L 17 U 348/99

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 2 U 75/97
Datum
-
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 17 U 348/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Die Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte bleibt für alle vor dem In-Kraft-Treten des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes am 1. Juli 2004 geschlossenen Anwaltsverträge anwendbar (Hartmann, Kostengesetze, 34.Auflage, Einl Rdnr 2).
2. Die Höhe des Gegenstandswertes bemisst sich bei Aufhebung eines Aufnahme- und Veranlagungsbescheides in der gesetzlichen Unfallversicherung an der zukünftigen Freistellung von Beitragszahlungen. Das wirtschaftliche Interesse rechtfertigt es, ein Mehrfaches des Jahresbetrags der Beiträge anzunehmen.
Der Gegenstandswert wird auf 5.247,06 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Nach Beendigung des Berufungsverfahrens hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Festsetzung des Gegenstandswertes beantragt.

Im Hauptsacheverfahren war streitig, ob der Kläger Mitglied bei der Beklagten ist. Der Kläger betrieb seit 01.07.1982 die Firma O. GmbH. Gegenstand des Unternehmens war "Holzeinschlag und Holzhandel". Die Firma war lt. Aufnahmebescheid vom 28.10.1982 Mitglied der Beklagten. Am 21.02.1994 teilte der Kläger der Beklagten mit, dass das Unternehmen für dauernd eingestellt sei. Daraufhin beendete die Beklagte mit Bescheid vom 17.03.1994 die Mitgliedschaft und löschte das Unternehmen im Unternehmerverzeichnis zum 31.12.1993. Am 04.03.1993 übersandte der Kläger der Beigeladenen eine Gewerbeanmeldung für ein "Forstunternehmen, Holzeinschläge, Forstarbeiten, Großhandel mit Rundholz" zum 01.10.1992 mit Arbeitsaufnahme am 01.07.1993. Die Beigeladene nahm mit Bescheid vom 26.04.1994 das "forstwirtschaftliche Lohnunternehmen" in das Unternehmerverzeichnis auf und erhob Beiträge ab 01.07.1993. Aufgrund einer Unfallmeldung im Juli 1995 nahm die Beklagte Ermittlungen zur Frage einer Betriebfortführung der Firma O. GmbH durch die Einzelfirma B. O. auf. Da durch die Einzelfirma B. O. Arbeitnehmer der Firma O. GmbH lt. Auskunft der AOK Bayern vom 18.07.1995 übernommen worden waren, erließ die Beklagte am 19.10.1995 einen Aufnahmebescheid und einen Veranlagungsbescheid. Der Widerspruch hiergegen war erfolglos. Das Sozialgericht Nürnberg wies die Klage mit Urteil vom 15.07.1999 ab. Es hielt den Aufnahmebescheid vom 19.10.1995 für rechtens, weil der Kläger mit seiner neuen Firma den Betrieb der Firma O. GmbH fortgesetzt habe. Der Kläger sei daher weiterhin als Mitglied der Beklagten zu führen.

Auf die Berufung des Klägers hat das Bayer. Landessozialgericht das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg und die angefochtenen Bescheide aufgehoben, da die formelle Mitgliedschaft bei der Beigeladenen der (Wieder-)Aufnahme der Firma O. in das Unternehmerverzeichnis der Beklagten entgegenstehe.

Die Beklagte hat einen Gegenstandswert von 1.015,24 DM (519,08 EUR) für angemessen gehalten. Sie hat diesen aus der Differenz der Beiträge zwischen ihr und der Beigeladenen für das 2. Halbjahr 1993 errechnet. Der Bevollmächtigte des Klägers hat eingewandt, dass Gegenstand des Verfahrens nicht nur der Beitragsbescheid der Beklagten für das Jahr 1993 gewesen sei, sondern das Verfahren über das Bestehen oder Nichtbestehen der Mitgliedschaft bei der Beklagten geführt worden sei. Hätte der Kläger den Prozess verloren, hätte er den vollen Beitrag für die Vergangenheit an die Beklagte zahlen müssen. Es wäre dann am Kläger gelegen, mit der Beigeladenen einen Ausgleich herbeizuführen. Dies wäre aber eine neue Rechtssache gewesen. Der Kläger habe für die Zeit von 1993 bis 1999 (Betriebsaufgabe im Jahr 2000) insgesamt 54.126,39 DM an die Beigeladene bezahlt. Ausgehend davon, dass die Beklagte einen höheren Beitrag als die Beigeladene hat (im Jahr 1993 18,96 % mehr) ergebe sich bei diesem Steigerungssatz für die Gesamtzeit ein Beitrag von 64.388,75 DM (32.921,45 EUR). Dieser Betrag sei als Gegenstandswert festzusetzen.

Demgegenüber hat die Beklagte daran festgehalten, dass nur der Aufnahme- und Veranlagungsbescheid von 1995 Gegenstand des Kostenfestsetzungsbeschlusses sein könne. Eine Doppelmitgliedschaft bei der Beklagten und der Beigeladenen sei kraft Gesetzes ausgeschlossen. Bei einem Unterliegen des Klägers wäre der Eintrag bei der Beigeladenen ohne weiteres nichtig gewesen und die dorthin gezahlten Beiträge wären von Amts wegen zurückzuerstatten gewesen. Der Gegenstandswert könne daher nur in der Beitragsdifferenz für das Jahr 1993 in Höhe von 1.015,24 DM (519,08 EUR) bestehen.

II.

Die Entscheidung des Senats ergeht durch den Vorsitzenden gemäß § 155 Abs 2 Nr 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Wenn die Hauptsache nach Erlass des Urteils für erledigt erklärt wird, ist der Berichterstatter wieder zuständig (Meyer-Ladewig, SGG-Kommentar, 7.Auflage, § 155 Rdnr 7a). Nach der internen Geschäftsverteilung des 17. Senats endet die Bestellung der Berichterstatter mit der Abschlussverfügung des Vorsitzenden in der Hauptsache (vgl. § 155 Abs 4 SGG).

Die Entscheidung über den Gegenstandswert richtet sich noch nach den Vorschriften der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte (BRAGO) in der ab dem 02.01.2002 geltenden Fassung. Der Gesetzgeber hat die Möglichkeit, den Gebührenanspruch des Rechtsanwalts nach dem Gegenstandswert zu berechnen, mit der Neuregelung der Gerichtskosten durch das Sechste Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes (6. SGGÄndG) in der Weise gekoppelt, dass die zuvor geltende abschließende Aufzählung (§ 116 Abs 2 Nrn 1-4 BRAGO) in der bis zum 01.01.2002 geltenden Fassung) aufgegeben wurde. Stattdessen wurde für die Streitsachen, die nicht dem Kostenprivileg des § 183 SGG unterfallen, die vom Gegenstandswert abhängige Berechnung eingeführt (§ 116 Abs 2 BRAGO in der ab dem 02.01.2002 geltenden Fassung). Das Gesetz zur Modernisierung des Kostenrechts (Kostenrechtsmodernisierungsgesetz - KostRMoG) vom 05.05.2004, BGBl 718, in Kraft im Wesentlichen seit 01.07.2004 (Art 8 Satz 1 KostRMoG) hat eine völlige Neufassung des Gerichtskostengesetzes (GKG) gebracht und es ist die BRAGO in Wegfall gekommen. Es hat dafür ein Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) nebst umfangreichem Vergütungsverzeichnis (VV) gebracht. Die BRAGO bleibt aber für alle vor dem In-Kraft-Treten des RVG geschlossenen Anwaltsverträge anwendbar (Hartmann, Kostengesetze, 34.Auflage, Einleitung Rdnr 2). Gemäß § 61 Abs 1 Satz 1 RVG ist die BRAGO weiter anzuwenden, wenn der unbedingte Auftrag zur Erledigung vor dem 1. Juli 2004 erteilt worden ist.

Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit ist gemäß § 10 Abs 1 der BRAGO durch das Gericht des Rechtszuges auf Antrag des Klägers festzusetzen. Die Gebühren für die anwaltliche Tätigkeit berechnen sich hier nicht nach dem für die Anwaltsgebühren maßgebenden Rahmen des § 116 Abs 1 BRAGO. Bei dem zwischenzeitlich beendeten Berufungsverfahren handelt es sich um eine Streitigkeit zwischen einem Arbeitgeber (= Kläger) und einer juristischen Person des öffentlichen Rechts (= Beklagte), somit nicht um ein Verfahren für privilegierte Personen iSd § 183 SGG.

Der Wert der Verfahren nach § 116 Abs 2 BRAGO richtet sich nach § 8 BRAGO. Da sich aus den Bestimmungen des § 8 Abs 1 und Abs 2 Satz 1 BRAGO kein Ansatz für eine Festsetzung ergibt, ist der Gegenstandswert gemäß § 8 Abs 2 Satz 2 1.Halbs BRAGO zunächst nach billigem Ermessen zu bestimmen und hierbei ergänzend § 13 aF des Gerichtskostengesetzes in den bis 30. Juni 2004 geltenden Fassungen heranzuziehen (vgl. BSG SozR 1930 § 8 Nr 2). Danach richtet sich die Festsetzung grundsätzlich nach der Bedeutung der Sache, wie sie sich aus dem Antrag des Klägers ergibt. Das entspricht i.d.R. dem wirtschaftlichen Interesse an der erstrebten Entscheidung und ihren Auswirkungen. Erstrecken sich diese auf eine längere Zeit, so ist dies gebührend zu berücksichtigen (BSG aaO und SozR 1930 § 8 Nr 5).

Der Senat vermag vorliegend der Beklagten nicht zu folgen, wenn sie meint, das wirtschaftliche Interesse des Klägers erschöpfe sich in seinem Antrag, den Aufnahme- und Veranlagungsbescheid vom 19.10.1995 für das Jahr 1993 aufzuheben. Zwar ist für die Schätzung des Gegenstandswertes grundsätzlich der mit dem Rechtsstreit angestrebte unmittelbare wirtschaftliche Erfolg maßgebend, wohingegen der mittelbare wirtschaftliche Erfolg des Rechtsstreits nicht zu berücksichtigen ist (vgl. BSG, Urteil vom 04.09.2001, Az B 7 Al 6/01 R, iuris Nr: KSRE 057381505 und BFHE 144, 341). Vorliegend handelt es sich bei den Auswirkungen des für den Kläger positiven Urteils nicht um mittelbare Folgen des Rechtsstreits. Die Anfechtungsklage diente dem Ziel, einer künftigen Beitragsforderung der Beklagten die Grundlage zu entziehen. Das wirtschaftliche Interesse des Klägers an der Entscheidung lag somit nicht nur das Ziel der Aufhebung des angefochtenen Bescheides zugrunde, sondern die zukünftige Freistellung von Beitragszahlungen an die Beklagte. Danach beurteilt sich die Bedeutung der Sache, die der Festsetzung des Gegenstandswertes nach billigem Ermessen zugrunde zu legen ist, nach einem längerem Zeitraum. In dem vom BFH aaO entschiedenen Rechtsstreit hatten die angefochtenen Einkommensteuerbescheide keinen unmittelbaren Einfluss auf die Belassung bzw. Rückforderung der in den Streitjahren gewährten Zulagen. Eine Rückforderung war vielmehr in einem gesonderten Verfahren geltend zu machen. Eine vergleichbare Konstellation ist vorliegend nicht gegeben. Mit der Rechtskraft des Aufhebungsurteils stand auch für die Zukunft fest, dass die Beklagte vom Kläger keine Beiträge mehr fordern konnte.

Das wirtschaftliche Interesse des Klägers an der Entscheidung rechtfertigt es, ein mehrfaches des Jahresbetrages des Beitrages anzunehmen. Dies ist deshalb unbedenklich, weil die Auswirkungen der Entscheidung nicht zeitlich unbegrenzt sind, da der Kläger im Jahre 2000 seine berufliche Tätigkeit aufgegeben hat.

Als Gegenstandswert ist nur die Differenz zwischen den von der Beklagten geforderten Beiträgen und den von der Beigeladenen erhobenen Beiträgen festzusetzen. Eine Doppelmitgliedschaft bei der Beklagten und der Beigeladenen ist kraft Gesetzes ausgeschlossen. Bei einem Unterliegen des Klägers im Prozess wäre der Eintrag bei der Beigeladenen ohne weiteres nichtig gewesen und die dorthin gezahlten Beiträge wären von Amts wegen zurückzuerstatten gewesen. Eine Doppelmitgliedschaft widerspricht dem Prinzip der Katasterstetigkeit (des Katasterfriedens); ein dennoch erteilter zweiter Aufnahembescheid wäre somit nach § 40 Abs 1 Sozialgesetzbuch - Zehntes Buch - (SGB X) nichtig (BSG SozR 3-2200 § 664 Nr 2).

Der Gegenstandswert kann daher nur in der Beitragsdifferenz der Jahre 1993 bis 1999 bestehen. Die Beklagte hatte im Jahr 1993 einen um 18,96 % höheren Beitrag als die Beigeladene. Bei einer Fortschreibung dieser Differenz bis zum Jahr 1999 beträgt der Unterschied in den Beiträgen 10.262,36 DM = 5.247,06 EUR. Dieser Betrag war als Gegenstandswert für das Berufungsverfahren festzusetzen.

Diese Entscheidung kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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