L 11 RA 2427/04

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 2 RA 1050/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 RA 2427/04
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Einem Versicherten steht ein Herstellungsanspruch gegen die zur Entscheidung berufene Behörde nur dann zu, wenn diese andere Behörde vom Gesetzgeber im Sinne einer Funktionseinheit arbeitsteilig in das Verwaltungsverfahren eingeschaltet ist. Die Beihilfestelle ist diesbezüglich nicht in das Sozialleistungsverfahren einbezogen.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 25. März 2004 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Vormerkung einer Berücksichtigungszeit wegen Pflege vom 01.01.1992 bis 31.05.1995.

Die Klägerin beantragte bei der Beklagten mit Schreiben vom 10.02.2002 eine Kontenklärung sowie eine Rentenauskunft. Im Rahmen dieses Verfahrens machte die Klägerin Zeiten der nicht erwerbsmäßigen Pflege eines pflegebedürftigen Kindes vom 01.01.1992 bis 30.11.1994 und 01.01.1995 bis 31.03.1995 geltend und gab erläuternd an, sie habe ihren am 04.10.1980 geborenen behinderten Sohn gepflegt. Hierzu legte sie an den Ehemann der Klägerin gerichtete Bescheide des Kommunalen Versorgungsverbandes Baden-Württemberg - Körperschaft des Öffentlichen Rechts - vom 20.12.1994 und 16.05.1995 vor, wonach eine pauschale Beihilfe für die ständige häusliche Pflege des Sohnes durch nahe Angehörige in Höhe von monatlich DM 400,- rückwirkend vom 01.01.1992 bis 30.11.1994 bzw. für die Zeit vom 01.01.1995 bis 31.03.1995 gewährt wurde.

Mit Bescheid vom 17.09.2002 stellte die Beklagte nach § 149 Abs. 5 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) die in dem beigefügten Versicherungsverlauf enthaltenen Zeiten bis 31.12.1995 verbindlich fest. Die Zeit vom 01.01.1992 bis 30.11.1994 und 01.01.1995 bis 31.03.1995 könne nicht als Berücksichtigungszeit wegen Pflege anerkannt werden, weil der Antrag nicht rechtzeitig gestellt worden sei.

Zur Begründung ihres dagegen eingelegten Widerspruchs machte die Klägerin geltend, sie habe nichts von einem speziellen Antrag zu einem bestimmten Termin gewusst, zumal sie mit ihrem schwerbehinderten Kind nicht auch noch diesbezügliche Fachzeitschriften habe durchschauen können.

Die Beklagte erläuterte der Klägerin hierauf, unter welchen Voraussetzungen Pflegeberücksichtigungszeiten bei verspäteter Antragstellung und fehlender Beratung durch die Krankenkassen im Wege eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs anerkannt werden könnten und bat um Vorlage einer entsprechenden Bestätigung der zuständigen Krankenkasse oder vom Kommunalen Versorgungsverband, aus der hervorgehe, dass im Jahr 1991 kein Hinweis auf die Neuregelung bezüglich der Pflegeberücksichtigungszeiten erfolgt sei. Die Klägerin legte hierauf ein Schreiben des Kommunalen Versorgungsverbandes Baden-Württemberg vom 02.12.2002 vor, in dem dem Ehemann der Klägerin bestätigt wurde, dass weder im Jahr 1991 noch in den Jahren der Antragstellung 1994 und 1995 ein Hinweis auf eine Neuregelung von Pflegeberücksichtigungszeiten gegeben worden sei. Aufgrund fehlender gesetzlicher Grundlagen habe keine Verpflichtung zur Unterrichtung bestanden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 31.03.2003 wies die Beklagte den Widerspruch zurück: In Einzelfällen, in denen eine Krankenkasse mit Bewilligung des Pflegegeldes ab Mitte 1991 nicht auf die Möglichkeit eines Antrages auf Anerkennung von Pflegeberücksichtigungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung - für die Zeit ab 1. Januar 1992 - hingewiesen habe, könne ein dem Rentenversicherungsträger zuzurechnender Beratungsfehler vorliegen. Pflegepersonen könnten dann im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs auch bei verspäteter Antragstellung Berücksichtigungszeiten für Zeiten der nicht erwerbsmäßigen Pflege geltend machen. Bei den Krankenkassen müsse es sich um gesetzliche Krankenkassen handeln, die zum damaligen Zeitpunkt Leistungen nach § 53 SGB V ff. (Schwerpflegefälle) gezahlt hätten. Habe zum damaligen Zeitpunkt ein privates Krankenversicherungsverhältnis bestanden, könne der Beratungsfehler der gesetzlichen Rentenversicherung nicht angelastet werden.

Deswegen erhob die Klägerin Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG) mit der Begründung, die Beklagte sei selbst davon ausgegangen, dass auch bei Nichtbelehrung durch den Kommunalen Versorgungsverband, immerhin auch eine Körperschaft des Öffentlichen Rechts wie eine gesetzliche Krankenkasse, der Beratungsmangel dem Rentenversicherungsträger zuzurechnen sei, sonst wäre sie nicht ausdrücklich aufgefordert worden, eine entsprechende Bestätigung vorzulegen. Es sei nicht einzusehen, warum der Beratungsmangel bei der einen öffentlich rechtlichen Körperschaft maßgebend, bei der anderen aber unerheblich sein solle. Dabei könne es auch keinen entscheidenden Unterschied machen, dass die Klägerin selbst beim Kommunalen Versorgungsverband nicht Mitglied sei, sondern ihr Ehemann. In den Schutzzweck von fürsorglichen Beratungspflichten seien wegen der Offensichtlichkeit der Interessenlage nicht nur die eigentlichen Mitglieder des Kommunalen Versorgungsverbandes einbezogen, sondern auch die durch die Maßnahmen direkt begünstigten oder sonst betroffenen nahen Angehörigen.

Die Beklagte trat der Klage entgegen. Der Kommunale Versorgungsverband Baden-Württemberg sei kein Leistungsträger, der mit den Rentenversicherungsträgern arbeitstechnisch verbunden sei. Ein dortiger Beratungsfehler könne nicht den Rentenversicherungsträgern angelastet werden. Im übrigen sei durch die Einführung der Pflegeversicherung im Jahre 1992 eine allgemeine Aufklärung der Bevölkerung durch entsprechende Veröffentlichungen in der Presse und den Medien vorgenommen worden. Ein konkreter Anlass zur individuellen Beratung habe bis 1997 nicht vorgelegen, da bis zu diesem Zeitpunkt kein weiterer Schriftwechsel mit der Klägerin stattgefunden habe. Erst am 29.01.1997 sei über die Zeiten der Kindererziehung für die Kinder entschieden worden.

Mit Urteil vom 25.03.2004, den Prozessbevollmächtigten der Klägerin zugestellt am 21.05.2004, wies das SG die Klage ab. In den Entscheidungsgründen führte es im Wesentlichen aus, da die Klägerin bis 31.03.1995 bei der Beklagten keinen Antrag auf Anerkennung der Pflegeberücksichtigungszeiten gestellt habe, könnten diese nach der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung nicht anerkannt werden (§ 249b SGB VI). Auch im Wege des sog. sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs komme eine Anerkennung der geltend gemachten Zeiten nicht in Betracht, da ein Beratungsfehler der Beklagten für die fehlende Antragstellung durch die Klägerin nicht ursächlich gewesen sei. Eine Zurechnung von Beratungsfehlern des Kommunalen Versorgungsverbandes käme nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nur in Betracht, wenn dieser durch den Gesetzgeber im Sinne einer Funktionseinheit arbeitsteilig in den Verwaltungsablauf der Beklagten einbezogen worden wäre. Zwischen den Trägern der gesetzlichen Rentenversicherung und den Trägern der Beihilfe für Angehörige des Öffentlichen Dienstes bestehe eine solche arbeitsteilige Funktionseinheit nicht (Hinweis auf das Urteil des BSG vom 24.07.2003 - B 4 RA 13/03 R -). Insoweit fehle es schon an einer gesetzlichen Grundlage für eine Beratungspflicht, da die Beihilfeträger zwar Körperschaften des öffentlichen Rechts, aber keine Leistungsträger nach dem Sozialgesetzbuch seien. Im Gegensatz zu den gesetzlichen Krankenkassen treffe sie daher die Beratungspflicht des § 14 SGB I nicht. Ebenso wie Sozialleistungsträger nicht verpflichtet seien, über günstige Gestaltungsmöglichkeiten im Rahmen von Beihilfeansprüchen Auskunft zu geben, gebe es für eine Verpflichtung der Beihilfeträger zur Beratung über Leistungsansprüche nach dem Sozialgesetzbuch keine gesetzliche Grundlage. Allein aus der Tatsache, dass die Ansprüche nach dem SGB und die Ansprüche auf Versorgung der Angehörigen des Öffentlichen Dienstes die gleichen Lebensrisiken abdeckten, u.a. die Unterstützung häuslicher Pflege beinhalten, könne mangels einer gesetzlichen Regelung keine Beratungspflicht über die Leistungsvoraussetzungen der jeweils anderen Träger abgeleitet werden. Da hier verschiedene Sicherungssysteme vorlägen, sei die Ungleichbehandlung der Klägerin gegenüber Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung hinzunehmen.

Hiergegen richtet sich die am 21.06.2004 eingelegte Berufung der Klägerin, mit der sie ihr Begehren weiterverfolgt. Sie trägt vor, es sei nicht einzusehen, dass die Beratungs- und Auskunftspflichten sozusagen an den Grenzen des SGB endeten und der Kommunale Versorgungsverband, der der Sache nach auch Sozialleistungen erbringe, insoweit ausgeschlossen bleibe. Es müsse vielmehr, was die Beratungs- und Hinweispflichten angehe, eine gesetzesübergreifende Funktionseinheit im Sinne der Fürsorge bei gleichem Lebensrisiko angenommen werden. Es könne daher nicht nachvollzogen werden, dass ein Beratungsmangel der das Pflegegeld zahlenden Krankenkasse der Beklagten zuzurechnen sei, dies jedoch beim Kommunalen Versorgungsverband, der insoweit das gleiche Lebensrisiko decke, nicht der Fall sein solle, zumal sich eine den §§ 14 und 15 SGB I entsprechende Beratungs- und Auskunftspflicht auch bei Angestellten des Öffentlichen Dienstes ergebe, jedenfalls und insbesondere dann, wenn es um soziale Belange gehe. Daher sei aus dem gegenseitigen Treueverhältnis auch bei Angestellten des Öffentlichen Dienstes davon auszugehen, dass einfach zu erteilende, naheliegende, geradezu auf der Hand liegende Hinweise bei der Gewährung von Leistungen, die eine Entsprechung im SGB hätten, dann auch erteilt werden müssten.

Die Klägerin beantragt - teilweise sinngemäß -, das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 25. März 2004 aufzuheben sowie den Bescheid vom 17. September 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. März 2003 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, die Zeit vom 01.01.1992 bis 31.03.1995 in ihrem Versicherungsverlauf als Berücksichtigungszeit wegen Pflege vorzumerken.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie erachtet das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie der Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Klägerin, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) ist nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Vormerkung einer Berücksichtigungszeit wegen Pflege vom 01.01.1992 bis 31.03.1995.

Das SG hat in dem angefochtenen Urteil ausführlich dargelegt, dass bei der Klägerin Pflegeberücksichtigungszeiten mangels eines entsprechenden Antrages bis 31.03.1995 nach der eindeutigen gesetzlichen Regelung nicht anerkannt werden können und die Klägerin ihr Begehren auch nicht auf einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch stützen kann. Die dargestellten Entscheidungsgründe stellen eine umfassende und zutreffende Würdigung der für die Beurteilung des geltend gemachten Anspruchs relevanten tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten dar. Insoweit sieht der Senat gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und nimmt auf die zutreffenden Ausführungen im Urteil Bezug.

Das Vorbringen der Klägerin im Berufungsverfahren führt zu keiner anderen Entscheidung. Ein Fehlverhalten der Beklagten ist im vorliegenden Fall nach wie vor nicht ersichtlich und wird von der Klägerin auch nicht behauptet. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) der der Senat folgt, steht dem Versicherten ein Herstellungsanspruch gegen die zur Entscheidung berufene Behörde aufgrund eines Beratungsfehlers einer anderen Behörde nur dann zu, wenn diese andere Behörde vom Gesetzgeber im Sinne einer Funktionseinheit arbeitsteilig in das Verwaltungsverfahren eingeschaltet ist (BSG SozR 3-1200 § 14 SGB I Nrn. 8 und 22 und SozR 3-3100 § 60 BVG Nr. 3, jeweils m.w.N.). Eine derartige Fallkonstellation liegt im Falle der Klägerin indes nicht vor. Eine sich aus dem Sozialrechtsverhältnis ergebende Obhutspflicht der Leistungsträger findet ihre Rechtfertigung u.a. schon in § 2 Abs. 2 Satz 2 SGB I. Der Sozialleistungsträger soll danach eine möglichst weitgehende Verwirklichung der sozialen Rechte sicherstellen. Der nach Beamtenrecht beihilfepflichtige Kommunale Versorgungsverband Baden-Württemberg erbringt keine Sozialleistungen im Sinne von § 11 SGB I, er ist auch kein Leistungsträger im Sinne von § 12 SGB I i.V.m. §§ 18 ff. SGB I. Der Träger der Beihilfe konnte auch nicht als "gesetzlicher Erfüllungsgehilfe" der Beklagten tätig werden, weil er und die Beklagte im Hinblick auf die Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Sicherungssystemen bei der Leistungsgewährung nicht "arbeitsteilig" eingebunden sind (vgl. BSG, Urteil vom 24.07.2003 - B 4 RA 13/03 R). Die Beihilfestelle, die weder über den Sozialleistungsanspruch zu befinden hat noch als Antrags- oder Auskunftsstelle funktional in das Sozialleistungsverfahren einbezogen ist, hat gerade nicht an der Verwirklichung des sozialen Rechts aus § 2 SGB I mitzuwirken. Zu Recht weist das SG darauf hin, dass den Beihilfeträger im Gegensatz zu den gesetzlichen Krankenkassen die Beratungspflicht des § 14 SGB I nicht trifft. Wenn einerseits Sozialleistungsträger wie die Beklagte nicht zur Beratung über SGB-fremde Rechtslagen verpflichtet sind (vgl. BSG, Urteil vom 24.07.03 a.a.O.), so gilt umgekehrt das gleiche. Ein Bediensteter kann den Bürger grundsätzlich nur über Rechte und Pflichten in jenen sozialrechtlichen Angelegenheiten beraten, mit denen er selbst von seiner Aufgabenzuweisung her befasst ist. Es kann nicht erwartet werden, dass ein mit beihilferechtlichen Angelegenheiten befasster Bediensteter auch alle sozialrechtlichen Möglichkeiten bei nicht erwerbsmäßiger Pflege kennt. Eine derartige Erweiterung der Pflichten würde eine all umfassende Beratungspflicht in vermögensrechtlichen Angelegenheiten ermöglichen, die zur Folge hätte, dass die Versichertengemeinschaft auch für außerhalb des Systems verursachte Schäden einzutreten hätte. Über Anträge auf Kontenklärung und Anerkennung versicherungsrechtlicher Tatbestände entscheiden allein die Rentenversicherungsträger. Auch an der Vorbereitung solcher Entscheidungen sind die Beihilfeträger nicht nur nicht beteiligt, sondern auch nicht im entferntesten arbeitsteilig eingebunden, so dass die Beklagte nicht als Rentenversicherungsträger für das Fehlverhalten eines Mitarbeiters eines Beihilfeträgers einstehen muss. Schließlich kann die Beklagte im Rahmen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs auch nicht für eine möglicherweise fehlerhafte oder unterbliebene Auskunft im Sinne des § 15 Abs. 2 SGB I durch einen Mitarbeiter des Beihilfeträgers im Wege eines Herstellungsanspruchs verpflichtet werden. Denn der Beihilfeträger ist keine für die Auskunft über alle sozialen Angelegenheiten nach dem Sozialgesetzbuch zuständige Stelle (vgl. § 15 Abs. 1 SGB I).

Die Berufung der Klägerin konnte hiernach keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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