L 4 KR 226/02

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 3 KR 509/01
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KR 226/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts München vom 16. Oktober 2002 abgeändert und die Beklagte verurteilt, der Klägerin Krankengeld für die Zeit vom 11.05. bis 28.05.1999 zu bezahlen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat der Klägerin die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin ab 11.05.1999 Krankengeld zu bezahlen.

Die 1946 geborene Klägerin leidet an Depressionen und hat in der Blockfrist vom 29.01.1996 bis 28.01.1999 vom 11.03. 1996 bis 27.07. 1997 (Ablauf der 78 Wochen) Krankengeld bezogen. Vom 27.02.1998 bis 29.11.1998 bezog die Klägerin Arbeitslosengeld. Am 29.11.1998 war der Anspruch auf Arbeitslosengeld erschöpft.

Ab 25.11.1998 wurde der Klägerin erneut von der Nervenärztin A. Arbeitsunfähigkeit bescheinigt. Obwohl ein ursächlicher Zusammenhang mit der Krankheit, die der Krankengeldzahlung bis 27.07.1997 zu Grunde lag, angenommen wurde, erhielt die Klägerin letztlich im Rahmen eines Herstellungsanspruchs ab 30.11.1998 Krankengeld von der Beklagten. Wegen des Beginns der neuen Rahmenfrist am 29.01.1999 sollten weitere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen beigebracht werden. Nachdem Frau Dr.von A. am 10.12.1999 bestätigt hatte, dass die Arbeitsunfähigkeit am 10.05.1999 geendet hatte, nach diesem Zeitpunkt (11.05.1999) die Klägerin nicht mehr arbeitsunfähig, aber weiterhin behandlungsbedürftig gewesen sei, erklärte sich die Beklagte im Rechtsstreit vor dem Sozialgericht (Az.: S 2 KR 631/99) mit Schreiben vom 08.01.2000 bereit, Krankengeld bis 10.05.1999 zu bezahlen. Für die Dauer des gesamten Krankengeldanspruchszeitraums bleibe die Mitgliedschaft gemäß § 192 Abs.1 SGB V erhalten.

Bereits am 21.10.1999 mit jetzt streitgegenständlichem Schreiben hatte die Beklagte der Klägerin mitgeteilt, ihre Krankenversicherungspflicht ende am 27.02.1999. Der hiergegen laut Widerspruchsbescheid am 20.12.1999 eingelegte Widerspruch ist nicht aktenkundig.

Am 10.07.2000 ging bei der Beklagten eine Bescheinigung ein, ausgestellt durch die Ärztin de J. T. vom 11.05.1999, wonach ab diesem Tag voraussichtlich bis 28.05.1999 Arbeitsunfähigkeit bei der Klägerin wegen chronischer Gastritis, Ulcus duodeni besteht. Mit Eingangstempel 25.10.1999 versehen ist die formularmäßige Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung der Dr.von A. vom 20.10.1999, wonach wegen Depression bis 08.11.1999 Arbeitsunfähigkeit vorliegen sollte. Ebenfalls vom 20.10.1999 (kein Eingangstempel) datiert die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (formlos) der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. G. , wonach die Klägerin seit dem 29.05.1999 bis einschließlich 20.10.1999 arbeitsunfähig war. Eine Diagnose ist nicht angegeben.

Die Beklagte hat mit streitgegenständlichem Widerspruchsbescheid vom 19.03.2001 das Bestehen einer versicherungspflichtigen Mitgliedschaft der Klägerin ab 11.05.1999 abgelehnt. Die Arbeitsunfähigkeit sei nach dem Ende der versicherungspflichtigen Mitgliedschaft eingetreten. Die Klägerin wurde auf die kostenfreie Familienversicherung nach § 10 SGB V bei der Techniker Krankenkasse, der Kasse ihres Ehemannes, verwiesen.

Eine erneute Zustellung des Widerspruchsschreibens erfolgte am 02.07.2001. Hiergegen wurde am 10.07.2001 Klage zum Sozialgericht München erhoben. Die Beklagte sollte verurteilt werden, ab 11.05.1999 eine versicherungspflichtige Mitgliedschaft der Klägerin anzuerkennen und Krankengeld zu bezahlen. Die Klägerin habe nahtlos durch Übergabe von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nachgewiesen, dass sie arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 16.10.2002 mit der Begründung abgewiesen, entsprechend der Entscheidung der Beklagten im Widerspruchsbescheid habe keine Mitgliedschaft der Klägerin bei der Beklagten ab 11.05.1999 und somit kein Anspruch auf Zahlung von Krankengeld bestanden. Einem möglicherweise nachgehenden Leistungsanspruch gemäß § 19 Abs.2 SGB V sei der Anspruch auf Familienversicherung nach § 10 SGB V vorrangig.

Mit der am 13.11.2002 beim Sozialgericht München eingegangenen Berufung verfolgte die Klägerin ihren Anspruch auf Krankengeld dem Grunde nach ab 11.05.1999 weiter. Zur Begründung wurde erneut ausgeführt, die Klägerin habe nahtlos durch Übergabe von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nachgewiesen, dass sie arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei. Es sei daher Pflichtmitgliedschaft eingetreten und Krankengeld ab 11.05.1999 zu zahlen. Der Meinung des Sozialgerichts, nach dem 11.05.1999 sei eine Neuerkrankung eingetreten, die keinen Leistungsanspruch mehr begründe, müsse entgegengetreten werden. Es habe sich um eine kontinuierliche Erkrankung gehandelt, die den Leistungszeitraum von 78 Wochen noch nicht ausschöpfte. Aber auch unterstellt, es sei eine erneute Erkrankung eingetreten, könne die Klägerin den Leistungsanspruch auf § 19 Abs.2 SGB V stützen. Eine Nachrangigkeit des Anspruchs aus § 19 Abs.2 SGB V gegenüber der Familienversicherung nach § 10 SGB V bestehe nicht. Der Klägerin müsse ein Wahlrecht zugebilligt werden, ob sie nachgehende Ansprüche aus einer Pflichtversicherung oder Familienhilfe geltend mache.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts München vom 16.10.2002 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 21.10.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.03.2001 zu verurteilen, bei ihr ab 11.05.1999 eine Mitgliedschaft als versicherungspflichtiges Mitglied durchzuführen und Krankengeld dem Grunde nach ab 11.05.1999 zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Das Bundessozialgericht habe zwar mit Urteil vom 07.05.2001 entschieden, dass der nachgehende Versicherungsschutz nach § 19 Abs.2 SGB V einer Familienversicherung nach § 10 SGB V gegenüber nachrangig sei. Der Tatbestand sei jedoch nicht identisch gewesen. Beim Fall des BSG habe eine Pflichtversicherung nach § 5 Abs.1 Nr.1 SGB V vorgelegen, die einen Krankengeldanspruch beinhalte. Die Klägerin sei jedoch unmittelbar vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit ab 11.05.1999 nach § 192 Abs.1 Nr.2 SGB V versichert gewesen. Der Erhalt der Mitgliedschaft nach § 192 Abs.1 Nr.2 SGB V sei dem ursprünglichen Versicherungstatbestand nicht gleichzusetzen und beinhalte selbst keinen Krankengeldanspruch.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten und des Sozialgerichts sowie der Landessozialgerichtsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung, die nicht der Zulassung gemäß § 144 SGG bedarf, ist zulässig und teilweise begründet.

Die Klägerin hat ab 11.05.1999 Anspruch auf Krankengeld. Nach § 44 Abs.1 Satz 1 Sozialgesetzbuch V (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht oder sie auf Kosten der Krankenkasse stationär in einem Krankenhaus, einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung behandelt werden. Die nach § 10 SGB V Versicherten haben keinen Anspruch auf Krankengeld (§ 44 Abs.1 Satz 2 SGB V). Voraussetzung für die Gewährung von Krankengeld ist damit neben dem Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit das Bestehen einer Versicherung, die zum Bezug von Krankengeld berechtigt. Dass die Klägerin in der Zeit vom 11.05.1999 bis 28.05.1999 wegen chronischer Gastritis und Ulcus duodeni arbeitsunfähig war, ergibt sich für den Senat aus der am 11.05. 1999 von der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. de J. T. erstellten Erstbescheinigung. Das Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit wurde von der Beklagten nicht in Frage gestellt. Die Beklagte hat auch zutreffend ausgeführt, dass die Klägerin am 11.05.1999 nicht mehr mit Anspruch auf Krankengeld versichert war. Die Klägerin war bis 29.11.1998 gemäß § 5 Abs.1 Nr.2 SGB V wegen des Bezugs von Leistungen der Bundesanstalt (jetzt Bundesagentur für Arbeit) pflichtversichert. Diese Mitgliedschaft ist gemäß § 192 Abs.1 Nr.2 SGB V erhalten geblieben bis 10.05. 1999, weil die Klägerin bis dahin arbeitsunfähig war und Krankengeld bezogen hat. Mit dem Ende des Krankengeldbezuges endete auch die Mitgliedschaft der Klägerin bei der Beklagten, die Klägerin war ab 11.05.1999 über ihren Ehemann bei dessen Krankenkasse gemäß § 10 Abs.1 SGB V familienversichert. Dabei handelt es sich um eine Versicherung ohne Anspruch auf Krankengeld (§ 44 Abs.1 Satz 2 SGB V). Entgegen der Auffassung des Klägerbevollmächtigten besteht damit keine Nahtlosigkeit, mit dem Ende der Arbeitsunfähigkeit wegen Depression am 10.05.1999 endete an diesem Tag die einen Anspruch auf Krankengeld begründende Mitgliedschaft. Die neue Krankheit am 11.05.1999 führt zu einem Anspruch auf Krankengeld lediglich unter Anwendung des § 19 Abs.2 SGB V. Danach besteht Anspruch auf Leistungen längstens für einen Monat nach dem Ende der Mitgliedschaft, wenn die Mitgliedschaft Versicherungspflichtiger endet, so lange keine Erwerbstätigkeit ausgeübt wird. Da gemäß § 192 Abs.1 SGB V die Mitgliedschaft Versicherungspflichtiger erhalten bleibt, so lange sie Anspruch auf Krankengeld haben, ist die Auffassung der Beklagten nicht nachvollziehbar, weshalb in diesem Fall § 19 Abs.2 SGB V nicht zur Anwendung kommen sollte. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts hat eine Versicherung nach § 10 SGB V keinen Vorrang vor dem Leistungsanspruch nach § 19 Abs.2 Satz 1 SGB V. Der Gesetzgeber hat erst durch das Gesetz vom 14.11. 2003 (BGBl.I S.291) mit Wirkung vom 01.01.2004 § 19 Abs.2 einen Satz 2 angefügt, wonach eine Versicherung nach § 10 SGB V Vorrang vor dem Leistungsanspruch nach Satz 1 hat. Vor dem 01.01.2004 gilt die eindeutige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 07.05.2002, B 1 KR 24/01 R), wonach eine Familienversicherung dem Anspruch nach § 19 Abs.2 SGB V nachrangig ist.

Der Anspruch scheitert auch nicht an § 49 Abs.1 Ziffer 5 SGB V. Danach ruht der Anspruch auf Krankengeld, so lange die Arbeitsunfähigkeit der Krankenkasse nicht gemeldet wird. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, die Dr. de J. T. am 11.05.1999 ausstellte, ging zwar laut Eingangsstempel der Beklagten erst am 10. Juli 2002 zu, die Beklagte kann diese fehlende Meldung der Klägerin jedoch nicht entgegen halten, die Beklagte hat nämlich erst mit Schreiben vom 08.01.2000 den Anspruch auf Krankengeld bis 10.05.1999 anerkannt. Das Bundessozialgericht führt im Urteil vom 08.02.2000 (B 1 KR 11/99 R, SozR 3-2500 § 49 Nr.4) aus, dass die Krankenkasse den Versicherten, die sie fälschlich für arbeitsfähig gehalten hat, später nicht entgegen halten könne, sie hätten der Einstellung des Krankengeldes nicht widersprochen. Wenn schon für einen Fall, in dem Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen gar nicht ausgestellt worden sind, § 49 Abs.1 Nr.5 SGB V nicht zur Anwendung kommen kann, gilt dies erst recht dann, wenn Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ausgestellt worden sind, der Beklagten aber wegen Bestreitens der Arbeitsfähigkeit oder der Pflichtversicherung nicht vorgelegt wurden (so auch BSG vom 19.09.2002- Breithaupt 540, 551/03).

Die Beklagte hat also der Klägerin aufgrund der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung der Dr. de J. T. für die Zeit vom 11.05. 1999 bis 28.05.1999 gemäß § 19 Abs.2 SGB V Krankengeld zu bezahlen. Auch wenn man sich der Auffassung des Klägerbevollmächtigten anschlösse, über den 10.05.1999 habe nahtlos Arbeitsunfähigkeit vorgelegen, endet der Anspruch auf Krankengeld am 28.05.1999. Ab 29.05.1999 ist die Arbeitsunfähigkeit nicht ausreichend und ordnungsgemäß nachgewiesen. Es fehlt eine zeitnahe ärztliche Bestätigung. Dr. G. hat (entgegen den Arbeitsunfähigkeitsrichtlinien) erst am 20.10.1999 Arbeitsunfähigkeit ab 29.05.1999 bescheinigt.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 193 SGG und entspricht dem teilweisen Obsiegen der Klägerin.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs.2 SGG zuzulassen, sind nicht gegeben.
Rechtskraft
Aus
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