L 4 J 16/95

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 5 (21) J 209/90
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 4 J 16/95
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beigeladenen zu 1) wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 28. November 1994 abgeändert. Die Klage wird abgewiesen. Kosten haben die Beteiligten in beiden Rechtszügen einander nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der 1941 geborene jordanische Kläger begehrt die Erstattung von Rentenversicherungsbeiträgen.

Er war ab August 1971 bis zur Rückkehr nach Jordanien im Oktober 1976 mit Unterbrechungen versicherungspflichtig in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigt.

Am 26.09.1979 beantragte der Kläger, ihm seine Beiträge zur deutschen Rentenversicherung der Arbeiter zu erstatten.

Mit einem an den Kläger unter der Anschrift B L C-str./J, Jordanien, gerichteten Bescheid vom 27.11.1979 gab die Landesversicherungsanstalt (LVA) Hessen (Beigeladene zu 1) dem Antrag statt und errechnete einen auszuzahlenden Betrag von 3.981,80 DM.

Nachdem der Kläger im Dezember 1979 mitgeteilt hatte, daß seine neue Adresse jetzt bei N L , J/Jordanien sei, versuchte die Beigeladene zu 1) nochmals vergeblich, den Bescheid vom 27.11.1979 über die deutsche Botschaft in Amman nunmehr an die neue Anschrift zuzustellen.

Schließlich stellte die Beigeladene zu 1) den Bescheid gemäß § 15 Verwaltungszustellungsgesetz (VwZG) durch öffentliche Bekanntmachung (Aushang in der Versicherungsabteilung) vom 28.10.1982 öffentlich zu.

Den Zahlungsauftrag in Höhe von 3.981,80 DM hatte sie über Magnetband am 30.11.1979 der Post übermittelt, wobei sie als Empfängeranschrift angab: "L B /J, C-str.".

Auf der den Kläger betreffenden letzten Versicherungskarte (Beschäftigung vom 15.07.1976 bis 16.10.1976) ist mit Stempelaufdruck vermerkt: "Erstattet LVA Hessen".

Mit Schreiben vom 12.09.1988 fragte der Kläger bei der Beklagten an, was aus seinem Erstattungsantrag geworden sei. Er sei in den 6 Jahren in der Bundesrepublik Deutschland fleißiger Arbeiter gewesen; die gesamten Abzüge hätten 120 tausend betragen; wie ihm die Beklagten geschrieben habe, habe er von diesem Betrag 33 tausend Mark zu bekommen.

Durch Bescheid vom 05.12.1989 (ohne Zustellungsnachweis) lehnte die Beklagte eine Beitragserstattung nach § 1303 Reichsversicherungsordnung (RVO) ab, weil die Beiträge bereits mit Bescheid vom 27.11.1979 erstattet worden seien.

Hiergegen wandte der Kläger mit einem am 13.06.1990 bei der Beklagten eingegangenen Schreiben ein, daß er keinen Bescheid und kein Geld erhalten habe.

Schließlich hat der Kläger am 02.11.1990 Klage erhoben, mit der er erneut behauptet hat, daß ihm auf seinen früheren Antrag keine Beiträge erstattet worden seien. Die Beklagte möge ihm mitteilen, wann und an welche Bank sie das Geld geschickt habe.

Demgegenüber hat die Beklagte weiterhin geltend gemacht, daß die Beiträge bereits erstattet worden seien. Aufgrund des über Magnetband übermittelten Zahlungsauftrags müsse zwingend davon ausgegangen werden, daß die Erstattung in Höhe von 3.981,80 DM per Post an den Kläger zur Auszahlung gelangt sei; sonst wäre der Zahlungsauftrag an die LVA Hessen zurückgekommen.

Die durch Beschluss vom 21.09.1994 zum Rechtsstreit beigeladene LVA Hessen (Beigeladene zu 1) hat sich dieser Auffassung angeschlossen und im übrigen darauf hingewiesen, daß der Kläger die Angelegenheit erst nach 11 Jahren moniert habe.

Auf Anfrage des Sozialgerichts hat der Kläger mitgeteilt, daß er identisch sei mit dem zuletzt für "B Market, J" gemeldet gewesenen B L.

Die Zentralpost von J berichtete am 12.05.1993 und am 11.11.1993, daß die Akten über eingehende Einschreibesendungen nur für 3 Jahre beim Postamt aufbewahrt würden; deswegen könne keinerlei Auskunft darüber erteilt werden, ob dem Kläger der unter dem 30.11.1979 übersandte Betrag ausgehändigt worden sei.

Mit Urteil vom 28.11.1994 hat das Sozialgericht die Beigeladene zu 1) verurteilt, an den Kläger einen Betrag von 3.981,80 DM nebst gesetzlichen Zinsen zu zahlen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger habe im Wege der Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Anspruch darauf, daß ihm die Beigeladene zu 1) den durch ihren bestandskräftigen Erstattungsbescheid vom 27.11.1979 festgestellten Betrag auszahle. Sie habe nämlich nicht nachweisen können, daß ihm das Geld an seinem Wohnsitz übermittelt worden sei. Dafür treffe sie die Beweislast. Zwar sei der über Magnetband an die Post gegebene Zahlungsauftrag nicht zurückgekommen, so daß eine Vermutung für die Absendung und Ankunft des Geldes spreche. Diese Vermutung werde hier aber dadurch erschüttert, daß die Postanweisung noch an die alte Adresse des Klägers gerichtet gewesen sei, obwohl er bereits eine neue Anschrift besessen habe. In diesem Zusammenhang sei auch von Bedeutung, daß der Erstattungsbescheid öffentlich zugestellt worden sei, nachdem er nicht durch die deutsche Botschaft habe ausgehändigt werden können. Dies alles spreche dafür, daß der Anweisungsbetrag auf dem Postweg verloren gegangen sei. Der Zinsanspruch ergebe sich aus § 44 Sozialgesetzbuch I (SGB I).

Dieses ihr am 10.01.1995 zugestellte Urteil hat die Beigeladene zu 1) mit der am 07.02.1995 eingelegten Berufung angefochten. Entgegen der Ansicht des Sozialgerichts sei der Anspruch des Klägers auf Beitragserstattung bereits in vollem Umfang erfüllt. Denn das Geld sei vorschriftsmäßig gemäß § 1296 RVO in Verbindung mit der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift über das Zahlen von Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung und gesetzlichen Rentenversicherung in das Ausland vom 20.12.1973 (Bundesanzeiger Nr. 240 vom 22.12.1973) in US-Dollar-Schecks ausgezahlt worden. Nicht auszuführende Aufträge wegen mangelhafter Anschrift oder Kontoangabe hätten vom Postrentendienst nach entsprechenden Ermittlungen erneut angewiesen werden müssen. Wenn auch dies erfolglos geblieben sei, habe der Postdienst spätestens nach 6 Monaten die Zahlung eingestellt und den Leistungsträger darüber unterrichtet. Da der Zahlungsauftrag vom 27.11.1979 nicht zurückgekommen sei, stehe die Auszahlung des Erstattungsbetrages fest. Laut Auskunft der Postbank - Niederlassung Stuttgart - seien die Unterlagen nach Ablauf einer Aufbewahrungsfrist von 6 Jahren vernichtet worden.

Weiterhin macht die Beigeladene zu 1) geltend, daß der Anspruch des Klägers inzwischen auch verwirkt sei. Denn da er erstmals nach 9 Jahren an die Erledigung seines damaligen Antrags erinnert habe, habe er selbst dazu beigetragen, daß die vorhandenen Unterlagen wegen Ablaufs der Aufbewahrungsfrist vernichtet worden seien. Infolgedessen sei es jetzt nicht mehr möglich, den Empfang des Geldes nachzuweisen oder eventuelle Unregelmäßigkeiten auf dem Zahlungsweg festzustellen. Wegen dieses schuldhaften Verhaltens des Klägers brauche sie (die Beigeladene zu 1)) nicht mehr den Nachweis zu führen, daß sie den Anspruch erfüllt habe. Vielmehr müsse der Kläger beweisen, daß das Geld trotz ordnungsgemäßer Anweisung und des nicht erfolgten Rücklaufs in der Verfügungsgewalt des Leistungsträgers verblieben sei. Ansonsten könnte jeder Zahlungsanspruch nach Ablauf der gesetzlichen Aufbewahrungsfrist erneut erfolgreich geltend gemacht werden. Da die Deutsche Post AG - Rentenrechnungsstelle Stuttgart - den belasteten Betrag von 3.981,80 DM nicht rückgerechnet habe, käme sie im Falle der Nichtauszahlung des Geldes als zahlungspflichtig in Betracht. Im übrigen wäre der Anspruch des Klägers auch gemäß § 45 Abs. 1 SGB I verjährt. Denn infolge des von ihm eingeleiteten Beitragserstattungs-Verwaltungsverfahrens sei die 4-jährige Verjährung zwar zunächst unterbrochen worden. Durch das spätere jahrelange Nichtbetreiben sei diese Unterbrechung aber beendet worden. Bei wiederkehrenden, künftig fällig werdenden Sozialleistungen laufe gemäß § 218 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) selbst dann nur die Verjährungsfrist des § 45 Abs. 1 SGB I, wenn der Anspruch rechtskräftig festgestellt worden sei.

Durch Beschluss vom 19.06.1995 hat der Senat die Deutsche Post AG - Direktion Stuttgart - gemäß § 75 Abs. 1 SGG zum Rechtsstreit beigeladen (Beigeladene zu 2)).

Der Kläger und die Beigeladene zu 2) wurden ordnungsgemäß durch Empfangsbekenntnis, jeweils am 16.01.1997, zur mündlichen Verhandlung vom 17.02.1997 geladen. Für sie ist niemand zum Termin erschienen.

Die Beigeladene zu 1) beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 28. November 1994 abzuändern und die Klage abzuweisen,

hilfsweise die Revision zuzulassen.

Die Beklagte schließt sich den Ausführungen des Beigeladenen zu 1) an und beantragt ebenfalls,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 28. November 1994 abzuändern und die Klage abzuweisen,

hilfsweise die Revision zuzulassen.

Der Kläger beantragt schriftlich sinngemäß,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozeßakten und der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Beigeladenen zu 1) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Obwohl für den Kläger und die Beigeladene zu 2) niemand erschienen ist, durfte der Senat den Rechtsstreit im Termin vom 17.02.1996 verhandeln und entscheiden, weil beide Beteiligten auf diese Möglichkeit in der ihnen ordnungsgemäß zugestellten Ladung hingewiesen worden sind.

Die nach §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung der Beigeladenen zu 1) ist begründet. Das Sozialgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Auszahlung der von ihm geltend gemachten Beiträge zur Rentenversicherung in Höhe von 3.981,80 DM zu.

Die Beteiligten gehen zu Recht davon aus, daß der Kläger gemäß § 1303 Abs. 1 RVO in der ab 19.10.1972 geltenden Fassung des Rentenreformgesetzes 1972 (RRG 72) Anspruch auf die beantragte Erstattung seiner zwischen August 1971 bis Oktober 1976 ge- leisteten Arbeitnehmer-Beiträge zur Rentenversicherung in Höhe von 3.981,80 DM hatte.

Streitig ist jedoch, ob die Beigeladene zu 1) als Schuldnerin des damaligen Erstattungsanspruchs die geschuldete Leistung bereits erfüllt hat, so daß das Schuldverhältnis erloschen ist (vgl. § 362 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch, BGB).

Zwar handelt es sich bei den von einem Rentenversicherungsträger zu erbringenden Sozialleistungen, zu denen auch Beitragserstattungen gehören (siehe § 11 Abs. 1 SGB I und § 1235 RVO in der bis 31.12.1992 geltenden Fassung) grundsätzlich um Holschulden. Doch sind die Rentenversicherungsträger zulässigerweise von Anfang an dazu übergegangen, die Leistungen durch die Post auszahlen zu lassen (vgl. § 313 Angestelltenversicherungsgesetz - AVG - in der Fassung von 1924; § 1296 RVO in der ab 01.01.1957 geltenden Fassung). Dadurch wurde die Holschuld zu einer Bringschuld, die am Wohnort des Berechtigten zu erfüllen ist (vgl. § 270 Abs. 1 BGB). Das gilt auch, wenn das Geld unbar auf ein Konto des Versicherten eingezahlt wurde (s. BSG SozR A 5 II § 1298 RVO Nr. 1).

Gemäß § 270 BGB hatte die Beigeladene zu 1) als Schuldnerin den Erstattungsbetrag auf ihre Gefahr an den Kläger zu übermitteln, so daß ein eventueller Verlust zu ihren Lasten ging. Da sie diese Form der Übermittlung des Erstattungsbetrages gewählt hatte, trug sie bis zur Auszahlung des Geldes an den Kläger, oder bei unbarer Zahlung, bis zur Gutschrift auf dessen Konto das "Transportrisiko". Etwas anderes würde nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) allerdings gelten, wenn der Kläger ein unzutreffendes Konto angegeben hätte, wofür hier aber nichts ersichtlich ist.

Bei dieser Sachlage können sich die Beigeladene zu 1) und die Beklagte nur dann auf die Erfüllungswirkung des § 362 Abs. 1 BGB berufen, wenn ihnen der Nachweis gelingt, daß der Erstattungsbetrag über die Rentenrechnungsstelle der Post an den Kläger ausgezahlt worden ist.

Das ist hier der Fall. Denn die von der Beklagten vorgelegten Unterlagen beweisen, daß der Erstattungsbetrag an den Kläger durch Gutschrift auf sein Konto "bewirkt" wurde. Dafür spricht nach dem Beweis des ersten Anscheins eine tatsächliche Vermutung.

Zwar erlaubt der Beweis des ersten Anscheins grundsätzlich nur solche Tatsachenvermutungen, die sich auf vom menschlichen Willen unabhängige, gleichsam mechanische Geschehensabläufe beziehen (vgl. Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, 5. Auflage, § 128 Rdnr. 9). Doch kann zur Überzeugung des Senats auch in den Fällen, in denen es um die Wirksamkeit von Beitragserstattungen nach dem Rentenversicherungsrecht geht, von einem typischen Geschehensablauf in diesem Sinne gesprochen werden, wenn die Erstattung in einem Verzeichnis vermerkt ist, der Zahlungsauftrag an die Post übermittelt wurde und sich der Berechtigte trotz der behaupteten Nichtauszahlung jahrelang nicht nach dem Erstattungsantrag erkundigt hat.

Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Denn wie sich aus dem Erstattungsvermerk auf der letzten Versicherungskarte des Klägers ergibt, ist ihm der Betrag von 3.981,80 DM durch die Beigeladene zu 1) erstattet worden. Außerdem hat sie den Zahlungsauftrag am 30.11.1979 über Magnetband an die Post übermittelt, wobei sie die vom Kläger bestätigte, richtige Empfängeranschrift angegeben hat. Da sich der Kläger erst nach 9 Jahren bei der Beklagten nach seinem Erstattungsantrag erkundigt hat, kann im Wege der tatsächlichen Vermutung davon ausgegangen werden, daß ihm die Auszahlung zugegangen ist (siehe auch BSG SozR 2200 § 1309 a Nr. 1; LSG Baden-Württemberg vom 27.02.1984 in ZfSH/ SGB 1985, 372).

Demgegenüber liegen keine Anhaltspunkte vor, die diese tatsächliche Vermutung erschüttern könnten. Insbesondere herrschten damals auch geordnete postalische Verhältnisse.

Bei dieser Sachlage brauchte der Senat nicht darüber zu entscheiden, ob der Beklagten darin zuzustimmen ist, daß der Erstattungsanspruch gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 1 SGB I verjährt ist (vgl. BSG SozR 1200 § 45 SGB 1 Nr. 5).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Für eine Zulassung der Revision besteht kein Anlaß.
Rechtskraft
Aus
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