L 6 V 37/99

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 10 V 111/97
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 6 V 37/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die allgemeine Erkenntnis, dass der Tod als solcher immer ein Geheimnis bleibt, führt noch nicht zu regelmäßig gegebener Beweisnot, wenn es um die Feststellung einer Todesursache geht. Wenn ein Kriegsverletzter nach seiner Kriegsverletzung nie wieder richtig gesund wird und dies durch ständige Neurosen, Reinfektionen und erhebliche Arbeitsunfähigkeitszeiten nachgewiesen ist, genügt unter Umständen für die Annahme eines Kausalzusammenhangs zwischen Kriegsverletzung und Tod, dass 1.) ein solcher Kausalzusammenhang sich retrospektiv plausibel herstellen lässt und 2.) andere Erklärungen für den vorzeitigen Tod sich nicht finden lassen.
I. Das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 03.08.1999 wird aufgehoben. II. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 23.09.1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 04.11.1997 verpflichtet, den Ablehnungsbescheid vom 28.10.1992 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20.04.1995 zurückzunehmen und der Klägerin ab dem 01.01.1992 Hinterbliebenenleistungen zu bewilligen. III. Der Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten. IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist der Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung nach dem ersten Ehemann der Klägerin J ... O ...(J. O.), geboren am ...1922, gestorben am ...1961.

Dieser beabsichtigte nach dem Besuch der Volksschule zunächst, Schlosser zu werden, arbeitete dann aber bei einer Metallwarenfabrik als Ungelernter und besuchte gleichzeitig die Berufsschule. Im Jahr 1941 wurde er zur Wehrmacht einberufen. Er erlitt mehrere Verwundungen an der Ostfront; unter anderem einen Durchschuss der rechten Hand. Am 22.01.1943 erlitt er eine Granatsplitterverletzung. Hierbei wurde der Oberschenkel beinahe völlig durchschlagen, vor allem kam es zur Zertrennung des Ischiasnerven. Im Jahre 1944 wurde eine Nervennaht angelegt, diese erbrachte aber keine Besserung. Es kam immer wieder zu Phlegmonen und Abszessen (unter anderem auch in der Mandel) und zu septischen Fieberschüben. Es entstand eine Muskelarthrophie und es kam zur Versteifung des Beines in Spitzfußstellung. Eine Amputation des Vorfußes wurde 1947 durchgeführt; wiederholte Nekrosen und Infektionen machten eine Unterschenkelamputation im Jahre 1957 erforderlich. Deswegen kam es in diesem Jahr zu einer längeren Krankschreibung. Zuvor aber hatte J. O. eine normale Erwerbsbiographie durchlebt. Zunächst war er nach dem Krieg in Heimarbeit Knüpfer für Fischernetze, dann Holzmaler. Am 27.04.1948 heiratete er die Klägerin. Aus der Ehe gingen zwei Kinder hervor, geboren 1948 und 1952. Im August 1948 fand er beim VEB P ... A ... eine Anstellung als Werkstattschreiber. Er qualifizierte sich zum Sachbearbeiter und schließlich zum Energiebeauftragten. Er erhielt jeweils sehr gute Beurteilungen. Nebenbei war er gesellschaftlich aktiv als Schöffe, als Elternbeirat und als Hauptkassierer der BGL. Er besuchte mehrere Kurse bei der Volkshochschule in Zeichnen und Malen, vor allem in Landschaftsmalerei. Nach der Amputation stieg sein Gehalt noch einmal deutlich an, er war jetzt als technischer Angestellter beschäftigt und durchlief Ende 1960 eine Fortbildung von zehn Wochen. Er wurde als Schwerbehinderter mit einem Grad des Körperschadens von 60 anerkannt.

Im März 1961 wurde J. O. ins Krankenhaus eingeliefert. Am ...1961 gegen 06.00 Uhr verstarb er; der Totenschein weist als Todesursache aus: "Coronarsklerose, Sekundenherztod, Zustand nach Oberschenkelamputation". Dies ist so zu lesen, dass als unmittelbare Todesursache der Sekundenherztod infolge Coronarsklerose bei Zustand nach Oberschenkelamputation angesehen wurde.

Am 27.05.1991 beantragte die Klägerin Witwenversorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG): Zwar habe sie am 03.08.1973 wieder geheiratet, die Ehe sei jedoch am 14.09.1989 geschieden worden. Dem Antrag war eine sogenannte eidesstattliche Erklärung der Krankenschwester R. E ... beigelegt, in der es zur Todesursache des J. O. heißt, dass es infolge des insgesamt schweren Krankheitsverlaufes zur Ausbildung einer Angina pectoris gekommen sei, J. O. sei in laufender Behandlung gewesen und an den Folgen der Kriegsverletzung gestorben. Nach versorgungsärztlicher Einschätzung wurde dem allerdings wiedersprochen: nach allgemeinmedizinischen Erkenntnissen bestehe mit Wahrscheinlichkeit kein ursächlicher Zusamenhang. So kam es zu dem Ablehnungsbescheid des Beklagten vom 28.10.1992, der von der Klägerin mit dem Widerspruch angefochten wurde, J. O. hätte mit Sicherheit ohne die Kriegsverletzung mindestens ein Jahr länger gelebt. Hieraufhin wurde zunächst von dem Beklagten der Anspruch auf Witwenbeihilfe mit Bescheid vom 15.04.1994 abgelehnt: J. O. hätte weder Anspruch auf Beschädigtenrente eines Erwerbsunfähigen gehabt, noch zu Lebzeiten Anspruch auf fünf Jahre Berufsstandsausgleich. Daher bestehe kein Anspruch nach § 48 BVG. Gegen diesen Bescheid wurde Widerspruch nicht erhoben. Der Widerspruch gegen die Ablehnung der Hinterbliebenenversorgung nach § 38 Abs. 1 BVG wurde mit Widerspruchsbescheid vom 20.04.1995 als unbegründet zurückgewiesen. Die dagegen erhobene Klage wurde verspätet erhoben und daher zurückgenommen. Einen Tag nach der Klagerücknahme, am 25.06.1996, wurde allerdings ein Antrag nach § 44 SGB X gestellt mit welchem gerügt wurde, dass die Zeugin Frau R. E ... nicht gehört worden sei. Der Versorgungsarzt nahm auf diesen Antrag hin dahingehend Stellung, dass mit dem Unterschenkelverlust die Schädigungsfolgen weitgehend ausgeheilt gewesen seien. Die Herzkrankheit sei davon unabhängig gewesen und habe einen schicksalhaften Verlauf genommen.

Mit Bescheid vom 23.09.1996 lehnte daher der Beklagte die Rücknahme des Ablehnungsbescheides vom 28.10.1992 ab. J. O. sei an einem Herzversagen gestorben, welches zweifelsfrei mit den Schädigungsfolgen in keinem ursächlichen Zusammenhang gestanden habe. Der Widerspruch wurde mit Bescheid vom 04.11.1997 zurückgewiesen.

Auf die Klage zum Sozialgericht Chemnitz hat dieses ein Gutachten bei Flottenarzt Dr. S1 ... vom Bundeswehrkrankenhaus L ... eingeholt. Der Gutachter hat zunächst festgestellt, dass es keine Hinweise auf Risikofaktoren wie Bluthochdruck, Rauchen, Diabetes bzw. Fettstoffwechselstörung gab. J. O. sei mit 39 Jahren verstorben, also weit vor dem Erreichen der statistischen Lebenserwartung männlicher Erwachsener. Eine Coronarsklerose sei zwar im Totenschein erwähnt, eine schicksalhafte vorzeitige Entwicklung einer solchen sei hingegen nicht wahrscheinlich. Wahrscheinlich sei aber, dass durch die kriegsverletzungsbedingten rezidivierenden septischen Fieberschübe mit septischen Metastasen in den Tonsillen, dem Kniegelenk und dem Fußrücken es auch zu einer Herzbeteiligung gekommen sei, ob nun in der Form der Herzmuskelentzündung, der Herzinnenhautentzündung oder der vorzeitigen Schädigung der Herzkranzgefäße, müsse offen bleiben. Insgesamt sei aber ein Zusammenhang zwischem dem vorzeitigen Tod und der Kriegsverletzung wahrscheinlich. Von versorgungsärztlicher Seite wurde daraufhin eingewandt, dass eine Endokarditis wohl kaum vom Lazarettpersonal übersehen worden wäre.

Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 03.08.1999 die Klage abgewiesen. Das klageabweisende Urteil wurde im Wesentlichen damit begründet, dass das Gutachten von Dr. S1 ... nur auf Mutmaßungen beruhe; eine Wahrscheinlichkeit habe nicht festgestellt werden können.

Mit der Berufung legt die Klägerin das Sektionsprotokoll vor, in welchem von einem Myocardinfarkt ausgegangen wird.

Der Senat hat daraufhin ein weiteres medizinisches Gutachten eingeholt und Dr. med. habil A1 ..., Chefarzt der Medizinischen Klinik II des Städtischen Klinikums D ... zum Gutachter ernannt. In seinem Gutachten vom 22.02.2000 weist er darauf hin, dass es keinen Anhalt gebe für einen frischen Myocardinfarkt. Im Sektionsprotokoll werde nur eine mäßige Koronararteriensklerose beschrieben, diese erkläre nicht die zum Tode führende Herzinsuffizienz. Aus dem Sektionsprotokoll ergebe sich weiterhin, dass die Mitralklappe durch einen Zustand nach abgelaufener Herzklappenentzündung mit fiebröser Verdickung und Verkürzung des Sehnenfadens des vorderen Segels verändert gewesen sei. Der Tod sei wahrscheinlich durch ein akutes Herzversagen bzw. akute Herzrythmusstörungen eingetreten; eine herdförmige fein- bis mitteltropfige Lipoidose weise auf eine toxische Schädigung oder eine Schädigung durch Karditis bzw. eine postkarditische Schädigung hin. Dem Versorgungsarzt sei dahingehend zu wiedersprechen, dass eine Endokarditis sehr wohl vom Lazarettpersonal habe übersehen werden können - es gäbe in diesem Fall keine erkennbaren (sogenannten "pathognomischen") Symptome die auf Beteilung der Herzklappen hinwiesen. Im Übrigen habe es damals noch keine Echokardiographie gegeben. Höchst plausibel sei daher - im Zusammenhang mit dem über Jahre rezidivierenden Verlauf eines septischen Krankheitsbilder folgender Ablauf: Die Schussverletzung habe zunächst zu einer Wundinfektion geführt, durch das langjährige rezidivierende Krankheitsbild sei es zu einer bakteriellen Herzklappenentzündung gekommen, die ihrerseits einen Herzklappenfehler ausgelöst habe, der wiederum verantwortlich für die Herzmuskelschwäche und damit für den akuten Herztod gemacht werden müsse. Das Leben des J. O. sei mithin durch die Kriegsverletzung mindestens um ein Jahr verkürzt worden.

Der Beklagte wandte daraufhin ein, dass bei diesem Szenario eine Rechtsherzinsuffizienz zu erwarten gewesen sei. Es sei aber eine Linksherzinsuffizienz beschrieben. Eine typische Vorwölbung erkläre im Übrigen doch, wieso die beim J. O. ausgebildete mäßige Koronararteriosklerose den Myocardinfarkt verursacht habe und somit tödlich gewesen sei. Die von Dr. A1 ... beschriebenen Lipoidpolster seien keine postkarditischen Schäden. Ihre Interpretation müsse durch einen Pathologen vorgenommen werden.

Dr. A1 ... hat daraufhin einer weiteren Stellungnahme noch einmal darauf aufmerksam gemacht, dass aus dem Befund "fibrotische Veränderungen und eine Verkürzung des Sehnenfadens" mit Sicherheit auf eine Störung der Herzklappenfunktion zu schließen sei. In der Praxis spreche man von einem sogenannten unreinen Mitralvitium, wenn es sowohl zu einer Verengung der Klappenöffnungsfläche als auch zur eingeschränkten Schlussunfähigkeit der Segel komme. Je nachdem was überwiege, ergebe sich eine Rechts- oder Linksherzinsuffizienz. Im Übrigen müsse bei einem Herzinfarkt ein Thrombus im Koronarsystem nachzuweisen sein.

Der Beklagte entgegnete, dass im Sektionsprotokoll der Herzinfarkt als Todesursache genannt sei. Insofern gebe es keinen Raum für "Hineininterpretationen".

Es wurde daraufhin ein pathologisches Gutachten eingeholt von Prof. Dr. M1 ..., Institut für Rechtsmedizin bei der Technischen Universität D ... Nach Auffassung von Prof. Dr. M1 ... ist eine Mitralendokarditis wahrscheinlich Schädigungsfolge. Die Koronarsklerose sei mit Wahrscheinlichkeit nicht Schädigungsfolge. Das Herzgewicht habe 450 g betragen, es habe eine Linksherzhypertrophie bestanden, insofern bestehe ein Zusammenhang mit der Herzklappenentzündung. Dies sei allerdings nicht die alleinige Todesursache. Wenn man Lipoidpolster als mögliche Ursache eines Myocardinfarktes anerkenne, könne auch angenommen werden, dass ein solcher Infarkt die Todesursache war. Das Auffinden eines Thrombus sei in solchen Fällen nicht erforderlich.

Vom Kläger wurden daraufhin beim Deutschen Krebsforschungszentrum noch vorhandene Präparate ausfindig gemacht und dem Pathologen Prof. Dr. M1 ... vorgelegt. Dieser stellte frische Herzmuskeluntergänge und frische Wandblutungen einer Herzkranzschlagader bei Zustand nach einer intrakardialen Injektion fest und sah sich dadurch in der Auffassung, dass ein Myocardinfarkt Todesursache war, bestätigt.

Hierauf entgegnete der Kläger, dass die hochgradige allgemeine Stauung auf einen Mitralklappenfehler hinweise. Ein Herzinfarkt sei lediglich möglich, nicht aber wahrscheinlich gewesen. Makroskopisch habe sich kein Anhalt für einen frischen Myocardinfarkt gefunden.

Auf Antrag des Klägers wurde ein weiteres Gutachten bei Oberarzt Dr. S2 ... vom B ... Landesinstitut für Rechtsmedizin eingeholt. Auch Dr. S2 ... haben die histologischen Schnitte vorgelegen. Dr. S2 ... kommt in seinem Gutachten vom 07.07.2003 zu folgendem Ergebnis: der Myocardinfarkt sei wahrscheinlich nicht die Ursache für den Sekundenherztod, sondern eine akute Herzrythmusstörung. Die im Befundbericht des rechtsmedizinischen Gutachtens von Prof. Dr. M1 ... beschriebene geringe frische Blutung einer Herzkranzschlagader habe bei der eigenen histologischen Untersuchung nicht verifiziert werden können. Es sei davon auszugehen, dass es nach Lichteinfall auf die Histopräperate etwa 40 Jahre nach der Anfertigung doch zu einer gravierenden Veränderung gekommen sei. Es könne sich prinzipiell bei der von Prof. Dr. M1 ... festgestellten Blutung um den Randbereich der Region handeln, die durch eine intrakardiale Injektion getroffen worden sei. Im Rahmen des vermuteten Kammerflimmerns könne es auch zu kleinstherdigen Blutungen in der Herzmuskulatur gekommen sein. Die dokumentierten arteriosklerotischen Veränderungen seien alleine nicht geeignet, einen todesursächlichen Myocardinfarkt mit Wahrscheinlichkeit zu bejahen. Die im Sektionsprotokoll dokumentierte Stauungshyperämie habe sowohl Organe, die dem linken als auch Organe, die dem rechten Herzen vorgeschalten sind, betroffen. Da es sich um einen akuten Befund handle, müsse von einem aktuellen globalen Pumpversagen des Herzens ausgegangen werden, wie es bei einem Kammerflimmern vorliege. Lediglich die Stauungshyperämie der Lungen, wenn chronisch, könne als Symptom eines Klappenfehlers der Mitralklappe angesehen werden. Ganz allgemein müsse eine lebensverkürzende Wirkung von der kriegsverletzungsbedingten Veränderung der Mitralklappe und der davon ausgelösten Folgezustände sowohl im Lungenkreislauf als auch über eine Rechtsherzbelastung an den rechts vorgeschalteten Organen angenommen werden. Es sei auch möglich, dass durch die Gliedmaßenamputation es zu einer psychischen Belastung des J. O. und hierdurch mittelbar zu einer vorzeitigen Herausbildung einer Koronarsklerose gekommen sei. Solche Zusammenhänge seien allerdings nicht meßbar. Es bestehe eine geringgradig höhere Wahrscheinlichkeit einer Linksherzinsuffizienz bei Endokarditis mitralis.

Die Klägerin sieht sich durch dieses Gutachten in ihrer Auffassung bestätigt und beantragt:

das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 03.08.1999 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 23.09.1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 04.11.1997 zu verpflichten, den Ablehungsbescheid vom 28.10.1992 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20.04.1995 aufzuheben und der Klägerin ab dem 01.01.1992 Hinterbliebenenversorgung zu bewilligen.

Der Beklagte beantragt:

die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialge richts Chemnitz vom 03.08.1999 zurückzuweisen.

Ein Herzinfarkt sei zwar nicht nachgewiesen, aber auch nicht unwahrscheinlich. Der fehlende Nachweis von Gewebsuntergängen spreche nicht gegen einen Herzinfarkt, solche Gewebsuntergänge seien nämlich frühestens nach einer Überlebenszeit von vier bis sechs Stunden festzustellen. Die Diagnose einer chronischen Herzüberlastung lasse sich nur stellen, wenn Zeichen der chronischen Lungenstauung, Veränderung des rechten Herzens und Zeichen der chronischen Stauung an den vorgeschalteten Organen gefunden werden. Solche Zeichen seien vom Pathologen, der seinerzeit aktuell die Sektion durchgeführt habe, nicht gefunden worden. Im Übrigen sei eine Rechtsherzveränderung im Sektionsprotokoll nicht beschrieben. Es sei nicht wahrscheinlich, dass der Pathologe diese Veränderung, die ohne Mikroskop bei Betrachtung der Organe zu sehen sei, nicht gesehen habe, zumal ja gerade nach dieser Veränderung gesucht worden sei. Denn die Frage, ob der plötzliche Herztod Folge des Klappenfehlers oder eines Infarktes gewesen sei, sei Grund der Sektion gewesen. Das Lebergewicht sei wesentlich durch Verfettung erhöht gewesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen sowie die beigezogenen Witwenakten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist auch begründet.

Die Klägerin hat Anspruch auf Hinterbliebenenrente, da Herr J ... O ... an den Folgen einer Schädigung i.S.d. BVG gestorben ist (§ 38 Abs. 1 BVG). Die Klägerin hat auch trotz ihrer Wiederverheiratung Anspruch auf Hinterbliebenenrente, da die neue Ehe mit G ... H ... am 14.09.1989 wieder aufgelöst wurde (§ 44 Abs. 2 BVG).

Die Rechtsvermutung des § 38 Abs. 1 Satz 2 BVG, wonach der Tod stets dann als Folge einer Schädigung gilt, wenn ein Geschädigter an einem Leiden stirbt, das als Schädigungsfolge rechtsverbindlich anerkannt und für das ihm im Zeitpunkt des Todes Rente zuerkannt war, kann im vorliegenden Fall nicht greifen, da diese Voraussetzungen nicht vorlagen. Zugunsten der Bewohner des Beitrittsgebietes gilt auch nicht etwa eine Fiktion in dem Sinne, dass eine Rente als zuerkannt gilt, wenn sie unter Geltung des BVG hätte zuerkannt werden müssen. Insofern könnten sich allenfalls Besonderheiten ergeben, wenn bereits vor Gründung der DDR ein bestandskräftiger Versorgungsbescheid vorgelegen hätte (vgl. LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 03.05.1956 L 1 W 413/55). Ein solcher Versorgungsbescheid hat im Falle des J. O. nicht vorgelegen. Ein logischer "Umweg" über anerkannte Schädigungsfolgen findet nur in den Fällen des § 38 Abs. 1 Satz 2 BVG statt; nur wenn der Anspruch auf diese Rechtsvermutung gestützt wird, ist die Identität zwischen Schädigungsleiden und Versorgungsleiden festzustellen, nur in diesem Fall könnte auch die Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs nach § 1 Abs. 3 BVG - die dann freilich nicht mehr erneut zu prüfen wäre - eine Rolle spielen, bzw. gespielt haben.

Stützt sich der Anspruch jedoch auf § 38 Abs. 1 Satz 1 BVG, so ist unabhängig von einem anerkannten oder anzuerkennenden Schädigungsleiden der Tod immer dann die Folge einer Schädigung, wenn er durch diese mittelbar oder unmittelbar herbeigeführt worden ist. Kausal für den Tod ist die Schädigung auch dann, wenn sie zu einer Lebenszeitverkürzung um mindestens ein Jahr geführt hat. Dieser auch in der gesetzlichen (vgl. BSG, Urteil vom 27.10.1987 - 2 RU 35/87) sowie der privaten Unfallversicherung (vgl. LG Ravensburg ZfSch 1994, 454) geltende Rechtsgrundsatz hat seinen Niederschlag auch in der Verwaltungsvorschrift (VV Nr. 1 Satz 2) zu § 38 BVG gefunden und entscheidet darüber, ob eine Schädigung, die Mitursache im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne gewesen ist, auch als wesentliche Ursache anzusehen ist (vgl. BSG, Beschl. vom 26.08.1998 - B 9 V 15/98 B). Dabei ist von einer wesentlichen Bedingung schon dann auszugehen, wenn es nur wahrscheinlich ist, dass der Betreffende ohne die Schädigung ein Jahr länger gelebt hätte (vgl. VV Nr. 1, 2. HS. zu § 38 BVG i.V.m. VV Nr. 9 Satz 1 zu § 1 BVG).

Auf Grund der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der nach einer schweren Kriegsverletzung mit jahrzentelangen Komplikationen im Alter von 39 Jahren gestorbene J. O. sehr wahrscheinlich ohne die Kriegsverletzung - mindestens ein Jahr - länger gelebt hätte.

Das angefochtene sozialgerichtliche Urteil beruht im Wesentlichen auf einem Missverständnis des Gutachtens von Flottenarzt Dr. S1 ..., insbesondere was die Interpretation des Totenscheins angeht. In der schriftlichen Todesanzeige des Krankenhauses wurde als Todesursache (lt. Totenschein) zitiert: Coronarsklerose, Sekundenherztod, Zustand nach Oberschenkelamputation links. Dies ist nun nicht so zu verstehen, dass hier gewissermaßen wahlweise drei Todesursachen, über die letztendlich nur Mutmaßungen angestellt werden könnten, angeboten werden. Vielmehr differenziert der Totenschein nach unmittelbarer Todesursache, akuter Erkrankung, die im Zusammenhang mit der Todesursache gesehen wird und einem weiteren Grundleiden. Der "Sekundenherztod" ist also weder nach Totenschein noch nach Todesanzeige oder Sektionsprotokoll als mögliche Todesursache aufgeführt, sondern es handelt es sich hierbei um die jedenfalls nach Ansicht der Ärzte vollständig sichere unmittelbare Todesursache. Dass dies so war, wird auch von den Beteiligten nicht bezweifelt und steht auch nach den im weiteren Verlauf des Verfahrens eingeholten Gutachten fest. Im weiteren Verlauf der Entscheidungsbegründung geht dann das Sozialgericht den ausgesprochen unwahrscheinlichen Zusammenhängen nach, die im Gutachten von Flottenarzt Dr. S1 ... gewissermaßen nur der Vollständigkeit halber erwähnt wurden, so z.B. der Frage, ob möglicherweise psychische Stressfaktoren im Zusammenhang mit der Unterschenkelamputation eine Rolle gespielt haben könnten. Dies erscheint in der Tat ausgeprochen unwahrscheinlich, zumal die Amputation mehr als drei Jahre vor dem Tod des J. O. stattgefunden hatte und über psychische Auffälligkeiten oder eine Wesensveränderung nichts berichtet ist. Auch dass J. O. wegen der nach Amputation und des damit verbundenen psychischen Stresses eine Coronarsklerose entwickelt habe, hält das Sozialgericht - nach Auffassung des Senats zu Recht - für unwahrscheinlich; hierbei muss freilich noch angemerkt werden, dass die nur mäßig entwickelte, geradezu altersgemäße Coronarsklerose sogar bei einer Bejahung dieses Zusammenhangs noch nicht zu einem Kausalzusammenhang zwischen Schädigung und Tod führen würde.

Letztendlich sind auch die Schlussfolgerungen, die das Sozialgericht aus dem Umstand zieht, dass keine der diskutierten Todesursachen plausibel erscheint, nicht zwingend. Es ist zwar richtig, dass Beweisnot zu Lasten des Beweisführers wirkt; die allgemeine Erkenntnis, dass der Tod als solcher immer ein Geheimnis bleibt, führt aber noch nicht zu regelmäßig gegebener Beweisnot, wenn es um die Feststellung einer Todesursache geht. Es liegt nicht ein Fall vor, dass ein vollkommen gesunder Mensch plötzlich ohne sichtlichen Anlass und für Außenstehende völlig unerklärbar stirbt. J. O. ist nach seiner Kriegsverletzung nie wieder richtig gesund geworden; das verletzte Bein musste wegen wiederholter Nekrosen und Infektionen sukzessiv nachamputiert werden und es kam zu erheblichen Arbeitsunfähigkeitszeiten, insbesondere nach der letzten Amputation. Vor diesem Hintergrund spricht es also gerade für den Anspruch der Klägerin, dass sich andere plausible Erklärungen für den Tod ihres ersten Ehemannes nicht finden lassen.

Der Senat folgt hinsichtlich der Rekonstruktion der Ereignisse vom 22.03.1961, sofern diese überhaupt möglich ist, dem insoweit schlüssigen und objektiven Gutachten des B ... Landesinstituts für Rechtsmedizin (Dr. S2 ...). J. O. ist wahrscheinlich an einem Sekundenherztod infolge Herzrhytmusstörung verstorben. Da der Sehnenfaden des Papillarmuskels der Mitralklappe betroffen war, müssen die Veränderungen an der Mitralklappe als Folgen einer durchgemachten Herzklappenentzündung interpretiert werden. Da eine offene Brustkorbverletzung bei J. O. nie vorgelegen hat, ist also der Schluss auf eine durch Entzündungen anderer Körperregionen verursachte sekundäre Entzündung geradezu zwingend. Eine Entzündung aus dem rheumatischen Formenkreis erscheint unwahrscheinlich. Die lediglich theoretische Möglichkeit, dass die chronische Herzerkrankung entzündlicher Art durch Bakterien verursacht wurde, die anlässlich von Bagatellverletzungen in den Körper gelangt sind, erscheint spekulativ. Wie auch Dr. S2 ... ausführt, gibt es keinen vernünftigen Grund, an einer kausalen Verknüpfung zwischen der Schussverletzung des linken Beines und der Klappenentzündung zu zweifeln. Dr. S2 ... hat auch dargestellt, inwiefern die im Sektionsprotokoll festgestellte mäßige Linksherzhypertrophie sowie die auf eine Rechtsherzinsuffizienz hinweisenden Stauungsorgane genau zu dem Befund der Mitralklappeninsuffizienz passen. Der Einwand des Beklagten, bei der chronischen Stauung der Leber handele es sich in Wahrheit um eine Leberverfettung, ist nicht haltbar: Weder stützt sich diese Behauptung auf irgendwelche eigene Beobachtungen oder Hinweise in den Akten, noch ist ein solcher Schluss auf Grund irgendeines "Erfahrungswissens" zulässig, zumal ein Erfahrungswissen, dass im Jahre 1961 in der DDR eine sogenannte "Wohlstandsleber" normalerweise bei jedem Bürger zu erwarten war, nicht existiert. Das Argument des Beklagten, eine Rechtsherzhypertrophie wäre mit Sicherheit dem Pathologen nicht entgangen, zumal die Frage "war der plötzliche Herztod Folge des Klappenfehlers oder eines Infarktes?" Grund der Sektion gewesen sei, ist aus zwei Gründen fraglich. Grund der Sektion war bei Symptomen einer akuten Bronchitis der Ausschluss eines Bronchialkarzinoms. Außerdem ist eine regelrechte Hypertrophie erst als Reaktion auf eine Rechtsherzinsuffizienz zu erwarten. Keineswegs kann die Rechtsherzinsuffizienz ausgeschlossen werden, wenn sich nicht Zeichen einer Hypertrophie finden.

Der für die Mitralklappeninsuffizienz typische Befund hätte zwar grundsätzlich auf eine Bluthochdruckerkrankung hinweisen können, die, wie Dr. S2 ... zutreffenderweise auf Grund der Aktenauswertung feststellen konnte, aber nicht vorlag.

Der Senat folgt nicht dem Gutachten der Dres. D1 ..., D2 ..., M1 ..., wonach bereits aus dem Sektionsprotokoll der Nachweis eines Herzinfarktes durch Koronarstenose erbracht sei. Zunächst einmal ist auch in diesem Zusammenhang noch einmal darauf hinzuweisen, dass die Diagnose frischer Myocardinfarkt in dem Sektionsprotokoll mit einem Fragezeichen versehen ist. Die Auffassung des Beklagten, dass auf jeden Fall der zeitnäheren Diagnose (Sektionsprotokoll) zu folgen sei, ist also dadurch bereits ganz wesentlich erschüttert: Eine solche Diagnose hat gar nicht vorgelegen. Davon abgesehen ist auch die im Sektionsprotokoll beschriebene "erhebliche sklerotische Wandverdickung" keineswegs ein zwingender Hinweis auf eine deutlich stenosierende Koronararteriosklerose. Im Sektionsprotokoll ist nur von einer leichten bis mäßigen Sklerose der extra- und intramuralen Koronararterien die Rede. Dieser Befund schließt einen Myocardinfarkt natürlich nicht aus, ist aber auch auf der anderen Seite keineswegs ein deutliches Indiz dafür, dass ein solcher Infarkt stattgefunden hat, ja nicht einmal dafür, dass er bei diesem Zustand leicht hätte stattfinden können. Im Übrigen wurde auch bei der Bewertung der Zeichen frischer Blutungen in der Herzkranzschlagader (dieser Befund konnte von Dr. S2 ... nicht mehr betätigt werden) der Vermerk im Sektionsprotokoll "Zustand nach intrakardialer Injektion" nicht berücksichtigt. In diesem Zusammenhang kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass sich diese Injektion als kontraproduktiv erwiesen hat.

Es ist also ausgesprochen unwahrscheinlich, dass J. O. tatsächlich an einem Herzinfarkt verstorben ist; dies ergibt sich auch aus dem Gutachten von Dr. A1 ... einschließlich der nachgereichten Stellungnahme; insgesamt ist jedenfalls im Rahmen der Würdigung aller Möglichkeiten auch nicht außer Acht zu lassen, dass auch ein Herzklappenfehler eine wesentliche mitwirkende Bedingung für einen Herzinfarkt sein kann (vgl. AHB 1996.101 S. 271). Die theoretische Möglichkeit eines todesursächlichen Herzinfarkts bekommt hierdurch als die Kausalität limitierender Gesichtspunkt noch einmal geringeres Gewicht: Es wäre kaum vorstellbar, dass bei einem Herzinfarkt die beschriebene Mitralklappeninsuffizienz nicht ihrerseits einen wesentlichen Anteil an dem letalen Ausgang gehabt hätte.

Da also die Schädigung (Kriegsverletzung) des J. O. wesentliche Ursache für seinen Tod war - sie hat zumindest zu einer Lebenszeitverkürzung um mehr als ein Jahr geführt - ist der Beklagte gem. § 44 SGB X verpflichtet, den deshalb rechtswidrigen Ablehnungsbescheid vom 28.10.1992 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20.04.1995 zurückzunehmen und der Klägerin in der Gemäßheit des § 44 Abs. 4 SGB X Hinterbliebenenleistungen zu erbringen. Die entgegenstehenden Bescheide sowie das diese Bescheide bestätigende Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 03.08.1999 waren aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. -
Rechtskraft
Aus
Saved