L 1 RA 250/02

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 13 RA 423/01
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 1 RA 250/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 4 RA 29/05 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 30. Oktober 2002 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der 1942 geborene Kläger schloss am 15.05.1970 die Ehe mit der 1949 geborenen A. S. (Ehefrau). Aus der Ehe sind die Kinder S. (geb.: 970) und A. (geb.: 1977) hervorgegangen. Mit rechtskräftigem Urteil des Amtsgerichts A. vom 27.06.1991 wurde die Ehe geschieden. Im Wege des Versorgungsausgleichs wurden vom Versicherungskonto des Klägers Rentenanwartschaften in Höhe von 484,65 DM, bezogen auf den 30.06.1990, auf das Versicherungskonto der Ehefrau übertragen. Am 19.07.1996 ging die Ehefrau eine weitere Ehe ein. Ihr zweiter Ehemann ist am 31.05.2000 verstorben.

Seit 01.03.2000 bezieht der Kläger Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (Bescheid vom 09.06.2000). Bei der Berechnung des monatlichen Zahlbetrages nahm die Beklagte für den durchgeführten Versorgungsausgleich einen Abschlag in Höhe von 14,3398 Entgeltpunkten vor.

Im März 2001 beantragte der Kläger, ihm diese Rente ohne Abschlag zu zahlen. Er habe seiner Ehefrau aufgrund einer Unterhaltsvereinbarung vom 29.06.1991 ab Juli 1991 monatlich 1487,50 DM Unterhalt geleistet. Dieser vertragliche Unterhaltsanspruch sei wegen der Wiederverheiratung im Juli 1996 zum 31.12.1995 erloschen. Da das Einkommen seiner früheren Ehefrau nach dem Tod ihres zweiten Ehemannes aber nicht ausreiche, ihren Unterhaltsbedarf zu decken, habe er sich aufgrund der über 20-jährigen Ehe in einer Vereinbarung vom 29.12.2000 verpflichtet, ihr ab 01.01.2001 monatlich 350,00 DM Unterhalt zu zahlen, bis sie selbst Rente beziehe.

Die Beklagte lehnte den Antrag ab (Bescheid vom 31.07.2001). Die Rente sei nicht wegen einer Unterhaltsverpflichtung gegenüber der früheren Ehefrau gem. §§ 5, 9 VAHRG ohne Kürzung zu zahlen. Ihr Unterhaltsanspruch sei gemäß § 1586 BGB durch Wiederheirat entfallen. Der dagegen erhobene Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 23.10.2001). Die Beklagte führte insbesondere aus, der bis zum 31.12.1995 bestehende Unterhaltsanspruch sei nicht nach § 1586a BGB wieder aufgelebt, da die Kinder aus erster Ehe bereits erwachsen seien und für die Zeit der zweiten Ehe und danach keiner Pflege oder Erziehung bedurft hätten.

Zur Begründung der dagegen am 14.11.2001 zum Sozialgericht Augsburg (SG) erhobenen Klage hat der Kläger im Wesentlichen vorgetragen, § 5 VAHRG sei analog anzuwenden. Es liege ein Billigkeitstatbestand gemäß § 1586 BGB vor, denn er unterstütze seine beiden Töchter finanziell und zahle seiner geschiedenen Frau monatlich 350,00 DM Unterhalt. Außerdem müsse er eine doppelte Kürzung seiner Rente hinnehmen, denn er könne durch den früheren Rentenbeginn die Kürzung der Anwartschaft im Versorgungsausgleich nicht mehr durch Beitragsnachentrichtung ausgleichen. Seine geschiedene Ehefrau habe frühestens 2012 einen eigenen Rentenanspruch. Bis zu diesem Zeitpunkt werde somit seine Rente gekürzt, ohne dass seine Ehefrau davon Vorteile habe.

Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 30.10.2002). Es hat zur Begründung unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ausgeführt, bei der Kürzung von Renten und Anwartschaften handele es sich nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) um eine zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG. Wegen möglicher verfassungswidriger Auswirkungen des Versorgungsausgleichs habe der Gesetzgeber das Gesetz zur Regelung von Härten im Versorgungsausgleich erlassen, das als abschließend anzusehen sei. Die Beklagte habe aber nicht von einer Kürzung nach § 5 Abs. 1 VAHRG absehen können, weil die geschiedene Ehefrau keinen Unterhaltsanspruch gegen den Kläger habe. Nach § 5 Abs. 1 VAHRG werde die Versorgung des Verpflichteten nicht auf Grund des Versorgungsausgleichs gekürzt, solange der Berechtigte aus dem im Versorgungsausgleich erworbenen Anrecht keine Rente erhalten könne und er gegen den Verpflichteten einen Anspruch auf Unterhalt habe oder nur deshalb nicht habe, weil der Verpflichtete zur Unterhaltsleistung wegen der auf dem Versorgungsausgleich beruhenden Kürzung seiner Versorgung außerstande sei. Unterhaltspflichtig im Sinne von § 5 VAHRG sei aber nur der kraft Gesetzes zum Unterhalt Verpflichtete. Die vertragliche Unterhaltsleistung von 350,00 DM für die Zeit ab Januar 2001 könne daher nicht berücksichtigt werden. Durch die Wiederheirat der früheren Ehefrau des Klägers sei deren gesetzlicher Unterhaltsanspruch erloschen. Nach Auflösung der zweiten Ehe habe keine gesetzliche Unterhaltspflicht bestanden. Ein Anspruch nach § 1586a BGB scheitere daran, dass die beiden Kinder des Klägers volljährig seien und keiner Pflege oder Erziehung mehr bedürften. Für einen sog. Aufstockungsunterhalt nach § 1573 Abs. 2 BGB ergäben sich nach dem Vortrag des Klägers und dem Akteninhalt keine konkreten Anhaltspunkte. Schließlich könnte die Unterhaltsleistungen an die beiden Töchter nicht berücksichtigt werden, da eine gesetzliche Verpflichtung dafür fehle. Eine analoge Anwendung des VAHRG auf derartige Fälle sei ausgeschlossen, da der vom BVerfG aufgestellte Katalog von Fällen, die zur Vermeidung eines verfassungswidrigen Zustandes einer ergänzenden Regelung bedürften, als abschließend anzusehen sei.

Mit der am 25.11.2002 beim Bayer. Landessozialgericht (LSG) eingelegten Berufung macht der Kläger weiterhin geltend, seine frühere Ehefrau habe Anspruch auf Unterhalt nach §§ 1586a Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 1573 Abs. 2 BGB. Dies gelte auch dann, wenn eine Pflege oder Erziehung der beiden volljährigen Kinder nicht mehr erforderlich sei. Bei Wiederaufleben des Unterhaltsanspruchs seien alle Umstände bei der gebotenen Billigkeitsabwägung einzubeziehen. Die Ehefrau sei so zu stellen, als hätte sie nicht ein zweites Mal geheiratet. Selbst wenn kein Unterhaltsanspruch gegeben sei, dürfe die Rente in analoger Anwendung des § 5 VAHRG nicht gekürzt werden. Wegen des vorzeitigen Ausscheidens aus dem Erwerbsleben müsse der Kläger eine Kürzung seiner gesetzlichen und betrieblichen Ansprüche hinnehmen. Auch sein beruflicher Aufstieg mit höherem Einkommen sei gestoppt worden. Hinzu komme, dass die Ehefrau frühestens 2012 einen eigenen Rentenanspruch habe, seine Rente trotzdem gekürzt werde und davon allein der Rentenversicherungsträger profitiere. Schließlich würden seine beiden volljährigen Töchter ohne seine Unterstützung der Sozialhilfe anheim fallen. Er erbringe damit ein Opfer, das nicht mehr dem Ausgleich zwischen den geschiede-nen Ehegatten diene.

Die Prozessbevollmächtigte des Klägers beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 30.10.2002 so- wie den Bescheid vom 31.07.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.10.2001 aufzuheben und der Beklagten aufzugeben, dem Kläger die ungekürzte Erwerbsunfähigkeitsrente zu bewilligen sowie die im Rahmen des § 6 VAHRG zustehenden Leistungen im gesetzlichen Umfang (die Hälfte der Nachzahlung) zu bezahlen, der Beklagten die notwendi-gen außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge aufzuerlegen und die Revision zuzulassen.

Der Vertreter der Beklagten beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat die Akten der Beklagten und des SG beigezogen. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten und der Berufungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), jedoch nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung seiner Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ohne Kürzung um die durch den Versorgungsausgleich auf das Versicherungskonto seiner früheren Ehefrau übertragenen Rentenanwartschaften.

Zur Begründung wird auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen (§ 153 Abs. 2 SGG).

Wie das SG ausgeführt und ausführlich begründet hat, führt der zu Lasten des Klägers durchgeführte Versorgungsausgleich gemäß § 76 SGB VI bei der Rente des Klägers zu einem Abschlag an Entgeltpunkten unabhängig davon, ob die durch den Versorgungsausgleich begünstigte Ehefrau bereits Rente (oder sonstige Leistungen) aus den übertragenen Rentenanwartschaften bezieht. Die Voraussetzungen des § 5 VAHRG, wonach bei einem gesetzlichen (BSG SozR 3-5795 § 5 Nr. 2) Unterhaltsanspruch des Berechtigten gegen den Verpflichteten die Versorgung des Verpflichteten nicht auf Grund des Versorgungsausgleichs gekürzt wird, liegen beim Kläger nicht vor.

Ein neu entstandener (nicht wiederaufgelebter, vgl. Bundesgerichtshof - BGH - FamRZ 1988, 46f) Anspruch der Ehefrau auf Aufstockungsunterhalt nach § 1586a Abs.1 Satz 2 BGB i.V.m. § 1573 Abs. 2 BGB kommt hier für die Zeit nach Auflösung der zweiten Ehe nicht in Betracht. Ein solcher Anspruch setzt voraus, dass nach Auflösung der zweiten Ehe zunächst die Voraussetzungen des § 1570 BGB vorgelegen haben (vgl. u.a. Baumann in Staudinger, BGB, 12. Auflage § 1586a Rdnr. 29; Johannsen/Henrich, Eherecht, § 1586a Rdnr. 10; Münchener Kommentar - Maurer, BGB, 4. Auflage, § 1586a Rdnr. 7; Hanseatisches Oberlandesgericht - OLG - Bremen, Beschluss vom 16. August 1988, Az. 5 WF 80/88; BGH a.a.O.), die Ehefrau also an einer Erwerbstätigkeit infolge der Erziehung eines Kindes aus der Ehe mit dem Kläger ganz oder teilweise gehindert war. Die beiden aus der Ehe hervorgegangenen Kinder waren jedoch bereits im Zeitpunkt der Wiederverheiratung der Ehefrau volljährig.

Die Prozessbevollmächtigten des Klägers haben ihre davon abweichende Ansicht auch im Berufungsverfahren weder überzeugend begründet, noch durch konkrete Rechtsprechungs- und Literaturhinweise untermauert. Das von ihnen unter falscher Sachverhaltsdarstellung zitierte Urteil des OLG Hamm vom 11.05.1994 Az. 5 UF 273/93 betraf das Zusammentreffen einer wiederaufgelebten Witwenrente nach dem ersten Ehemann mit einem Unterhaltsanspruch gegen den zweiten Ehemann und hat keinen erkennbaren Bezug zur Problematik des § 1586a BGB. Der Sachvortrag lässt im Übrigen keine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Gesetzesmaterialien zu § 1586 a BGB und der zu dieser Vorschrift vom BGH und der Literatur übereinstimmend und ohne ernstzunehmende Gegenstimmen vertretenen Auffassung über die Erforderlichkeit der Pflege oder Erziehung eines Kindes aus der früheren Ehe erkennen. Eine angeblich abweichende Rechtsprechung des OLG München wurde nicht konkret benannt und ist weder in der Rechtsprechungsdatenbank Juris noch in einschlägigen Fachzeitschriften (insbesondere FamRZ) auffindbar.

Soweit der Kläger aus verfassungsrechtlichen Gründen eine analoge Anwendung des § 5 VAHRG begehrt, wird auf die bereits vom SG zitierte gefestigte Rechtsprechung des BSG verwiesen. Das BSG hat die Vorschrift des § 5 Abs. 1 VAHRG, die allein den Anspruch des Klägers stützen könnte, ausgehend von der Entscheidung des BVerfG vom 28.02.1980 (SozR 7610 § 1587 Nr. 1) zu Recht als verfassungsgemäß und abschließend angesehen (vgl. SozR 2200 § 1304a Nr. 15; SozR 5795 § 5 Nr. 1). Von der Vereinbarkeit der gesetzlichen Regelungen über den Versorgungsausgleich und insbesondere des § 5 VAHRG mit dem Grundgesetz ist das BSG auch in seinen weiteren Entscheidungen zu § 5 VAHRG ausgegangen (vgl. BSG SozR 3-5795 § 5 Nr. 3). Die vom Kläger geltend gemachten Gesichtspunkte (insbesondere der unterbliebene Ausgleich der übertragenen Rentenanwartschaften durch Beitragsnachentrichtung, die freiwilligen Unterhaltsleistungen an Ehefrau und Töchter sowie die beruflichen und rentenrechtlichen Folgen der Erwerbsunfähigkeit) geben keinen Anlass, von dieser Rechtsprechung abzuweichen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor. Die maßgebenden Rechtsfragen sind durch die Rechtsprechung des BVerfG, an die der Senat gebunden ist, sowie des BGH und des BSG, der sich der Senat anschließt, geklärt.
Rechtskraft
Aus
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