L 5 AL 31/03

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 13 AL 604/02
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 5 AL 31/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 3. Februar 2003 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Höhe der Arbeitslosenhilfe ab dem 27. Juni 2000.

Der Kläger bezog Arbeitslosenhilfe vom 1. April 1997 bis zum 22. März 1998 auf der Grundlage eines Bemessungsentgelts von 780 DM, nach dem sich bis zum 31. März 1997 sein Arbeitslosengeld gerichtet hatte. Im Anschluss an den Bezug von Übergangsgeld vom 23. März 1998 bis zum 26. Juni 2000 und vom 14. August bis 10. Oktober 2000 wegen seiner Umschulung zum Systemelektroniker erhielt er vom 27. Juni bis zum 13. August 2000 sowie vom 11. Oktober 2000 bis zum 31. März 2001 Arbeitslosenhilfe nach einem Bemessungsentgelt von 750 DM, vom 11. April bis 8. Mai 2001 nach einem Bemessungsentgelt von 740 DM, vom 9. Mai 2001 bis zum 31. Dezember 2001 nach einem Bemessungsentgelt von 720 DM und ab dem 1. Januar 2002 nach einem Bemessungsentgelt von 370 EUR. Mit Bescheid vom 19. April 2002 bewilligte die Beklagte ihm ab dem 1. April 2002 Arbeitslosenhilfe nach einem Bemessungsentgelt von 365 EUR. Ab dem 4. Juni 2002 bezog er wieder Übergangsgeld und ab dem 27. Oktober 2002 Arbeitslosenhilfe nach einem Bemessungsentgelt von 365 EUR.

Der Kläger erhob gegen den Bescheid vom 19. April 2002 Widerspruch mit der Begründung, die Arbeitslosenhilfe sei seit zwei Jahren nicht angepasst, sondern gesenkt worden. Er fordere die Beklagte auf, diese Anpassung vorzunehmen. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 23. Mai 2002 mit der Begründung zurück, das für die Bemessung der Arbeitslosenhilfe des Klägers bis zum 31. März 2002 maßgebende wöchentliche Arbeitsentgelt von 370 EUR sei gem. § 201 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch - Drittes Buch - Arbeitsförderung (SGB III) ab dem 1. April 2002 mit dem ab 1. Juli 2001 maßgebenden Anpassungsfaktor 1,0138, vermindert um 0,03, d. h. um 0,9838 neu festzusetzen gewesen.

Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Hamburg (SG) hat der Kläger geltend gemacht, die Arbeitslosenhilfe sei entsprechend der Anpassungsverordnung zu erhöhen und nicht abzurunden. Das SG ist davon ausgegangen, dass es dem Kläger um eine höhere Arbeitslosenhilfe für die Zeit ab dem 27. Juni 2000 gehe. Es hat in dem Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid der Beklagten vom 19. April 2002 einen ohne wichtigen Grund noch nicht beschiedenen Antrag auf Neufeststellung der Arbeitslosenhilfe ab dem 27. Juni 2000 gesehen und die Beklagte mit Gerichtsbescheid vom 3. Februar 2003 verurteilt, dem Kläger unter Änderung der für die strittige Zeit ergangenen Bewilligungsbescheide Arbeitslosenhilfe nach einem Bemessungsentgelt von 780 DM wöchentlich für die Zeiträume bis zum 31. März 2001, von 760 DM für die Zeit vom 1. April bis zum 31. Dezember 2001 und von 390 EUR für die Zeit vom 1. Januar bis zum 31. Februar 2002 zu gewähren und die sich ergebende Nachzahlung zu verzinsen. Es hat ferner die Beklagte unter entsprechender Änderung des Bescheides vom 19. April 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Mai 2002 verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 1. April bis zum 3. Juni 2002 Arbeitslosenhilfe nach einem wöchentliche Bemessungsentgelt von 380 EUR zu gewähren und auch diese Nachzahlung zu verzinsen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Arbeitslosenhilfe sei ab dem 26. Juni 2000 gemäß § 133 Abs. 1 SGB III ohne Berücksichtigung der zwischenzeitlich gemäß § 201 SGB III vorzunehmenden Anpassungen nach dem bisherigen Bemessungsentgelt von 780 DM, nicht nach dem angepassten Bemessungsentgelt, festzusetzen gewesen.

Gegen diesen ihr am 7. Februar 2003 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Beklagte am 6. März 2003 Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt sie vor, die Festsetzung des Bemessungsentgelts für die Arbeitslosenhilfe richte sich nicht, wie vom Sozialgericht dargelegt, nach § 133 Abs. 1 SGB III, sondern nach § 198 Satz 2 in Verbindung mit § 201 Abs. 1 SGB III.

Die Beklagte beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 3. Februar 2003 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Er hält den Gerichtsbescheid für zutreffend und hat zur Sache keine weiteren Ausführungen gemacht.

Zu weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der in der Sitzungsniederschrift aufgeführten Akten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte (§ 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) Berufung der Beklagten ist auch sonst zulässig. Insbesondere ist sie statthaft; denn sie betrifft wiederkehrende Leistungen für mehr als ein Jahr (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG). Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger in seiner Klageschrift nur den Widerspruchsbescheid vom 23. Mai 2002 angefochten hat, der sich ausschließlich mit dem Bescheid vom 19. April 2002 befasst hatte, nicht mit den bereits bindend gewordenen Bewilligungsbescheiden seit 2000, und der deshalb nur die Höhe der Arbeitslosenhilfe vom 1. April bis zum 3. Juni 2002 regelte. Maßgebend ist insofern allein, dass das SG die Beklagte auf der Grundlage seiner prozessrechtlichen Wertung des Sachverhalts schon für die Zeit ab dem 26. Juni 2000 und damit für mehr als ein Jahr zur Gewährung einer höheren Arbeitslosenhilfe verurteilt hat und die Beklagte mit ihrer Berufung die für diesen Zeitraum getroffene Entscheidung anficht.

Die Berufung ist auch begründet. Das SG hat die Beklagte zu Unrecht verurteilt, dem Kläger ab dem 27. Juni 2000 höhere Arbeitslosenhilfe zu gewähren.

Gegenstand des Verfahrens ist allein der Bescheid der Beklagten vom 19. April 2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23. Mai 2002, der den Anspruch des Klägers auf Arbeitslosenhilfe für die Zeit vom 1. April bis zum 3. Juni 2002 regelte. Die Bescheide, welche die Bewilligung der Arbeitslosenhilfe nach dem 3. Juni 2002 im Anschluss an die seinerzeit fortgesetzte Umschulung betreffen, sind nicht über § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden. Der Senat schließt sich der Rechtsprechung des Landessozialgerichts Baden-Württemberg zur Begrenzung der Anwendbarkeit dieser Bestimmung an (Urt. vom 8. Oktober 2003 – L 5 AL 4132/02).

Was den Zeitraum vor dem 1. April 2002 anlangt, muss die Berufung schon deswegen Erfolg haben, weil sich die Klage entgegen der Annahme des Sozialgerichts ausschließlich gegen den Bescheid vom 19. April 2002 i. d. F. des Widerspruchsbescheides und 23. Mai 2002 gerichtet hat, mit dem die Arbeitslosenhilfe für die Zeit vom 1. April bis zum 3. Juni 2002 festgesetzt worden ist. Eine Verurteilung der Beklagten zur Rücknahme der bindend gewordenen Bewilligungsbescheide für die Zeit ab dem 26. Juni 2000, wie sie das SG ausgesprochen hat, hat der Kläger - anders als das SG meint, nicht - auch nicht sinngemäß - beantragt. Ein solcher Antrag wäre auch unzulässig gewesen, weil ihm eine Überprüfung der Bescheide durch die Beklagte hätte vorausgehen müssen, die noch nicht erfolgt ist. Auch wenn man den Widerspruch des Klägers gegen den Bewilligungsbescheid vom 19. April 2002 zugleich als Antrag auf eine solche Überprüfung wertet, so hat doch der Kläger entgegen der Auffassung des SG eine auf Bescheidung dieses Antrags oder gar unmittelbare Verurteilung der Beklagten zur Änderung der bindend gewordenen Bewilligungsbescheide gerichtete Untätigkeitsklage nicht – auch nicht sinngemäß - erhoben.

Was den Zeitraum vom 1. April bis zum 3. Juni 2002 angeht, hat die Berufung aus materiell-rechtlichen Gründen Erfolg. Die vom SG beanstandete Bewilligung der Arbeitslosenhilfe ab dem 27. Juni 2000 war rechtmäßig. Insbesondere konnte bei der Bewilligung der Arbeitslosenhilfe auf den Antrag vom 27. Juni 2000 und die nachfolgenden Anträge entgegen der Auffassung des SG die Regelung des § 133 Abs. 1 SGB III keine Anwendung zu Gunsten des Klägers finden. Dieser Bestimmung zufolge ist, wenn der Arbeitslose innerhalb der letzten drei Jahre vor der Entstehung des Anspruchs Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe bezogen hat, Bemessungsentgelt mindestens das Entgelt, nach dem das Arbeitslosengeld oder die Arbeitslosenhilfe zuletzt bemessen worden ist. Dies beinhaltet eine Privilegierung derjenigen Arbeitslosen, die eine vorhergehende Arbeitslosigkeit mit Bezug von Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe dadurch beendet haben, dass sie eine Beschäftigung aufnahmen, in der sie ein geringeres Entgelt als das dem Arbeitslosengeld zugrunde gelegte Entgelt verdienten und nunmehr erneut arbeitslos geworden sind. Ist ein neuer Anspruch auf Arbeitslosengeld (durch Erfüllung der Anwartschaftszeit gem. § 123 SGB III) entstanden, würde für die Leistung das (geringere) Entgelt der zwischen den beiden Zeiten der Arbeitslosigkeit liegenden Beschäftigung zugrunde gelegt. Um Arbeitslose vor diesen Nachteilen bei Aufnahme einer geringer entlohnten Beschäftigung zu schützen und ihre Bereitschaft zu erhöhen, ihre Arbeitslosigkeit auch durch Aufnahme einer geringer entlohnten Beschäftigung zu beenden, schreibt Abs. 1 vor, dass bei erneuter Arbeitslosigkeit dem Arbeitslosengeld nicht das Entgelt der zwischenzeitlich aufgenommenen geringer entlohnten Beschäftigung zugrunde zu legen ist, sondern das (höhere) Entgelt, das dem früheren Arbeitslosengeld bzw. der Arbeitslosenhilfe zugrunde lag. Abs. 1 findet keine Anwendung, wenn der Arbeitslose durch die Zwischenbeschäftigung keinen neuen Anspruch auf Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe erworben hat, z. B. weil die Anwartschaftszeit nicht erfüllt wurde und der alte Anspruch noch nicht aufgebraucht ist. In diesem Fall erhält der Arbeitslose sowieso Leistungen aus dem alten Anspruch und es bedarf keiner Privilegierung (Niesel, Kommentar zum SGB III § 133 Rdnrn 2 u. 3). Die Anwendung des § 133 Abs. 1 SGB III setzt mithin voraus, dass ein neuer Anspruch entstanden und der alte Anspruch erloschen ist. Ist dies nicht der Fall, so lebt der frühere Anspruch wieder auf; er kann nicht erneut entstehen (vgl. Urteil des Bundessozialgerichts am 7. Februar 2002, Az. B 7 AL 42/01 RSGb 2002, 330). So liegt der Fall hier. Auf seine Anträge vom 27. Juni und 11. Oktober 2000 war dem Kläger sein am 1. April 1997 entstandener Anspruch auf Anschlussarbeitslosenhilfe wiederzubewilligen. Dieser war nicht gemäß § 196 Satz 1 Nr. 2 SGB III nach Ablauf eines Jahres seit dem Ende des letzten Bezuges von Arbeitslosenhilfe am 22. März 1998 erloschen, weil sich gemäß § 196 Satz 2 Nr. 5 SGB III die Jahresfrist um die zwischen der Beendigung des letzten Bezuges von Arbeitslosenhilfe und dem neuen Leistungsantrag liegende Zeit des Bezuges von Übergangsgeld verlängert hatte. Diese Weiterbewilligung hatte gemäß § 201 Abs. 1 Satz 1 SGB III, gegen dessen Inhalt verfassungsrechtliche Bedenken nicht bestehen (vgl. BSG Urteil vom 7. Februar 2002 a. a. O.), unter Berücksichtigung der jeweils nach Ablauf eines Jahres seit der Entstehung des Anspruchs auf Arbeitslosenhilfe vorzunehmenden Anpassung mit einem um 0,03 verminderten Anpassungsfaktor zu erfolgen. Mithin war das für die Bemessung der Arbeitslosenhilfe des Klägers bis zum 31. März 2002 maßgebende wöchentliche Arbeitsentgelt von 370 EUR ab dem 1. April 2002 mit dem ab 1. Juli 2001 maßgebenden Anpassungsfaktor 1,0138, vermindert um 0,03, d. h. mit 0,9838 anzupassen. Dies ist auch geschehen.

Die Neuregelung in § 201 Abs. 2 SGB III, die durch das Job-AQTIV-Gesetz vom 10. Dezember 2001 (BGBl I 3443) eingeführt worden ist, findet im vorliegenden Fall noch keine Anwendung (vgl. BSG a. a. O.). Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG und trägt dem Ausgang des Verfahrens Rechnung.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil hierfür eine Veranlassung im Sinne des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG nicht bestanden hat.
Rechtskraft
Aus
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