L 17 U 196/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 1 U 5046/99
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 17 U 196/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 20.05.2003 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid vom 20.05.1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21.10.1999 abgewiesen, soweit sie über das Anerkenntnis der Beklagten vom 11.10.2000 hinausgeht.
II. Die Beklagte hat dem Kläger ein Viertel der außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung und Entschädigung weiterer Folgen des Arbeitsunfalles vom 13.12.1997 streitig.

Der 1951 geborene Kläger erlitt am 13.12.1997 einen Arbeitsunfall. Beim Reinigen mittels eines Hochdruckreinigers stürzte er aus ca 2 - 3 m Höhe - bei abgewinkeltem, nach hinten liegenden Arm - mit der rechten Seite auf den Betonboden und zog sich eine Schulterkontusion rechts zu (Durchgangsarztbericht des Prof. Dr.G. vom 15.12.1997). Vom 15.12. bis 23.12.1997 befand er sich stationär im J.spital W ... Dort wurde am 16.12.1997 eine frische Ruptur der Rotatorenmanschette (RM) rechts diagnostiziert.

Bereits am 18.12.1993 hatte sich der Kläger bei einem Arbeitsunfall eine Schultereckgelenk-Distorsion I rechts zugezogen, die zuletzt die Gutachter Dr.H. am 30.08.2002 und PD Dr.I. am 14.01.2003 mit einer MdE von weniger als 10 vH einschätzten.

Die Beklagte zog die ärztlichen Unterlagen des J.spitals W. sowie Auskünfte über Erkrankungen von der Innungskrankenkasse W. vom 02.02.1998 und der Bahn-Betriebskrankenkasse Rosenheim vom 13.02.1998 bei. Sodann erstellte Prof.Dr.G. am 23.10.1998 / 10.03.1999 ein chirurgisches Gutachten. Er sah eine traumatische Rotatorenmanschettenruptur (RMR) als Unfallfolge an und führte die Heilbehandlung bis 30.03.1998 auf die Unfallfolgen zurück. Die MdE bewertete er mit 10 vH.

Der Beratungsarzt der Beklagten, Dr.H. , bestritt in seinen Stellungnahmen vom 24.11.1998 / 26.04.1999 das Vorliegen einer unfallbedingten RMR, da ein entsprechender Unfallmechanismus nicht belegt sei. Bei dem Unfall sei es zu einer relativ schweren Schulterprellung rechts gekommen, bei der die MdE jetzt mit unter 20 vH zu bewerten sei.

Mit Bescheid vom 20.05.1999 lehnte die Beklagte einen Anspruch auf Verletztenrente ab. Als Folge des Arbeitsunfalls erkannte sie eine Prellung der Schulter rechts an, die folgenlos abgeklungen sei. Eine RMR rechts als Unfallfolge lehnte sie ab.

Im anschließenden Widerspruchsverfahren holte die Beklagte einen Befundbericht des Orthopäden Dr.A. vom 26.08.1999 ein, bei dem der Kläger wegen lumbaler Beschwerden und bereits im November 1997 auch wegen chronischer Schulterbeschwerden rechts in Behandlung gestanden hatte. Mit Widerspruchsbescheid vom 21.10.1999 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Gegen diese Bescheide hat der Kläger Klage zum Sozialgericht (SG) Würzburg erhoben und beantragt, die Unfallfolgen des Ereignisses vom 13.12.1997 mit einer MdE um 20 vH zu bewerten. Er hat vorgetragen, dass er aus einer Höhe von ca 3 m mit dem ganzen Körpergewicht auf die rechte Schulter gefallen und auf den nach hinten liegenden rechten Arm aufgeschlagen sei.

Die Beklagte hat ein Gutachten des Unfallchirurgen Prof. Dr.W. vom 09.08.2000 vorgelegt, der eine traumatische Ruptur der RM rechts annahm. Arbeitsunfähigkeit hat er bis 01.03.1998 sowie anschließend eine MdE von 20 vH bis 13.06.1998 angenommen. Ab 14.06.1998 hat er die MdE mit 10 vH bewertet. Nach Einholung einer Stellungnahme ihres Beratungsarztes Dr.H. vom 26.09.2000 hat die Beklagte als weitere Folgen des Unfalles vom 13.12.1997 anerkannt (Schriftsatz vom 11.10.2000): Verdrehung der rechten Schulter mit Teilschädigung der Rotatorenmanschette bei vorbestehenden degenerativen Veränderungen. Minimale Bewegungseinschränkung rechte Schulter, leichte Minderbelastbarkeit und geringe Kraftminderung rechte Schulter. Einen Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente hat sie mit der Begründung verneint, eine unfallbedingte MdE in rentenberechtigendem Grade über die 26. Woche nach dem Arbeitsunfall liege nicht vor.

Nach Durchführung einer MR-Arthrographie des rechten Schultergelenkes durch den Radiologen Dr.K. am 17.01.2002 hat das SG ein Gutachten des Chirurgen Dr.H. am 30.08.2002 veranlasst. Dieser hat eine RM-Verletzung des rechten Schultergelenkes bestätigt. Die MdE hat er ab der 26. Woche mit 10 vH eingeschätzt. Der Chirurg PD Dr.I. hat in einem nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erstellten Gutachten vom 14.01.2003 zusätzlich eine knöcherne Verletzung des Oberarmkopfes angenommen. Die MdE hat er mit 20 vH bewertet. Die Beklagte hat dem Gutachten mit einer Stellungnahme des Dr.H. vom 21.02.2003 widersprochen.

Mit Urteil vom 20.05.2003 hat das SG die Beklagte verurteilt, als Folgen des Arbeitsunfalles eine traumatische RMR rechtes Schultergelenk, ventrolaterale Impressionsfraktur im Bereich des Humeruskopfes sowie Bewegungseinschränkung der rechten Schulter mit Minderbelastbarkeit und Kraftminderung anzuerkennen und ab 14.06.1998 mit einer MdE von 20 vH zu bewerten.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung eingelegt und vorgetragen, dass die im Gutachten des PD Dr.I. aufgeführten Unfallfolgen, insbesondere die knöcherne Verletzung im Sinne einer ventrolateralen Impressionsfraktur, u.U. auf ein anderes Unfallereignis zurückgehen (im Rahmen der Tätigkeit des Klägers als Briefträger am 07.01.2002). Es bestehe daher der begründete Verdacht, dass die 2002 erstmals festgestellte Impressionsfraktur bei diesem späteren Unfallereignis eingetreten sei.

Zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung hat der Senat die Unfallakten der Eisenbahn-Unfallkasse (Arbeitsunfall vom 18.12.1993), einen Befundbericht des Orthopäden Dr.A. vom 14.08.2003 (Kläger bei ihm seit 14.01.2002 in Behandlung), Befundberichte des Allgemeinarztes Dr.K. vom 30.01.2004 und des Chirurgen W. vom 30.01.2004 sowie die einschlägigen Röntgen- und CT-Aufnahmen zum Verfahren beigezogen. Sodann hat der Senat von Prof.Dr.S. ein orthopädisches Gutachten vom 23.03.2004 eingeholt. Dieser hat als Folge des Arbeitsunfalls vom 13.12.1997 ebenfalls eine traumatische RMR angenommen, die zwischenzeitlich operativ versorgt sei. Als Unfallfolgen seien eine leichte Bewegungseinschränkung sowie eine leichte Kraftminderung der rechten Schulter verblieben. Die MdE sei mit 10 vH einzuschätzen.

Der Kläger hat dem Gutachten widersprochen, da der Gutachter keine früheren Röntgenaufnahmen zur Verfügung gehabt habe. Zudem habe er die Humeruskopffraktur nicht berücksichtigt.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des SG Würzburg vom 20.05.2003 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 20.05.1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21.10.1999 abzuweisen, so- weit sie über das Anerkenntnis vom 11.10.2000 hinausgeht.

Der Kläger beantragt, die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Würzburg vom 20.05.2003 zurückzuweisen.

Ergänzend wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten, die Unfallakte der Eisenbahn-Unfallkasse sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung von Folgen des Arbeitsunfalls vom 13.12.1997, soweit sie über das Anerkenntnis der Beklagten vom 11.10.2000 hinausgehen. Die Voraussetzungen für eine Entschädigung des Arbeitsunfalls sind nicht erfüllt.

Verletztenrente ist nach § 56 Abs 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) dann zu gewähren, wenn die Erwerbsfähigkeit eines Verletzten infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vH gemindert ist. Die Entscheidung der Frage, in welchem Umfang die Erwerbsfähigkeit eines Verletzten gemindert ist, ist eine tatsächliche Feststellung, die das Gericht gemäß § 128 Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft (BSGE 4, 147, 148; 6, 267, 268; BSG vom 23.04.1987 - 2 RU 42/86). Die Bemessung des Grades der unfallbedingten MdE richtet sich nach dem Umfang der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens des Verletzten durch die Unfallfolgen und nach dem Umfang der dem Verletzten dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens. Die Beurteilung, in welchen Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind, betrifft in erster Linie das ärztlich-wissenschaftliche Gebiet. Doch ist die Frage, welche MdE vorliegt, eine Rechtsfrage. Sie ist ohne Bindung an ärztliche Gutachten unter Berücksichtigung der Einzelumstände nach der Lebenserfahrung zu entscheiden. Ärztliche Meinungsäußerungen hinsichtlich der Bewertung der MdE sind aber eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Einschätzung des Grades der MdE, vor allem soweit sich diese darauf bezieht, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind (BSG in SozR 2200 § 581 Nrn 23, 27).

Eine Gesundheitsstörung als Folge eines Arbeitsunfalles ist u.a. dann anzuerkennen, wenn zwischen dem Unfall und der Gesundheitsstörung ein ursächlicher Zusammenhang besteht. Ein solcher liegt nach dem in der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Kausalitätsbegriff dann vor, wenn das Unfallereignis mit Wahrscheinlichkeit wesentlich die Entstehung oder Verschlimmerung eines Gesundheitsschadens bewirkt hat (BSGE 1, 72, 76; 12, 242, 245; 38, 127, 129; Bereiter/Hahn/Schieke/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, 4. Auflage, Anm 3, 3.4 zu § 548 RVO).

Unstreitig ist ein Riss der RM dem Arbeitsunfall vom 13.12.1997 ursächlich zuzuordnen. Dies hat die Beklagte im Wesentlichen in ihrem Anerkenntnis vom 11.10.2000 zum Ausdruck gebracht, in dem sie vor allem eine Verdrehung der rechten Schulter mit Teilschädigung der RM als unfallbedingt ansah.

Nach Auffassung des Senats schätzen die Gutachter Dr.H. und Prof. Dr.S. die MdE mit unter 20 vH (Prof. Dr.S.: 10 vH) zutreffend ein. Entsprechend den Erfahrungssätzen der gesetzlichen Unfallversicherung ist eine höhere MdE als 10 vH nicht vertretbar. Dies folgt ohne weiteres aus dem Muskelstatus des Klägers sowie der leichten Bewegungseinschränkung und Kraftminderung. Gering- bis mittelgradige schmerzhafte Funktionseinschränkungen werden mit einer MdE von 10 vH bewertet (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7.Auflage, S 514).

Die Bewegungseinschränkung der rechten Schulter mit Minderbelastbarkeit und Kraftminderung stellt eine weitere Unfallfolge dar, wie es das SG Würzburg zum Ausdruck brachte. Diese Einschränkungen können aber lediglich als leichtgradig beurteilt werden. Der Kläger hat für die rechte Schulter eine aktive Bewegungsminderung für das Nachvorne- und Zurseiteführen der Schulter vorgeführt. Bei der passiven Bewegungsprüfung zeigte sich aber eine deutlich bessere Beweglichkeit. Bei der Umfangmessung der oberen Gliedmaßen konnte keinerlei Muskelverschmächtigung des rechten Armes nachgewiesen werden. Daraus ist zu schließen, dass der Kläger bei seiner muskelkräftigen Statur den rechten Arm für die Tätigkeit in seiner Nebenerwerbslandwirtschaft durchaus einsetzt. Zusätzlich zur fehlenden Muskelatrophie im Bereich des rechten Armes ergaben sich auch für den Schultergürtel keine entsprechenden Hinweise eines Muskelstatus. Der M. deltoideus war seitengleich kräftig ausgebildet, der M. supraspinatus wies keine Verschmächtigung auf.

Die Vorschäden des Klägers an der rechten Schulter aufgrund des Arbeitsunfalls vom 18.12.1993 sowie die von Dr.A. angeführten Schulterbeschwerden im November 1997 haben keine Auswirkungen auf den Arbeitsunfall vom 13.12.1997. Der Unfall vom 18.12.1993 führte zu einer Schulterecksgelenks-Distorsion Tossy I, also zu einer Zerrung des Schultereckgelenks ohne wesentliche Dislokation. Offensichtlich lagen damals keine Arbeitsunfähigkeitszeiten bzw die Notwendigkeit wesentlicher Arztbesuche vor. Aus dem Krankheitsverlauf läßt sich zum damaligen Zeitpunkt noch kein Riss der RM entnehmen. Ein wesentlicher Nachschaden ist auch nicht durch den Unfall vom 07.01.2002 zu erkennen, als der Kläger als Postzusteller auf den nach hinten ausgestreckten rechten Arm gefallen ist. Er hat selbst angegeben, dass sich nach diesem Ereignis die Beschwerden wieder auf das vorher bestehende Maß zurückbildeten.

Nicht folgen kann der Senat den Ausführungen des PD Dr.I ... Die von ihm attestierte Impressionsfraktur des Oberarmkopfes kann nicht auf den Arbeitsunfall zurückgeführt werden. Dies folgt aus dem sehr sorgfältig erstellten Operationsbericht vom 16.12.1997, in dem eine derartige Veränderung nicht beschrieben wurde, obwohl sie einsehbar gewesen wäre. Der Ersteller der Kernspintomographie vom 17.01.2002 (Dr.K.) hat auch keine postoperativen Veränderungen diskutiert. Hinsichtlich eines Knochendefektes ventrolateral fehlt eine präzise Äußerung über die Genese. Entgegen der Auffassung der Klägerseite standen Prof.Dr.S. bei seiner Begutachtung auch ausreichend Röntgenaufnahmen, insbes. vom 14. und 15.12.1997, zur Verfügung.

Die Berufung der Beklagten ist daher erfolgreich. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente. Das Urteil des SG Würzburg war deshalb aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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