L 20 RJ 180/02

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
20
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 11 RJ 384/99
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 20 RJ 180/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 05.02.2002 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um den früheren Beginn einer Altersrente wegen Arbeitslosigkeit (für den Zeitraum vom 01.09.1997 bis 31.07.1998).

Der 1937 geborene Kläger ist am 06.01.1991 mit seiner Ehefrau aus Rumänien in die Bundesrepublik übergesiedelt. Die Ausstellung eines Vertriebenenausweises A wurde ihm zunächst verweigert, im verwaltungsgerichtlichen Rechtsweg jedoch zugesprochen (Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 27.03.1996, bestätigt durch Urteil des Bayer. Verwaltungsgerichtshofs vom 24.04.1998, in Rechtskraft seit 09.06.1998). Der Vertriebenenausweis A wurde dem Kläger schließlich am 28.10.1998 erteilt. In Rumänien war der Kläger ab August 1959 als Diplom-Ingenieur für Elektrotechnik, als wissenschaftlicher Forscher und zuletzt bis Dezember 1990 an der Techn. Hochschule B. als ordentlicher Professor angestellt. In Deutschland hat der Kläger nach der Übersiedlung an verschiedenen Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen teilgenommen. Bis Mai 1993 wurden für ihn vom Arbeitsamt wegen Leistungsbezugs nach dem Arbeitsförderungsgesetz (AFG) Beiträge zur Rentenversicherung entrichtet. Daran anschließend war der Kläger weiterhin als Arbeitsuchender (ohne Leistungsbezug) gemeldet mit kurzzeitigen Unterbrechungen wegen Aufnahme versicherungspflichtiger Beschäftigungen. Vom 01.02.1998 bis 31.07.1998 arbeitete der Kläger zuletzt als Fahrzeugwäscher.

Am 05.08.1998 stellte der Kläger beim städt. Versicherungsamt F. einen Antrag auf Gewährung von Altersrente ab 01.08.1998. Nach Klärung der rumänischen Versicherungszeiten bewilligte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 06.12.1998 Altersrente wegen Arbeitslosigkeit ab 01.08.1998, dem Antrag entsprechend. Die Rente wurde später mit Bescheiden vom 10.05.2001 und 04.10.2001 neu festgestellt (im Wesentlichen wegen Höherbewertung der rumänischen Beitragszeiten).

Gegen den Rentenbescheid vom 06.12.1998 erhob der Kläger am 23.12.1998 über das Versicherungsamt F. Widerspruch. Er machte u.a. geltend, die Altersrente müsse ihm bereits ab September 1997 gezahlt werden, da die gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen mit Vollendung seines 60. Lebensjahres bereits erfüllt gewesen seien; den Rentenantrag habe er nur deshalb zu spät gestellt, weil das Ausgleichsamt bei der Erteilung des Vertriebenenausweises rechtswidrig gehandelt habe.

Der Widerspruch blieb diesbezüglich erfolglos; die Beklagte erteilte den Widerspruchsbescheid vom 19.04.1999. Eine rückwirkende Leistungsgewährung für den Zeitraum vor dem Antragsmonat scheide aus, da auch die Voraussetzungen eines Herstellungsanspruchs nicht gegeben seien. Die Beklagte habe den Kläger nicht fehlerhaft beraten, noch hätte der anhängige Rechtsstreit über die Vertriebeneneigenschaft beim Verwaltungsgericht einer früheren Antragstellung entgegengestanden.

Gegen diese Entscheidung erhob der Kläger am 10.05.1999 Klage und verfolgte sein Begehren hinsichtlich eines früheren Rentenbeginns weiter. Dazu hat er durch seinen Bevollmächtigten vorgebracht, er habe sich bereits 1992 im Rahmen eines Kontenklärungsverfahrens mit der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) in Verbindung gesetzt. Er sei aber weder durch diese Behörde noch später durch das Arbeitsamt auf die Möglichkeit hingewiesen worden, einen Rentenantrag bei Vollendung des 60. Lebensjahres stellen zu können. Die Beklagte müsse sich die Beratungsversäumnisse dieser anderen Leistungsträger zurechnen lassen. In der mündlichen Verhandlung vor dem SG hat der Kläger nur noch beantragt, die Beklagte zu verpflichten, Altersrente wegen Arbeitslosigkeit bereits ab 01.09.1997 zu zahlen.

Mit Urteil vom 05.02.2002 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Beklagte habe den Beginn der Altersrente beim Kläger zutreffend festgestellt. Einen früheren Rentenbeginn könne dieser auch nicht nach den Grundsätzen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs herleiten. Zur Überzeugung des Gerichts fehlten jegliche Anhaltspunkte, die eine fehlerhafte Beratung oder Auskunft durch die Beklagte nach den Grundsätzen der sozialrechtlichen Beweislastverteilung als vorliegend und nachweisbar erscheinen ließen. Der Kläger habe selbst nicht vorgebracht, vor dem 05.08.1998 irgendeinen Kontakt mit der Beklagten aufgenommen zu haben. Es sei aber auch ein der Beklagten zurechenbares pflichtwidriges Verhalten sonstiger Verwaltungsstellen, das einen Herstellungsanspruch auslösen könnte, nicht gegeben. Eine innere Verbindung der Aufgabenbereiche zwischen dem Träger der Rentenversicherung und dem Ausgleichsamt als handelnder Behörde zur Ausführung des Bundesvertriebenengesetzes bestehe eindeutig nicht. Im Übrigen obliege die Entscheidung, wann ein Leistungsantrag beim Versicherungsträger einzubringen zu sei, der Risikosphäre des mündigen Bürgers. Auch die vom Kläger postulierte Pflichtverletzung durch Bedienstete der Arbeitsverwaltung begründe keinen rückwirkenden Rentenanspruch aufgrund eines Herstellungsanspruchs. Die den Kläger betreffenden Akten des Arbeitsamts seien nicht mehr auffindbar. Die Beteiligten seien sich aber darüber einig, dass der seinerzeitige Sachbearbeiter beim Arbeitsamt sicherlich keine verwertbaren Wahrnehmungen über die bei den Vorstellungen stattgehabte Gesprächsthematik werde machen können. Wenn der Kläger tatsächlich im Jahre 1992 mit der BfA Verbindung wegen Kontenklärung aufgenommen habe, sei er noch etwa fünf Jahre von einem möglichen Beginn der Altersrente entfernt gewesen, so dass ein Bedürfnis auf eine diesbezügliche Rechtsberatung nicht bestanden habe.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die am 12.04.2002 beim Bayer. Landessozialgericht eingegangene Berufung des Klägers. Dieser verlangt weiterhin, die Altersrente bereits ab 01.09.1997 zu gewähren und macht unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 22.10.1996, Az: 13 RJ 69/95) eine Beratungspflichtverletzung von Bediensteten der Arbeitsverwaltung geltend. Er habe zwar bei Vollendung seines 60. Lebensjahres keine Leistungen vom Arbeitsamt mehr bezogen; trotzdem wäre dieses aber verpflichtet gewesen, auf einen möglichen Leistungsantrag beim Rentenversicherungsträger hinzuweisen. Dieser Verpflichtung sei das Arbeitsamt nicht nachgekommen.

Die Beklagte vertritt die Auffassung, dass keine Pflichtverletzung durch Bedienstete der Arbeitsverwaltung vorgelegen habe. Das vom Kläger zitierte Urteil des BSG sei hier nicht einschlägig. Des Weiteren ginge der geltend gemachte Herstellungsanspruch wegen der Beschäftigung des Klägers im Jahre 1998 und der damit verbundenen Überschreitung der Hinzuverdienstgrenzen nach § 34 SGB VI ins Leere. Der Kläger habe, aus welchen Gründen auch immer, zu spät den Altersrentenantrag gestellt und wolle nun über einen Herstellungsanspruch sein persönliches Versäumnis egalisieren. Dies werde auch aus seiner Argumentation im Widerspruchsverfahren deutlich. Der Kläger hat schließlich eingeräumt, dass eine Befragung des als Zeugen benannten Herrn H. vom Arbeitsamt nicht weiterführend sein werde.

Der Bevollmächtigte des Klägers beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 05.02.2002 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 06.12.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.04.1999 sowie in der Fassung der Bescheide vom 10.05.2001 und vom 04.10.2001 zu verpflichten, Altersrente wegen Arbeitslosigkeit ab dem 01.09.1997 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Dem Senat haben die Verwaltungsakten der Beklagten und die Prozessakte des SG Nürnberg sowie die Akte der BfA vorgelegen. Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist form- und fristgerecht eingelegt und auch im Übrigen zulässig.

Das Rechtsmittel des Klägers erweist sich als nicht begründet. Da der Kläger seit 01.08.1998 Altersrente wegen Arbeitslosigkeit bezieht, kann Gegenstand des Verfahrens nur noch die Rente für die Zeit vom 01.09.1997 bis 31.07.1998 sein. Das SG hat im Ergebnis zutreffend entschieden, dass dem Kläger Altersrente wegen Arbeitslosigkeit (gem § 38 SGB VI in der damals geltenden Fassung) erst ab 01.08.1998 zustand und dass der Kläger einen früheren Leistungsbeginn auch nicht nach den Grundsätzen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches geltend machen kann. Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch setzt tatbestandlich voraus, dass der Sozialleistungsträger aufgrund Gesetzes oder bestehenden Rechtsverhältnisses eine dem Betroffenen gegenüber obliegende Pflicht, insbesondere zur Auskunft und Beratung (§§ 14, 15 SGB I), verletzt und dadurch dem Betroffenen einen rechtlichen Nachteil zugefügt hat. Auf der Rechtsfolgenseite ist der Herstellungsanspruch auf Vornahme einer Amtshandlung zur Herbeiführung derjenigen Rechtfolge gerichtet, die eingetreten wäre, wenn der Versicherungsträger die ihm gegenüber dem Versicherten obliegenden Pflichten rechtmäßig erfüllt hätte. Der beim Versicherten eingetretene Nachteil muss ursächlich auf die mangelnde oder fehlerhafte Beratung des Rentenversicherungsträgers oder eines sonstigen in das Rentenverfahren eingebundenen Leistungsträgers zurückzuführen sein.

Diese Voraussetzungen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches und der daraus herzuleitenden Rechtsfolge eines früheren Rentenbeginns (aufgrund eines fiktiven Antrags) sind vorliegend nicht gegeben. Eine Pflichtverletzung durch Bedienstete der Beklagten ist nicht in Betracht zu ziehen, da der Kläger nach seiner eigenen Einlassung und auch nach dem Inhalt der Akten vor dem im August 1998 aufgenommenen Rentenantrag keinen unmittelbaren Kontakt mit der Beklagten hatte und auch kein rentenrechtliches Beratungsersuchen an diese gestellt hatte. Aus der Akte der BfA ergibt sich lediglich, dass dort am 11.06.1991 rumänische Versicherungsunterlagen des Klägers eingegangen sind. Das anschließende Kontenklärungsverfahren wurde mit - vorläufigem - Bescheid vom 10.02.1992 abgeschlossen. Ein Anlass für eine Beratung im Hinblick auf eine Altersrente lässt sich aus dem Akteninhalt nicht entnehmen. Auch ein pflichtwidriges Verhalten anderer Behörden, die nicht unmittelbar in das Rentenverfahren eingebunden sind, ist nicht zu begründen. Hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitsverwaltung wie auch des Ausgleichsamtes an diesem Verfahren stimmt der Senat mit den Gründen des angefochtenen Urteils überein und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab, § 153 Abs 2 SGG.

Selbst wenn man der Einlassung des Klägers folgt, dass dieser bei regelmäßiger Meldung beim Arbeitsamt auch nach Beendigung des Leistungsbezugs nach dem AFG um die Zeit der Vollendung seines 60. Lebensjahres keinen Hinweis auf eine mögliche Rentenantragstellung erhalten hat, könnte dieses "Versäumnis" nach Auffassung des Senats nicht ursächlich für den Nachteil des späteren Rentenbeginns sein. Bei dem Bildungsstandard des Klägers kann davon ausgegangen werden, dass er - nach sechs Jahren Aufenthalt in Deutschland und nach der Teilnahme an mehreren Eingliederungs- und Fortbildungsmaßnahmen - die allgemeinen Zugangsvoraussetzungen für eine Rente in Deutschland - sowohl für die Rente wegen Erwerbsminderung wie auch für Altersrenten - kannte. Dafür spricht u.a. auch seine Argumentation im Widerspruchsverfahren, dass er sich (lediglich) durch das rechtswidrige Verhalten des Ausgleichsamtes gehindert gesehen habe, die Rente frühzeitig zu beantragen. Wäre er ohne jede Kenntnis gewesen, dass Altersrente bereits ab Vollendung des 60. Lebensjahres gewährt werden kann, hätte er das in dem beim Versicherungsamt F. verfassten Widerspruchsschreiben zum Ausdruck bringen können und auch müssen. Wenn der Kläger aber über die grundsätzliche Gestaltungsmöglichkeit, eine Altersrente ab 60. Lebensjahr zu erhalten, unterrichtet und informiert war, bedurfte es keiner weitergehenden Aufklärung oder eines weiteren Hinweises durch Bedienstete des Arbeitsamtes oder anderer Stellen. Aus dem gesamten Prozessverlauf und aus der Tatsache, wie der Kläger seinen Herstellungsanspruch zunächst begründet hat - das rechtswidrige Handeln des Ausgleichsamtes habe ihn zu einer verspäteten Antragstellung veranlasst - lässt sich herleiten, dass nicht eine falsche oder unzureichende Beratung durch einen Bediensteten des Arbeitsamtes für den eingetretenen "Schaden" ursächlich war. Dem Kläger war es vielmehr nicht verwehrt, seinen Rentenantrag frühzeitig und rechtzeitig einzubringen.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil vom 05.02.2002 war mit der Kostenfolge aus § 193 SGG zurückzuweisen.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
Saved