L 6 RJ 54/01

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 3 RJ 316/00
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 6 RJ 54/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 15. Dezember 2000 sowie der Bescheid der Beklagten vom 2. Dezember 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. März 2000 abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin ab 1. Februar 2004 unbefristete Rente wegen voller Erwerbsminderung zu leisten.
II. Die Beklagte hat der Klägerin deren notwendigen außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist der Anspruch der Klägerin auf eine Rente wegen Erwerbsminderung.

Die 1964 geborene Klägerin hat nach ihrer Entlassung aus der Sonderschule für Lernbehinderte im Juli 1980 (Zeugnis vom 30.07.1980) keine Berufsausbildung aufgenommen. Sie ist zunächst vom 01.09.1980 bis 31.10.1985 im Wesentlichen versicherungspflichtig beschäftigt gewesen (55 Monate Pflichtbeiträge, sechs Monate Arbeitslosigkeit). Hieran hat sich eine Zeit der Arbeitslosigkeit vom 01.11.1985 bis 19.11.1988 angeschlossen (37 Monate). Nach längerer Pause ist die Klägerin ab 1996 immer wieder versicherungspflichtig beschäftigt gewesen, ist aber auch in zahlreichen geringfügigen, versicherungsfreien Arbeitsverhältnissen gestanden. Versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse liegen ab 1996 in folgenden Zeiträumen vor: 04.03. bis 11.03.1996; 15. bis 25.07.1999; 01.08. bis 30.09. 1999; 01.07.2000 bis 30.09.2000; 01.10.2000 bis 12.03.2001; 16. bis 30.07.2001; 28.08.2001 bis 30.11.2002; 01.12.2002 bis 31.05.2003; 07.10.2003 bis 31.12.2003; 23.02.2004 bis 25.03. 2004. Im Versicherungsverlauf der Klägerin sind außerdem für den Zeitraum 26.06.1991 bis 31.08.1991 Schwangerschaft/Mutterschutz, für den Zeitraum 01.09.1991 bis 31.08.1992 Pflichtbeiträge für Kindererziehung und für den Zeitraum 07.08.1991 bis 31.10.1999 Berücksichtigungszeiten für die Erziehung eines Kindes vorgemerkt.

Erste Anträge der Klägerin auf Zahlung von Rente wegen Erwerbs- bzw. Berufsunfähigkeit vom 02.08.1988 und 06.03.1992 hat die Beklagte mangels Erfüllung der Wartezeit abgelehnt (Bescheid vom 26.09.1988, Widerspruchsbescheid vom 06.02.1989; Bescheid vom 18.05.1992, Widerspruchsbescheid vom 10.08.1992).

Den am 08.10.1999 erneut gestellten Antrag der Klägerin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 02.12.1999 und Widerspruchsbescheid vom 16.03.2000 (der Klägerin am 10.04.2000 zugegangen) ab, weil für den im November 1988 (Ausscheiden aus der Verfügungsbereitschaft bei der Arbeitsverwaltung) anzunehmenden Leistungsfall die Wartezeit nach wie vor nicht erfüllt sei.

Mit der am 27.04.2000 zum Sozialgericht Augsburg (SG) erhobenen Klage verfolgte die Klägerin ihren Rentenanspruch weiter.

Das SG wies die Klage mit Urteil vom 15.12.2000 ab. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Rente, weil sie zwar - wie von der Beklagten zutreffend festgestellt - seit November 1988 erwerbsunfähig sei, aber in diesem Zeitpunkt die erforderliche Wartezeit nicht erfüllt habe.

Am 31.01.2001 ging die Berufung der Klägerin gegen dieses für sie am 10.01.2001 zur Post gegebene Urteil beim Bayer. Landessozialgericht ein.

Der Senat zog die Klageakten des SG Augsburg und die Verwaltungsakten der Beklagten bei und holte von früheren Arbeitgebern der Klägerin Auskünfte ein. Von denen, die erreichbar waren, wurde folgendes mitgeteilt:

- Die Firma G. Spritzgußtechnik GmbH (Fa. G. ; Beschäftigungszeitraum: 27.2.84 bis 12.5.85) teilte dem Senat mit (Schreiben vom 3.2.2003), die Klägerin sei in der Lage gewesen, einfache Arbeiten an einer Spritzgußmaschine selbständig zu erledigen. Die Zeit bis zur selbständigen Erledigung ihres Aufgabengebietes sei länger als bei anderen Arbeitnehmerinnen gewesen. Man habe ihr ihre Aufgaben in mehreren Schritten und nacheinander erklären müssen, auch manchmal über zwei bis drei Tage verteilt. Bei der Erklärung von mehreren Aufgaben gleichzeitig sei die Klägerin überfordert gewesen. Die Kündigung sei wegen der schlechten Auftragslage erfolgt.

- Die Firma W. S. Hotel-Tourismus-Beratung-Management (Fa. S. ; Beschäftigungszeitraum: 15.07.1999 bis 25.07.1999) äußerte (Schreiben vom 15.08.2003), bis auf den sehr verhaltenen Arbeitswillen sei die Klägerin als Zimmermädchen/Hilfsarbeiterin bei einem Achtstundentag eine normale Arbeitnehmerin gewesen, der körperliche und geistige Zustand sei unauffällig gewesen; sie habe verstanden, ihre Arbeitsunlust zu verdecken.

- Die Firma M. S. Gebäudedienstleistung GmbH (Fa. S. ; Beschäftigungszeiträume: 01.08.1999 bis 30.09.1999 und 01.07.2000 bis 30.09.2000, außerdem geringfügige Beschäftigungen; auf letztere bezieht sich die Auskunft vom - Eingang beim Senat - 30.07.2003) beurteilte die Klägerin dahingehend, dass diese als Reinigungsfrau (Anlernzeit zwei Wochen) eine normale Arbeitsleistung erbracht habe und ihren Arbeitsbereich selbständig wahrgenommen habe.

- Das Kur- und Sporthotel T. (Hotel T. ; Beschäftigungszeitraum: 02.09.2000 bis 12.03.2001) konnte nur noch feststellen, dass die Klägerin als Reinigungskraft in Teilzeit beschäftigt gewesen war.

- Die Firma S. Gebäude-, Management und Serviceleistungen GmbH (Fa. S. ; Beschäftigungszeitraum: 16.07.2001 bis 30.07.2001, tatsächlich jedoch nur bis 20.07.2001 gearbeitet) teilt mit (Auskunft vom 26.08. 2003), die Klägerin sei als Raumpflegerin/Hilfsarbeiterin halbtags (vier Stunden täglich) beschäftigt gewesen; der Stundenlohn habe 16,30 DM betragen.

- Die Firma Sensor-Technik W. GmbH Steuer- und Regelelektronik und die Firma K. Dünnschichttechnik und Mikrosysteme GmbH (Fa. Sensor-Technik bzw. Fa. K.; Beschäftigungszeiträume: 28.08.2001 bis 30.11.2002 bzw. 01.12.2002 bis 31.05.2003), die allem Anschein nach in einer gewissen Weise zusammenarbeiten, haben in größtenteils wortgleichen Mitteilungen (jeweils vom 21.08.2003) festgestellt, die Klägerin habe als Raumpflegerin/ungelernte Arbeiterin (übliche Reinigungsarbeiten einschließlich in der Küche) eine auf sie abgestimmte normale Arbeitsleistung erbracht. Auf ihren körperlichen und geistigen Zustand habe Rücksicht genommen werden müssen; sie habe Betreuung und wiederholte für sie verständliche Anweisungen benötigt. Sie habe ganztags gearbeitet (dies ergibt sich aus dem für elf Monate gezahlten Lohn von 14.022,00 EUR bei einem angegebenen Stundenlohn von 8,50 EUR; die Mitteilung, die Klägerin habe "40 Stunden im Monat, d.h. 8 Stunden am Tag" gearbeitet ist ein offensichtliches Versehen).

- Die Firma S. (Fa. S.), bei der die Klägerin vom 07.10.2003 bis 31.12.2003 beschäftigt gewesen ist, ist nicht mehr aufzufinden. Aus dem Versicherungsverlauf ist ein Verdienst von 2.986,00 EUR zu ersehen.

- Die Firma D. KG Personalverwaltung (Fa. D. ; Beschäftigungszeitraum 23.02.2004 bis 25.03.2004) äußert, die Klägerin sei 1,7 Stunden täglich als Reinigungsfrau (Klassenzimmer, Sanitärbereich) beschäftigt gewesen, sie könne grundsätzlich als normale Arbeitnehmerin bezeichnet werden und habe keine unübliche Überwachung oder Betreuung und auch keine über das übliche Maß hinausgehende Anweisungen gebraucht. Nach dem Versicherungsverlauf hat es sich um ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis gehandelt.

Zur Feststellung des Gesundheitszustands und des beruflichen Leistungsvermögens der Klägerin erholte der Senat zunächst von dem Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr.K. ein medizinisches Sachverständigengutachten (vom 24.07.2001 unter Einbeziehung eines psychologischen Zusatzgutachtens des Dipl.-Psych. P. vom selben Tag).

Dr.K. stellte bei der Klägerin vor allem eine intellektuelle Minderbegabung vom Grad einer Lernbehinderung und ein chronisches Wirbelsäulensyndrom ohne neurologische Ausfallserscheinungen fest. Er führte aus, die sozialmedizinische Beurteilung sei nicht ganz einfach. Es handle sich zweifellos bei der bestehenden intellektuellen Minderbegabung vom Grad einer Lernbehinderung um ein Leiden, das schon vor der Aufnahme der ersten Berufstätigkeit bestanden habe. Die Klägerin sei zwar - wie schon 1988 festgestellt - in der Lage, unter einer regelmäßigen Anleitung und Supervision leichten, einfachsten körperlichen Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes vollschichtig nachzugehen. Sie sei allerdings nie fähig gewesen, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes, insbesondere unter den dort herrschenden Konkurrenzbedingungen, eine regelmäßige Berufstätigkeit auszuüben.

Der Senat forderte sodann die Leistungsakten und ärztlichen Unterlagen von der Bundesagentur für Arbeit an, worauf die Mitteilung (vom 18.07.2003) kam, dass sich die Klägerin bei der Bundesagentur nicht gemeldet habe, zog die Schwerbehindertenakten des Amtes für Versorgung und Familienförderung A. sowie Mitgliedschafts- und Leistungsunterlagen der AOK Bayern bei, erholte Befundberichte bzw. medizinische Unterlagen über ärztliche Behandlungen der Klägerin (Orthopäde Dr.N., Befundbericht vom 17.07.2003; Chirurg - Unfallchirurg Dr.H. , Befundbericht vom 23.07.2003; Orthopäde/Sportmedizin/Chiro Dr.H. , Befundbericht vom 02.08.2003; Bezirkskrankenhaus K. , Befundbericht vom 19.08.2003; Neurologische Klinik und Poliklinik der Technischen Universität M. , Befundbericht vom 22.08.2003; Internisten Dres. G. und R. , Befundbericht vom 26.08.2003; Gemeinschaftspraxis Nervenärzte/Psychotherapie Dres. K. , Befundbericht vom 08.09.2003; Facharzt für Orthopädie Dr.W. , Befundbericht vom 24.09.2003; Fachklinik E. , Befundbericht vom 01.10.2003 einschließlich des Entlassungsberichts vom 10.07.2003; Gemeinschaftspraxis Arzt für Allgemeinmedizin/praktische Ärztin-Psychotherapie Dres. M. und R. , Befundbericht vom 02.12.2003) und holte von dem Arzt für Orthopädie Dr.F. ein medizinisches Sachverständigengutachten ein (vom 11.05.2004).

Dr.F. stellte bei der Klägerin folgende Gesundheitsstörungen fest:

- Osteochondrose BWK 7 bis BWK 10, Spondylose der Brust- wirbelsäule.

- Initiale Osteochondrose L4/L5, angedeutetes Baastrup- Syndrom.

- Posttraumatische Ellenbogengelenkarthrose rechts.

- Nebendiagnosen: Leichte Funktionsbehinderung einzelner Fingergelenke; Ödeme an beiden Beinen bei mäßiger Vari- kose; lockere Spreizfüße; erhebliche Übergewichtigkeit.

Die Klägerin sei in der Lage, unter den üblichen Bedingungen eines Arbeitsverhältnisses mittelschwere Arbeiten mit der Möglichkeit zum gelegentlichen Wechsel der Ausgangslage (kein pausenloses Sitzen) vollschichtig (acht Stunden täglich) zu verrichten; hierbei sei Heben oder Tragen schwerer Lasten ebenso wenig zumutbar wie Tätigkeiten in anhaltend gebückter Stellung sowie das Bewegen schwererer Lasten mit dem rechten Arm. Beschränkungen des Anmarschwegs zur Arbeitsstätte bestünden nicht.

In dem Entlassungsbericht der Fachklinik E. vom 10.07.2003 über ein dort in der Abteilung Orthopädie vom 05.06.2003 bis 26.06.2003 durchgeführtes medizinisches Heilverfahren - der Bericht hatte Dr.F. vorgelegen - heißt es, die Klägerin sei als arbeitsfähig im Beruf einer Reinigungsfrau entlassen worden. Diesen Beruf könne sie auch weiterhin sechs Stunden und mehr ausüben. Im Übrigen könne sie bis mittelschwere Arbeiten im Wechsel von Gehen, Stehen und Sitzen verrichten.

Nach Mitteilungen der AOK Bayern, Direktion K./Ostallgäu vom 02.10.2003 und 19.08.2004 ist die Klägerin zwar immer wieder aufgrund verschiedener Krankheiten arbeitsunfähig gewesen; zwischen den einzelnen, meist sehr kurzen Erkrankungen liegen aber auch Monate ohne Krankheitszeiten. Die längsten Krankheitszeiten betreffen Gesundheitsstörungen an der Wirbelsäule (Lumboischialgie), wobei diese seit dem Heilverfahren bis jedenfalls August 2004 (Ende der bisherigen Aufzeichnungen der AOK) nicht mehr als Krankheitsursache vorgelegen haben.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Augsburg vom 15.12.2000 sowie des Bescheides vom 02.12.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.03.2000 zu verurteilen, ihr ab 01.02.2004 Rente wegen voller Erwerbsminderung zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen und zur Ergänzung des Tatbestands wird im Übrigen auf den Inhalt der beigezogenen Akten und der Akte des Bayer. Landessozialgerichts sowie auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Augsburg vom 15.12.2000 ist zulässig und auch im Sinn des am Schluss der mündlichen Verhandlung gestellten Antrags begründet. Die Klägerin hat nämlich bei einem Eintritt des Leistungsfalls am 01.01. 2004 ab 01.02.2004 gegen die Beklagte Anspruch auf unbefristete Zahlung von Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Der Anspruch der Klägerin richtet sich im Hinblick auf den Leis- tungsfall 01.01.2004 und den Beginn der Rente am 01.02.2004 nur noch nach den Vorschriften des SGB VI in der ab 01.01.2001 geltenden Fassung (n.F.).

Die Klägerin hat ab 01.02.2004 gegen die Beklagte Anspruch auf unbefristete Zahlung von Rente wegen voller Erwerbsminderung gemäß § 43 Abs.2 SGB VI n.F.

Nach § 43 Abs.2 Satz 1 SGB VI n.F. haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie

1. voll erwerbsgemindert sind,

2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und

3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs.2 Satz 2 SGB VI n.F. Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Die Klägerin ist aus medizinischer Sicht Zeit ihres Lebens wegen ihrer Behinderung - einer intellektuellen Minderbegabung vom Grad einer Lernbehinderung - auf nicht absehbare Zeit außerstande gewesen, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sie war und ist zwar in der Lage, unter einer regelmäßigen Anleitung und Supervision leichten, einfachsten körperlichen Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes vollschichtig nachzugehen; allerdings ist sie nie fähig gewesen, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes, insbesondere unter den dort herrschenden Konkurrenzbedingungen, eine regelmäßige Berufstätigkeit auszuüben.

Dieses (fehlende) berufliche Leistungsvermögen der Klägerin ergibt sich vor allem aus dem im Berufungsverfahren eingeholten Gutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr.K. , dem sich der Senat anschließt. Damit ist die Klägerin aus medizinischer Sicht zeitlebens voll erwerbsgemindert gewesen und ist dies noch immer.

Allerdings ist diese medizinische Feststellung durch die von der Klägerin tatsächlich ausgeübte Erwerbstätigkeit bis einschließlich 31.12.2003 widerlegt (vgl. zum Folgenden das BSG-Urteil vom 26.09.1975 - 12 RJ 208/74 = SozR 2200 § 1247 Nr.12 mit weiteren Nachweisen). Denn bei der Frage, ob volle Erwerbsminderung (nach dem bis 31.12.2000 geltenden Recht: Erwerbsunfähigkeit) vorliegt, handelt es sich nicht nur um eine medizinische, sondern vielmehr auch und vorrangig um eine Rechtsfrage. Die der Beurteilung durch einen ärztlichen Sachverständigen unterliegende körperliche und geistige Leistungsfähigkeit des Versicherten stellt lediglich eine von mehreren Komponenten des komplexen Begriffs der Erwerbsfähigkeit dar. Die bei einem Versicherten erhobenen medizinischen Befunde dürfen deshalb bei der Ermittlung seiner Erwerbsfähigkeit nicht isoliert betrachtet werden. Auch kommt diesen Befunden in der Regel kein so starker Beweiswert zu wie dem Umstand, dass der Versicherte eine Erwerbstätigkeit tatsächlich ausübt. Aus dem Umstand, dass ein Versicherter tatsächlich eine zumutbare Tätigkeit noch mindestens sechs Stunden täglich ausübt, ist in der Regel zu schließen, dass seine Erwerbsfähigkeit trotz Vorliegens einer Krankheit, eines Gebrechens oder einer Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte nicht auf unter sechs Stunden täglich gesunken ist. Dieser Schluss ist selbst dann gerechtfertigt, wenn die erhobenen medizinischen Befunde für sich allein betrachtet ein anderes Ergebnis nahelegen, weil die Tatsache der Ausübung einer zumutbaren Tätigkeit in der Regel einen stärkeren Beweiswert hat als die scheinbar dies ausschließenden medizinischen Befunde. Dies gilt sowohl für den Bereich organisch-körperlicher Erkrankungen wie auch dann, wenn es sich - wie bei der Klägerin - um eine psychische Erkrankung handelt. Es ist allein entscheidend, ob der Versicherte trotz seiner wie auch immer gearteten Gesundheitsstörungen tatsächlich noch erwerbstätig ist, d.h. eine Arbeit leistet, die er leisten kann und die zu einem für andere wirtschaftlich verwertbaren Ergebnis führt und deshalb geeignet ist, für ihn selbst als Erwerbsquelle zu dienen.

Die Klägerin hat immer wieder versicherungspflichtig gearbeitet, dies auch vollschichtig, wie zuletzt als Raumpflegerin bei der Fa. Sensor-Technik und bei der Fa. K. im Zeitraum 28.08. 2001 bis 30.11.2002 bzw. 01.12.2002 bis 31.05.2003. Daß dies eine Ganztagsbeschäftigung gewesen ist, ergibt sich eindeutig aus den insoweit mißglückt formulierten Auskünften dieser Arbeitgeber. Denn aus dem für den Zeitraum 01.01. bis 30.11.02 gezahlten Lohn von 14.022,00 EUR bei einem Stundenlohn von 8,50 EUR folgt, dass die Klägerin in dieser Zeit insgesamt rund 1650 Stunden gearbeitet hat, was monatlich (1650: 11 =) 150 Stunden, somit wöchentlich (150 Stunden: 13 x 3 =) 35 Stunden entspricht. Aber auch die Beschäftigung bei der Fa. Schegg vom 07.10.2003 bis 31.12.2003 schließt nach ihrem zeitlichen Umfang eine Erwerbsminderung aus. Aus dem Verdienst von 2.986,00 EUR ist bei in diesem Zeitraum angefallenen 59 Arbeitstagen ein täglicher Lohn von 50,61 EURO zu errechnen, was bei der anzunehmenden Berufstätigkeit als Putzfrau und bei dem aus den anderen Beschäftigungsverhältnissen bekannten Stundenlohn von rund 8,50 EUR sowie bei einer Fünf-Tage-Woche einer sechsstündigen täglichen Arbeitszeit entspricht. Dass die Arbeitgeber teilweise auf den körperlichen und geistigen Zustand der Klägerin haben Rücksicht nehmen müssen, ihr etwas mehr erklären und sie besser haben überwachen müssen, ändert nichts daran, dass die Klägerin eine Arbeit geleistet hat, die zu ei-nem für andere wirtschaftlich verwertbaren Ergebnis geführt hat und deshalb geeignet war, für sie selbst als Erwerbsquelle zu dienen. Gerade die längerdauernden Beschäftigungsverhältnisse zeigen, dass die Arbeitgeber im großen und ganzen mit der Arbeitsleistung der Klägerin zufrieden gewesen sein müssen, weil sie sich schon viel früher von der Klägerin getrennt hätten.

Damit ist die Klägerin bis einschließlich 31.12.2003 nicht erwerbsgemindert gewesen. Am 01.01.2004 ist dann volle Erwerbsminderung eingetreten, weil der medizinisch festgestellte Sachverhalt nicht mehr durch die tatsächliche Arbeitsleistung widerlegt worden ist. Die geringfügige Beschäftigung bei der Fa. D. vom 23.02.2004 bis 25.03.2004 (1,7 Stunden täglich als Reinigungsfrau) steht dieser Feststellung nicht entgegen.

Die nach § 43 Abs.2 Satz 1 SGB VI n.F. in Nr.2 und 3 geforderten versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben; Erfüllung der allgemeinen Wartezeit vor Eintritt der Erwerbsminderung) liegen beim Eintritt der Erwerbsminderung am 1.1.2004 vor. Nach dem Versicherungsverlauf vom 09.08.2004 weist die Klägerin im vorangehenden Fünfjahreszeitraum (01.01. 1999 bis 31.12.2003) sogar mehr als drei Jahre Pflichtbeitragszeiten (vgl. hierzu auch § 55 Abs.2 SGB VI n.F.) auf; die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren (vgl. § 50 Abs.1 Satz 1 SGB VI) ist ebenso erfüllt, nachdem alle vor dem 01.01.2004 liegenden Beiträge im Zustand der Erwerbsfähigkeit gezahlt worden sind.

Die Rente beginnt gemäß § 99 Abs.1 Satz 1 SGB VI am 01.02.2004.

Die Rente ist unbefristet zu zahlen, § 102 Abs.2 Satz 4 SGB VI n.F., weil unwahrscheinlich ist, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann. Die Minderbegabung ist nicht besserungsfähig; dies bedarf keiner weiteren Begründung.

In diesem Zusammenhang sei der Vollständigkeit halber noch darauf hingewiesen, dass die Klägerin für den Beruf einer Putzfrau schon aufgrund von Gesundheitsstörungen, die das orthopädische Fachgebiet betreffen, nicht mehr geeignet ist, denn für sie ist nach den Feststellungen Dr. F. Heben oder Tragen schwerer Lasten ebenso wenig zumutbar wie Tätigkeiten in anhaltend gebückter Stellung sowie das Bewegen schwererer Lasten mit dem rechten Arm. Es ist allgemeinkundig, dass solche Belastungen im Beruf einer Putzfrau aber anfallen. Diese Einschränkung der beruflichen Belastbarkeit beruht auf folgenden Gesundheitsstörungen:

- Osteochondrose BWK 7 bis BWK 10, Spondylose der Brust- wirbelsäule.

- Initiale Osteochondrose L4/L5, angedeutetes Baastrup- Syndrom.

- Posttraumatische Ellenbogengelenkarthrose rechts.

- Nebendiagnosen: Leichte Funktionsbehinderung einzelner Fingergelenke; Ödeme an beiden Beinen bei mäßiger Vari- kose; lockere Spreizfüße; erhebliche Übergewichtigkeit.

Diese sind, da degenerativ, nicht besserungsfähig. Die Klägerin wird daher den Beruf einer Putzfrau schon im Hinblick auf ihr körperliches Restleistungsvermögen nie mehr ausüben können (oder allenfalls unter unzumutbaren Schmerzen oder Beschwerden bzw. auf Kosten der Gesundheit). Wegen der Minderbegabung kann sich die Klägerin auch nicht mehr auf einen anderen Beruf, der körperlich leichter als die bisher ausgeübte Putzfrauentätigkeit wäre, umstellen. Damit ist klar, dass die Klägerin nicht mehr in das Berufsleben zurückkehren kann.

Auf die Berufung der Klägerin waren somit das Urteil des SG Augsburg vom 15.12.2000 sowie der Bescheid der Beklagten vom 02.12.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.03. 2000 abzuändern und die Beklagte war zu verurteilen, der Klägerin ab 01.02.2004 unbefristete Rente wegen voller Erwerbsminderung zu leisten.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs.2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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