabelle belassen oder den von dem Familiensenat des zuständigen Oberlandesgerichts angewandten Mindestselbstbehalt. Ferner wäre es zulässig, pauschaliert die Vermeidung von Sozialhilfebedürftigkeit des Leistungsempfängers anzustreben, etwa durch Berücksichtigung des doppelten Eckregelsatzes der Sozialhilfe für Alleinstehende oder den Tabellenwert aus der Anlage nach § 850c ZPO zu ermitteln, der gleichzeitig als Obergrenze des pfändungsfreien Betrages nach § 850d ZPO (§ 850d Abs. 1 Satz 3 ZPO) dient (für das Vorhergehende: vgl. Urteil des BSG vom 18. August 1983, s.o.). Soweit das BSG im Urteil vom 20. Juni 1984 (7 RAr 18/83 = BSGE 57, 59) die Tabelle zu § 850c ZPO als ungeeignet im Rahmen des § 48 Abs. 1 SGB 1 bezeichnet, ändert dies am Ergebnis des vorliegenden Verfahrens nichts. Zum einen führt das BSG ausdrücklich aus, dass es sich nicht in Widerspruch zu seiner eigenen Entscheidung vom 18.8.1983 (s.o.) setzt, zum anderen macht es deutlich, dass die Tabelle nach § 850c ZPO zwar nicht bei der Frage nach Bestehen und evtl. Höhe einer Unterhaltsverpflichtung, jedoch bei der Frage nach der angemessenen Höhe der Abzweigung als einer vollstreckungsähnlichen Entscheidung herangezogen werden darf.

Dabei ist eine vorherige Anhörung (§ 24 Abs. 1 SGB 10) des Leistungsempfängers mit einer etwa zwei- bis dreiwöchigen Äußerungsfrist erforderlich (vgl. Urteil des BSG vom 29.10.1987 - 11b RAr 61/86 = SozR 1200 § 48 Nr. 13). Dem Leistungsempfänger ist dabei die beabsichtigte Abzweigung der Höhe nach und die Grundlage der pauschalierten Berechnung mitzuteilen. Äußert sich der Leistungsempfänger nicht oder macht er keinen besonderen Bedarf geltend bzw. nennt keine weiteren Unterhaltsverpflichtungen, kann die Beklagte die von ihr im Rahmen des Beurteilungsermessens ausgewählte pauschalierte Berechnung durchführen. Macht der Leistungsempfänger jedoch einen besonderen Bedarf geltend und glaubhaft, etwa die Höhe der aktuellen Miete durch Vorlage des Mietvertrages, hat eine Berücksichtigung durch die Beklagte zu erfolgen, vergleichbar einer Berücksichtigung nach § 850f ZPO im Vollstreckungsverfahren.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision ist vom Senat wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen worden, § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
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