L 17 U 413/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 15 U 130/02
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 17 U 413/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 11.11.2003 aufgehoben, soweit dem Kläger Kosten des Verfahrens auferlegt worden sind.
II. Im Übrigen wird die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg zurückgewiesen.
III. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob eine Zerreißung der Bandverbindung zwischen dem Kahn- und Mondbein im rechten Handgelenk als Arbeitsunfall anzuerkennen und zu entschädigen ist.

Der 1963 geborene Kläger verspürte am 01.03.2000 ein Krachen in seinem Handgelenk als er bei der Reparatur eines Kraftfahrzeuges einen Kolben mit der Rohrzange zurück drückte, um Bremssättel gängig zu machen (Unfallanzeige des Arbeitgebers vom 06.09.2000). Er suchte das erste Mal nach zwei bis drei Wochen seinen Hausarzt auf, der ihm Schmerzmittel verschrieb. Da keine Besserung der Beschwerden eintrat, überwies ihn dieser am 27.06.2000 zu dem Orthopäden Dr.K ... Eine Röntgenaufnahme des rechten Handgelenkes in zwei Ebenen zeigte eine deutliche Rotationsfehlstellung des Kahnbeins. Der Spalt zwischen Kahn- und Mondbein war in seiner Kongruenz aufgehoben, im seitlichen Röntgenbild betrug der SL-Winkel mehr als 110° und war eindeutig pathologisch. Ein von Dr.K. veranlasstes Kernspin zeigte einen scaphalonären Riss. Dr.K. überwies den Kläger daraufhin in die Klinik für Handchirurgie Dr.E. GmbH. In der dort am 24.08.2000 vorgenommenen Arthroskopie bestätigte sich die Zerreißung der Bandverbindung zwischen dem Kahn- und Mondbein am rechten Handgelenk. Es zeigte sich ein Knorpelschaden am Radiusstyolid.

Mit Bescheid vom 07.03.2002 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Ereignisses als Arbeitsunfall mit der Begründung ab, die Schadensanlage und nicht das äußere Ereignis vom März 2000 sei die rechtlich wesentliche Ursache für den Körperschaden. Es liege eine sog. Gelegenheitsursache vor.

Der Widerspruch war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 23.04.2002).

Dagegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben und beantragt die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 07.03.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.04.2002 zu verurteilen, den Arbeitsunfall vom 01.03.2000 nach den gesetzlichen Bestimmungen zu entschädigen. Das SG hat ein handchirurgisches Gutachten des Dr.P. vom 23.08.2002 eingeholt. Dieser hat nach Auswertung der Röntgenaufnahmen vom 27.06.2000 (Dr.K.) und 30.04.2001 (Kliniken Dr.E.) sowie der gefertigten Kernspin-Aufnahme und persönlicher Untersuchung des Klägers das angeschuldigte Unfallereignis nicht für geeignet gehalten, eine frische Bandverletzung zwischen Kahn- und Mondbein hervorzurufen. Es sei deshalb von einer Gelegenheitsursache auszugehen, die auch keine richtunggebende Verschlimmerung mit sich gebracht habe.

Mit Urteil vom 11.11.2003 hat das SG die Klage abgewiesen. Es ist davon ausgegangen, dass ein rechtlich unwesentliches äußeres Ereignis und somit kein Versicherungsfall i.S. der Unfallversicherung vorliege. Es hat die Rechtsverfolgung für missbräuchlich gehalten und dem Kläger die Kosten des Verfahrens auferlegt, die dadurch entstanden sind, dass er den Rechtsstreit über den 11.11.2003 hinaus fortgeführt hat.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt und vorgetragen, das Datum der Unfallanzeige stimme nicht. Er habe den Unfall ca zwei bis drei Wochen nach dem 01.03.2000 bei seinem Hausarzt gemeldet. Er habe vom Hausarzt Schmerzmittel bekommen. Da keine Besserung eingetreten sei, habe er eine Überweisung zum Orthopäden Dr.K. bekommen. Dieser habe seine tatsächliche Verletzung nicht erkannt und er sei monatelang falsch behandelt worden. Da die Schmerzen in seinem Handgelenk immer stärker geworden seien und Dr.K. nicht mehr weiter gewusst habe, habe er eine Überweisung zum Kernspin erhalten. Dieser Arzt habe ihm gleich sagen können, dass eine Bandruptur bestehe.

Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 07.03.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23.04.2002 zu verurteilen, das Ereignis vom 01.03.2000 als Arbeitsunfall anzuerkennen und zu entschädigen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Nürnberg vom 11.11.2003 zurückzuweisen.

Ergänzend zum Sachverhalt wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist nur insoweit begründet, als dem Kläger Verfahrenskosten auferlegt worden sind. Der beim Kläger am rechten Handgelenk bestehende Gesundheitsschaden ist nicht Folge eines Arbeitsunfalles.

Die Anerkennung eines Arbeitsunfalls setzt nach § 8 Abs 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) voraus, dass es sich um Unfälle von Versicherten infolge einer dem Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit) handelt. Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Voraussetzung dafür, dass eine Gesundheitsstörung als Folge eines Arbeitsunfalls anerkannt werden kann, ist, dass zum Einen zwischen der unfallbringenden versicherten Tätigkeit und dem Unfall sowie dem Unfall und der Gesundheitsstörung ein ursächlicher Zusammenhang besteht (haftungsbegründende und haftungsausfüllende Kausalität). Die haftungsausfüllende Kausalität ist nach dem in der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Kausalitätsbegriff nur dann gegeben, wenn das Unfallereignis mit Wahrscheinlichkeit im Wesentlichen die Entstehung oder Verschlimmerung eines Gesundheitsschadens bewirkt hat. Wahrscheinlichkeit ist gegeben, wenn bei vernünftigem Abwägen aller Umstände die auf die berufliche Verursachung deutenden Faktoren so stark überwiegen, dass darauf die Entscheidung gestützt werden kann (Bereiter-Hahn/Schieke/Mehrtens, Ges.Unfallvers, 5.Aufl, Anm 10.1 zu § 8 SGB VII).

Es unterliegt keinem Zweifel, dass der Kläger bei der betrieblichen Tätigkeit einen Unfall erlitten hat, als er plötzlich beim Lösen eines Bremssattels mit einer Rohrzange ein Schnappen im rechten Handgelenk verspürte. Die haftungsbegründende Kausalität zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfallgeschehen ist somit gegeben. Ein Arbeitsunfall liegt aber dennoch nicht vor, da der Kläger durch den Unfallvorgang keine Gesundheitsschädigung erlitten hat, die ursächlich auf das Unfallereignis zurückzuführen ist.

Im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität ist selbstständig zu prüfen, ob die geltend gemachte Gesundheitsstörung mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit auf den Arbeitsunfall zurückzuführen ist (BSG SozR 3-2200 § 548 Nrn 11 und 14). Nach der in der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Lehre von der wesentlichen Bedingung sind von den Bedingungen im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinn als Ursache oder Mitursache unter Abwägung ihres verschiedenen Wertes nur diejenigen Bedingungen anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehungen zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (BSGE I, 72, 76; 61, 127, 129; 63, 272, 278; Bereiter/Hahn/Schieke/Mehrtens, aaO RdNr 3). Besteht im Unfallzeitpunkt eine Krankheitsanlage des geschädigten Körperteils, so muss abgegrenzt werden, ob der Gesundheitsschaden auch ohne das Unfallereignis zu etwa der selben Zeit durch andere alltäglich vorkommende Ereignisse hätte verursacht werden können, oder ob der Krankheitsanlage eine so überragende Bedeutung nicht beigemessen werden kann und daher dem Unfallgeschehen ein wesentlicher Ursachenbeitrag zuzuerkennen ist (BSG SozR 2200 § 589 Nr 10; Bereiter/Hahn/Schieke/Mehrtens aaO RdNr 3.3 Stichwort: "Gelegenheits-(Anlass-)Ursache"; Brackmann/Krasney, Handbuch der Sozialversicherung - Ges. Unfallversicherung - 12.Aufl, § SGB VII RdNr 378).

In Fällen wie dem vorliegenden ist daher zu prüfen, ob die unfallbringende Tätigkeit für die Entstehung des Gesundheitsschadens (hier: Zerreißung der Bandverbindung zwischen dem Kahn- und Mondbein) eine rechtlich wesentliche Ursache darstellt oder ob sich gravierende körpereigene Ursachen in Form einer vorbestehenden Degeneration feststellen lassen. Nach den überzeugenden Ausführungen des vom SG gehörten Handchirurgen Dr.P. war das Unfallereignis nicht schwer genug, um einen Riss der Bandverbindung zu verursachen. Auch ist das Ereignis in seiner Mechanik nicht so abgelaufen, dass es die Entstehung einer derartigen Rissbildung erklärt. Eine bewusste - wenn auch überaus kraftvoll durchgeführte - Belastung des Handgelenkes ist nicht imstande, eine frische Kapselbandverletzung zu verursachen. Um mit Wahrscheinlichkeit eine Bandverletzung als Unfallfolge anzunehmen, bedarf es z.B. eines ungebremsten Sturzes auf ein überstrecktes Handgelenk. An einem solchen Beschleunigungsvorgang fehlt es vorliegend. Vielmehr wird beim Zusammendrücken einer Rohrzange bei maximaler Kraftentwicklung das Handgelenk durch die Unterarmmuskulatur und die Sehnen im Handgelenksbereich fixiert. Es ist daher vorliegend davon auszugehen, dass die Bandzerreißung entweder bereits längere Zeit vor dem Unfall erfolgt ist oder sich nur anlässlich des Arbeitsvorganges mit der Rohrzange wegen eines vorbestehenden Bandschadens ereignete, ohne dass der Arbeitsvorgang die rechtlich wesentliche Ursache darstellte. Dr.P. hat für den Senat nachvollziehbar dargelegt, dass Zerreißungen des Bandapparates zwischen Kahnbein und Mondbein oftmals als reine Stauchung oder Überdehnung des Kapselbandapparates eingeschätzt werden. Der Röntgenbefund drei Monate nach dem angeschuldigten Ereignis zeigte einen Ausriss am streckseitigen Dreiecksbein, was auf einen bereits älteren Handgelenksschaden hindeutete. Nach den Feststellungen des Dr.P. können veraltete Kapselbandverletzungen zwischen Kahnbein und Mondbein mit Begleitverletzungen im Sinne von knöchernen Absprengungen an den Handwurzelknochen jahrelang auch unter extremer Betätigung wie Golf spielen oder Tennis spielen beschwerdefrei bleiben.

Nach alledem ist der Senat davon überzeugt, dass der Vorschaden am rechten Handgelenk die überragende Ursache für die eingetretene Gesundheitsstörung darstellt. Das Ereignis zum 01.03.2000 ist nicht ursächlich für die diagnostizierte Bandzerreißung. Auch eine Verschlimmerung des Vorschadens durch das Unfallereignis kann nicht angenommen werden. Bei der angeschuldigten Tätigkeit ist es durch die muskuläre Anspannung zu einer Fixierung im Handgelenk gekommen. Es ist unwahrscheinlich, dass durch eine "Verriegelung" im Handgelenk eine weitere Schädigung der alten Bandverletzung erfolgt. Vielmehr war die Krankheitsanlage so stark, dass es zur Auslösung akuter Erscheinungen keiner besonderen äußeren Einwirkungen bedurfte, sondern dass jedes andere alltäglich vorkommende ähnlich gelagerte Ereignis zu der selben Zeit die Erscheinungen ausgelöst hätte.

Das SG hat dem Kläger wegen Missbräuchlichkeit Kosten auferlegt. Es geht von einer offensichtlich unbegründeten Klage aus, weil der Kläger nach ausführlichen Hinweisen des Gerichts und den eindeutigen und übereinstimmenden Ausführungen aller beteiligten Ärzte nicht die Rücknahme der Klage erklärt hat. Diese offensichtliche Unbegründetheit reicht jedoch für die Auferlegung von "Verschuldenskosten" nicht aus.

Zusätzliche Voraussetzung für die in § 192 Sozialgerichtsgesetz (SGG) genannten "Verschuldenskosten" ist vorliegend, dass die weitere Rechtsverfolgung nach Hinweis des Vorsitzenden des SG missbräuchlich war.

Eine solche Missbräuchlichkeit kann vorliegen bei Weiterverfolgung trotz offensichtlicher Aussichtlosigkeit. Die bloße Aussichtslosigkeit genügt jedoch nicht, es müssen besondere Umstände dazu kommen. Ein solcher Umstand ist anzunehmen, wenn das Gericht haltlos der vorsätzlichen Rechtsbeugung und der Begünstigung bezichtigt wird, also bei beleidigendem und verletzendem Vortrag. Missbräuchlichkeit kann auch vorliegen bei substanzloser Klage in Bagatellfällen (vgl. Jens Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, 7.Auflage, zu § 192 Rdnr 9). Nicht ausreichend für die Annahme einer Missbräuchlichkeit ist, wenn ein Beteiligter weiterprozessiert, weil er die Hoffnung auf einen günstigen Ausgang noch nicht aufgegeben hat, auch wenn er unbelehrbar, uneinsichtig ist, sofern seine Uneinsichtigkeit nicht ein besonders hohes Maß erreicht.

Aus dem Vorbringen des Klägers in den Schriftsätzen und in der mündlichen Verhandlung beim SG ergeben sich keine Hinweise dafür, dass der Kläger mutwillig das Verfahren betreibt. Nach seinen Angaben muss man davon ausgehen, dass er davon überzeugt ist, dass seine Beschwerden im rechten Handgelenk wesentlich mit dem Unfall vom 01.03.2000 zusammenhängen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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