L 18 U 112/00

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 2 U 124/99 ZVW
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 18 U 112/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 10.02.2000 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung einer Berufskrankheit (BK) nach § 551 Reichsversicherungsordnung (RVO) iVm Nr 1310 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) streitig.

Der 1948 geborene Kläger, der bei der Deutschen Bundesbahn als Triebfahrzeugelektriker beschäftigt war, stellte am 12.08.1994 Antrag auf Anerkennung einer BK wegen Pentachlorphenol (PCP)-Belastung. Er machte u.a. Brustschmerzen, Spannungsgefühl im Kopf, Erschöpfungszustände sowie Übelkeit geltend. Diese Beschwerden führte er auf mit PCP-kontaminierter Arbeitsschutzkleidung zurück, die er und mehr als 40 weitere Bahnarbeiter getragen hatten.

Organische Beschwerden und erhöhte PCP-Blutwerte wurden erstmals im Herbst 1993 bei Mitarbeitern der Deutschen Bundesbahn AG der Werke N. und A. festgestellt. Aufgrund weiterer ärztlicher und chemischer Untersuchungen im Frühjahr 1994 ergab sich, dass die in einer bestimmten Reinigungsfirma gereinigte Schutzkleidung (schwarze Körperware) und Lederhandschuhe einzelner Werke unzulässig hohe PCP-Gewichtsanteile pro kg aufwiesen und Mitarbeiter der DB durch das Tragen dieser Schutzkleidung und Handschuhe einer erhöhten PCP-Belastung ausgesetzt waren, die zur Erhöhung des PCP-Anteils im Blut führte. Im Mai 1994 wurde ein sofortiger Ausgabestopp für gereinigtes Schutzzeug bei allen Bahnstellen der ehemaligen BD-Bezirke N. und M. verhängt.

Bei wiederholten Laboruntersuchungen zwischen dem 12.11.1993 und Februar 1998 ergaben sich folgende PCP-Werte im Serum des Klägers: 12.11.1993: 61,97 µg/l 15.12.1993: 24,8 µg/l 19.01.1994: 14,1 µg/l 20.01.1994: 13,3 µg/l März 1994: 24,1 µg/l 04.03.1994: 14,1 µg/l (fraglich) 14.04.1994: 26,0 µg/l 16.05.1994: 16,8 µg/l Juni 1994: 19,1 µg/l Juli 1994: 22,5 µg/l. Ab September 1994 lag die gemessene Dosis jeweils entweder unter der Nachweisgrenze oder mit 6 µg/l, 5,2 µg/l und 1,2 µg/l (am 30.04.2003) weit unter dem Referenzwert von 20 µg/l PCP.

Mit Bescheid vom 15.09.1995 lehnte die Beklagte die Anerkennung einer BK nach Nr 1310 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKVO) mit der Begründung ab, dass sich eine PCP-assoziierte Gesundheitsgefährdung nicht ableiten lasse. Im Widerspruchsverfahren holte die Beklagte ein gewerbeärztliches Gutachten des Dr.M. vom 12.09.1996 und Stellungnahmen des Staatlichen Gewerbearztes Dr.O. vom 16.10./17.10.1996 sowie ein HNO-ärztliches Gutachten des Dr.H. vom 13.05.1996 ein. Des Weiteren zog sie einen Krankenkassenauszug der Bundesbahnkrankenkasse bei. Der Kläger legte zum Nachweis der durch die PCP-Einwirkung hervorgerufenen Erkrankungen einen Arztbrief vom 29.06.1994 und ein Attest vom 22.11.1994 seiner behandelnden HNO-Ärzte Dr.N./E. sowie einen Kurantrag des prakt. Arztes S. vor. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 27.02.1997 zurück.

Im anschließenden Klageverfahren zog das Sozialgericht (SG) Nürnberg Befundberichte der behandelnden Ärzte des Klägers bei (HNO-Ärzte Dres.N. , prakt.Arzt S. , Hautarzt Dr.S. , HNO-Arzt Dr.W. , Neurologe und Psychiater Dr.B. , Fachärzte für innere Medizin Dres.H.) und hörte den Facharzt für Arbeitsmedizin Prof. Dr.H. (Gutachten vom 11.08.1998). Die Beteiligten verglichen sich entsprechend dem Vorschlag des Prof. Dr.H. dahingehend, für den Monat November 1993 eine BK nach Nr 1310 der Anlage zur BKV - ohne messbare Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) - anzunehmen (Vergleich vom 26.10.1998). Ein im Übrigen klageabweisendes Urteil des Sozialgerichts (SG) Nürnberg vom 26.10.1998 hob das Bayer. Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 24.02.1999 auf und verwies den Rechtsstreit an das SG zurück.

Das SG hat daraufhin den Internisten Prof. Dr.H. gemäß § 109 SGG gehört. Dieser hat in seinem Gutachten vom 25.10.1999/ 29.12.1999 eine BK nach § 1310 der Anlage zur BKV von November 1993 bis Juli 1994 bejaht und für diesen Zeitraum eine MdE von 40 vH befürwortet. Er hat seine Auffassung damit begründet, dass ein Sachzusammenhang und ein zeitlicher Zusammenhang der Beschwerden und Symptome mit Beginn der Exposition durch PCP und deren Rückbildung nach Beendigung der Exposition festzustellen sei. Die beim Kläger vorliegenden Schleimhautreizungen von Hals und Nase, Verschattung im rechten Sinus maxillaris und sphenoidalis, Laryngitis, Nasennebenhöhlenbeschwerden, chronische Müdigkeit, chronische Erschöpfbarkeit, Konzentrationsminderung, Kurzzeitgedächtnisprobleme, Gedächtnisprobleme seien durch eine andere Erkrankung nicht zu erklären. Die schwere Abgeschlagenheit mit deutlicher Leistungsbeeinträchtigung sei als stärker behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit mit der vorgeschlagenen MdE zu bewerten.

Dagegen hat die Beklagte eingewandt (Schreiben vom 26.01.2000), es sei nicht bekannt, dass der Kläger PCP-Dämpfe eingeatmet oder direkten Kontakt mit der Flüssigkeit PCP gehabt habe. Durch die mit PCP kontaminierte Schutzkleidung habe allenfalls ein Hautkontakt mit entsprechenden Rückständen in der Kleidung stattgefunden. Hautdefekte, die danach denkbar wären, hätten sich nicht gefunden.

Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, auch ab Dezember 1993 eine BK 1310 der Anlage zur BKV festzustellen, die Gesundheitsstörungen "chronischer Erschöpfungszustand mit schwerer Abgeschlagenheit sowie Laryngitis und Sinusitis" als BK-Folgen anzuerkennen und die hierfür gesetzlichen Leistungen zu gewähren.

Das SG hat mit Urteil vom 10.02.2000 die Beklagte verpflichtet, in Ergänzung des gerichtlichen Teilvergleichs vom 26.10.1998 auch in den Monaten Dezember 1993, März, April und Juli 1994 eine BK Nr 1310 der Anlage zur BKV ohne messbare MdE anzuerkennen. Es ist von einem maßgeblichen Referenzwert mit 20 µg/l Blutserum ausgegangen. Aufgrund der beim Kläger gemessenen Blutwerte mit 24,8 µg/l im Dezember 1993, 24,1 µg/l im März 1994, 26,0 µg/l im April 1994 und 22,5 µg/l im Juli 1994 sei für diese Monate eine BK festzustellen. Die durchgehende Anerkennung einer BK für die Monate ab November 1993 auf Dauer und die Anerkennung von Gesundheitsstörungen wie chronischer Erschöpfungszustand mit schwerer Abgeschlagenheit, Laryngitis und Sinusitis als BK-Folgen und die Gewährung von Leistungen sei nicht möglich. Aus den soweit übereinstimmenden Gutachten der gerichtlichen Sachverständigen gehe hervor, dass ab August 1994 keine BK mehr vorgelegen habe. Die gemessenen Werte für PCP hätten entweder unterhalb der Nachweisgrenze oder deutlich unter 10 µg/l gelegen. Es gebe keinen Nachweis dafür, dass der Erschöpfungszustand, die Sinusitis und Laryngitis auf PCP zurückgeführt werden könnten.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger am 07.03.2000 Berufung eingelegt. Er hat vorgetragen, das SG hätte ein Obergutachten einholen müssen, wenn es vom Gutachten des Prof. Dr.H. abweichen wollte. Die im Kurantrag vom 01.12.1994 vom behandelnden Arzt Dr.S. bezeichnete nervöse Erschöpfung sei zweifelsfrei auf die kontaminierte Arbeitsschutzkleidung zurückzuführen. Sein Immunsystem sei durch PCP-Einwirkungen soweit geschwächt gewesen, dass er gegen die beruflich bedingten Stäube zu keiner Abwehrreaktion mehr fähig gewesen sei. Er leide jetzt noch an der BK Nr 1310. Dies ergebe sich aus seiner bis jetzt andauernden, medizinisch festgestellten Unfähigkeit, seinen ursprünglichen Beruf als Triebfahrzeugelektriker auszuüben.

Der vom Senat gehörte Sachverständige Dr.S. hat in seinem Gutachten vom 19.06.2003 eine messbare MdE verneint: Zwar seien die Beschwerden des Klägers in den neurologischen und kardiologischen Befundberichten gut dokumentiert, wesentlich manifeste krankhafte Befunde iS einer organischen Störung seien jedoch nicht erhoben worden. Nach umfangreichen wissenschaftlichen Studien zur PCP-Belastung und Toxizität sei ein genereller Referenzwert für PCP-Konzentration im Serum von 20 µg/l erstellt worden. Die beim Kläger gemessenen PCP-Werte hätten den Referenzbereich im November und Dezember 1993 sowie im März, April und Juli 1994 überschritten. Deshalb habe nur für diese Zeiträume ein regelwidriger Zustand entsprechend einer BK nach Ziff 1310 vorgelegen. Eine messbare MdE von 10 vH oder mehr ergebe sich für diese Monate allein durch den über dem Bevölkerungsdurchschnitt liegenden erhöhten PCP-Spiegel nicht.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren erteilt.

Der Kläger beantragt, das Urteil des SG Nürnberg vom 10.02.2000 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, über die Monate November, Dezember 1993 und März, April, Juli 1994 hinaus beim Kläger ab Antragstellung eine BK Nr 1310 der Anlage zur BKV anzuerkennen und ihm hierfür Entschädigungsleistungen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Nürnberg vom 10.02.2000 zurückzuweisen.

Ergänzend wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten der ersten und zweiten Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, sachlich aber nicht begründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung einer BK nach Nr 1310 der Anlage zur BKV über die bereits anerkannten Zeiträume November und Dezember 1993, März, April und Juli 1994 hinaus und Gewährung von Verletztenrente.

Mit Einverständnis der Beteiligten ergeht die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 SGG).

Der Anspruch des Klägers ist nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) zu beurteilen, da Leistungen auf Grund einer vor dem In-Kraft-Treten des Siebten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VII) am 01.01.1997 eingetretenen BK begehrt werden (Art 36 des Unfallversicherungs-Einordnungsgesetzes, § 212 SGB VII).

Nach § 551 Abs 1 RVO gilt als Arbeitsunfall auch eine BK. BKen sind die Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeit erleidet. In der Rechtsverordnung sind die Krankheiten bezeichnet, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre Arbeit in erheblich höherem Maße als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind (§ 551 Abs 1 Satz 2 RVO). Die Voraussetzungen einer BK sind erfüllt, wenn eine Krankheit in der Anlage zur BKV als BK bezeichnet ist und durch eine versicherte Tätigkeit im Einzelfall verursacht oder verschlimmert worden ist (BSGE 2, 178). Zu den BKen gehören nach Nr 1310 Erkrankungen durch halogenierte Alkyl-, Aryl- oder Alkylaryloxyde. Zu diesen Stoffen zählt auch PCP (vgl Mehrtens/ Perlebach, Die Berufskrankheitenverordnung - Komm. - M 1310 S 3, 4) Bei PCP wurden neben der Schleimhautreizwirkung der Dämpfe und gelegentlichen Dermatitiden durch Kontakt mit der Flüssigkeit auch allgemeine Vergiftungszustände (Mattigkeit, Schweißausbrüche, Atemnot) durch Einatmung der Dämpfe beobachtet. Chronische Vergiftungen sind bisher nicht nachgewiesen (Mehrtens/Perlebach aaO).

Voraussetzung für das Vorliegen der BK Nr 1310 ist, dass die versicherte Tätigkeit, die schädigende Einwirkung und die Erkrankung als Anknüpfungstatsachen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehen müssen, während für den jeweiligen Ursachenzusammenhang zwischen versicherter Tätigkeit und schädigender Einwirkung (sog. haftungsbegründende Kausalität) einerseits sowie der schädigenden Einwirkung und Erkrankung (sog. haftungsausfüllende Kausalität) andererseits eine hinreichende Wahrscheinlichkeit ausreicht. D.h., es müssen in Abwägung aller relevanten Umstände mehr Gründe für als gegen den Kausalzusammenhang sprechen.

Bezüglich der hier streitigen BK müssen also iS des Vollbeweises beim Kläger die arbeitstechnischen Voraussetzungen und ein Gesundheitsschaden nachgewiesen sein. Der Gesundheitsschaden muss iS der unfallrechtlichen Kausalitätslehre (vgl BSG SozR 200 § 551 Nr 1; SozR 3-2200 § 548 Nrn 4, 11, 14; Mehrtens/Perlebach aaO Nr 17 ff) mit Wahrscheinlichkeit wesentlich ursächlich oder mitursächlich auf die berufliche Tätigkeit zurückzuführen sein.

Aufgrund der Ermittlungen der Deutschen Bahn (DB) AG und der Beklagten steht fest, dass der Kläger bei seiner versicherten Berufstätigkeit bei der DB spätestens ab Herbst 1993 bis etwa April/Mai 1994 PCP-kontaminierte Schutzkleidung getragen hat. Unzweifelhaft sind die Blutwerte von November bis Dezember 1993 und im März, April und Juli 1994, die über dem PCP-Referenzwert von 20 µg/l PCP lagen, auf das Tragen der kontaminierten Schutzkleidung zurückzuführen.

Eine BK - ohne messbare MdE - hat nur für den Zeitraum von November bis Dezember 1993 und März, April und Juli 1994 vorgelegen, in dem der PCP-Referenzwert überschritten worden ist. Einen Anspruch auf Anerkennung einer BK über die bereits anerkannten Zeiten hinaus hat der Kläger nicht.

Es fehlt für die Zeit ab August 1994 bereits an der haftungsbegründenden Kausalität. Denn die beim Kläger stattgefundenen PCP-Belastungen, die noch zum Niedrigdosisbereich zählen, waren nicht geeignet, die festgestellten Gesundheitsstörungen zu verursachen. Den Referenzwert hat der Kläger bei den Laboruntersuchungen nur fünfmal überschritten. Der Dosisbereich, dem der Kläger ausgesetzt war, führt nach dem derzeitigen Forschungsstand nicht zu einer Funktionsbeeinträchtigung von Organsystemen. Aufgrund umfangreicher Studien zur PCP-Belastung und Toxizität wurde von der Kommission "Humanbiomonotoring" (HBM) des Umweltbundesamtes ein Referenzwert für PCP-Konzentrationen im Serum von 20 µg/l erstellt. Zusätzlich wurden die HBM-Werte festgelegt. Der HBM-I-Wert wurde mit 40 µg PCP/l Serum festgelegt, der HBM-II-Wert mit 70 µg/l. Der HBM-I-Wert entspricht einer Konzentration an PCP, bei dessen Unterschreitung nach dem aktuellen Stand der Bewertung durch die Kommission eine gesundheitliche Beeinträchtigung nicht zu erwarten ist. Mit Ausnahme der Untersuchung vom 12.11.1993 (61,97 µg/l) lagen die PCP-Werte immer unter diesem Wert. Aus toxikologischer oder umwelthygienischer Sicht lässt sich bei Unterschreitung des HBM-I-Wertes (40 µg/l) kein begründeter Handlungsbedarf ableiten, weil hierdurch keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu erwarten sind. Erst der HBM-II-Wert ist ein Interventions- und Maßnahmewert. Denn der HBM-II-Wert entspricht der Konzentration im Serum, bei dessen Überschreitung eine für den Betroffenen als relevant anzusehende gesundheitliche Beeinträchtigung möglich ist. Der HBM-II-Wert wurde bei keiner einzigen Testung überschritten.

Dr.S. konnte beim Kläger keine Symptome einer PCP-Belastung feststellen, die mit Wahrscheinlichkeit auf eine PCP-Indikation zurückzuführen sind. D.h. auch wenn man die haftungsbegründende Kausalität bejahen wollte, lägen die Voraussetzungen für die Annahme einer BK Nr 1310 über die bereits vom SG festgestellten Monate hinaus wegen Fehlens der haftungsausfüllenden Kausalität nicht vor. Die festgestellten Gesundheitsstörungen lassen sich einer PCP-Intoxikation nicht zuordnen. Dies entspricht auch der wissenschaftlichen Lehrmeinung, dass chronische Vergiftungen durch eine PCP-Kontaminierung bislang nicht nachgewiesen sind (Mehrtens/Perlebach aaO).

Den Ausführungen des vom SG gehörten Prof. Dr.H. vermag der Senat in Würdigung des Gutachtens des Dr.S. nicht zu folgen. Der psychische Befund des Klägers ist konstitutionsbedingt. Der Kläger litt bereits seit etwa 1973 unter Magenbeschwerden mit häufigem Erbrechen und Kopfschmerzen sowie seit 1981 an Schwindelerscheinungen. Dies ergibt sich u.a. aus den Schilderungen des Klägers bei der Untersuchung durch Dr.S. am 30.04.2003. Darüber hinaus wären die vom Kläger geltend gemachte Mattigkeit bzw ein vergiftungsbedingter Erschöpfungszustand nur bei Kontakt mit flüssigem PCP durch Einatmung der Dämpfe für den Zeitraum des Kontaktes, aber nicht auf Dauer, wahrscheinlich gewesen (Mehrtens/Perlebach aaO). Denn chronische Vergiftungen durch PCP sind bislang nicht nachgewiesen. Zudem weist Dr.S. darauf hin, dass der von Prof.Dr.H. angenommene schwerwiegende psychische Befund beim Kläger objektiv nicht vorgelegen hat. Dr.H. sprach in seinem Befundbericht vom 12.03.1990 von einem vegetativ-nervösen Syndrom und am 17.11.1997 von einem psycho-vegetativ geprägten Beschwerdebild. Der Neurologe und Psychiater Dr.B. berichtet in seinem Arztbrief vom 12.11.1981, dass der Kläger seit seiner Lehrzeit immer wieder unter Magenbeschwerden mit häufigem Erbrechen leide und auch Kopfschmerzen öfters aufgetreten seien. Am 12.01.1990 fasste er die vom Kläger als Kopfleere, Kopfschmerzen und Schwindel geschilderten Beschwerden als Folge von degenerativen Veränderungen der Halswirbelsäule und evtl. auch vegetativen Fehlsteuerungen auf.

Da der Kläger keine PCP-Dämpfe eingeatmet hat, sondern eine kontaminierte Schutzkleidung getragen hat, ist auch nicht wahrscheinlich, dass die geltend gemachte Sinusitis und Laryngitis auf das Tragen der Schutzkleidung zurückgeführt werden kann. Denn die beim Kläger gemessenen erhöhten PCP-Werte im Blutspiegel konnten nach den Luftkonzentrationsmessungen nur aus der kontaminierten Berufskleidung über die Haut in den Körper gelangt sein. Eine Einwirkung auf die Atemwege war bei dem wahrscheinlichen Belastungsweg und den an der unteren Grenze des Referenzwertes gemessenen Dosiswerten nicht zu erwarten.

Auch der von Prof. Dr.H. im Dezember 1999 und von dem HNO-Arzt Dr.N. im Juni 1994 geäußerten Vermutung, dass das Kontaktgranulom am rechten Stimmband im Zusammenhang mit der chronischen Laryngitis stehe, welche als Folge einer PCP-Vergiftung zu sehen sei, vermag der Senat nicht folgen. Zum einen ergibt sich aus den Krankenkassenauszügen der Bundesbahnbetriebskrankenkasse, dass der Kläger schon seit 1974 wegen Pharyngo-Laryngitis, Tonsillitis, Bronchitis und sonstiger Erkältungsinfekte gehäuft arbeitsunfähig erkrankt war. Zum anderen bestanden nach den Ausführungen des Dr.N. die Stimmveränderungen 1994 schon über zwei Jahre. Der HNO-Arzt Dr.W. , der den Kläger von Oktober 1981 bis Ende Februar 1994 regelmäßig behandelte, diagnostizierte im Februar 1994 eine chronische Rhino-Sinusitis, Septumdeviation, chronische Pharyngo-Laryngo-Trachitis und einen chronischen Tubenmittelohrkatarrh. Angesichts der Art und des geringen Ausmaßes der Intoxikation sowie der Vorerkrankungen ist es daher nicht wahrscheinlich, dass die chronischen Erkrankungen der Nase und im Rachenraum auf die PCP-Exposition zurückzuführen sind. Die Überzeugung des Senats wird auch gestützt durch den HNO-Arzt Dr.H. , der in seinem Gutachten vom 13.05.1996 einen Zusammenhang zwischen der PCP-Belastung von 1993/94 und den Erkrankungen im Bereich der Nasennebenhöhle und des Kehlkopfes wegen fehlender inhalativer Einwirkung auf die Schleimhäute nicht für wahrscheinlich gehalten hat.

Die Überschreitung der PCP-Serumkonzentrationen im November und Dezember 1993, März, April und Juli 1994 sind als regelwidriger Körperzustand anzusehen, auch wenn beim Kläger hierdurch keine Funktionsstörungen ausgelöst wurden. Die festgestellten PCP-Werte manifestieren nämlich einen regelwidrigen, von der Norm abweichenden Körperzustand. Die Werte lagen über mehrere Monate hinweg höher als der Grenzwert für die Normalbevölkerung unter vergleichbaren Lebensbedingungen (vgl BayLSG Breithaupt 1991, 31 - 39). Bei dem für die Unfallversicherung eigenständigen Krankheitsbegriff kommt es nicht darauf an, ob der Kläger infolge der Belastung mit PCP behandlungsbedürftig bzw arbeitunfähig war (Mehrtens/Perlebach, aaO, § 9 SGB VII, RdNr 6 b). Damit stellt auch ein geringfügig erhöhter PCP-Spiegel im Serum eine BK dar, unabhängig davon, ob die Werte arbeitsmedizinisch oder toxikologisch noch tolerierbar sind. Das SG hat daher zu Recht entschieden, dass eine BK nur für den den Referenzwert überschreitenden Zeitraum zu berücksichtigen ist, also auch im Dezember 1993, März, April und Juli 1994.

Nach alledem war die Berufung als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision iS des § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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