L 2 RJ 14/03

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Cottbus (BRB)
Aktenzeichen
S 14 RJ 8/00
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 2 RJ 14/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 19. November 2002 wird zurückgewiesen. Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit auch für die Zeit ab Antragstellung.

Der im ... 1967 geborene Kläger absolvierte von September 1984 bis März 1985 eine nicht abgeschlossene Ausbildung zum Agrotechniker. Danach arbeitete er als Schlosser (September 1986 bis Juli 1987) und nach einer Zeit der Arbeitslosigkeit bzw. einer abgebrochenen Umschulung zum Fliesenleger (Dezember 1989 bis Januar 1990, März 1990 bis November 1990 bzw. Januar 1990 bis März 1990) als nichtversicherungspflichtiger selbständiger Kaufmann (November 1990 bis Januar 1996). Zuletzt war er von Januar 1996 bis zum Eintritt von Arbeitsunfähigkeit am 30. Januar 1997 bzw. 16. April 1997 als Trockenbauer tätig; dieses Arbeitsverhältnis wurde zum 30. Oktober 1997 aufgelöst.

Am 20. Oktober 1998 beantragte der Kläger wegen seit Januar 1997 bestehender Schmerzen im Bereich beider Kniegelenke, des Bauchraumes, des linken Rippenbogens, der rechten Hand, der Wirbelsäule, des linken Schultergelenkes sowie ständiger Kopfschmerzen und Schlafstörungen Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Die Beklagte zog verschiedene ärztliche Unterlagen, den Befundbericht der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie N. vom 06. Juli 1998 und den Entlassungsbericht der S.-Klinik GmbH & Co. L. KG vom 11. November 1998 über eine stationäre Rehabilitation vom 26. August bis 07. Oktober 1998 bei und veranlasste das Gutachten der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie D. vom 07. April 1999.

Mit Bescheid vom 28. April 1999 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente ab. Es bestehe zwar eine zeitlich begrenzte Erwerbsunfähigkeit seit 05. Mai 1998 bis voraussichtlich 30. April 2001. Die Wartezeit sei mit nur einem Jahr und 7 Kalendermonaten mit anrechenbaren Zeiten jedoch nicht erfüllt.

Mit dem dagegen eingelegten Widerspruch machte der Kläger geltend, die Zeit von Mai 1997 bis August 1998 sei als Pflichtbeitragszeit zu berücksichtigen, da er Verletztengeld bzw. Krankengeld bezogen habe. Außerdem sei eine vorzeitige Wartezeiterfüllung zu prüfen, da er aufgrund des erlittenen Arbeitsunfalls nicht mehr in der Lage sei, eine berufliche Tätigkeit auszuüben.

Mit Bescheiden vom 04. Mai 1999, 04. August 1999 und 10. November 1999 stellte die Beklagte u. a. weitere Pflichtbeitragszeiten fest, so dass nunmehr 54 Kalendermonate mit Pflichtbeiträgen belegt waren. Sie zog außerdem verschiedene ärztliche Unterlagen, u. a. die Arbeitsamtsgutachten des Facharztes für Chirurgie Dr. H. vom 15. April 1999 und 30. Juni/08. Juli 1999 sowie die für den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) erstatteten Gutachten der Ärzte K. vom 09. März 1998 und V. vom 02. Juni 1998 bei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 07. Dezember 1999 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Bis zum Eintritt der zeitlich begrenzten Erwerbsunfähigkeit am 05. Mai 1998 seien zwar nunmehr 42 Kalendermonate auf die Wartezeit anzurechnen. Damit sei die erforderliche Wartezeit von 60 Kalendermonaten jedoch nicht erfüllt. Sie sei auch nicht vorzeitig erfüllt, da kein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Arbeitsunfall und der geminderten Erwerbsfähigkeit bestehe.

Dagegen hat der Kläger am 05. Januar 2000 beim Sozialgericht Cottbus Klage erhoben und vorgetragen:

Es bestehe sehr wohl ein ursächlicher Zusammenhang. Wegen des am 27. Januar 1997 erlittenen Arbeitsunfalls sei er bis 17. Februar 1997 arbeitsunfähig gewesen. Trotz weiterhin starker Schmerzen habe ihn sein behandelnder Arzt arbeitsfähig befunden. Aufgrund erneuter akuter Schmerzen sei dann am 22. Februar 1997 eine Rippenserienfraktur als Folge des Arbeitsunfalls festgestellt worden. Seither sei er arbeitsunfähig. Nach einer ärztlichen Begutachtung durch die zuständige Berufsgenossenschaft sei ihm rückwirkend Verletztengeld entzogen worden (eine dagegen gerichtete Klage ist erfolglos geblieben).

Das Sozialgericht hat die Verwaltungsakten der Bauberufsgenossenschaft Hannover sowie die Befundberichte der Facharzte für Anästhesiologie Dres. D. und P. vom 10. Oktober 2000, des Facharztes für Orthopädie und Chirotherapie Dr. D. vom 23. Oktober 2000, der Fachärztin für Innere Medizin Dr. Grumbt vom 26. Oktober 2000, der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie N. vom 20. Dezember 2000 und des Arztes für Orthopädie Dr. Wagner vom 19. Dezember 2000 beigezogen. Es hat außerdem Beweis erhoben durch das schriftliche Sachverständigengutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. C. vom 26. Mai 2002.

Mit Schriftsatz vom 23. Juli 2002 hat die Beklagte das Vorliegen von voller Erwerbsminderung seit dem 21. Mai 2002 (Tag der gutachterlichen Untersuchung) auf Zeit bis 30. April 2004 anerkannt und sich verpflichtet, die gesetzlich zustehende Leistung vom 01. Dezember 2002 bis 30. April 2004 zu gewähren.

Der Kläger hat dieses Teilanerkenntnis angenommen, aber zugleich erklärt, der Rechtsstreit könne im Übrigen nicht für erledigt erklärt werden, da volle Erwerbsminderung bereits im Jahre 1997 eingetreten sei.

Der Kläger ist außerdem mit dem Gutachten nicht einverstanden gewesen. Der Sachverständige habe nur ältere Befundberichte berücksichtigt, obwohl aktuelle Befunde vorlägen. Der Kläger habe den Sachverständigen mehrfach darauf hingewiesen, dass die Rippenserienfraktur Folge des Arbeitsunfalls sei. Er sei nicht medikamentenabhängig. Bei Entlassung aus der S.-Klinik 1998 sei er aufgrund der starken Schmerzen in den Beinen mit 2 Gehhilfen versorgt worden, auf die er bis zum heutigen Tag angewiesen sei. Seit seinem Koma habe er nicht nur Schmerzstörungen, sondern auch Probleme im Denkablauf. Er sei durch den Arbeitsunfall 1997 mit den nachfolgenden gesundheitlichen Problemen aus der Bahn geworfen worden. Trotz ausdrücklicher Bitte habe der Sachverständige keine Untersuchung der Bauchdecke vorgenommen. Ohne Unterarmstützen könne er nicht gehen. Er dramatisiere nicht. Es liege keine Fehlhaltung vor; die Erwerbsminderung sei vielmehr gesundheitlich bedingt. Er könne nicht mehr als Trockenbauer arbeiten, keine öffentlichen Verkehrsmittel benutzen und auch ohne Schmerzen nicht mehr gehen oder stehen. Den behandelnden Ärzten würden zu Unrecht Fehlbeurteilungen unterstellt. Ihm sei keinerlei Beschäftigung auf Dauer mehr zumutbar. Mit einer Besserung sei nicht zu rechnen.

Mit Bescheid vom 14. August 2002 bewilligte die Beklagte ausgehend von einem am 21. Mai 2002 eingetretenen Leistungsfall Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 01. Dezember 2002 bis 30. April 2004. Die Rente werde auf Zeit geleistet, weil die volle Erwerbsminderung nicht ausschließlich auf dem Gesundheitszustand, sondern auch auf den Verhältnissen des Arbeitsmarktes beruhe. Die monatliche Rente beträgt 179,14 Euro, der monatliche Zahlbetrag 164,63 Euro (jeweils zu Rentenbeginn).

Der Kläger ist der Ansicht gewesen, die Erwerbsminderung beruhe ausschließlich auf seinem Gesundheitszustand. Auch seien nicht alle Zeiten berücksichtigt; es fehlten die Zeiten von Mai bis Juni 1999 und Dezember 1990 bis Dezember 1991. Mit der Rente könne er nicht leben, so dass er weiter auf Sozialhilfe angewiesen sei.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 28. April 1999 und 04. Mai 1999 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07. Dezember 1999 sowie des Bescheides vom 14. August 2002 zu verurteilen, dem Kläger Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise Berufsunfähigkeit ab Antragstellung (20. Oktober 1998) zu gewähren.

Mit Urteil vom 19. November 2002 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen: Streitgegenständlich sei ausschließlich noch der Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit mit einem Leistungsfall vor dem 21. Mai 2002. Eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nach dem bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Recht könne nicht gewährt werden. Der Kläger sei zwar erwerbsunfähig, denn er könne auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nur noch zwischen drei bis sechs Stunden täglich arbeiten. Wegen Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes liege mithin Erwerbsunfähigkeit vor. Dieses Leistungsvermögen bestehe nach dem Sachverständigen Dr. C. seit dem 20. Oktober 1998. Zu diesem Zeitpunkt seien die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente nicht erfüllt, denn im maßgebenden Fünfjahreszeitraum vom 20. Oktober 1993 bis 19. Oktober 1998 seien lediglich 16 Kalendermonate mit Beitragszeiten vorhanden. Nach dem Sachverständigen Dr. C. sei die Erwerbsunfähigkeit schließlich auch nicht unmittelbare Folge des Unfalls.

Gegen das seinen früheren Prozessbevollmächtigten am 23. Dezember 2002 zugestellte Urteil richtet sich die am 15. Januar 2003 eingelegte Berufung des Klägers. Er ist der Ansicht, Rente wegen Erwerbsunfähigkeit stehe ihm ab Antragstellung (20. Oktober 1998) unter besonderer Berücksichtigung des Leistungsfalles als Folge der Arbeitsunfälle zu. Die Erwerbsminderung beruhe ausschließlich auf dem Gesundheitszustand. Eine diesbezügliche Feststellung sei für ihn wesentlich, da ansonsten die Beklagte weiterhin von einem Restleistungsvermögen ausgehe. Es sei für ihn jedoch unbegreiflich, wieso ein Leistungsvermögen von drei bis sechs Stunden noch gegeben sein solle. Zwischenzeitlich sei auch eine weitere Verschlimmerung eingetreten. Nicht berücksichtigt seien Schmerzen im linken Thorax, Taubheit im Bereich der gesamten linken Körperhälfte, eine Gehbehinderung, Schmerzen im Bereich der Knie, Beine, Arme, des Schultergürtels, der rechten Hand, eine Überfunktion der Schilddrüse, mehrfache Bauchoperationen mit Problemen bei der Nahrungsverdauung nach künstlichem Darm, ein Diabetes, ein Bluthochdruck, eine erhebliche Sehminderung, ein Ekzem im Rücken, eine chronische Erkrankung der Bauchspeicheldrüse, Atembeschwerden, ständige Kopfschmerzen mit Migräne und eine häufige Neigung zu aggressivem Verhalten. Da die Leiden vorrangig orthopädisch chirurgischer Natur seien, sei ihm die Einholung eines neurologischen Gutachtens unverständlich. Er könne auch nicht nachvollziehen, wieso die Ärztin D. nach nur kurzem Gespräch ohne Untersuchung ein zwei- bis unterhalbschichtiges Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt habe attestieren können. Der Prüfarzt der Beklagten Dr. S. habe den Zeitpunkt der Beeinträchtigung des Leistungsvermögens mit dem 05. Mai 1998, dem Beginn der letzten Arbeitsunfähigkeit, angenommen, dabei jedoch verkannt, dass bereits seit 16. April 1997 Arbeitsunfähigkeit vorliege. Die Ausführungen des Sozialgerichts zu den versicherungsrechtlichen Voraussetzungen könne er nicht nachvollziehen, denn ihm sei es eigentlich um die Prüfung des § 53 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI gegangen (Erwerbsminderung infolge der Arbeitsunfälle). Ihm bleibe keine andere Wahl, als das Berufungsverfahren zu führen, wenn er nicht zeitlebens auf Sozialhilfe angewiesen sein wolle, da er auch keine Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz erhalte.

Der Kläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen,

das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 19. November 2002 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 28. April 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07. Dezember 1999 zu verurteilen, dem Kläger Rente wegen Erwerbsunfähigkeit und wegen Berufsunfähigkeit ausgehend von einem im Januar 1997 eingetretenen Leistungsfall zu gewähren und die höhere Rente zu leisten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie weist darauf hin, dass bei einem Versicherungsfall vom 05. Mai 1998 die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen bei nur 21 Kalendermonaten mit Pflichtbeiträgen nicht erfüllt seien. Grundlage ihrer Beurteilung seien einerseits das Gutachten der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie D. vom 07. April 1999 und andererseits das Gutachten des Sachverständigen Dr. C ...

Der Senat hat eingeholt die Schwerbehindertenakte ( ...) des Amtes für Versorgung und Soziales Cottbus, die ärztlichen Unterlagen des Facharztes für Chirurgie H. und des Facharztes für Orthopädie Dr. L. sowie die Befundberichte des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. D. vom 11. Februar 2004, der Fachärzte für Anästhesiologie Dres. D. und P. von Februar 2004, der Fachärztin für Orthopädie und Chirotherapie Dr. D. vom 03. April 2003 und der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie N. vom 12. Februar 2004. Nachdem er Auszüge aus den Berufsinformationskarten (BIK) sowie dem Grundwerk ausbildungs- und berufskundlicher Informationen (gabi) zum Trockenbaumonteur (Nr. 482 b), zu Bürohilfskräften (BO 784), Pförtner (BO 793), Versandfertigmacher (BO 522) sowie Kopien der Auskünfte des Arbeitsamtes Frankfurt (Oder) vom 01. November 1999 zu Bürohilfskräften und der berufskundlichen Stellungnahmen des M. L. vom 14. Februar 2000 zum Pförtner und vom 01. November 2002 bzw. 24. November 2002 zum Versandfertigmacher beigezogen hatte, hat er den Sachverständigen Dr. C. ergänzend gehört (Stellungnahme vom 26. April 2004).

Der Kläger weist darauf hin, dass er aus der Klinik L. arbeitsunfähig entlassen worden sei. Der Sachverständige Dr. C. ignoriere die vorliegenden Fakten. Das Gericht möge mitteilen, weshalb es ständig den Ausführungen dieses Sachverständigen folge.

Die Beklagte hält einen Leistungsfall vom 21. Mai 2002 für zutreffend. In Anbetracht dessen, dass der Kläger die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen bei einer Rentenantragstellung am 20. Oktober 1998 nicht erfüllt habe, wäre ansonsten die bisher gewährte Rente wegen voller Erwerbsminderung zu Unrecht bewilligt worden. Gleichermaßen wäre dann eine Weitergewährung der Rente nicht möglich.

Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird u. a. auf Blatt 55 bis 84, 295 bis 302 der Gerichtsakten verwiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den sonstigen Inhalt der Gerichtsakten, der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten ( ...) sowie der Bau-Berufsgenossenschaft Hannover, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid vom 28. April 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07. Dezember 1999 ist rechtmäßig. Der Kläger hat weder Anspruch auf Rente wegen Erwerbs- noch wegen Berufsunfähigkeit. Er ist zwar erwerbs- und berufsunfähig. Die für die Gewährung einer Rente erforderlichen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen liegen weder vor, noch sind sie wegen vorzeitiger Wartezeiterfüllung entbehrlich.

Als Anspruchsgrundlagen kommen auch weiterhin die §§ 43 und 44 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) in der Fassung vor dem am 01. Januar 2001 in Kraft getretenen Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit (EM-Reformgesetz) vom 20. Dezember 2000 (BGBl. I 2000, 1827) in Betracht. Nach § 300 Abs. 2 SGB VI sind aufgehobene Vorschriften dieses Gesetzbuches auch nach dem Zeitpunkt ihrer Aufhebung noch auf den bis dahin bestehenden Anspruch anzuwenden, wenn der Anspruch bis zum Ablauf von drei Kalendermonaten nach der Aufhebung geltend gemacht wird. Dies ist vorliegend der Fall, denn der maßgebende Antrag wurde bereits im Oktober 1998 gestellt.

Nach § 43 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit, wenn sie

1. berufsunfähig sind,

2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Berufsunfähigkeit drei Jahre Pflichtbeitragszeiten für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und

3. vor Eintritt der Berufsunfähigkeit die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Berufsunfähig sind Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung auf weniger als die Hälfte derjenigen von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfanges ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können (§ 43 Abs. 2 SGB VI).

Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, wenn sie

1. erwerbsunfähig sind,

2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und

3. vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Erwerbsunfähig sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen, das ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße übersteigt (§ 44 Abs. 2 Satz 2 SGB VI).

Der Kläger kann nach diesen Vorschriften einen Anspruch auf Rente wegen Berufs- und Erwerbsunfähigkeit nur haben, wenn der Versicherungsfall frühestens am 02. Dezember 1999 eingetreten wäre.

Nach dem Versicherungsverlauf im Bescheid vom 14. August 2002 liegen im Zeitraum vom 01. September 1984 bis 02. März 1990 21 Kalendermonate und im Zeitraum vom 15. Januar 1996 bis 01. Dezember 1999 39 Kalendermonate mit Pflichtbeiträgen, womit die allgemeine Wartezeit von 60 Kalendermonaten am 01. Dezember 1999 erfüllt ist.

Nach § 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB V ist die Erfüllung der allgemeinen Wartezeit von 5 Jahren Voraussetzung für einen Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Auf die allgemeine Wartezeit werden Kalendermonate mit Beitragszeiten angerechnet (§ 51 Abs. 1 SGB VI).

Die im Versicherungsverlauf enthaltene Zeit der Arbeitslosigkeit vom 29. Dezember 1989 bis 20. Januar 1990 und vom 03. März 1990 bis 30. November 1990 ist daher als Anrechnungszeit für die Erfüllung der Wartezeit nicht anzurechnen.

Anrechnungszeiten sind u. a. Zeiten, in denen Versicherte wegen Arbeitslosigkeit bei einem deutschen Arbeitsamt als Arbeitssuchende gemeldet waren und eine öffentlich-rechtliche Leistung bezogen oder nur wegen des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens nicht bezogen habe (§ 58 Abs. 1 Nr. 3 SGB VI). Anrechnungszeiten im Beitrittsgebiet sind u. a. auch Zeiten nach dem 08. Mai 1945, in denen Versicherte vor dem 01. März 1990 arbeitslos waren (§ 252 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VI). Eine Zeit der Arbeitslosigkeit ist jedoch nur dann Anrechnungszeit, wenn zugleich eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit oder ein versicherter Wehrdienst oder Zivildienst unterbrochen ist (§ 58 Abs. 2 Satz 1, § 252 a Abs. 1 Satz 2 SGB VI).

Bei einem Versicherungsfall am 02. Dezember 1999 wären auch die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt, denn im Zeitraum vom 02. Dezember 1994 bis 01. Dezember 1999 liegen 39 Kalendermonate mit Pflichtbeiträgen.

Weitere Beitragszeiten liegen in dem Zeitraum bis 01. Dezember 1999 nicht vor.

Der Kläger hat zwar mit Schriftsatz vom 26. August 2002 vorgetragen, vom 01. Dezember 1990 bis 31. Dezember 1991 über das Arbeitsamt Pirmasens ein Lehre zum Fliesenleger absolviert zu haben. In dem Fragebogen zur Klärung und Prüfung von Beitragszeiten im Beitrittsgebiet vom 20. Oktober 1998 bezeichnete er diese als Umschulungsmaßnahme, die von 1990 bis 1991 vom Arbeitsamt Pirmasens durchgeführt worden sei. Beweismittel über diese Zeit hat der Kläger nicht. Eine Anfrage der Beklagten vom 20. Oktober 1998 beim Arbeitsamt Pirmasens (bezüglich Zeiten von 1990 bis 1991) kam mit dem Bemerken zurück, es seien dort keine Daten vorhanden.

Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 26. August 2002 außerdem noch die Zeit seiner Arbeitslosigkeit vom 17. Mai 1999 bis 30. Juni 1999 geltend gemacht. Würde es sich hierbei um eine Zeit mit Pflichtbeiträgen handeln, käme zwar noch ein weiterer Monat (Juni 1999) mit einem Pflichtbeitrag hinzu, denn bis zum 16. Mai 1999 (einschließlich Mai 1999) sind im Versicherungsverlauf bereits Pflichtbeiträge anerkannt. Daraus folgte jedoch nur, dass die Wartezeit bzw. die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen auch bei einem Versicherungsfall vom 02. November 1999 bereits erfüllt wären.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist der Versicherungsfall der Erwerbs- bzw. Berufsunfähigkeit jedoch vor dem 02. November 1999 bzw. 02. Dezember 1999 eingetreten. Dies schließt zum einen einen Anspruch auf Rente dem Grunde nach und zum anderen auch für Zeiten ab 01. Dezember 1999 bzw. 01. Januar 2000 aus.

Der Kläger ist wenigstens seit 20. Oktober 1998 (dem Zeitpunkt der Rentenantragstellung) erwerbs- und berufsunfähig. Er erfüllt damit vor Eintritt der Erwerbs- und Berufsunfähigkeit weder die allgemeine Wartezeit noch die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen.

Nach dem Sachverständigen Dr. C. ist das Leistungsvermögen auf drei bis sechs Stunden bzw. vier Stunden täglich aufgrund einer ausgeprägten somatoformen Schmerzstörung und eher leichtergradigen hirnorganischen Veränderungen beschränkt.

Ein solches Leistungsvermögen begründet Erwerbs- und Berufsunfähigkeit, obwohl die o. g. Voraussetzungen von Erwerbs- bzw. Berufsunfähigkeit - Herabsinken des Leistungsvermögens auf einen Zustand, der eine regelmäßige Erwerbstätigkeit nicht mehr oder nur noch im Umfang einer so genannten geringfügigen Beschäftigung erlaubt bzw. auf weniger als die Hälfte eines gesunden Versicherten - an sich nicht vorliegen. In einem solchen Fall beruht die Erwerbs- bzw. Berufsunfähigkeit auch auf der jeweiligen Arbeitsmarktlage. Mit einem solchen Leistungsvermögen kann Erwerbseinkommen grundsätzlich nicht erzielt werden, denn der insoweit maßgebliche Teilzeitarbeitsmarkt ist verschlossen. Bei Teilzeitarbeitskräften kann nicht unterstellt werden, dass es für die von Tarifverträgen erfassten Tätigkeiten in hinreichender Zahl Arbeitsplätze gibt. Deshalb bedarf es grundsätzlich der konkreten Benennung eines leidensgerechten Teilzeitarbeitsplatzes (vgl. dazu BSG in BSGE 43, 75, 79; BSGE 44, 39, 40). Dabei ist regelmäßig rückwirkend zum Zeitpunkt des Rentenantrages von der Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes auszugehen, wenn dem Versicherten nicht innerhalb eines Jahres seit diesem Zeitpunkt ein geeigneter Arbeitsplatz vom Rentenversicherungsträger angeboten wird (BSGE 43, 75, 80).

Der Kläger hat keinen seinem Leistungsvermögen gerecht werdenden Arbeitsplatz inne, noch hat ihm die Beklagte einen solchen konkret angeboten. Bei einer solchen Sachlage liegt Erwerbs- bzw. Berufsunfähigkeit daher vor.

Nichts anderes ergäbe sich, wenn mit dem Kläger angenommen würde, sein Leistungsvermögen wäre gänzlich aufgehoben. Auch in diesem Falle wäre er erwerbs- und berufsunfähig.

Der Senat ist aufgrund des Gutachtens des Sachverständigen Dr. C. davon überzeugt, dass das Leistungsvermögen zumindest in dem von diesem Sachverständigen bezeichneten Umfang gemindert ist.

Dafür maßgebend ist die ausgeprägte somatoforme Schmerzstörung. Diese äußert sich in der Darstellung und dem Erleben von chronischen Schmerzen, z. B. durch die Demonstration einer massiven Gangstörung durch Benutzung von Unterarmgehstützen, durch reizbares Verhalten und durch raschere Ermüdbarkeit. Es handelt sich im Wesentlichen um eine unbewusste Störung, auch wenn der Sachverständige Dr. C. eine Aggravation letztlich nicht hat ausschließen können. Der Kläger werde durch die Schmerzen abgelehnt und durch die Schmerzmitteleinnahme in seiner Konzentration geschädigt und dadurch rascher ermüdbar, woraus eine Reduzierung der täglichen Arbeitszeit folge. Die psychiatrische Störung wird von dem Sachverständigen zwar als erheblich eingestuft. Wegen der von ihm jedoch nicht auszuschließenden gewissen Aggravationen kann die Erwerbsfähigkeit allerdings als nicht gänzlich aufgehoben angesehen.

Dies ist nach den von dem Sachverständigen erhobenen Befunden schlüssig.

Eine wesentliche Erkrankung im Bereich der Kniegelenke, die die Benutzung von Unterarmgehstützen erfordern könnte, besteht nach Dr. C. nicht. Er hat zwar das Vorliegen von Gonalgien, also von Funktionsbeschwerden der Kniegelenke bestätigt. Bei seiner Untersuchung hat er jedoch eine normale Konfiguration bei im Übrigen bestehendem Druckschmerz in beiden Kniegelenken beim Durchstrecken vorgefunden. Den vorliegenden ärztlichen Berichten kann diesbezüglich kein wesentlich anderer Befund entnommen werden. Das Leiden wird dort als Chondropathia patellae beidseits bzw. als Knorpelveränderungen der Kniegelenke bezeichnet (vgl. u. a. Befundbericht der Fachärztin für Orthopädie und Chirotherapie Dr. D. vom 23. Oktober 2000 und des Arztes für Orthopädie Dr. Wagner vom 19. Dezember 2000, Arbeitsamtsgutachten des Facharztes für Chirurgie Dr. H. vom 30. Juni/08. Juli 1999). In den genannten Befundberichten werden Bewegungsmaße der Kniegelenke von 0/0/160 bds. und 0/0/120 rechts bzw. 0/0/140 links angegeben. Auch der weitere Bericht der Fachärztin für Orthopädie Dr. D. vom 06. Juli 1999 bezeichnet Bewegungsausmaße von 0/0/160 bds. Lediglich im Arbeitsamtsgutachten des Facharztes für Chirurgie Dr. H. vom 30. Juni /08. Juli 1999 wird die Bewegungsfähigkeit mit 0/0/90 rechts, 0/0/120 links schlechter angegeben. Allerdings weist auch dieser Arzt darauf hin, dass kein Grund für die Benutzung von Unterarmgehstützen vorliegt. Er äußert zudem den Verdacht, dass eine erhebliche neurotische Überlagerung vorliegt. Dies wird letztlich durch die von dem Sachverständigen Dr. C. diagnostizierte ausgeprägte somatoforme Schmerzstörung als psychisches Fehlverhalten bestätigt. Dazu passt im Übrigen, dass der Kläger im Verlauf von Untersuchungen und Behandlungen wechselnde Beschwerdeorte (Rückenschmerzen, Schulter- und Thoraxschmerzen) angegeben hatte, obwohl nach dem Sachverständigen Dr. C. wie auch nach dem Inhalt der vorliegenden ärztlichen Unterlagen wesentliche Funktionseinschränkungen nicht bestehen. Insbesondere finden sich in diesen ärztlichen Berichten weder entsprechende Diagnosen noch bedeutsame Befunde.
Rechtskraft
Aus
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